Digitalisierung braucht Analytics

Auf der Reise durchs Wunderland Business Intelligence

09.02.2016 von Martin Bayer
Die Unternehmen müssen im Rahmen der laufenden Digitalisierung ihre Analytics-Anstrengungen verstärken. Das war die Botschaft, die vom diesjährigen BARC-Kongress ausging. Im Rahmen des Best Practices Award 2015 zeigte sich, dass die Botschaft angekommen ist – auch wenn die durch Analytics angestoßenen wirklich innovativen und disruptiven Veränderungen in Prozessen und Geschäftsmodellen bislang noch die Ausnahme sind.
  • Unternehmen brauchen einen Kulturwandel im Umgang mit Daten.
  • BI-Strategien gehören in fachlicher, organisatorischer und technischer Hinsicht auf den Prüfstand.
  • Um die passenden Use Cases zu finden, sollten Unternehmen ihren Daten, Technik, Skills und Organisation bewerten und einordnen.

"Wir stecken mitten in der digitalen Transformation", stellte Carsten Bange, Geschäftsführer des Business Application Research Center (BARC) zum Auftakt des diesjährigen BARC-Kongresses in Würzburg fest. Für die Anwenderunternehmen gehe es jetzt in der Phase der Umsetzung darum, zu klären, was sie in Sachen Digitalisierung umsetzen wollen und vor allem müssen. Denn die Vernetzung wird weiter um sich greifen, sämtliche Dinge des Alltags- und Berufslebens erfassen und auch vor dem Menschen selbst nicht Halt machen, lautet die Prognose Banges. Immer mehr Sensoren würden immer mehr Daten produzieren. Ein Treiber dieser Entwicklung: Innerhalb der letzten Jahre hätten sich die Kosten für Sensorik halbiert. Bis 2020 würden weltweit rund 30 Milliarden Dinge vernetzt sein, und ungeheure Datenmengen produzieren. Doch die allein brächten den Unternehmen nichts, warnt der BARC-Analyst, "der Mehrwert aus diesen Daten entsteht erst durch Analytics".

Immer mit den Daten anfangen

Für die Unternehmen bedeuten diesen Entwicklungen einen Kulturwandel, in erster Linie, wie sie mit Daten umgehen und welchen Stellenwert sie Daten einräumen. Bange bringt an dieser Stelle den US-amerikanischen Internet-Riesen Google und dessen Entwicklung eines selbstfahrenden Autos ins Spiel. Der Konzern habe dabei mit den Daten angefangen, dann die Sensoren und die Software entwickelt, in der Folge die Rechner für die Fahrzeuge konzipiert und erst zuletzt das Auto rund um die IT geplant. "Die Hardware wird immer unwichtiger", schlussfolgert Bange. Künftig werde es darum gehen, die entscheidenden Software- und Betriebssysteme zu bauen. "Wir müssen bei den Daten anfangen", lautet daher die Digitalisierungsempfehlung des Analysten an die Anwender.

Dabei mahnt Bange allerdings die dafür notwendige Ernsthaftigkeit an und zieht einen Vergleich mit dem Musikgeschäft. Eine alte Vinyl-Platte abzuspielen, den Sound aufzunehmen und dann auf eine CD zu pressen, sei keine echte Digitalisierung. "Doch genau das tun derzeit viele Unternehmen", so das Fazit des BI-Experten. Wer Digitalisierung wirklich ernst meine, müsse zurück an die Aufnahmebänder. "Vom analogen Business zum digitalen Master." Banges Anleitung dafür:

Das wirkt sich auf BI-Strategien in den Unternehmen aus - auf verschiedenen Ebenen: fachlich, organisatorisch und technisch. Aus Sicht Banges müssten die klassischen BI-Systeme um operationale und explorative BI-Funktionen ergänzt werden. Während sich das klassische Reporting-BI um die Frage dreht, was passiert ist, greifen die ergänzenden BI-Spielarten deutlich weiter aus. Das explorative BI fragt: Warum ist es passiert? Was wird passieren? Im Rahmen des operationalen BI geht es um die Fragenkette: Was passiert gerade? Was davon ist interessant? Was sollen wir tun? Dies sei der Traum, den die BI-Anwender schon seit langem träumten, sagt Bange. Nicht nur Erkenntnisse gewinnen, sondern direkt daraus auch Aktionen auslösen. Allerdings gelte es an dieser Stelle, den Maenschen herauszunehmen. Das geht zu langsam, meint Bange pragmatisch. "Künftig werden Maschinen entscheiden". Allerdings werde es nach wie vor der Mensch sein, der die Modelle dafür baut.

