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IT-Industrie begrüßt die Hartz-Vorschläge

05.09.2002
Mitte August stellte Peter Hartz das 13-Module-Konzept „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ vor. Experten begrüßen die positiven Signale für den IT-Arbeitsmarkt.

Von CW-Redakteurin Ingrid Weidner.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Mitte August stellte Peter Hartz das 13-Module-Konzept „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ vor. Kernpunkte des Programms sind eine schnellere Jobvermittlung, mehr Service für Arbeitslose und die Modernisierung der Arbeitsämter. Experten begrüßen die positiven Signale für den IT-Arbeitsmarkt.

Dem VW-Manager Hartz kommt es im neuen Konzept vor allem auf Schnelligkeit an: Arbeitslose sollen möglichst nahtlos eine neue Beschäftigung finden und dabei besser unterstützt werden. Die Bundesanstalt für Arbeit (BA), die Landesarbeitsämter und ihre Niederlassungen sollen sich als moderne Dienstleistungsunternehmen sehen und mehr Service für Firmen und Arbeitssuchende bieten, das sind die zentralen Forderungen der Hartz-Kommission.

Peter Hartz wirbt für sein Konzept. (Foto: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Doch um den Übergang zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen zu meistern, empfiehlt der Abschlussbericht eine bundesweit verfügbare und einheitliche Datenverarbeitung für die Bundesanstalt für Arbeit und alle Arbeitsämter. Eine zentrale Weiterbildungsdatenbank soll über alle Qualifizierungskurse informieren, Online-Angebote sollen weiter ausgebaut werden und von einer Smart-Card für jeden Arbeitslosen versprechen sich die Autoren des Abschlussberichts eine einfachere Berechnung des Leistungsanspruchs. Es ist klar, dass diese Investitionsvorhaben von der hiesigen IT-Industrie positiv aufgenommen werden.

„Ich begrüße die in den Hartz-Vorschlägen verankerte Initiative für eine neue IT-Infrastruktur der Arbeitsverwaltung. Dies scheint mir nicht nur der richtige Weg zu mehr Transparenz am Arbeitsmarkt zu sein, moderne IT kann auch maßgeblich die Kosten senken wenn es darum geht, Arbeitssuchenden schnell und effizient einen neuen Arbeitsplatz zu vermitteln,“ erklärte August-Wilhelm Scheer, Aufsichtsratsvorsitzender der IDS-Scheer AG.

Doch die modernere Infrastruktur soll den Transformationsprozess der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg samt ihren Landesarbeitsämtern nur unterstützen. Im Mittelpunkt des Konzepts steht die Umgestaltung einer schwerfälligen und trägen Behörde in ein modernes und funktionierendes Dienstleistungsunternehmen. Die „Bundesagentur für Arbeit“, so der neue Titel, soll zukünftig den Anforderungen eines modernen Arbeitsmarktes besser gerecht werden.

Die Kommission: Peter Hartz, 61, Personalvorstand von Volkswagen, hatte den Vorsitz der 15-köpfigen Kommission inne, die am 22. Februar diesen Jahres von der Bundesregierung den Auftrag erhielt, ein Konzept für „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ zu entwerfen. Das Team erarbeitete in knapp sechs Monaten ein 13-Module-Programm, das den Arbeitsmarkt beleben soll. Kernpunkte des Programms sind eine schnellere Vermittlung von Arbeitssuchenden, mehr Service für Arbeitslose und Unternehmen und eine Umgestaltung der Arbeitsämter. „Fordern und Fördern“ lautet das Credo der Kommission.

Doch welche Chancen bietet das Programm für den IT-Arbeitsmarkt? Welche Vorschläge könnte die ins Stocken geratene Job-Maschine wieder auf Touren bringen? „Die meisten Vorschläge der Hartz-Kommission sind mutig und innovativ. Wer immer die Bundestagswahl am 22. September gewinnt, keine Regierung wird um die Umsetzung dieser Vorschläge herumkommen“, erklärte Erwin Staudt, IBM-Deutschland-Chef in seiner Funktion als Sprecher der Initiative D21.

Stephan Pfisterer, Experte für Bildung und Personal beim Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom), kann im Hartz-Konzept gute Ansätze erkennen, selbst wenn seiner Meinung nach nicht alles „konsequent zu Ende gedacht“ wurde. „Ein positives, aber nicht völlig befriedigendes Konzept“, so Pfisterer nüchtern. Die ablehnende Haltung der Unionsparteien hält der Bitkom-Mann dagegen für unverantwortlich.

