Auf dem Weg zur drahtlosen Visite

25.11.2002
Von Bernd Rühle . Bernd Rühle ist DV-Leiter und stellvertretender Verwaltungsdirektor des Stuttgarter Marienhospitals . MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Kliniken müssen ihre Workflows sowohl im administrativen wie im medizinisch-pflegerischen Bereich verbessern - technisch und organisatorisch. Die Kosten dafür sind auf einem akzeptablen Niveau zu halten, weshalb das Stuttgarter Marienhospital ein neues Speichernetz installiert hat.

Das Stuttgarter Marienhospital, ein Stadtklinikum mit langer Tradition, hat sich früh entschlossen, Informationstechnologie einzusetzen. Bereits in den Jahren 1997/98 wurde in der Radiologie ein Pacs (Picture Archieving and Communication System) installiert und sukzessive ausgebaut. Gegenwärtig wird eine hochperformante Storage Area Network (SAN)-Infrastruktur implementiert, die in absehbarer Zeit die Arbeit von nicht weniger als 15 integrierten Fachkliniken sowie zusätzlichen diagnostischen und therapeutischen Einrichtungen unterstützen wird.

Das Stuttgarter Marienhospital implementiert ein Storage Area Network, das vorhandener Server-Systeme mit unterschiedlichen Betriebssystemen konsolidieren soll.

Die Aufgaben sind beträchtlich: Die IT-Lösung muss einerseits eine Vielzahl vorhandener Server-Systeme mit unterschiedlichsten Betriebssystemen wie Linux, AIX oder Novell konsolidieren und gleichzeitig einen größtmöglichen Gestaltungsspielraum bereits in der Pilotphase beziehungsweise für die in der Planung befindlichen zukünftigen Klinikanwendungen bieten.

Ein SAN für 15 Fachkliniken

Bei der Systemauswahl spielten neben den technologischen Herausforderungen vor allem wirtschaftliche Aspekte eine Rolle. Prekärster Punkt: Die gesetzlich vorgegebene Datenaufbewahrungsfrist im Gesundheitswesen von bis zu 30 Jahren. Um häufige und teure Migrationen großer Datenmengen zu vermeiden, galt es also, eine Lösung zu finden, die auf IT-Komponenten mit möglichst langfristigen Produktlebenszyklen basiert. Darüber hinaus musste der Anbieter über ein geeignetes Schulungs und Trainingsangebot sowie verlässliche und kompetente Service- und Supportleistungen verfügen.

Nach einem umfangreichen Auswahlverfahren, an dem sich nahezu alle namhaften Anbieter von Speichernetzen beteiligten, fiel die Entscheidung schließlich zugunsten einer komplett festplattenbasierenden „Alles-aus-einer-Hand-Lösung“ aus dem Hause IBM.

Wichtige Kriterien: Speicherkapazität und Echtzeit-Datenzugriff

Kliniken und Krankenhäuser sind auf uneingeschränkte Datenverfügbarkeit angewiesen. Daneben spielt die Kapazität eine entscheidende Rolle: Annähernd 1,5 TB Daten generieren die Systeme des Marienhospitals derzeit pro Jahr.

Das Gesundheitswesen steht im Kreuzfeuer der öffentlichen Diskussion - befürchtet werden weiter explodierende Kosten, weniger Service und eine schlechtere Versorgung der Patienten, sollte sich nicht Grundsätzliches ändern. Diese Entwicklung wird offenbar zusätzlich beschleunigt durch die demografische Altersverschiebung und nicht zuletzt - so paradox das klingen mag - durch den medizinischen Fortschritt selbst, der seinerseits in gewissem Umfang zu den steigenden Kosten beiträgt.

Die Kliniken müssen deshalb alles versuchen, um ihre Workflows sowohl im administrativen wie im medizinisch-pflegerischen Bereich weiter zu verbessern. Das Krankenhaus der Zukunft wird bei abnehmender Bettenkapazität mehr Patienten mit kürzeren Verweilzeiten und steigendem Qualitätsanspruch zu versorgen haben - nur mit modernstem Klinik-Management kann es diesen Anspüchen gerecht werden. Neue Konzepte sind notwendig, einerseits dem Wunsch des Patienten nach einer schnellen Reaktion, einem sicheren Befund, einer genauen Diagnose und letztendlich der besten Behandlung gerecht zu werden, andererseits um die dabei entstehenden Aufwendungen für die Kostenträger auf einem akzeptablen Niveau zu halten.

