Sowohl ERP-Systeme als auch MES bilden seit geraumer Zeit das IT-technische Rückgrat vieler Unternehmen. Über beide erfolgt jeweils die Unternehmens- und Produktionssteuerung. Im Rahmen von Digitalisierungsstrategien wird der Funktionsumfang von ERP-Systemen und MES in Unternehmen weiter ausgebaut, schon weil aktuell praktisch keine Alternative zur Steuerung und Überwachung der Produktion existiert. Die funktionale Trennung zwischen ERP und MES wird durch das 5-stufige ISA-95 Modell beschrieben. Hierbei erfolgt, wie in der Informatik bei hierarchischen Ansätzen üblich, ausschließlich eine Kommunikation zwischen zwei benachbarten Ebenen sowie innerhalb einer Ebene.
Grob gesprochen beschreibt die oberste Ebene des ISA-95 Modells alle Aktivitäten zur Unternehmenssteuerung, die nächste Ebene jene zur Produktionssteuerung usw. Dieser Ansatz der hierarchischen Gliederung - repräsentiert durch im wesentlichen monolithische Systeme - stößt allerdings auf Grund der stetig steigenden Anforderungen an die Produktion und deren Produkte schon heute oft an seine Grenzen. Dies gilt im Besonderen für die Produktionsplanung. Im Zuge der weiteren Digitalisierung der Produktion wird es weiter "knirschen".
Anforderungen an eine Smart Factory
Den immer weiter steigenden Anforderungen an die Produktion im Speziellen und Unternehmen im Allgemeinen will man mit Konzepten wie Industrie 4.0 und Smart Factory begegnen. Eine wesentliche Komponente bildet hierbei die vertikale und horizontale Integration aller beteiligten (IT-) Systeme und damit deren hierüber abgebildeten Prozesse (also auch Maschinen und Anlagen). Eine Konsequenz ist, dass Engineering-Informationen weitestgehend automatisiert in Richtung Produktion transferiert und etwa Arbeitspläne systemseitig vorkonfiguriert werden. Um dies zu erreichen, bedarf es standardisierter Schnittstellen, vor allem auf dem Shop Floor.
Mit der Digitalisierung einher geht auch der Bedarf nach einer ausfallsicheren und schnellen Kommunikation der Infrastruktur inklusive einer ausgefeilten Datensicherheit. Dies gilt nicht nur für die Ebene der Unternehmenssteuerung, sondern vor allem auch für den Produktionsbereich. Der aus dem Alltag bekannte Slogan von "Always On" betrifft somit in Zukunft für die Fräsmaschine und den Schrauber. Nur hierüber lassen sich Informationen über den Produktionsfortschritt und Status jederzeit in Echtzeit abrufen und damit auch steuern.
Gleiches gilt auch für Teile und Material, die in der Produktion bewegt werden. Auch diese werden "Smart" - erhalten also Logik oder "Intelligenz", um die Produktion von Morgen zu steuern beziehungsweise ungeplante Ereignisse, wie einen drohenden Maschinenausfall (Condition Monitoring) zu melden. Mit der weitestgehend vollständigen Digitalisierung auf dem Shop Floor werden Tracking und Tracing von Produkten und Teilen deutlich erleichtert. Alle Daten können im Rahmen eines digitalen Produktgedächtnisses entsprechend gespeichert und bei Bedarf ausgewertet werden. Somit muss zukünftig neben dem Materialfluss auch der Informationsfluss durch die Produktionsanlagen und -Systeme bewegt werden, was dazu führt, dass neben den schon angesprochenen Sicherheitsaspekten auch eine erheblichen Steigerung in den Anforderungen an die Automatisierungsebene in Bezug auf Speicherplatz, Kommunikationsfähigkeit und Rechenleistung zu beachten ist.
Wandel ist der Schlüssel
Mit der vertikalen Integration inklusive einem digitalen Abbild der realen Fabrik und des gesamten Unternehmens besteht die Möglichkeit, die Flexibilität auf eine neue Stufe zu heben - Wandlungsfähigkeit ist hier das Schlüsselwort. Die gesamten nun verfügbaren Informationen können auch genutzt werden, um die Produktion und Logistik weiter zu optimieren. Über Selbstoptimierung erfolgt dann die wirtschaftliche Realisierung einer Losgröße 1.
