100.000 Handynutzer im Experiment

05.06.2008
Ein amerikanisches Forscherteam hat über sechs Monate die Bewegungen von 100.000 europäischen Handynutzern anhand ihrer Mobiltelefone verfolgt. Weil dabei auf die privaten Daten so vieler Menschen zugegriffen wurde, hat das nun im Fachmagazin Nature veröffentlichte Ergebnis eine Welle der Empörung ausgelöst.

Das Handy ist heutzutage kaum noch aus dem alltäglichen Leben wegzudenken. Mit ihm werden Verabredungen geschlossen, Verträge eingefädelt, zarte Bande geknüpft. Doch mit dem kleinen Helferlein am Körper ist der Mensch auch jederzeit ortbar. Das hat gute Seiten, so findet sich beispielsweise ein Verirrter mit Hilfe der Software Google Maps und Mein Standort auch ohne Stadtplan und GPS-System schnell im Großstadtdschungel zurecht. Was aber gerne vergessen wird: der Netzbetreiber sammelt die Bewegung jedes Handynutzers. Dazu ist er verpflichtet, damit Polizei und Staatsanwaltschaft bei Bedarf darauf zugreifen können.

Die Daten lassen sich aber noch ganz anders nutzen. Ein europäischer Netzanbieter hat die Bewegungsdaten von 100.000 Handys in anonymisierter Form über sechs Monate einem Forscher-Team zur Verfügung gestellt. Die Wissenschaftler der Northeastern University in Boston, Massachusetts, werteten den Standort der Mobilfunkzelle, das Datum und die Uhrzeit von Anrufen und Kurznachrichten aus und konnten so ein präzises Bewegungsmuster erstellen. Auf dessen Grundlage lässt sich etwa die Verbreitung von Krankheiten simulieren. Die Studie veröffentlichten sie jetzt im Wissenschaftsmagazin Nature und lösten damit eine Welle der Empörung aus. Denn eine derart massive Auswertung von Handynutzerdaten gab es bislang noch nicht.

Die Studie ergab dagegen überwiegend banale Erkenntnisse. Der Durchschnitt pendelt an fünf Tagen die Woche zwischen dem Arbeitsplatz und seinem Zuhause, lediglich hin und wieder von einem kleinen Abstecher zum Einkauf unterbrochen. Etwa 50 Prozent der Bevölkerung bewegt sich im Alltag in einem Umkreis von gerade einmal 5 Kilometern um die Wohnung. Sieben Prozent reisen regelmäßig weiter als 50 Kilometer und nur ein ganz kleiner Teil der untersuchten Nutzer, rund ein Prozent, bewegte sich häufig über einen 500 Kilometer-Radius hinaus. Kurze Reisen werden deutlich häufiger unternommen als lange, doch fast alle verbrachten 70 Prozent ihrer Zeit an gerade einmal zwei Orten, der Arbeit und der Wohnung.

Datenschützer halten die Weitergabe der Handydaten für bedenklich. "Aufenthaltsdaten, auch in anonymisierter Form, dürfen im Allgemeinen nur zur Abwicklung von Telekommunikationsdiensten genutzt werden", erklärte Christoph Klug von der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherung der Berliner Zeitung. Eine andere Nutzung bedarf in Deutschland der ausdrücklichen Zustimmung der Handynutzer. "Bewegungsprofile dürfen nur mit ausdrücklicher Einwilligung des Betroffenen gemacht werden", sagt Hartmut Lubomierski, Landesdatenschutzbeauftragter von Hamburg in einem Interview mit dem Wochenblatt Die Zeit. Ganz so eng wie sein Kollege sieht er die Verwendungsmöglichkeiten jedoch nicht. Er ist der Meinung, dass die Daten für die Forschung trotzdem verwendet werden dürfen, wenn sie völlig anonymisiert sind und keine Rückschlüsse auf die Nutzer zulassen.

Nicht allein Forscher und Polizei sind an den Bewegungsprofilen interessiert. Auch Navigationsanbieter möchten mit Hilfe der Handydaten ihre Stauvorhersage verbessern. Als einer der ersten führte der niederländische Anbieter TomTom einen Verkehrsdienst ein, der neben den klassischen Quellen TMC und TMC Pro auch GSM-Signale von Mobiltelefonen in anonymisierter Form verarbeitet. In Deutschland hat der Navigationsspezialist eine Kooperation mit Vodafone vereinbart und plant die Einführung des HD Traffic getauften Staumelders in der zweiten Hälfte 2008. Der Dienst macht es möglich, Verkehrsstaus nicht nur auf Autobahnen und bestimmten Bundesstraßen zu erkennen, auch abseits der bekannten Routen kann der Verkehrsfluss durch die Handys erkannt werden. Nutzer von HD Traffic erhalten nach Angaben von TomTom bis zu fünf Mal häufiger neue Informationen über das aktuelle Verkehrsaufkommen als bisher und werden frühzeitig mit exakten Reise- und Ankunftszeiten versorgt.

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