Viele Großunternehmen halten sich dagegen mit Kommentaren über das Konzept demonstrativ zurück. Die Allianz AG beispielsweise prüft das Programm noch und möchte zunächst eine Analyse des volkswirtschaftlichen Nutzens erstellen, bei Daimler-Chrysler und IBM heißt es schlicht „kein Kommentar“. Die SAP AG schätzt die Bedeutung des Programms für das eigene Unternehmen als eher gering ein, so ein Sprecher. Dabei bietet der rund 340-seitige Bericht durchaus Ideen für einen flexibleren IT-Arbeitsmarkt.

Arbeitslose IT-Fachkräfte: Die Zahl der IT-Spezialisten ohne Job steigt.

Was leisten Personal-Service-Agenturen?

„Die IT-Branche, auch wenn sie viele Besonderheiten aufweist, wird ebenfalls von den arbeitsmarktpolitischen Reformen profitieren“, erklärte Staudt für die Initiative D21. „Personal-Service-Agenturen und befristete Arbeitsverträge könnten den Spielraum vieler Unternehmen vergrößern und so zum Abbau der Überregulierung des Arbeitsmarktes beitragen.“

Nach den Vorstellungen der Kommission ähnelt eine Personal-Service-Agentur (PSA) den schon bestehenden Zeitarbeitsfirmen, die Arbeitssuchende anstellt, an Unternehmen verleiht und bei Bedarf schult oder trainiert. Dieter Scheitor, Teamleiter IT-Industrie beim Vorstand der IG-Metall in Frankfurt am Main, sieht bei den Personal-Service-Agenturen durchaus Chancen, „Leute mit mildem Druck anzustellen und zu verleihen“. Allerdings räumt Scheitor ein, „Druck auf Arbeitslose reicht nicht aus.“ Das Konzept könne schwer vermittelbaren Personengruppen bei der Jobsuche durchaus zu Gute kommen. „Ein Techniker, der sich selbst mit kompetenter Hilfe beim Bewerben schwer tut, kommt durch die Zeitarbeit wieder in ein Unternehmen und kann dann mit seinem Wissen überzeugen und so den Wiedereinstieg schaffen“, erklärt der Gewerkschaftsmann. Allerdings sieht er bei IT-Spezialisten, Vertriebsmitarbeitern und

Führungskräften durchaus Grenzen, über einen Zeitarbeitsvertrag an eine feste Anstellung zu kommen.

Florian Gerster, Vorstandsvorsitzender der Bundesanstalt für Arbeit möchte drei Varianten der neuen Zeitarbeitsagenturen umsetzen, und zwar als privatwirtschaftliche Agenturen, in der Trägerschaft der BA und als Mischformen. Die bereits etablierten Zeitarbeitsfirmen geben sich der neuen Konkurrenz gegenüber gelassen.

„Wir müssen noch abwarten, was letztlich umgesetzt und gesetzlich verankert wird“, meint Heide Franken, Geschäftsführerin Randstad Deutschland, zurückhaltend. Hans-Peter Klös vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IWD) in Köln artikuliert seine Kritik deutlich. Er sieht im neuen PSA-Konzept eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten privater Zeitarbeitsunternehmen. „Die gewerblichen Zeitarbeitsfirmen machen gute Arbeit“, so Klös. „Drehtüreffekte sind wahrscheinlich, denn staatliche Subventionen verbilligen die Arbeitsleistung.“

Noch ist die Vergütung der entliehenen Arbeitnehmer umstritten. Die Kommission schlägt vor, für die maximal sechsmonatige Probezeit einen Nettolohn in Höhe des Arbeitslosengeldes zu zahlen, das anschließend von der PSA gezahlte Entgelt soll „in tarifliche Strukturen eingebunden“ sein, so die vage Aussage. Scheitor sieht in einem möglichen Lohndumping durchaus die Gefahr, dass Firmen festangestellte Mitarbeiter durch Leiharbeitskräfte ersetzen. „Die PSA ist eine zweischneidige Sache“, so die Einschätzung des IG-Metall-Manns. „Können Unternehmen 40 bis 50 Prozent einsparen, dann fangen die Betriebswirte schon mal zu rechnen an“, fürchtet er. Mit der Zustimmung zum Kommissionsvorschlag habe die Gewerkschaft ihre Kompromissbereitschaft gezeigt, allerdings gebe es hierbei durchaus Grenzen.

