Zukunft der IT

Alles Service - oder was?

19.11.2009 von Heinrich Vaske
Über das Ende der Wirtschaftskrise, die Perspektiven der IT und die fragliche Zukunft mancher IT-Abteilung diskutierten hochrangige Vertreter der ITK-Industrie. Der Veränderungsdruck auf IT-Shops scheint gewaltig.

"Die Lage stabilisiert sich auf niedrigem Niveau", kommentierte Conny Schneider, Topmanagerin von Hewlett-Packard, die gegenwärtige Wirtschaftssituation. Je nach Branche gebe es in Deutschland durchaus noch große Schwierigkeiten, das gelte etwa für die Autoindustrie und Teile des Maschinen- und Anlagenbaus. "Wir schauen verhalten optimistisch nach vorn", so ihr Fazit. Schneider war Teilnehmerin an der Diskussionsveranstaltung "IT-Perspektiven 2010", die am Mittwoch in München stattfand.

Etwas zuversichtlicher gab sich Ciscos Deutschland-Chef Michael Ganser. Ein Drittel der deutschen Unternehmen habe überhaupt nicht in der Rezession gesteckt. Das gelte insbesondere für den Handel: Da der Konsum stabil geblieben sei, hätten diese Anbieter im Durchschnitt wenig gelitten. Für den ITK-Markt sieht der Cisco-Mann einen deutlichen Silberstreif am Horizont: Vor allem Asien und die USA kämen jetzt aus der Krise.

Von links nach rechts: Oliver Tuszik von Computacenter,Martin Berchtenbreiter von Microsoft, Conny Schneider von HP, Harald Esch von Adobe und Michael Ganser, Cisco.
Foto: Fink & Fuchs

"Deutschland hat eine Chance, am kürzesten in der Rezession zu bleiben", sagte Ganser. Man sei spät hineingeschlittert und könne nun als innovative Exportnation mit einer raschen Belebung rechnen. Hinzu komme eine Sonderkonjunktur, die den Extraausgaben der öffentlichen Hand - etwa aus dem Gesundheits- und Bildungssektor - zu verdanken sei. All das habe der ITK-Branche durchaus geholfen. Wie der Cisco-Chef beobachtet haben will, investieren auch die großen Autokonzerne wieder kräftig - wie viel von den Geldern allerdings in die ITK-Infrastruktur fließe, bleibe abzuwarten.

Es war eine kontroverse Diskussion, die der IT-Publizist Christoph Witte mit Verantwortlichen der Branchengrößen Adobe, Cisco, Computacenter, HP und Microsoft führte. Interessant wurde es vor allem, als die Industrievertreter - wenn auch nur ganz vorsichtig - Asche auf ihr Haupt streuten. "Die IT ist zu komplex geworden. Wir müssen näher an das Kerngeschäft der Kunden, um ihnen zu helfen", sagte beispielsweise Oliver Tuszik, Vorstandsvorsitzender des Systemhauses Computacenter.

Die IT ist zu komplex geworden

HP-Managerin Schneider sieht indes Fehler im IT-Management vieler Unternehmen als Ursache für die oft ausufernden IT-Betriebskosten. Über Jahre hinweg seien für immer neue Anforderungen Lösungen geschaffen worden, wodurch sich der Integrationsbedarf und die Komplexität ständig erhöht hätten. Auf diese Weise steckten Firmen zu viel Energie und Geld in den Betrieb und zu wenig in Business-Bedürfnisse wie Time to Market oder Innovation. Hintergrund dieser Ausführung: HP hat im eigenen Unternehmen die IT radikal reorganisiert, standardisiert und so aufgestellt, dass sie als Showcase für Kunden dienen soll (siehe Interview mit HPs CIO Randy Mott).

Computacenter-Manager Tuszik äußerte Zweifel an dieser Sicht und warf die Frage auf, ob die IT-Industrie ihren Kunden nicht zu wenig erkläre, wie Innovationen erreichbar seien. Zu den wesentlichen Aufgaben seines Hauses gehöre es, zwischen Herstellern und Kunden zu vermitteln, die Angebote der Industrie für die Kunden zu übersetzen und herauszufinden, welche Bedürfnisse die Anwender überhaupt hätten beziehungsweise was sie mit IT tun wollten. "Wir freuen uns darüber, das öffnet uns die Türen zum Kunden", merkte Tuszik ironisch an.