Bei all diesen rein wirtschaftlichen Themen sollte der Mitarbeiter (Stichwort "Faktor Mensch") nicht vergessen werden. Über sensitive Roboter lassen sich Arbeitsinhalte neu gestalten und körperliche Belastungen weiter reduzieren. Ferner sind für eine wandlungsfähige Fabrik von Morgen auch flexible Zeitmodelle erforderlich und zwingend notwendig.
Unter Schlagwörtern wie "Arbeit 4.0" oder "urbane Produktion" sollen neue nachhaltige Produktionskonzepte subsummiert werden - soll heißen: Es liegt ein deutlich stärkerer Fokus auf der Reduzierung des Ressourcenverbrauchs. Dies lässt sich beispielsweise über cloudbasierte Smart-Building-Konzepte kostengünstig umsetzen.
Konsequenzen für eine Smart Factory
Die hier aufgeführten Anforderungen an die Produktion der Zukunft erheben weder den Anspruch der Vollständigkeit noch sind branchenspezifische Aspekte berücksichtigt. Ferner ist bei allen Betrachtungen auch die Firmengröße zu berücksichtigen. Nichtsdestotrotz ergeben sich aus dem bisher Gesagten entsprechende Konsequenzen. Diese lassen sich formal in technische und organisatorische Punkte einteilen. Die technischen Punkte sind generell deutlich leichter umzusetzen als die organisatorischen.
Als wohl wichtigster organisatorischer Punkt gilt ein stringentes geschäftsmodell- und prozessorientiertes Produktionssystem. Dieser Punkt beinhaltet auch die aus der Vergangenheit bekannten Lean-Ansätze. Somit handelt es sich hierbei für viele Unternehmen um eine gravierende Veränderung. Damit verbunden ist auch eine Terminsteuerung und Ressourcenorientierung, die sich streng an den Kundenwünschen ausrichtet. Beide Punkte beinhalten eine erhebliche Sprengkraft. Sie verursachen gravierende Veränderungen von Arbeitszeitmodellen bis hin zu sehr schlanken Führungsstrukturen - also eine enorme Spreizung an erforderlichen Veränderungen mit entsprechendem Langzeitcharakter. Der Mitarbeiter in der Produktion wird zum "Dirigenten der Fertigung" mit entsprechenden Kompetenzen.
Transition von bestehender zur künftigen IT-Landschaft
Die "Gretchenfrage" lautet nun, wie sich die Anforderungen an eine zukunftsorientiert Produktion mit einer bestehenden IT-Landschaft, wie sie zu Beginn des Artikels grob skizziert wurde, vereinbaren lässt beziehungsweise wie eine mögliche Transition aussehen könnte.
Es dürfte kaum verwundern, dass ERP-Systeme und MES sicherlich die nächsten Jahre noch ihren Platz in den Unternehmen behalten werden, schon weil es an Alternativen fehlt. CPPS (Cyber Physical Productions Systems) sind aktuell noch nicht in dem Maße kommerziell verfügbar und ausgereift, als dass man ihnen eine Produktion mit gutem Gewissen anvertrauen möchte. In einem ERP-System (meist SAP) erfolgt das Stammdatenmanagement, wie etwa Materialstämme, Arbeitsplätze. Beim Thema Arbeitspläne könnten diese sowohl in einem PLM- als auch einem ERP-System gepflegt werden.
Das gleiche gilt für Qualitäts- und Prüfpläne (obwohl hier der Komfort auf Seiten von SAP deutlich hinter gängigen PLM- oder MES-Systemen hinterherhinkt). Vielfach ist dieses Stammdatenmanagement in den Unternehmen noch nicht in der gewünschten Qualität und Ausprägung vorhanden. Im ERP- beziehungsweise MES-Layer erfolgt auch zumindest in naher Zukunft die Material- und Verfügbarkeitsplanung ebenso wie die Grob- und Feinplanung von Plan- und Fertigungsaufträgen. Auch wenn es CPPS in einigen Jahren zur Marktreife schaffen, bedarf es auch in Zukunft Planungstools, um sowohl werksübergreifend als auch innerbetrieblich für das notwendige Material zu sorgen und sicherzustellen, dass Kundenaufträge zum vereinbarten Zeitpunkt die Werkstore verlassen. In Abhängigkeit der Planungskomplexität könnten hier allerdings zentrale Systeme an ihre Grenzen stoßen.