Arbeitsmarkt wird flexibler

Arbeitgeber schätzen den Nutzen der neuen Zeitarbeitsunternehmen durchaus unterschiedlich ein. „Die IT-Branche braucht hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die kommen von sich aus auf die Unternehmen zu oder wir finden sie über gezielte Recruiting-Maßnahmen. Da ist die Arbeitsverwaltung, in welcher Form auch immer, nicht die geeignete Plattform“, erklärt Scheer. D21-Sprecher Staudt dagegen begrüßt die neuen Möglichkeiten. „Gerade bei Neueinstellungen im IT-Bereich von Unternehmen könnten befristete Arbeitsverträge und das „Austesten“ von Leih-Mitarbeitern den Spielraum vieler Unternehmen vergrößern“, so seine Argumentation.

Qualifizierung und Weiterbildung gehören als feste Bestandteile zu den Aufgaben der PSA. Zwar betont die Kommission, dass berufliche Aus- und Weiterbildung in erster Linie Aufgabe der Betriebe sei, doch den Personal-Service-Agenturen kommt die Aufgabe zu, bedarfsgerechte Weiterbildungsangebote für die bei ihr angestellten Leiharbeiter zu finden. Stephan Pfisterer, Bildungsexperte beim Bitkom, begrüßt die prominente Rolle von Weiterbildung und Coaching im Hartz-Papier. Bei der IT-Ausbildung setzt er dagegen weiter auf eine betriebliche Qualifizierung, da die Berufschancen mit branchenspezifischen Kompetenzen ungleich höher seien. „Hier wäre mir eine öffentlich bezuschusste betriebliche Ausbildung lieber“, erklärt Pfisterer.

Axel von Varnbüler, Personalchef von Fujitsu Siemens Computer sieht die PSA ebenfalls positiv: „In der IT-Branche ändern sich die technologischen Standards schneller als in anderen Wirtschaftsbereichen, stetiges Dranbleiben und Weiterbilden sind sowohl für Jobsuchende als auch für unsere Arbeitnehmer unabdingbar. Das Hartz-Modell der Personal-Service-Agenturen oder ähnliche Modelle, die dafür sorgen, dass arbeitslose Fachleute schnell und unbürokratisch einen neuen Job finden, sind da sicher zu begrüßen.“

Mehr Chancen für Ältere

Bisher galten viele Arbeitsamtsberater nicht gerade als ausgesuchte IT-Experten. „In der Vergangenheit haben Unternehmen die Erfahrung gemacht, dass das Arbeitsamt ihnen die falschen Leute schickt. Vielen Beratern fehlt das Know-how für die IT-Berufe“, erläutert Pfisterer vom Bitkom. Zukünftig sollen die Job-Center-Mitarbeiter für bestimmte Branchen zuständig sein. „Hiervon erwarte ich mir positive Impulse“ erklärt Gewerkschafter Scheitor. Besonders die Kooperation mit privatwirtschaftlichen Beratern könnte hier weiterhelfen.

Ältere Arbeitslose haben oft große Schwierigkeiten, wieder einen passenden Job zu finden. Gerade in der IT-Branche scheuen sich Unternehmen oft, einen älteren Spezialisten einzustellen, der besseren Kündigungsschutz genießt und mit einem höheren Gehalt rechnen kann. Nach den Vorschlägen des Hartz-Papiers stehen arbeitslosen Menschen ab dem 55. Lebensjahr zukünftig grundsätzlich zwei Wege offen. Möchte eine Person bereits zu diesem Zeitpunkt auf eigenen Wunsch aus dem Erwerbsprozess aussteigen, soll es als Unterstützung eine kostenneutral errechnete Zahlung geben, die niedriger ist als das Arbeitslosengeld und an seine Stelle tritt. Mit dem so genannten „Bridge-System“ können ältere Arbeitslose die Zeit bis zur Rente überbrücken.

Parallel dazu gibt es für die gleiche Personengruppe, die weiterhin berufstätig sein möchte, intensivere Beratungs- und Vermittlungsangebote durch das Job-Center. Nehmen Ältere ein schlecht bezahltes Angebot an, soll eine Lohnversicherung Teile des Einkommensverlustes ausgleichen. Auf diese Weise sollen niedriger bezahlte Tätigkeiten attraktiv bleiben. Die Möglichkeiten für befristete Arbeitsverträge werden ausgeweitet und der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung soll sinken.

