Arbeitsweise der Informatiker verändert

Arbeitsweise der Informatiker verändert sich

14.11.2003 von Ina Hönicke
Offshore-Projekte kosten immer mehr hiesige Programmierer den Job. Für gut ausgebildete Informatiker indes sehen die Experten bislang keine Gefahr - doch die Anforderungen werden immer größer. Kommunikations- und Integrationsfähigkeit stehen ganz oben auf der Liste.

Den deutschen IT-Profis bläst ein scharfer Wind ins Gesicht. Egal ob IBM, Oracle, Siemens, EDS oder Deutsche Bank - sie alle verlagern verstärkt Softwarejobs in kostengünstigere Länder. Sowohl Consulting- als auch Anwenderunternehmen wollen mit Offshore-Projekten ihre Kosten senken. Gute Programmierer gibt es nämlich mittlerweile fast überall auf der Welt.

Sie sind qualifiziert, hochmotiviert und darüber hinaus preiswert. In den USA hat sich die Offshore-Thematik mittlerweile zum Politikum entwickelt. Schließlich werden, so die Schätzungen der Consulting-Firma Forrester Research, US-Arbeitgeber in den nächsten 15 Jahren mindestens 3,3 Millionen "White-Collar"-Jobs in Billiglohnländer wie China, Indien, Russland oder Mexiko abwandern lassen.

Protest der US-Gewerkschaften

Anders als bei früheren Outsourcing-Wellen sind dieses Mal nicht nur die weniger qualifizierten Arbeitnehmer, sondern auch höher qualifizierte IT-Profis betroffen. Jimmy Tarlau von der IT- und TK-Gewerkschaft Communication Workers of America (CWA): "Bei uns ist der große Aderlass in vollem Gang." Die amerikanischen Arbeitnehmervertretungen haben den Kongress aufgefordert, diese Entwicklung zu stoppen.

Während die US-Gewerkschaften auf die Barrikaden gehen, herrscht hierzulande Gelassenheit. Dieter Scheitor, Leiter des Bereichs IT Industrie bei der IG Metall: "Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird." Schließlich würden etliche deutsche Unternehmen ihre Offshore-Aktivitäten nach einiger Zeit wieder einstellen. Der IG-Metaller: "Zu hohe Kosten, Mentalitätsprobleme sowie mangelnde Qualität sind die Hauptgründe."

Scheitor ist überzeugt, dass die Verlagerung von IT-Jobs möglicherweise für weniger qualifizierte Programmierer, nicht aber für gut ausgebildete Informatiker eine Gefahr darstellt: "Sollte sich ein Unternehmen für Offshore entscheiden, werden gerade die fertigen Hochschulabsolventen ins Projekt-Management übernommen, um die entsprechenden Aktivitäten vorzubereiten und umzusetzen. Die Informatiker müssen aber aufgrund komplexerer Projekte mit wesentlich höheren Anforderungen als bislang rechnen."

Stephan Scholtissek, Accenture: "Der Projekt-Manager muss begreifen, welche Möglichkeiten in einem anderen Land machbar sind und welche nicht."

Obwohl er mit einem Vertreter der Gewerkschaft nicht immer einer Meinung ist, kann Stephan Scholtissek, Sprecher der Geschäftsführung beim Beratungshaus Accenture Deutschland, dieser Beurteilung nur zustimmen: "Das macht die Aufgaben interessanter und anspruchsvoller." Er nennt ein Beispiel: Bei einem Projekt vor Ort können die Verantwortlichen bereits nach ein oder zwei Tagen erkennen, ob etwas schief läuft - bei einem Vorhaben in Malaga oder Manila kann dies Wochen dauern. Der Accenture-Deutschland-Chef ergänzt: "Wichtig ist es, dass der Projekt-Manager die Aufgabe nicht nur punktgenau plant. Er muss begreifen, welche Möglichkeiten in einem anderen Land machbar sind und welche nicht."

Deutsche Tugenden gefragt

Bei Accenture unterteilt sich das Geschäft in die Beratung vor Ort, das "Delivery-Modell", die Unterstützung aus nationalen Solution-Centern sowie Offshore-Aktivitäten. Laut Scholtissek wird es in den Consulting-Unternehmen zunehmend Mitarbeiter geben, die sich hauptsächlich um die Vorbereitung von Offshore-Aktivitäten kümmern - und die keine klassischen Berater mehr sind. Sie würden vielmehr in Solution-Centern arbeiten und dort Lösungspakete für Kunden entwickeln.

