Fujitsu-Manager Reger

Amazon hat Cloud Computing einen Bärendienst erwiesen

03.03.2011
Amazons Reaktion auf Wikileaks berge für die Entwicklung des IT-Marktes ein großes Risiko. Der das sagt, ist nicht irgendwer. Es ist Joseph Reger, Chief Technology Officer bei Fujitsu Technology Solutions.
Joseph Reger, Technologiechef von Fujitsu Technology Solutions: "Gerade die Reaktion von Amazon birgt auch für die Entwicklung des IT-Marktes ein großes Risiko."

Seit Wikileaks begonnen hat, US-Diplomatendepeschen zu veröffentlichen - von insgesamt rund 250.000 sind dies momentan 1344 -, tobt der Kampf um die Deutungshoheit im Netz. Die Medien beklagen, dass die Whistleblower-Plattform nicht einordnen, werten und filtern würde. Allerdings hat Wikileaks alle Dokumente vorab an führende internationale Publikationen (New York Times, El Pais, Le Monde, Guardian, Spiegel) weitergereicht. Diese Zeitungen und Magazine gehen genau dieser journalistischen Pflicht nach.

Unabhängig von diesem in der Öffentlichkeit sehr heftig ausgetragenen Diskurs birgt die Wikileaks-Affäre allerdings noch eine andere Seite: die der Frage, welche immanenten Folgen Technikentwicklung für die Menschheit hat und - sehr viel enger gezogen - welche Schlussfolgerungen aus dem Scoop für die IT-Branche zu ziehen sind.

Immerhin hat mit Amazon ein prominenter Cloud-Computing-Anbieter Wikileaks den Stecker gezogen und seine Dienste von heute auf morgen beendet. Dieses Vorgehen hat Joseph Reger, den Technologievordenker von Fujitsu Technology Solutions, angeregt zu einem Kommentar, den die COMPUTERWOCHE im Folgenden ungekürzt publiziert.

Kommentar Joseph Reger

"Nachrichtenmagazine, Tagesschau und Talkshows - sie alle kennen im Moment nur ein Thema: Die Affäre um Wikileaks und wie Gründer Julian Assange quasi über Nacht zum Staatsfeind Nummer 1 avanciert ist. Das ist erstaunlich. Ist doch die Welt aktuell auch sonst nicht gerade nachrichtenarm. Viel erstaunlicher aber ist die Reaktion der Politik und der Weltöffentlichkeit: Die USA suchen verzweifelt nach einem Grund, Assange vor Gericht zu bringen. Amazon verjagt Wikileaks von seinen Servern. Visa und Mastercard versperren der Plattform die Finanzkanäle. Und in der öffentlichen Diskussion gilt Assange bereits jetzt als Krimineller.

Watergate-Journalisten nicht kriminell

Ist Assange wirklich kriminell? Mag schon sein. Niemand wäre jedoch auf die Idee gekommen, die beiden Journalisten in der Watergate-Affäre seinerzeit als Kriminelle anzuklagen - und das, obwohl sich ihre Recherchen ebenfalls auf Informationen aus einem Behördenleck stützten und immerhin einen US-Präsidenten den Kopf kosteten. Stattdessen wurde das Hohelied des investigativen Journalismus gesungen. Heute scheint sich der Bewertungsmaßstab geändert zu haben. Nun gut: Assange ist kein Journalist. Er veröffentlicht Dokumente, ohne sie zu hinterfragen, einzuordnen, zu bewerten. Das mag man kritisieren. Ebenso die Tatsache, dass er sich - angesichts des brisanten Inhalts der Dokumente - ganz unzweifelhaft verantwortungslos verhält. Dennoch: Ist Assange wirklich kriminell? Er hat nur eine Wahrheit veröffentlicht, die andere geschaffen haben.

7-Punkte-Plan Cloud Computing
7-Punkte-Plan für Cloud Computing
Noch immer hindern fehlende Standards Firmen, Cloud-Dienste zu integrieren. Wer IT aus der Wolke nutzt, muss vorab klären, ob sie zur eigenen Landschaft passt. Folgende sieben Punkte sind dabei zu berücksichtigen:
Punkt 1:
Der Grad der Interoperabilität und Integration mit vorhandenen Systemen und Services.
Punkt 2:
Richtlinien zur Datensicherung, zum Risiko-Management sowie zu IT-Sicherheit und Compliance. Diese hängen davon ab, wo die Geschäftsdaten gespeichert sind.
Punkt 3:
Geschäftsrisiken abschätzen für den Fall, dass ein Cloud-Service über einen längeren Zeitraum nicht verfügbar ist.
Punkt 4:
Management-Aspekte, wie etwa Service-Management, Konfigurations-Management, Service Desk und Support.
Punkt 5:
Skalierbarkeit der IT-Architektur. Das ermöglicht den bedarfsgerechten Bezug von Services, etwa in Form von Rechenleistung.
Punkt 6:
Konzepte für Business Continuity und Disaster Recovery.
Punkt 7:
Möglichkeit, den IT-Lieferanten schnell und problemlos zu wechseln.

