Gatekeeper-Status bestätigt

Amazon scheitert vor dem BGH

24.04.2024
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Das Bundeskartellamt darf Amazon genauer unter die Lupe nehmen. Laut Bundesgerichtshof hat das Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung.
Der Bundesgerichtshof hat Amazons Beschwerde gegen eine schärfere Kontrolle durch die deutschen Kartellwächter abgelehnt.
Der Bundesgerichtshof hat Amazons Beschwerde gegen eine schärfere Kontrolle durch die deutschen Kartellwächter abgelehnt.
Foto: HakanGider - shutterstock.com

Amazon ist mit seiner Klage gegen die Einstufung als Gatekeeper vor dem Bundesgerichtshof gescheitert. Das Bundeskartellamt hatte den weltgrößten Online-Marktplatz per Beschluss vom 5. Juli 2022 als Unternehmen mit einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung eingestuft. Grundlage dafür bildete die im Jahr 2021 verabschiedete Novelle des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Dagegen hatten Amazon und eine deutsche Tochtergesellschaft geklagt und beantragt, den Beschluss der deutschen Kartellwächter aufzuheben.

Krake im Online-Handel: Kartellhüter rücken Amazon auf den Pelz

Dies haben die Richterinnen und Richter am BGH in einer Entscheidung vom 23. April 2024 in erster und letzter Instanz abgewiesen. "Das Bundeskartellamt hat zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt", heißt es in einer Stellungnahme des Gerichtshofs. Dafür brauche es keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder -beeinträchtigung. Vielmehr reiche es aus, dass die strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten sowie das daraus resultierende Gefährdungspotenzial für den Wettbewerb vorliegen.

Big Tech unter Kontrolle halten

Damit stärkt der BGH den Wettbewerbshütern den Rücken. "Paragraf 19a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen", so das Gericht. Das Bundeskartellamt habe zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potentiale verfüge. Dazu zählen etwa eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von AWS.

Auf europäischer Ebene wurde Amazon bereits von der Europäischen Kommission als Gatekeeper gemäß Art. 3 des Digital Markets Act (DMA) eingestuft. Für die von Amazon betriebenen Plattformen Amazon Marketplace und Amazon Advertising gelten damit in der Europäischen Union seit dem 7. März 2024 die Vorschriften des DMA, die das Marktverhalten regeln. Die Anwendung des in Deutschland geltenden GWB neben dem DMA ist zulässig, urteilte das BGH.

Rückenwind für Kartellwächter

Das Bundeskartellamt hat die großen Digitalkonzerne bereits seit einigen Jahren im Visier. Vor allem Paragraf 19a GWB gibt den Wettbewerbshütern das dafür notwendige Instrumentarium an die Hand. Im ersten Schritt wird geprüft, ob ein Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. Diese Machtstellung wurde bislang bereits bei Meta/Facebook, Alphabet/Google, Amazon und Apple festgestellt. Im Falle von Apple ist die Entscheidung derzeit noch vor Gericht. Bei Microsoft prüfen die Kartellwächter aktuell noch. Im zweiten Schritt kann das Amt dann wettbewerbswidrige Praktiken untersagen. Darunter fallen etwa die Selbstbevorzugung von konzerneigenen Diensten oder das "Aufrollen" von Märkten mit Mitteln, die nicht dem Leistungswettbewerb entsprechen.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: "Die Entscheidung des BGH gibt uns Rückenwind."
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes: "Die Entscheidung des BGH gibt uns Rückenwind."
Foto: Bundeskartellamt/Bernd Lammel

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, begrüßte die BGH-Entscheidung: "Die gibt uns Rückenwind für unsere laufenden Verfahren gegen Amazon, mit denen wir sicherstellen wollen, dass Händlerinnen und Händler auf dem Amazon Marktplatz fair behandelt werden", sagte Mundt der "Tagesschau".

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Amazon hingegen kritisierte die Entscheidung. "Der Einzelhandelsmarkt, online wie offline, ist sehr groß und ausgesprochen wettbewerbsintensiv. Wir stimmen der Entscheidung des Gerichts nicht zu und werden weitere Rechtsmittel prüfen", erklärte eine Sprecherin des Konzerns gegenüber dem Sender.

Deutsche Gerichte können auch schnell sein

Das Urteil des BGH dürfte Signalwirkung haben, sagt Till Steinvorth, Partner der Kanzlei Noerr. "Mit dieser Entscheidung stärkt der Bundesgerichtshof die Stellung des Bundeskartellamts gegenüber den großen Internetplattformen deutlich." Steinvorth zeigt sich vor allem beeindruckt von der Geschwindigkeit des BGH - "in nur eineinhalb Jahren, was angesichts der Komplexität der Materie rekordverdächtig schnell ist".

"Hierin dürfte zugleich ein Signal an die übrigen Gatekeeper liegen", erklärt der Rechtsexperte. Diese müssten nicht nur den Digital Markets Act (DMA) der EU beachten, sondern auch die Vorgaben des deutschen Kartellrechts. "Gerade dort, wo der DMA keine Regelungen trifft, spielt die deutsche Missbrauchsaufsicht weiterhin eine wichtige Rolle."