Carsten Bange, Geschäftsführer von BARC, rät den Anwendern, die klassischen BI-Systeme um operationale und explorative Funktionen zu ergänzen.
Foto: BARC

Um Innovation aus Daten zu generieren, müssten die Unternehmen in fachlicher Hinsicht die richtigen Use-Cases identifizieren. Das dürften sich die Unternehmen jedoch nicht zu einfach machen und lediglich neue Reporting Use Cases aufzustellen. Es gelte, Daten aus einzelnen Prozesssilos neu zu kombinieren und verstärkt neue sowie externe Datenquellen zu nutzen. In der Konsequenz bedeute dieser Ansatz aus Sicht des Barc-Geschäftsführers, die eigene BI-Strategie um eine Datenstrategie zu erweitern beziehungsweise diese darin einzubetten.

Use Cases zu entwickeln, damit täten sich viele Unternehmen schwer, stellt Bange fest. Schließlich stießen klassische, auf der Kreativität und Intelligenz der Mitarbeiter basierende Methoden mit Brainstorming und Design Thinking an dieser Aufgabe schnell an Grenzen. Daher empfehle sich neben der konzeptionellen Herangehensweise auch eine datengetriebene Herangehensweise. Bange spricht an dieser Stelle von "Smart Data Science".

BI ist mehr als nur Reporting

Innovative Ideen fallen einem nicht in den Schoß, ergänzt sein Barc-Kollege und Analytics-Spezialist Andreas Bitterer. BI werde in vielen Unternehmen immer noch zu sehr als Reporting verstanden, kritisiert er den mangelnden Innovationsgeist in vielen Organisationen. Die Verantwortlichen würden zwar eine BI-Strategie als geschäftskritisch bezeichnen, frage man jedoch nach Details, wie diese Strategie denn konkret aussehe, komme in den meisten Fällen nichts.

Erfolgversprechende Use Cases bestünden aus einem Vierklang, sagt Bitterer: Informationen nutzen, Entscheidungen unterstützen, Aktionen auslösen und positiven Einfluss heben. Den richtigen Ausgangpunkt von Daten und Kreativität zu finden, falle den Verantwortlichen in den Unternehmen jedoch schwer. Viele wüssten gar nicht, welche Daten sie haben, geschwiege denn, was sie damit anfangen sollen. Als Hilfestellung empfiehlt Bitterer einen Fragebogen, anhand dessen die Unternehmen ihre Daten, Technik, Skills und Organisation bewerten sollten. Der daraus resultierende Readiness Score helfe, die eigene Situation besser bewerten zu können. Beziehe man dann noch Aspekte wie Komplexität, Priorität und Zahl der Nutzer für potenzielle BI- und Datenprojekte mit ein, lasse sich zumindest ein erster grober Fahrplan entwickeln. Vorhaben mit einer hohen Business-Priorität, geringer Komplexität und großer Nutzerreichweite versprächen die besten Ergebnisse.

Modernes Datenmanagement für Analytics
Daten werden wichtiger
In fast drei Viertel aller Unternehmen basieren Entscheidungen heute schon auf Basis von Daten und Analysen.
Höhere Erwartungen
Die Erwartungen im Management und in den Fachabteilungen wachsen. Das sind die wesentlichen Treiber für die Veränderungen im Bereich Business Analytics.
Data Warehouse kommt nicht mit
Fast die Hälfte der Befragten moniert, dass sich die neuen Anforderungen in Sachen Analytics mit dem klassischen Data Warehouse nicht schnell genug umsetzen lassen.
Data Warehouse verändert sich
Angesichts der neuen Analytics-Anforderungen planen fast alle Unternehmen Veränderungen in ihrem Data Warehouse.
Weiter Weg zum passenden Datenmanagement
Die Integration heterogener Datenquellen und die Befähigung der Fachbereiche, selbständig Daten auszuwerten, sind die wichtigsten Themen im Datenmanagement. Aber es gibt noch einiges zu tun, bis das richtig umgesetzt ist.
Data Lakes und Sandboxes im Kommen
Während Data Marts und das zentrale Enterprise Data Warehouse gesetzt sind, richten sich die künftige Pläne mehr auf Data Lakes und Sandboxes - wohl um besser mit Daten experimenteiren zu können.
Vorhersagetechnik gefragt
Unternehmen werden in den nächsten Monaten und Jahren ihr Hauptaugenmerk vor allem auf Techniken für Predictive Analytics, Big Data und Hadoop richten.
Self-Service-BI für die Fachbereiche
Nur jedes 20. Unternehmen verbietet Self-Service-BI-Werkzeuge. Die Hälfte der Befragten gestattet den direkten Zugriff auf die operativen BI-Systeme.
Vorhersagen für bessere Geschäfte
Mit Predictive Abnalytics wollen die Unternehmen in erster Linie ihr Geschäft optimieren und ihre Kunden besser verstehen.
Finanzabteilung braucht Realtime-Analysen
Realtime-Analysen sind vor allem in der Finanzabteilung gefragt, aber auch in der Interaktion mit Kunden, um deren Verhalten rechtzeitig zu erkennen und schnell Maßnahmen einleiten zu können.
Hindernisse
Fehlende Ressourcen und die mangelnde Bereitschaft für Veränderungen sind dir größten Hemmnisse, eine neue Datenmanagement-Strategie im Unternehmen auf den Weg zu bringen.
Fachbereiche übernehmen BI-Verantwortung
Nach wie vor hat in Sachen BI meist die IT den Hut auf. Aber immerhin ist in fast jedem fünften Unternehmen BI organisatorisch in der Fachabteilung verankert.