Als gewichtigster Datenproduzent erweist sich dabei die digitale Radiologie. Digitale Röntgengeräte, Kernspin-Tomografen, aber auch die in der Nuklearmedizin zum Einsatz kommenden Gamma-Kameras und Linearbeschleuniger erzeugen bereits heute enorme Datenmengen. Neuartige medizinische Technologien wie die extrem auflösungs- und damit speicherintensive digitale Mammografie werden in Kürze das Datenvolumen weiter ansteigen lassen. Im Marienhospital ist damit zu rechnen, dass im Endausbau, also wenn alle Modalitäten digital sind, netto 3 bis 4 TB pro Jahr produziert werden.

Festplattentechnologie bevorzugt

Das Marienhospital, häufig an vorderster Front, wenn es um neue medizinische Verfahren beispielsweise aus der Radiologie oder Anästhesiologie geht, befindet sich auch im Hinblick auf seine IT-Infrastruktur in einer Vorreiterrolle. Während vielerorts zur Datenarchivierung nicht zuletzt aus Kostengründen auf vergleichsweise preiswerte Wechselmedien wie CD, DVD oder MO gesetzt wird, basiert die im Stuttgarter Klinikum eingesetzte Speicherlösung komplett auf Festplattentechnologie. Das hat einerseits zu tun mit der besseren Verfügbarkeit und andererseits der höheren Performance. Denn im Gegensatz zu „klassischen“ Archivlösungen, bei denen vergleichsweise selten auf Altdatenbestände zugegriffen wird, liegt im Klinikalltag das Verhältnis zwischen neuproduzierten und wiederaufgerufenen Altdaten bei eins zu drei bis eins zu vier.

Marienhospital Stuttgart

Dies ist eine Relation, die selbst beim Einsatz schneller Jukebox-Robotiksysteme der neuesten Generation in der Praxis zu inakzeptablen Performance-Einbußen führen würde und deshalb hier nicht in Frage kommt. Benötigt wird in jedem Fall echte Online-Verfügbarkeit. Das heißt, alle Klinikdaten werden auf Festplatten vorgehalten und gleichzeitig in einer Sicherungskopie auf einem Backup-Tape gespeichert. Ausschließlich bei Pacs-Anwendungen wird zusätzlich eine „Check-Summe“, die die Unveränderbarkeit der erfassten Bildinformationen garantiert, auf CD gebrannt.

Das Herzstück des von IBM in enger Kooperation mit dem Kölner Systemhaus Sysdat installierten SAN sind zwei IBM Enterprise Storage Server (ESS) 2105 F20, ausgestattet mit leistungsstarken Serial- Storage-Architecture-(SSA)Festplatten und einer Datenkapazität von 9 TB beziehungsweise 2 TB. Beide Maschinen sind redundant über Fibre-Channel-Leitungen an zwei 16-Port-Switches von Brocade angeschlossen und über Peer-to-Peer Remote Copy (PPRC) verbunden. Dank des modularen Aufbaus des ESS ist das Speichersystem sukzessive den wachsenden Kapazitätsanforderungen anpassbar. Die Bandsicherung aller klinikinternen Applikationen wurde mit Hilfe des Tivoli Storage Managers (TSM) automatisiert. Die Datenspeicherung erfolgt auf einer IBM- 3494-Bandbibliothek, die mit Hochleistungsbandlaufwerken des Types Magstar 3590 bestückt ist. Ausschlaggebend war auch hier, ähnlich wie beim

ESS, die hohe Skalierbarkeit. Auch die Bandbibliothek kann bedarfsgerecht erweitert und bei Bedarf redundant ausgelegt werden.

Nach 18-monatiger Projektdauer von ersten Planspielen bis zur Inbetriebnahme ist heute ein positives Resümee zu ziehen. Es ist gelungen, die Effizienz bestehender Arbeitsprozesse zu steigern und gleichzeitig eine Grundlage für neue Workflows zu schaffen. Ende dieses Jahres sollen alle Fachkliniken des Marienhospitals Zugriff auf das neue SAN-System haben. Auch der Transfer vorhandener Altdaten soll zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sein. Gemessen am DV-technischen Idealzustand wird dann eine mindestens 75-Prozent-Lösung erreicht sein. Die noch fehlenden 25 Prozent sind spezifische Softwareapplikationen, die sich derzeit in der Planungs- beziehungsweise in der Pilotphase befinden. An der Implementierung eines umfassenden elektronischen Krankenhaus-Informationssystems (KIS), das administrative wie medizinische Prozesse von der Kostenträgerrechnung bis zur elektronischen Patientenakte komplett digitalisieren soll, wird beispielsweise mit Hochdruck gearbeitet. Mit dem neuen SAN verfügt

das Marienhospital über eine gleichermaßen leistungsfähige wie skalierbare Hardwareplattform, mit der das Haus sowohl für die Einführung des KIS als auch die Implementierung zukünftiger Applikationen wie beispielsweise der „drahtlosen Visite“ via Wireless-LAN- (WLAN-)Pad bestens gerüstet ist.