Greenfield-Approach im Bankwesen

Alles auf Anfang - Digitalisierung ausprobieren

10.07.2018 von Vincenzo Fiore
FinTechs und die großen US-amerikanischen Internetkonzerne (GAFA) setzen Banken zunehmend unter Druck. Diese könnten sich behaupten, wenn sie mit den starren Marktstrukturen brechen und ungewohnte Wege gehen.
Greenfield-Projekte können sehr erfolgreich sein und sich langfristig zu einem wichtigen Wettbewerbsvorteil für Unternehmen entwickeln.
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Viele Banken haben den Zug Richtung Digitalisierung verpasst. Legacy-Systeme und starre Hierarchien sowie fehlende Freiräume haben sie verlangsamt, sodass FinTechs und die Big Player Google, Apple, Facebook und Amazon an ihnen vorbeizurasen drohen. Sie übertreffen die etablierten Kreditinstitute mittlerweile beim Kundenservice, bei innovativen und personalisierten Dienstleistungen sowie bei der Umsetzungsgeschwindigkeit neuer Projekte und Geschäftsmodelle.

Mit Inkrafttreten der neuen PSD2-Richlinie und Open Banking müssen Banken ihre Daten nun auch Dritten zugänglich machen. So verlieren sie zwar ihre Datenhoheit, aber dieser Entwicklung müssen sie sich beugen, wenn sie mit dem Tempo der digitalen Transformation und dem aufkeimenden Wettbewerb Schritt halten möchten. Einer Studie von CA Technologies zufolge haben gerade einmal 17 Prozent der deutschen Banken mindestens einen durch PSD2 inspirierten Service implementiert. Andere europäische Länder sind da schon weiter: in Frankreich sind es 30 Prozent und in Italien über ein Drittel (36 Prozent) der befragten Unternehmen.

Deshalb sollten sich deutsche Finanzinstitute schleunigst etwas einfallen lassen, ihre digitalen Infrastrukturen auf Vordermann bringen und ihre Digitalstrategie überdenken, damit sie ihre Marktführerschaft im Finanzsektor weiterhin behaupten können. Denn Banken halten einen entscheidenden Trumpf in der Hand: Sie genießen nach wie vor großes Vertrauen der Kunden. Das zeigt das Ergebnis einer repräsentativen PWC-Umfrage. Ein Großteil der Deutschen steht innovativen, digitalen Finanzdienstleistungen zwar offen gegenüber, würde sie aber lieber von ihrer eigenen Bank angeboten bekommen als von einem FinTech-Unternehmen.

Bei der Digitalisierung gibt es noch einiges zu tun

Und gerade hier ergibt sich schon das Dilemma: Deutsche Banken hinken bei der Digitalisierung hinterher und es mangelt ihnen an kreativen Ideen, wie sie technologische Möglichkeiten zu ihrem Vorteil nutzen können. Eine erst kürzlich veröffentlichte Deloitte-Studie zeigt, wie groß der Nachholbedarf deutscher Banken in Sachen Digitalisierung tatsächlich ist. Im internationalen Vergleich liegen die deutschen Kreditinstitute gerade einmal im unteren Mittelfeld - und das, obwohl Deutschland als eine der führenden Technologienationen der Welt gilt.

Problematisch für eine schnelle positive Weiterentwicklung in Sachen Digitalisierung ist, dass die deutschen Verbraucher noch sehr an Bargeld hängen und bei der Preisgabe von Daten sehr vorsichtig sind. Einer Bundesbank-Studie zufolge ist Bargeld das beliebteste Zahlungsmittel in Deutschland. Fast drei Viertel aller Einkäufe wurden letztes Jahr mit Banknoten und Münzen bezahlt. Noch fehlt also von Kundenseite schlichtweg der Druck etwas zu ändern. Aber die Betonung liegt auf "Noch!". Denn das könnte sich bald ändern, gerade wenn deutsche Verbraucher auf fortschrittliche Technologien im Ausland blicken.

Den Konkurrenzdruck verspüren Banken allerdings jetzt schon von innovativen Finanz-Start-ups und den großen US-amerikanischen Internetkonzernen, die Innovationen viel schneller integrieren und neue Produkte und Services bereitstellen können.

Auf der grünen Wiese austoben - Projektumsetzung neu gedacht

Banken könnten dasselbe leisten, wenn sie nicht durch überholte Legacy-Systeme, veraltete IT und fest eingefahrene Strukturen in ihrer Entwicklung eingeschränkt werden würden. Bislang versuchte man in der Finanz-IT neue Entwicklungen in bestehende Systeme zu integrieren, also nach dem Brownfield-Ansatz vorzugehen. Das heißt, neue Systeme zur Lösung von IT-Problemen wurden unter Berücksichtigung etablierter Systeme implementiert, was nicht immer einwandfrei funktionierte. Banken benötigen deshalb einen frischen Start, ohne belastende Voraussetzungen, Vorgaben oder Einschränkungen.