Auch technisch stehen die Unternehmen vor neuen Herausforderungen. Sie müssten sich mit neuen Analysewerkzeugen auseinandersetzen - Stichwort Advanced Analytics. Im Daten-Management gehe es beispielsweise um Integration und die Einbindung von Streaming-Daten. Bange mahnt die Anwender jedoch davor, den Marketingversprechen der Anbieter vorschnell zu vertrauen. Zum Beispiel seien die heute viel diskutierten Data Lakes als Speicherdepot für polystrukturierte Daten keine Lösung. Unternehmen sollten vielmehr vorher überlegen, ob sie bereits an den Stellen Filter anlegen, an denen die Daten entstehen, und somit erst gar keine Datenseen anlegen müssen. Hier ist die Diskussion noch nicht zu Ende, sagt Bange und mahnt eine ehrliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Architekturansätzen an.

Auf organisatorischer Ebene benötigten die Unternehmen zusätzliche Skills, um Innovation aus den Daten zu gewinnen. Dafür müssten Domänenwissen, Analyse-Knowhow sowie Kenntnisse über die Daten zusammengeführt werden. Da diese Fähigkeiten selten in einer Person vereinigt zu finden seien, plädiert Bange für Analytics Teams. So lasse sich auch die in vielen Unternehmen vorhandene BI-Insel in die Gesamt-IT-Architektur einbinden. Davon könnten auch andere Abteilungen im Unternehmen profitieren. Beispielsweise sei Hadoop auch für die Archivablage interessant. Aus Sicht des Experten gibt es unterschiedliche Organisationsformen - wichtig sei nur, dass die verschiedenen Rollenmodelle wie beispielsweise Business-Analysten, Data-Artists, -Engineers und -Scientists hier ihren Platz haben. Das BI-Competence Center (BICC) könnte im Fachbereich oder in der IT aufgehängt sein. Eine weitere Alternative sei es, eine Art Data Lab als völlig unabhängige Einheit in der Unternehmensorganisation einzurichten.

Größte Herausforderung: Security

Im Zuge der wachsenden Bedeutung von Data Governance müsste im Zuge der organisatorischen Fragen auch Aspekte rund um Datenschutz und Datensicherheit geklärt werden, mahnt Bange unter Berufung auf eine eigene Big Data Umfrage. Das seien aus Sicht der Anwender mittlerweile die größten Herausforderungen. Banges Kollegin Jaqueline Bloemen moniert, dass es vielfach keine koordinierten Prozesse und definierten Verantwortlichkeiten gibt, und konkretisiert Mission und Aufgaben einer funktionierenden Data Governance:

Während Technik und Methoden rund um das Handling von Big Data stetig an Reife gewinnen, tun sich viele Unternehmen aber nach wie vor schwer, wirklich innovative Einsatzszenarien zu identifizieren. Das wurde einmal mehr im Rahmen des von BARC ausgerichteten "Best Practices Award 2015" deutlich. Viele Projekte in Sachen Business Intelligence, Analytics und Big Data drehen sich immer noch mehr oder weniger um das klassische Reporting und den Bau von Dashboards. Allerdings blitzen durchaus an der einen oder anderen Stellen bereits Ideen durch, was Unternehmen alles mit Daten anfangen können.