Technik, der wir nicht gewachsen sind

Ich meine, der Hund liegt woanders begraben. Die reflexartige Drohgebärde der USA und nicht zuletzt der Polit-Druck auf den Online-Giganten Amazon sind eher eine Übersprungshandlung, der letztlich etwas ganz anderes zugrunde liegt: eine gewisse Hilflosigkeit nämlich, und ein unbestimmtes Unbehagen, mit dem Internet könne uns eine Technologie erwachsen sein, der wir nicht gewachsen sind. Nicht zuletzt, weil wir wissen, dass Kriege im Informationszeitalter mit Informationen geführt werden, nicht mit Panzern. Auflösen lässt sich diese Janus-Köpfigkeit des Internets nicht:

Alle bahnbrechenden Technologien, die der Mensch hervorgebracht hat, lassen sich zum Guten wie zum Schlechten einsetzen. Und beide Optionen hat der Mensch - jedes Mal - genutzt. Das eigentlich Fatale war in der Regel, dass die Technologie sich schneller entwickelt hat als das ethische Verständnis vom Umgang mit ihr, als ein Verantwortungsbewusstsein in der Gesellschaft und - natürlich - als die Gesetzgebung. Und so bleibt uns nur, dafür zu sorgen, dass der Prozess sich diesmal umkehrt: dass Ethik und Recht schneller am Zuge sind als die dunkle Seite.

Doch gerade die Reaktion von Amazon birgt auch für die Entwicklung des IT-Marktes ein großes Risiko. Der Provider hat die Cloud-Dienste für Wikileaks - also die Serverleistung, die er der Enthüllungsplattform via Internet zur Verfügung stellte - ganz einfach gekappt. Die Begründung: Wikileaks habe gegen die Geschäftsbedingungen verstoßen. Schlechte Nachrichten für das neue IT-Paradigma Cloud Computing. Wenn ein Provider seinen Dienst so ohne weiteres einstellen kann, allein auf Basis des Vorwurfs eines Vertragsverstoßes, dann redet er genau jenen Zweiflern das Wort, die Sicherheit und Verfügbarkeit von Cloud Services in Frage stellen.

Imageschaden für Cloud Computing

Mag Amazon seine Anschuldigung auch beweisen können - und mit ein bisschen juristischer Spitzfindigkeit ist das sicher möglich - so bleibt doch ein schaler Nachgeschmack. Wohin soll das führen? Sollen Provider von Cloud Services künftig fortwährend überprüfen, ob einer ihrer Kunden auf ihren Servern einer missliebigen Tätigkeit nachgeht - und immer wieder auf‘s Neue entscheiden, ob sie gewillt sind, den Service fortzusetzen? Man muss kein Anhänger von Wikileaks sein, um dies bedenklich zu finden. Und auch der eine oder andere potenzielle Kunde für Cloud Computing-Dienste wird, so fürchte ich, an dieser Stelle aufgehorcht haben - und sich genau überlegen, ob er sich erlauben kann, seine IT in solch ein Abhängigkeitsverhältnis zu verlagern. Cloud Computing wird einen Imageschaden davontragen. Für die IT ist das die eigentliche Tragik." (jm)

5 geläufige Cloud-Irrtümer
5 geläufige Cloud-Irrtümer
Seit drei Jahren ist Cloud Computing eines der großen Trendthemen der Unternehmens-IT. Inzwischen profitieren zahlreiche Unternehmen aller Branchen von Cloud-Lösungen und viele weitere planen den Wechsel in die Cloud für die nahe Zukunft.
1. Cloud ist nur ein Hype:
Das Ausmaß der Berichterstattung könnte den Eindruck erwecken, dass es sich beim Thema Cloud um einen medialen Hype handelt. Ein Blick auf die Marktzahlen und Entwicklungen zeigt allerdings, dass die hohe Aufmerksamkeit, mit der das Thema behandelt wird, gerechtfertigt ist.
2. Cloud ist nur für start-ups geeignet:
Bei kleineren Unternehmen mit viel Wachstumspotenzial erfreut sich die Cloud großer Beliebtheit, da diese sich mit ihrer Hilfe schnell auf variierende Nachfragesituationen einstellen können. Laut Gartner steht Cloud Computing jedoch auch in Großunternehmen weit oben auf der IT-Agenda, gleich nach einer besseren Auslastung der eigenen Rechenzentren.
3. Mit der Cloud ist die interne IT-Abteilung nicht mehr notwendig:
Mehr als jede andere Industrie ist die IT durch rapide Veränderungen und Entwicklungen geprägt. Während der Umzug verschiedener IT-Bereiche in die Cloud bedeutet, dass einige der traditionellen IT-Skills nicht mehr im gleichen Umfang in der eigenen IT-Abteilung benötigt werden, steigt wiederum der Bedarf an neuen Fertigkeiten.
4. In der Cloud gibt es keine Performance-Probleme mehr:
Cloud Computing schafft größere Flexibilität und Kostentransparenz, ist allerdings kein Allheilmittel. Beim Performance Monitoring müssen sich Unternehmen in einer Cloud-Umgebung neuen Herausforderungen stellen. Um sicherzustellen, dass die Nutzer jederzeit Zugriff auf Geschäftsanwendungen haben, die vollständig oder teilweise in die Wolke ausgelagert sind, ist es wichtig die Performance auf allen Ebenen und - ganz entscheidend - aus der Sicht des Endanwenders, zu betrachten.
5. In der Cloud sind die Daten nicht sicher:
Unternehmen, die ihre Daten zuvor auf Servern am eigenen Standort verwalteten, stellen diese geographische Nähe häufig mit Sicherheit gleich. Diese Annahme ignoriert allerdings einen wichtigen Punkt: die Unternehmens-IT setzt sich aus vielen verschiedenen Systemen zusammen, deren Anbindung immer auch neue potentielle Sicherheitslecks ergeben können. Greifen die Nutzer wie bei Cloud Computing vor allem über das Internet auf Informationen zu, ist nur eine einzige Datenverbindung zu überwachen. Das erleichtert es Unternehmen, sich gegen Angriffe zu schützen und den Zugriff auf wichtige Daten zu kontrollieren.