Gründerszene

Berlin - auf dem Weg zur Startup-Metropole

17.11.2011 von Lothar Lochmaier
Die bunt gefächerte Szene der IT- und Internet-Startups in Berlin hat sich deutlich belebt. Die Unternehmenskulturen sind international - und die Geschäftsmodelle meistens professionell.
Foto: Imants O./shutterstock

Dass die Bundeshauptstadt ein Ort ist, aus dem erfolgreiche IT- und Internet-Unternehmen für den Weltmarkt hervorgehen, zeigt das Beispiel Zanox . Der Spezialist für Performance Advertising hat sich seit der Gründung im Jahr 2000 zum europäischen Marktführer entwickelt. International sorgen 650 Mitarbeiter in zwölf Ländern für ein Werbenetzwerk mit über 70 Millionen Transaktionen im vergangenen Jahr.

Christian Kleinsorge, Zanox: "Für unsere Internationalsierung ist Berlin der beste Standort."
Foto: Zanox

Was in der mittlerweile mehr als zehnjährigen Erfolgsgeschichte dem Standortfaktor Berlin zuzuschreiben ist, beschreibt Christian Kleinsorge, Chief Sales Officer von Zanox: "In den Anfangsjahren haben wir vom Sonderstatus Berlins profitiert, einem attraktiven Standort mit riesigem Einzugsgebiet und wenig Konkurrenz am Arbeitsmarkt."

Letzteres hat sich geändert: Derzeit sind bei Zanox alleine in Berlin 60 neue Stellen zu besetzen. Das Unternehmen konkurriert mittlerweile mit vielen innovativen Startups. "Dennoch sind wir uns sicher, dass es für unseren Weg der Internationalisierung keinen besseren Standort geben kann als Berlin", sagt Kleinsorge.

Die Zahl der Neugründungen wächst rasant. Die neuen Helden heißen Wooga, Soundcloud oder Research Gate . "Keine andere Stadt in der Welt bietet eine derart einmalige Atmosphäre bei gleichzeitig so geringen Lebenshaltungskosten. Es herrscht eine mutige Aufbruchsstimmung", schwärmt Sina Kamala Kaufmann. Sie ist Sprecherin von Wooga, einem Entwickler von Social Games.

Das Unternehmen ist einer der Kandidaten aus der deutschen Startup-Szene, die auf dem Radarschirm der großen Kapitalgeber aus den USA oder Großbritannien aufgetaucht sind. Innerhalb von nur zwei Jahren hat der Anfang 2009 in Berlin gegründete Spezialist für Social Gaming sich via Facebook auf den zweiten Platz vorgearbeitet und liegt dort hinter Marktführer Zynga.

Party-Präsenz reicht nicht

Über konkrete Geschäftszahlen schweigt sich das Wooga-Management aus. In Europa liegt der Anbieter aber längst auf dem ersten Platz. Als eindeutiges Indiz für die rosigen Zukunftsperspektiven mag gelten, dass Wooga mit seinen derzeit 100 Mitarbeitern bereits mehr als 20 Millionen Euro Risikokapital bei namhaften Investoren einsammeln konnte.

"Nicht nur die Idee spielt eine große Rolle, sondern die konsequente und leidenschaftliche Ausführung", sagt Kaufmann, die eine fortschreitende Professionalisierung in der Szene bemerkt. Es reiche nicht mehr aus, sich auf diversen Gründerpartys zu tummeln und mit einer Idee hausieren zu gehen. Der Fokus liege heute viel mehr auf der Umsetzung, an der es intensiv zu arbeiten gelte.

Wichtig ist aber auch der stetige Zufluss von Fachpersonal und frischem Know-how. Wooga stellte derzeit jede Woche zwei Spezialisten ein. Besonders gefragt sind Entwickler, Java- und Flash-Spezialisten, Backend-Optimierer sowie Game- und Art-Designer. "Die Hälfte unserer neuen Mitarbeiter, die aus über 20 Nationen kommen, zieht wegen uns nach Berlin - sogar aus so attraktiven Städten wie Barcelona", freut sich Kaufmann. Die Hauptstadt habe sich zu einem Anziehungspunkt für Kreative aus der ganzen Welt entwickelt und biete die perfekte Mischung für Gründung, Technologie und Spieleentwicklung.