Könnten die Vorschläge das Problem der älteren IT-Spezialisten lösen? „Die Spezialisten über 50 haben gerade in der IT-Branche weniger Probleme, wieder einen Job zu finden, denn mittelständische Unternehmen schätzen ihre Fachkompetenz. Schwierig wird es dagegen für die Altersgruppe der 40 bis 50-Jährigen“, erklärt Scheitor. Auch Randstad-Chefin Franken sieht bei der Vermittlung älterer Arbeitnehmer kaum Probleme. „Unsere Kunden schätzen sehr wohl deren Erfahrungshorizont. Allerdings sind lediglich 16 Prozent der über 45-Jährigen Zeitarbeiter. Das könnte sich mit der jetzigen Diskussion sicherlich ändern.“

In den Vorschlägen für ältere Arbeitnehmer sieht Jörg Maas, Geschäftsführer der Gesellschaft für Informatik, ein viel versprechendes Konzept. „Hier werden finanzielle Anreize geschaffen, die ältere IT-Fachkräfte für Unternehmen wieder attraktiv machen.“

Dynamische Beschäftigungsmodelle sollen helfen, zukünftig Entlassungen zu vermeiden. „Atmen statt Hire und Fire“ lautet die Losung der Hartz-Kommission. Kooperative Unternehmen, die auf Entlassungen verzichten und dafür flexible Arbeitszeitmodelle umsetzen, können als Belohnung mit einem Bonus bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung rechnen. Die Job-Center sollen die Unternehmen in Change-Prozessen beraten und unterstützen, soweit die Theorie. „Ich halte es für ein interessantes Experiment“, meint der Gewerkschafter Scheitor, „allerdings bringt hier eine verbindliche Beschäftigungsbilanz mehr als eine freiwillige“.

Mit der „Ich-AG“ soll eine neue Form der Selbständigkeit entstehen. Hintergrund des Vorschlags sind die schätzungsweise fünf Millionen „Vollzeitschwarzarbeiter“, die laut Kommission in diesem Jahr 350 Milliarden Euro erwirtschaften, vor allem im handwerklichen Sektor. In einem dreijährigen Förderprogramm sollen möglichst viele mit staatlicher Hilfe den Weg in die Selbständigkeit schaffen. Die Einkommensgrenze der Ich-AG liegt bei 25.000 Euro, wer mehr verdient, wird nicht mehr gefördert.

Fordern und Fördern

Die Pauschalbesteuerung liegt bei zehn Prozent. Da der Inhaber einer Ich-AG Beiträge zur Sozialversicherung zahlt, minimiert sich das Risiko, denn er kann jederzeit sein Unternehmen aufgeben und wieder Leistungen des Arbeitsamtes beziehen. Momentan sieht das Hartz-Papier keine Erweiterung der Ich-AG auf andere Branchen vor. Die IT-Freiberufler müssen sich also keine Sorgen machen, dass sie bald gegen subventionierte Konkurrenten antreten müssen. Allerdings stehen die Chancen nicht schlecht, dass das Gesetz zur Scheinselbständigkeit aufgehoben wird.

„Die Vorschläge gehen in die richtige Richtung“, erklärte Rudolf Gallist, Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands VSI, „doch leider sind sie nicht zu Ende gedacht. Wir brauchen Strukturänderungen im ganzen Land. Fraglich ist auch, ob die Vorschläge wirklich umgesetzt werden.“ Zwar hat die Bundesregierung die Vorschläge begrüßt, die gesetzliche Grundlage fehlt noch. „Die Umgestaltung der BA lässt sich meiner Meinung nach nicht ohne drastische Einschnitte umsetzen, aber wir brauchen die Bewegung auf jeden Fall“, meint Gallist.

Aufgabe der Kommission war es, Ideen für eine Belebung des Arbeitsmarktes und eine Umgestaltung der Bundesanstalt für Arbeit zu entwickeln. Einige Kritiker vermissen weitreichende Impulse für die Wirtschaft, andere wünschen sich regionale Förderprogramme. „Die hohe Arbeitslosigkeit kommt von der Gleichgültigkeit der Nichtbetroffenen“, erklärte Peter Hartz. Mit dem Abschlussbericht setzt die Kommission ein Zeichen gegen die Ignoranz. Diese Chance sollten weder Kritiker noch Politiker leichtfertig verspielen.