Mehr Transparenz gefragt
Zur Unterstützung der Transparenz auf dem Shop Floor sollten Auto-ID-Systeme (meist RFID- oder Barcode basiert) zum Einsatz kommen. RFID entwickelt sich hierbei zu einer "Industrie 4.0 Basistechnologie". Für eine effiziente und gleichzeitig standardisierte Anbindung der Automatisierungsebene, übrigens auch eines RFID-Systems, kann eine OPC UA (Unified Architecture) genutzt werden. Speziell RFID wird vielfach als der Ort für das Ablegen beliebiger Informationen angesehen - etwa in der Art eines digitalen Produktgedächtnisses. Dessen Speicherkapazität ist aber aktuell noch deutlich limitiert. "Smart" können diese Tags durch die Verknüpfung mit einem MES werden. Im MES sollten somit alle Traceability-relevanten Informationen abgelegt werden. Neben dem Material als Informationsträger sind hier die primäre Informationsquelle die Prozess- und Maschinendaten (auch hier Anbindung per OPC UA). Über ein MES lassen sich schnell Berichte generieren. Um keinen zeitlichen Verlust zu erleiden, sollten mobile Geräte eingesetzt werden.
Um Qualitäts- und Maschinenausfälle zu reduzieren, sind schon heute "Predictive Quality"- und "Maintenance"- Systeme im Einsatz. Beide sollten mit MES (Qualität) sowie mit ERP-Systemen für die (vorausschauende) Instandhaltung gekoppelt werden. Hierüber lassen sich effiziente, da automatisierte, Prozesse abbilden und Stillstandszeiten von Maschinen minimieren.
Autonome Systeme reduzieren Komplexität
Autonome Transporteinheiten können Komplexität aus der "MES-Ebene" herausnehmen. Sie organisieren sich selber und sind zum richtigen Zeitpunkt am Ort des Geschehens - am zu transportierenden Material. Bei Ausfall einer Transporteinheit erfolgt eine Meldung an "anderer Kollege" in Form einer anderen autonomen Transporteinheit. Diese übernimmt dann die jeweilige Materialversorgung. Die Informationen erhalten die Fahrzeuge per M2M entweder von einer Maschine oder dem Material selber. Somit wird hierüber für eine hohe Flexibilität gesorgt, ohne Änderung von Arbeitsplänen.
Die Flexibilität wird auch durch smarte Maschinen (mit Sensoren ausgestattet) unterstützt. Gleiches gilt auch für Werkzeuge. Diese können mit Sensoren für eine Unterstützung der Prozess-Stabilität in der Produktion sorgen. In die gleiche "Kerbe" schlagen sensitive Roboter. Durch deren immer stärker zunehmende Intelligenz sorgen sie nicht nur für einen hohen Automatisierungsgrad, sondern auch für ein hohes Maß an Flexibilität. Die notwendigen Basisinformationen erhalten diese smarten Kollegen aus dem MES. Auch können diese Roboter per M2M Informationen über den Produktionsfortschritt untereinander austauschen, was ebenfalls zu einer Komplexitätsreduzierung auf MES-Seite führt.
Smart Building - Kontrolle über das Werksgebäude
Die Kontrolle über das physische Werksgebäude erfolgt durch Smart Building Lösungen. Derartige - auch cloudbasierte - Ansätze können das gesamte Gebäude-Management übernehmen, inklusive Strom und Heizung, um den gesamten Ressourcenverbrauch zu kontrollieren und zu optimieren. Diese Lösungen lassen sich ganz pragmatisch als Stand-Alone betreiben, da für Gebäude im Allgemeinen das firmeneigene Facility-Management zuständig ist. Maschinen werden hingegen über das MES überwacht. Dies erfolgt nicht nur zum Managen des Ressourcenverbrauchs, sondern dient auch zum Aufzeigen von Prozessproblemen.
Durch die vertikale Integration der einzelnen Systeme, also der Enterprise- mit der Produktions-IT entstehen neue Cyber-Security Anforderungen. Entsprechende Lösungen sollten aber nicht nur IT-basierte, sondern auch organisatorische Aspekte umfassen. Spezifische Cyber-Security-Lösungen existieren bereits am Markt (auch Big Data basiert) und können auch mit Smart Building Lösungen kombiniert werden. Stichwort hier unter anderem: Die biometrische Zugangskontrolle (nicht nur für das Gebäude, sondern auch für Rechner und Maschinen), auf das Passwörter in Zukunft wirklich sicher werden. Venenscanner sind neben Fingerscanner nur zwei mögliche aktuell verfügbare Techniken hierfür.
Es wurde schon mehrfach die Integration von PLM- mit der ERP- beziehungsweise MES-Welt angesprochen. Dies ist vor allem für den "digitalen Avatar" der realen Fabrik erforderlich. Die Digitalisierung der Fabrik beginnt schon mit deren virtueller Konstruktion am Rechner. Hierzu gehören auch Materialfluss- und Prozess-Simulationen, um schon frühzeitig Konzepte überprüfen zu können und damit Planungssicherheit zu erreichen. Nach dem "Go-Live" der Fabrik können diese Daten mit realen Produktionsdaten zur digitalen Steuerung der Produktion verwendet werden - unserem Avatar also. Eine solche integrierte Produkt- und Produktionsplanung mittels digitalen Fabrikansätzen und Lösungen werden durch die realen Daten aus einem wiederum integrierten MES gespeist. Damit diese Integration glückt, bedarf es eines Enterprise oder Manufacturing Service Bus. Hierüber erfolgt die Kopplung der einzelnen IT-Systeme (PLM, MES, ERP, Planungstool, Smart Build usw.)
Das Teil steuert den Prozess
Bleibt als wichtiger Bestandteil einer Smart Factory noch das Paradigma: das Teil steuert den Prozess. Das Material und das Produkt selber werden zum CPS. Dies kann über Sensoren, RFID oder eingebaute Logik erfolgen beziehungsweise unterstützt werden. Hier kommen die klassischen starren Systeme wie MES oder SAP nun aber wirklich an ihre Grenzen. Sie können derartige Ansätze unterstützen und das angesprochene Planungsproblem etwas entschärfen, da keine Feinplanung im heutigen Sinne mehr erforderlich ist. Die Feinplanung übernehmen die autonom agierenden Maschinen und die intelligenten Teile und Materialien. Auch heute schon werden operative Veränderungen im alltäglichen Produktionsumfeld nicht über ein Planungstool, sondern operativ durch Menschen gelöst.
CPS entlasten hier also den Menschen in Zukunft. Trotzdem bedarf es eines "Dirigenten der Fertigung" zur Überwachung. Eine Interaktion mit einem MES oder gar dem darüber gelagerten ERP-System sind möglich. Allerdings brauchen Unternehmen auch in Zukunft Planungstools, welche die "Leitplanken" der Produktion also Termine und Materialbedarfe liefern. Wo hier zukünftig die Grenzen gezogen werden müssen und können, hängt von der konkreten Produktionssituation, also der Komplexität und Varianz der Produkte ab. Der vorgestellte Ansatz stellt somit eine praktikable und sanfte Migration hin zu einer Smart Factory dar.
Fazit
Schon heute lässt sich eine zukunftsweisende und sehr moderne Produktion, auch mit ERP, MES aufbauen. Investitionen in diese Systeme sind also nicht schon in wenigen Jahren verloren. Es bleibt noch die Frage zu klären oder der hier implizit skizzierte Ansatz auch zu 100 Prozent einer Smart Factory entspricht. In der Praxis sind zukunftsfähige und wirtschaftlich sinnvolle Lösungen gefragt. Ob diese nun etwas mehr oder weniger 'smart' sind, ist eher von untergeordneter Bedeutung.