Fachbereiche haben den Hut auf

Offenbar haben die Hersteller aber bereits gemerkt, dass die Anwender in Krisenzeiten volle Transparenz wollen. "Es wird kein Geld ausgegeben, wenn nicht die Überzeugung vorherrscht, dass die Investition das Kerngeschäft voranbringt", merkte Microsoft-Manager Martin Berchtenbreiter an. Diese Kompromisslosigkeit der Kunden beschleunige sich in dem Maße, wie die Fachbereiche in den Unternehmen das Sagen über IT-Ausgaben bekämen. Dort sind Mehrwerte gefragt, die noch dazu vorgerechnet werden können. Bei Videokonferenz-Systemen wie "Telepresence" sei das einfach, ergänzte Cisco-Mann Ganser. Die Vorteile durch geringere Reisebudgets und Zeitgewinn seien leicht nachzuweisen.

Wohin steuert der ITK-Markt?
Foto: Fink & Fuchs

Doch auch in anderen Bereichen der IT sind Wirtschaftlichkeitsberechnungen möglich. Tuszik verwies auf die Auslagerung von Desktop-Arbeitsplätzen, für die All-inclusive-Fixpreise inklusive Virenschutz, Helpdesk etc. vereinbart werden könnten, die den Kunden die Kalkulation sehr einfach machten. Hersteller müssten den Kunden dazu allerdings interessante Finanzierungsmodelle darlegen und bei Bedarf auch mit ins Risiko gehen.

Sind IT-Abteilungen zu langsam?

Auffällig in dem Gespräch war die einhellige Meinung, dass die IT-Organisationen in den Unternehmen am Scheideweg stehen. "Cloud Computing, Web-Conferencing etc. - wenn die IT-Abteilung nicht schnell genug ist, laufen diese Dinge an ihr vorbei", konstatierte Ganser. Gerade im Zusammenhang von Web-basierenden Diensten gehe es um Geschwindigkeit, und zentrale IT-Teams liefen Gefahr, als Verhinderer wahrgenommen zu werden. Gelinge es aber, die Bedürfnisse der Fachbereiche zu befriedigen, habe die Enterprise-IT und der CIO die Chance ganz groß herauszukommen. Denn Business-Transformation sei ohne eine tragende Rolle der IT grundsätzlich nicht vorstellbar.

Zum Abschluss der Debatte forschte Moderator Witte nach den Trends von morgen. Die Diskutanten waren sich überraschend einig darin, dass keiner der heutigen Hypes - seien es Cloud Computing, Service-orientierte Architekturen oder auch Collaboration - wirklich neu sei. Kräftige Impulse kämen dadurch trotzdem auf, weil die Techniken nun "serienreif" seien und damit unmittelbare Veränderungen in den IT-Infrastrukturen auslösten. Die Barrieren zu den Produkten und Angeboten fielen jetzt - das sei der eigentliche Trend.

"Produkte wandern in den Service", nannte Computacenter-Mann Tuszik die für ihn wichtigste Entwicklung, die mit Cloud Computing, Software as a Service, Utility-Computing etc. vielfältig beschrieben wird. Absehbar sei ferner, dass der Kostendruck bestehen bleibe und die Gelder für innovativen IT-Einsatz vor allem durch einen effizienteren IT-Betrieb hereingeholt werden müssten. Und schließlich gebe es neue Kommunikationsmodelle und Formen der Zusammenarbeit, die im Zeichen von Enterprise 2.0 und den Präsenzen in sozialen Netzwerken hervorgerufen würden. Auf die Anforderungen und Wünsche der Digital Natives müssten Unternehmen Antworten finden, wenn sie im Kampf um die besten Talente bestehen wollten.

Weitere Trends, die genannt wurden, waren Virtualisierung auf allen Ebenen - auch im Desktop- und Netzwerkbereich, kollaborative Business-Modelle im Sinne des Tapscottschen "Crowdsourcing"-Modells und eine explosionsartige Verbreitung von Videos auf allen Ebenen. In diesem sich rasant verändernden Szenario werde sich entscheiden, ob die IT-Abteilungen in den Firmen als Treiber oder als Getriebene agieren werden. (hv)