Hier kommt der Greenfield-Approach ins Spiel. Bei diesem Ansatz wird - bildlich gesprochen wie auf einer freien, grünen Wiese - ein Vorhaben von Grund auf neu, unabhängig und ohne Schnittstelle zum bestehenden Unternehmen entwickelt. So können nicht nur aktuelle Trends und Kundenbedürfnisse, sondern auch Technologien wie Chatbots, künstliche Intelligenz und Big Data sowie neue Regulierungen direkt bei der Entwicklung berücksichtigt werden, weil nicht die Schranken veralteter Legacy-Systeme den Weg in eine fortschrittliche Zukunft versperren.

Neustart statt Altlast

Mit diesem Ansatz können Banken ihr Kerngeschäft weiterhin laufen lassen, aber parallel neue Ideen entwickeln und digitale Initiativen ausprobieren. Ein Vorteil für Finanzinstitute ist, dass sie sich bei diesen Projekten voll und ganz auf die Problemstellung fokussieren können. Zudem fließen Ressourcen, die beispielsweise für Altlasten oder die Integration des Projekts an das bestehende Geschäft benötigt werden würden, effizienter in die Projektumsetzung. Hier herrscht fast schon eine Start-up-Mentalität. Greenfield-Projekte werden oftmals von jungen, agilen Teams geleitet, die auch von unterschiedlichen Orten arbeiten können, aber direkt an die Führungsebene berichten und nicht durch übergeordnete Hierarchiestrukturen ausgebremst werden.

Wenn ein Projekt gut läuft, ist nicht auszuschließen, dass ein Spin-Off gegründet werden kann. Bleibt der Erfolg hingegen aus, kann das Nebengeschäft viel einfacher abgewickelt werden als ein erfolgloses Digitalprojekt im Kerngeschäft. Greenfield-Projekte sind vor allem im Bereich technologischer Trends wie Big Data Analytics oder künstliche Intelligenz vorstellbar, das heißt für Technologien, die sich direkt auf das Nutzererlebnis und die Kundenzufriedenheit auswirken. So sollten sich Banken beispielweise beim Thema Open APIs nicht auf alte Technologien verlassen, denn diese würden einerseits das Kundenerlebnis negativ beeinflussen und andererseits kostspielige Wartungen mit sich bringen. Hinzu kommt, dass Banken flexible und reaktionsschnelle Systeme benötigen, um neue Produkte und Dienstleistungen auf den Markt zu bringen - mit veralteter Technik lässt sich das Ziel kaum realisieren. Greenfield-Projekte können sehr erfolgreich sein und sich langfristig zu einem wichtigen Wettbewerbsvorteil für Unternehmen entwickeln. Damit das gelingt, muss das System während der Einführung schrittweise getestet werden können sowie ausreichend Benutzer haben, um Zugkraft aufzubauen und der Erfolg muss messbar nachgewiesen werden können.

Digitalisierung des Kerngeschäfts nicht aus dem Auge verlieren

Können Banken mit Hilfe der Greenfield-Methode das Dilemma lösen und ihren Kunden all die Digital-Services bieten, die sie gerne hätten? Bei all der Euphorie, die Bank-Manager jetzt verspüren könnten und schon erste Greenfield-Projektideen austüfteln, darf das Kerngeschäft nicht vernachlässigt werden. Ein erfolgreiches digitales Nebengeschäft erspart dem Kerngeschäft nicht die digitale Transformation. Allerdings ist es eine aussichtsreiche Möglichkeit, um anfangs Ressourcen zu sparen und sich auszuprobieren. Sobald sich der Erfolg in der neuen Geschäftseinheit abzeichnet, kann das Projekt als Vorbild und Best Practice gesehen werden, um die unternehmensinternen Hindernisse des Hauptgeschäfts zu überwinden.

Wem der Greenfield-Ansatz zu innovativ oder risikoreich erscheint, kann alternativ einen bimodalen Ansatz verfolgen. Hierbei existieren sowohl Greenfield- als auch Brownfield-Projekte nebeneinander und das Unternehmen vereint die Vorzüge beider Welten: neue Technologien und Prozesse mit Branchenwissen und Sicherheit der aktuellen Systeme.

Ob Greenfield-Approach oder bimodaler-Ansatz: So oder so könnten Banken noch den nächsten Zug mit Ziel Digitalisierung erwischen und dafür sorgen, dass sie nicht einsam am Bahnsteig der Abgehängten stehen bleiben müssen. (mb)