Neun Handlungsempfehlungen für das Datenmanagement
Managementunterstützung und Kulturwandel
Managementunterstützung und Kulturwandel sind wesentliche Merkmale datengetriebener Unternehmen. Die IT kann und ist nicht der Treiber, wohl aber möglicher Initiator und Wegbereiter für Business Analytics im Unternehmen.
Kultur ändern, Strukturen aufbrechen
Die Notwendigkeit zur strategischen Verankerung und Schaffung der Voraussetzungen zum Arbeiten mit Daten müssen dem Management bewusst werden. Fordern und fördern Sie entsprechende Aktionen zur Schaffung von Ressourcen, Änderung der Kultur sowie zum Aufweichen von Strukturen und Prozessen.
Roadmap entwickeln
Entwickeln Sie Ihre Roadmap unter Berücksichtigung der analytischen Anforderungen und bringen Sie diese zur Diskussion! Gehen Sie dabei wertorientiert vor, beginnend mit einfach umzusetzenden Use Cases (low hanging fruit).
Altlasten beseitigen
Nutzen Sie die analytischen Herausforderungen, um Altlasten zu beseitigen. Auf dem Weg hin zu einem flexiblen Framework für Daten und Analytik evaluieren Sie unter Berücksichtigung alternativer Architekturvarianten und Technologien neue Lösungsansätze.
Self-Service-BI integrieren
Integrieren Sie Self-Service-BI in Ihre Strategie und nutzen Sie dessen Vorteile, um clever und einfach schnelle Erfolge erzielen und Hemmnisse abbauen zu können! Machen Sie sich bewusst, in welchem Umfang und zu welchem Zweck Sie Self-Service-BI im Unternehmen nutzen wollen und berücksichtigen Sie dies entsprechend!
Mit Predictive Analytics loslegen
Ermöglichen Sie erste Predictive-Analytics-Projekte und zeigen Sie deren Mehrwert auf! Dienstleister bieten einen Einstieg und vermitteln Wissen während dem Aufbau erster Applikationen! Denken Sie über den Wert Ihrer Daten nach und beginnen Sie, zeitnah Daten für derartige Auswertungen zu sammeln! Hierfür bietet sich unter Umständen Hadoop an.
Cloud für Big Data
Nutzen Sie Cloud-Angebote, um erste Schritte in Richtung „Big Data“ zu machen und lernen Sie mit dem Projektfortschritt! Der Aufbau umfangreichen Wissens und einer On-premise Lösung kostet viel Zeit und Geld, die unter Umständen nicht vorhanden sind.
Heterogene Daten bändigen
Die Integration heterogener Daten ist laut Studienergebnisse der Hauptkritikpunkt am Datenmanagement. Dies bestätigt auch unsere Projekterfahrung. Testen Sie, ob Sie die gewünschte Datenverfügbarkeit herstellen können, ohne gleich komplexe Integrationsszenarien in einem DWH zu nutzen!
Fachbereiche einbinden
Seien Sie offen für alternative Möglichkeiten, wie die Verlagerung von Datenmanagementaufgaben in die Fachbereiche, dem Zugriff auf Quellsysteme oder einem Datenpool, wie dem Data Lake, der Daten nahe ihrem Rohdatenformat für Analysen vorhält!

So stattete Pascoe, ein Anbieter von pharmazeutischen Präparaten und der Award-Gewinner in der Kategorie Mittelstand, seinen Firmensitz vom Labor bis zur Kaffeeküche mit Displays aus, auf denen laufend aktuelle Geschäftskennzahlen angezeigt werden. Ein Farb-Code macht auf einen Blick deutlich, an welchen Stellen ein Eingreifen erforderlich ist. "BI soll das Unternehmen durchdringen", sagte der kaufmännische Leiter Andre Ratz. "Jeder Mitarbeiter soll seinen Beitrag zum Geschäftserfolg sehen."

"Reise durch das Wunderland BI"

Thomas Zeutschler, verantwortlich für das Analytics Center of Excellence bei Henkel und Gewinner des Best Practices-Awards in der Konzern-Kategorie, sprach im Zusammenhang mit seinem Analytics-Projekt schmunzelnd von einer "Reise durch das Wunderland BI". Der Manager räumte ein, seine BI-Strategie mit konventionellen Methoden nicht ins Fliegen gebracht zu haben. Als dann auch noch das Budget weg war, machte Zeutschler aus der Not eine Tugend und baute mit seinem Team auf Sharepoint-Basis ein einfaches Self-Service-BI-Werkzeug. Dieses "Personalized BI" entwickelte sich seinen Angaben zufolge zu einem Selbstläufer. Die Mitarbeiter übertrafen sich gegenseitig darin, neue Dashboards und Analysen zu bauen, so dass Zeutschler, wie er selbst sagt, im Grunde überflüssig wurde.

Diese Beispiele machen deutlich, dass sich die Anwenderunternehmen - auch wenn wirklich geschäftsumwälzende Innovationen derzeit noch eher die Ausnahme sind - durchaus darüber Gedanken machen, wie sie mehr aus ihren Daten machen können. Bange ermunterte die Verantwortlichen gerade im Hinblick auf die Auswirkungen der Digitalisierung sowie den daraus resultierenden Daten, damit weiterzumachen. Seiner Einschätzung nach gibt es in diesem Umfeld keine Alternative, als die eigenen Analytics-Anstrengungen weiter zu forcieren, denn: "Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden."