IT-Jobs

Arbeiten im Mittelstand als Alternative

06.09.2012 von Winfried Gertz
In der Gunst der Fachkräfte liegen namhafte IT-Konzerne eindeutig vorn. Wer als Bewerber genau hinschaut, findet in mittelständischen Anwenderfirmen interessante Aufgaben und gute Rahmenbedingungen.
Die Ista beschäftigt sich mit der Erfassung von Daten für den Strom-und Wasserverbrauch und besetzt in der IT die meisten Stellen.
Foto: Andrea Goedel

Informatikstudium, mehrere Berufsstationen ohne zeitliche Lücken, nebenher Promotion abgeschlossen, zuletzt in einer Beratung beschäftigt. Studieren Personaler Lebensläufe wie den von Günter Halmans, wird nicht lange gefackelt - eigentlich. Denn der Kandidat ist Ende 40, damit ein Oldie und weg aus dem Blickwinkel der meisten Personaler. Eine Ausnahme bilden mittelständische Anwenderfirmen wie die Ista Deutschland GmbH. Die aufstrebende Firma ist auf die Erfassung von Daten für den Strom- und Wasserverbrauch spezialisiert und beschäftigt weltweit 4600 Mitarbeiter. Allein am Stammsitz in Essen arbeiten rund 100 Beschäftigte in der IT, dazu zählt auch Günter Halmans als Teamleiter Requirement Engineering. "Im IT-Bereich besetzen wir die meisten Stellen", sagt Ista-Personalleiterin Anette Kreitel-Suciu.

Von der Beratung zum Anwender

Der promovierte Informatiker Günter Halmans wechselte von der Beratung zum mittelständischen Anwender.
Foto: privat

Schwer fiel dem Informatiker Halmans der Abschied von einem Düsseldorfer Beratungshaus nicht: "Entscheidend war, dass ich in meinem Themenbereich bleiben konnte." Sein Spezialgebiet ist die Prozessberatung im Test-Management; hinzu kommt seine Erfahrung als Projektleiter. Vor seinem Wechsel zu Ista entwickelte Halmans als Berater in der Finanzbranche Anforderungen an Testumgebungen - "weniger technikorientiert als methodisch", wie er erläutert.

Ein Kollege hatte ihm den Tipp gegeben, sich bei Ista zu bewerben. Anders als beim IT-Dienstleister könne er die Ergebnisse seiner Arbeit beim Anwenderunternehmen langfristig verfolgen und "mit Händen greifen". Konkret heißt das: Software fürs eigene Haus entwickeln und im Austausch mit Anwendern zu zahlreichen Verbesserungen beitragen. Weiterer Pluspunkt: "Bei Ista kann ich Beruf und Familie etwa durch abgesprochene Home-Office-Tage gut miteinander in Einklang bringen und obendrein noch international arbeiten."

Spezialisten für Bits und Bytes wissen oft nicht, dass es eine Welt jenseits von IBM, SAP, Google und Co. gibt. "Ohne IT wäre unser Geschäft gar nicht denkbar", erläutert Kreitel-Suciu Nachwuchskräften und Profis, wenn man sich etwa auf Messen begegnet. Wer sich davon überzeugen lässt, einen Arbeitsvertrag beim Anwender zu unterschreiben, will nicht sofort wieder abspringen. Die Bereitschaft, sich längerfristig zu binden, ist durchaus vorhanden. "75 Prozent der IT-Experten bei mittelständischen Anwendern bleiben länger als drei Jahre", sagt Jörg Breiski, Vice President der schwedischen Personalberatung Mercuri Urval in München.

Wer will nach Osnabrück oder Schweinfurt?

Freilich fehlen SAP-Berater, Softwareentwickler oder Datenbankspezialisten überall. Trotz überdurchschnittlicher Gehälter für Absolventen, Young Professionals und erfahrenen Profis - die Vergütungsberatung Personalmarkt hatte dies erst jüngst im Auftrag der CW ermittelt - sind und bleiben IT-Fachkräfte Mangelware. Neuesten Angaben der Bundesagentur für Arbeit zufolge könnten bis zum Jahr 2025 insgesamt mehr als drei Millionen Fachkräfte fehlen. Bedarf gebe es vor allem in Süddeutschland und insbesondere in technisch-naturwissenschaftlichen Berufen und der IT.

Wie das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) jüngst untersuchte, führt der IT-Fachkräftemangel zu Umsatzeinbußen von elf Milliarden Euro. Für mittelständische Anwender ist das eine Katastrophe. Also müssen sie sich als Arbeitgeber ganz besonders auszeichnen. Das betrifft vor allem Branchen, über die nicht so gut gesprochen wird wie das Direkt-Marketing. "Kommen wir erst einmal mit interessanten Kandidaten ins Gespräch", sagt Tanja Schilling, Personaldirektorin der BUW Holding GmbH in Osnabrück, "können wir zeigen, womit wir punkten." Jeder Kunde von BUW habe andere Systeme und Datenbanken, "da gibt es immer genug zu tun für IT-Experten", versichert die Personalerin mit Nachdruck.

Machen wir uns nichts vor - BUW kämpft gleich mit einem dreifachen Wettbewerbsnachteil: mittelständisches Anwenderunternehmen der Call-Center-Branche am Standort Osnabrück. Wer sich den Job aussuchen kann, gibt aller Wahrscheinlichkeit nach einem alternativen Angebot den Vorzug.

München hat als IT-Standort einen guten Ruf, sagt Headhunter Jörg Breiski.
Foto: Breiski

Headhunter Breiski gelang es, zwei SAP-Berater von einem Dienstleister zu einem Münchner Mittelständler zu lotsen. "IT-Experten dieses Kalibers", sagt er, träfen ihre Entscheidung danach, wie stabil ein Unternehmen sei und ob sich der Tätigkeitsbereich durch Kontinuität auszeichne. "Sie erwarten eine geregelte Arbeitszeit, große Handlungsspielräume und dass sie sich im personellen Umfeld auch wohl fühlen." Letztlich zog der Name der Isarmetropole - ohne Zweifel eine IT-Hochburg mit internationalem Charakter. Jemanden nach Schweinfurt oder Osnabrück zu locken, das solle sich niemand einbilden, werde in diesen Kreisen kaum gelingen.

Umschüler und Quereinsteiger sind willkommen

IT-Leiter Frank Neuenberg, BUW: "Für uns sind ältere Profis wichtig."
Foto: BUW

Daraus macht BUW-IT-Leiter Frank Neuenberg auch keinen Hehl. Gewiss sei die Firma aus Sicht der umworbenen IT-Kräfte nicht der "Nabel der Welt". Umgekehrt bräuchte sich die Firma nicht gegenüber der Konkurrenz zu verstecken. Statt sich im stillen Kämmerlein zu verschanzen, seien IT-Kräfte "Teil der Wertschöpfung". Sie träten als Berater des Kunden auf, und in den Projekten sei ihre Expertise gefragt. Anders in Konzernen: "Man legt den IT-Mitarbeitern Anweisungen auf den Tisch und erwartet, dass der Auftrag in zwei Wochen abgearbeitet wird, ohne dass es dazu Feedback gibt", spricht der IT-Leiter Klartext.

Natürlich weiß auch Neuenberg, dass er die Hierarchie im IT-Arbeitsmarkt nicht auf den Kopf stellen kann. Als mittelständisches Anwenderunternehmen befindet sich BUW so ziemlich am Ende der Rekrutierungskette. Doch der IT-Leiter gibt sich nicht geschlagen und spricht gezielt Umschüler, Quereinsteiger und Behinderte an. "Ganz wichtig sind für uns ältere IT-Profis", sagt er. "Einige unserer Oracle- und Delphi-Entwickler sind schon 55 Jahre alt."

40 plus
1. Betrachten Sie sich nicht als passiver „Arbeit-Nehmer“, sondern als selbstverantwortlich handelnder „Arbeitsmarkt-Unternehmer.“
Sie verkaufen ein Produkt, nämlich Ihre Arbeitskraft, und es ist Ihre Aufgabe, dieses Produkt laufend zu verbessern. In drei Jahren müssen Sie ein besserer Arbeitnehmer sein, als Sie es heute sind – wenn Sie in drei Jahren ein neues Auto kaufen, erwarten Sie schließlich auch, dass es ein besseres Modell ist als das, welches Sie heute fahren.
2. Schätzen Sie Ihre Arbeitsmarktfitness realistisch ein.
Analysieren Sie Ihre eigenen Fähigkeiten und gleichen Sie diese realistisch mit dem ab, was derzeit gefragt ist. Lassen Sie sich regelmäßig Feedback von Kollegen und Vorgesetzten geben und nehmen Sie dieses ernst.
3. Bleiben Sie geistig flexibel.
Das Umfeld, in dem Ihr Unternehmen tätig ist, hat sich bereits in den letzten zehn oder 15 Jahren tiefgreifend gewandelt, und die Zukunft wird noch mehr und noch schnelleren Wandel bringen. Dieser wird auch an Ihrem Job deutliche Spuren hinterlassen, in Ihrem Unternehmen und in der ganzen Branche. Das sollten Sie rechtzeitig erkennen und sich darauf einstellen.
4. Besuchen Sie Weiterbildungsmaßnahmen – notfalls auch auf eigene Kosten.
Besonders die Personalabteilungen größerer Unternehmen legen Wert auf Zertifikate und Schulungsbestätigungen. Nur wer diese in seiner Personalakte hat und regelmäßig neue hinzufügt, dokumentiert seine Veränderungsbereitschaft und Lernwilligkeit. Auch im Hinblick auf externe Bewerbungen sollten Sie jährlich zwei bis vier Tage in Schulungen, Seminaren oder Kursen verbringen und dafür Nachweise abheften.
5. Machen Sie Ihre Leistungen sichtbar.
Wer heute über 40 ist, spricht häufig nicht offensiv über das, was er oder sie gut kann, sondern meint, die anderen würden schon von selbst merken, wie tüchtig man ist: Das ist allerdings ein Irrglaube. Ihr Chef wird zwar wahrscheinlich merken, wenn jemand immer wieder Fehler macht oder schlechte Ergebnisse abliefert. Aber solange bei Ihnen alles reibungslos läuft, hat er keinen besonderen Anlass, Sie positiv zu bemerken. Was Sie im Einzelnen leisten wird er nur erfahren, wenn Sie es ihm sagen. Und mal ehrlich: Warum sollten die Kollegen von sich aus einem Vorgesetzten erzählen, wie hervorragend Ihre Arbeit ist?
6. Engagieren Sie sich.
Bringen Sie eigene Ideen ein. Übernehmen Sie freiwillig Aufgaben, deren Sinn und Notwendigkeit Sie erkennen. Sagen Sie nie Sätze wie „Das muss ich laut meinem Arbeitsvertrag nicht tun“ oder „Dafür bin ich nicht zuständig“. Bleiben Sie auch dann engagiert bei der Sache, wenn Sie sich über Ihren Chef wirklich geärgert haben. Wie unfähig und unmöglich er auch sein mag, lassen Sie sich von ihm auf keinen Fall in die passive Resignation treiben. Suchen Sie lieber in aller Ruhe eine neue Stelle und kündigen Sie anschließend fristgerecht und mit einem freundlichen Lächeln.
7. Denken und handeln Sie im Sinne des Unternehmens.
Bedenken Sie bei allem, was Sie tun, welche Folgen es für Ihre Abteilung und für das Unternehmen hat. Tun Sie das, was nötig ist, um Ihre Arbeit gut zu machen, und machen Sie niemals nur „Dienst nach Vorschrift“. Sie haben es zwar nicht mehr nötig, täglich zwölf Stunden im Büro zu sein, nur damit Ihr Chef sieht, wie einsatzfreudig und fleißig Sie sind. Aber Sie sind selbstverständlich da, wenn Sie wirklich gebraucht werden. Auch mal abends und am Wochenende, auch dann, wenn Sie etwas anderes vorhaben oder schon müde sind.
8. Arbeiten Sie konstruktiv mit Jüngeren zusammen.
Strecken Sie die Hand aus und gehen Sie auf die jungen Kollegen zu. Nicht gönnerhaft, nicht ängstlich, sondern weil Sie wissen, dass Sie es sich leisten können. Beweisen Sie, dass Sie dialogfähig sind, indem Sie ehrliches Interesse zeigen. Und erinnern Sie sich ab und zu daran, wie blöd es war, als Sie jung und voller Ideen waren und die Älteren immer nur sagten „Das kennen wir alles schon, das bringt doch nichts, du wirst schon sehen …“
9. Pflegen Sie die Kommunikation mit Ihren Vorgesetzten.
Halten Sie keine Informationen zurück, sondern sorgen Sie für Transparenz, für umfassende und rechtzeitige Information. Suchen Sie auch dann das Gespräch mit der Chefin, wenn Sie Wünsche und Anregungen haben, wenn Sie sich Sorgen über Ihre weitere Entwicklung machen oder wenn Sie sich für eine neue Aufgabe positionieren möchten. Wichtig ist der regelmäßige Kontakt und die offene (nicht naive!) Kommunikation, die Vertrauen und Partnerschaftlichkeit wachsen lässt.
10. Akzeptieren Sie Arbeitslosigkeit nicht als Schicksal.
Registrieren Sie aufmerksam, was um Sie herum passiert. Verdrängen Sie nicht, wenn Entlassungen abzusehen sind, sondern strecken Sie schon vorher die Fühler aus. Es ist immer besser, sich aus einer Beschäftigung heraus zu bewerben als aus der Arbeitslosigkeit. Ihre Verhandlungsposition ist dann viel stärker. Wenn Sie dennoch arbeitslos werden, jammern Sie nicht, sondern werden Sie aktiv, qualifizieren Sie sich, bewerben Sie sich, präsentieren Sie sich. Solange Sie gute Arbeitsleistung zu bieten haben, ist Ihre Suche keineswegs aussichtslos.
"Ü40 und top im Job"
Barbara Kettl-Römer: "Ü40 und top im Job: So werden und bleiben Sie attraktiv für Ihren Arbeitgeber - oder für einen anderen". Linde Verlag, 2010. 176 Seiten. 16,30 Euro. ISBN 978-3-7093-0305-4.

Die Trümpfe der Anwender

Gelegentlich gelingt es, IT-Freiberufler für eine Anstellung zu gewinnen. "Jüngst stieß ein Anwendungsentwickler zu uns, der auf Dialer spezialisiert ist, die automatisch Kunden anrufen", freut sich Neuenberg. Der Familienvater, Anfang 40, hätte das "dauernde Reisen sowie den nicht vorhersehbaren Wechsel zwischen Projektstau und Flauten satt" gehabt. Den Fokus auf ältere, erfahrene IT-Profis zu legen, scheint sich mittelständischen Firmen als lohnende Strategie anzubieten.

Hin und wieder schaffen es Anwenderfirmen sogar, erfolgreich im Absolvententeich zu fischen - und das tief in der Provinz. In Wolfertschwenden bei Memmingen ist der Sitz des Maschinenbauers Multivac Sepp Haggenmüller GmbH & Co. KG. Würde man den Nachwuchs an den Hochschulen fragen, wer den Namen schon mal gehört hätte, das Ergebnis wäre eindeutig. Fakt ist aber, dass das Unternehmen mit seinen etwa 30 IT-Fachleuten weltweit 60 Tochterfirmen betreut, wie IT-Leiter Wilfried Grewe versichert. Oft sei nur die Hälfte am Hauptsitz im Einsatz, der Rest irgendwo in der Welt. "Meinen Kollegen eröffnet sich ein breites Tätigkeitsfeld inklusive SAP, das kaum ein Dienstleister vorweisen kann."

Ein großes Spektrum an Aufgaben reizte die BI-Spezialistin Delia Arpogaus, als sie sich für den Mittelständler Mutlivac entschied.
Foto: privat

Von solchen Trümpfen ließ sich auch Delia Arpogaus, 29, beeindrucken. Nach ihrem Informatikstudium an der Fachhochschule Kempten, das sie mit Auszeichnung abschloss, startete sie 2007 ihre Berufskarriere bei einem im Allgäu ansässigen Messgerätehersteller. Ehe sie im April 2011 zu Multivac wechselte, arbeitete sie sich zügig ins IT-Controlling ein und mauserte sich so zu einer Expertin für Business Intelligence (BI).

Neben ihrer Aufgabe als Assistentin des IT-Leiters könne sie sich als Projekt-Managerin, die für Controlling und Compliance zuständig ist, täglich mit neuen Herausforderungen befassen, erläutert die junge Informatikerin. Warum sie nicht nach ihrer ersten Berufsstation zu einem Dienstleister gegangen ist, ein durchaus logischer Schritt? Ihre Antwort kommt schnell und lässt keinen Zweifel: "Mich reizt das große Spektrum aus Tätigkeiten, mit dem ein Anwenderunternehmen etwa ein Softwarehaus in den Schatten stellt. Dort hätte ich geringere Chancen, mich zu entfalten." Vor allem an Zertifizierungen ist Arpogaus interessiert.

Ob internationale Projekte, große Aufgabenvielfalt, viel Weiterbildung oder spürbare Erleichterung, Beruf und Privatleben zu vereinbaren: mittelständische Anwenderfirmen können sich durchaus behaupten im Wettbewerb um begehrte IT-Kräfte. Sie gehen vorurteilsfrei auf Ältere zu und sind zu Kompromissen bereit, indem Aufgaben auf den umworbenen Mitarbeiter zugeschnitten würden, erläutert Personalberater Breiski. Unterm Strich müsse es gelingen, dass sich die Mitarbeiter wohl fühlen. "Mein Arbeitgeber gibt allen Kollegen und mir das Gefühl, dass wir gleich wichtig sind", sagt Halmans von Ista. "Das schätze ich als IT-Experte im Alter von Ende 40 ganz besonders."