Kian Ghanai, bei Accenture als Analyst tätig, hat sich im vergangenen Jahr für eine Tätigkeit im Offshore-Bereich - also jenem Gebiet, in dem die Projekte vorbereitet werden, entschieden. Die vielfältigen Anforderungen und der hohe persönliche Einsatz reizen den Betriebswirt. Ghanai unterstützt die Koordination der verschiedenen internationalen Service Delivery Centers, spricht Standards und Prozeduren mit dem Kunden ab und vereinheitlicht diese. Die Qualitätssicherung fällt ebenfalls in seinen Tätigkeitsbereich. Ghanai: "Meine Aufgabe ist sehr interessant. Ich arbeite mit Kollegen mit unterschiedlichem kulturellen und fachlichen Hintergrund zusammen - und die Teamarbeit klappt hervorragend."

Accenture-Chef Scholtissek ist überzeugt, dass gerade die Deutschen gute Voraussetzungen mitbringen, um ausgelagerte Arbeiten professionell zu steuern: "Benötigt werden Organisationstalent, Genauigkeit und Begeisterung - kurzum alles deutsche Tugenden." Wenn Offshoring intelligent gemacht würde, könne der so genannte Jobkiller seiner Meinung nach sogar zum Jobmotor werden. Als Beispiel nennt Scholtissek die Automobilindustrie: Obwohl viele Produktionen ins Ausland verlagert worden seien, hätten die deutschen Autobauer in den vergangenen Jahren eher eingestellt als entlassen.

Offshoring als Jobmotor - diese Prognose sieht Hansjörg Siber, der bei Cap Gemini Ernst & Young den Bereich Business Process Outsourcing leitet, eher skeptisch: "Natürlich benötigen die Unternehmen für das Front-Office qualifiziertes High-Tech-Leute - ihre Zahl sollte aber nicht überschätzt werden." Schließlich würde sich das Verhältnis Front- zu Back-Office künftig dramatisch verändern. In amerikanischen Studien sei mittelfristig von 25 zu 75 Prozent die Rede. Cap Gemini Ernst & Young verlangt von seinen Frontend-Mitarbeiter viel. Siber: "Neben technischem Know-how und Kommunikationsfähigkeit müssen sie die englische Sprache wirklich beherrschen."

Weil die Vermittlung von Informationen bei Offshore-Projekten eine derart zentrale Rolle einnimmt, sieht der Consultant eine Spezies auf der Verliererstraße: "Diejenigen Softwareexperten, die nicht in der Lage sind, als Moderator aufzutreten, werden in Deutschland bald keinen Job mehr finden." Große Entwicklungsabteilungen, in denen introvertierte Softwerker bislang immer ihren Platz gefunden hätten, werde es nämlich nicht mehr lange geben.

Nur Innovation rettet Jobs

Fragt sich nur, wie angesichts der Konkurrenz in Billiglohnländern das ideale Profil eines Informatikers aussehen sollte. Bei der Frage, ob die Hochschulen den Nachwuchs angemessen auf diese Situation vorbereiten, scheiden sich die Geister. Während die einen Experten mehr Praxibezug fordern, lehnen Hochschulprofessoren dies ab. Ihrer Meinung nach bietet eine fundierte Grundlagenausbildung die beste Chance, das lange Berufsleben zu meistern.

Immer mehr IT-Projekte wandern in Billiglohnländer ab.

                          Foto: Joachim Wendler

In einem Punkt sind sich die Fachleute indes einig: Die Studierenden sollten jede Möglichkeit nutzen, sich an der Universität mit innovativen Themen zu beschäftigen. Mit dieser Forderung rennen sie bei Markus Huber-Graul, Senior Consultant IT Services bei der Meta Group, offene Türen ein. Er hält es für überflüssig, noch länger über Vor- oder Nachteile der Abwanderung von Arbeit zu diskutieren. Viel wichtiger ist es seines Erachtens zu klären, wie deutsche Softwareprofis auf die Offshore-Herausforderung reagieren sollen. Zumal, so Huber-Graul, zu erwarten ist, dass künftig nicht nur Programmierarbeiten, sondern ganze Geschäftsprozesse verlagert werden.

Seiner Meinung nach ist die beste Voraussetzung für einen interessanten und sicheren IT-Job hierzulande nach wie vor das Informatikstudium. Der Marktanalyst: "Dazu kommt aber heutzutage noch die Innovationsfähigkeit. Der Industrie neue Impulse und dem Unternehmen interessante Produktideen zu präsentieren, ist der beste Erfolgsgarant."

Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.