Startups 2011
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Über AirBnB können Privatpersonen ihre Zimmer vermieten...
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...das Angebot ist aktuell durchaus ansprechend.
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Zite ist ein digitales Magazine für Apples iPad.
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Flipboard ist ein weiteres digitales Magazin - Nutzer können es mit Diensten wie Twitter, Facebook oder Google reader verknüpfen.
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Die Kategorie-Auswahl für Flipboard.
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Indiegogo ist eine Plattform, mit der Künstler und angehende Unternehmer Geld für Projekte sammeln können.
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Kickstarter ist eine andere Plattform für Crowdfunding.
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Quora ist eine Plattform für Fragen und Antworten, die besonders durch hochwertige Nutzer glänzt.....
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.... selbst Fragen, die bei anderen Plattformen höchstens Trolle anlocken, werden dort fundiert beantwortet.
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Ein Teamspace in Sococo - die App ist wie ein herkömmliches Büro aufgebaut.
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Über die Anwendung kann man auch Apps mit anderen Nutzern teilen.
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Foodspotting nutzt die Position des Nutzers, um Fotos der Menüs von Restaurants in der Umgebung anzuzeigen.
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Meal Snap arbeitet ähnlich - ist aber für das iPhone beschränkt.
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Square verwandelt iOS und Android-Geräte in Terminals für Kreditkarten.
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Zielgruppe sind vor allem kleinere Unternehmen, die einen genauen Überblick über verkauften Posten haben möchten.

Es geht auch ohne die Dickschiffe

Die Kritiker dieses neuen Hypes um die Startup-Landschaft in der Hauptstadt geben zu bedenken: Es mangele an einer lebendigen Mixtur aus modernen Hochschulen, einer leistungsfähigen vernetzten Wirtschaft sowie einer großen Bandbreite an Firmen und Zulieferern.

Die zahlreichen Freunde der neuen Leitkultur ficht das freilich nicht an. Mit Blick auf neue Geschäftsmodelle im Internet scheint es auch ohne eine Art von "Daimler-Biotop" zu gehen.

Zu den interessantesten Vertretern aus Berlins kleinem Silicon Valley gehört Research Gate. Das von drei Forschern aus Boston entwickelte Konzept strebt als soziales Netzwerk für Wissenschaftler nach einer weltweiten Führungsrolle. Es ist ein Aushängeschild der neuen Internationalität. Warum die Wahl ausgerechnet auf die deutsche Hauptstadt fiel, beschreibt Geschäftsführer Ijad Madisch so: "Als wir das Investment von Benchmark und Accel Partners aus dem Silicon Valley erhielten, haben wir zusammen mit den Investoren die Wahl des neuen Research-Gate-Standorts diskutiert. Zur Wahl standen San Francisco und Berlin. Wir haben uns für Deutschland entschieden; Berlin ist ein internationaler Standort und auch für Mitarbeiter sehr attraktiv."

Ijad Madisch, Research Gate: "Wir erhielten als erste Deutsche ein Investment aus dem Silicon Valley."
Foto: Research Gate

Research Gate ist alles andere als ein Copy Cat. "Wir haben als erstes deutsches Startup ein Investment aus dem Silicon Valley erhalten", so Madisch weiter. Zwar stelle die große Entfernung zu den Investoren gelegentlich ein Problem dar. Jedoch rücke Berlin mehr und mehr in die Aufmerksamkeit internationaler Investoren, insbesondere der Technologieszene. "Das ist eine sehr spannende Entwicklung", bilanziert der Unternehmenslenker.

Auch in Skandinavien steht die Hauptstadt hoch im Kurs. Ein Beispiel ist Soundcloud, eine Plattform für Musiker und Fans. Soundcloud möchte sich als Sammelstelle in der musikalischen Kreativlandschaft einen Namen machen, als "Youtube für die Audioszene". Gegründet wurde das Unternehmen von den beiden Schweden Alexander Ljung und Eric Wahlforss. Auch hier liegt die unternehmerische Messlatte weit über dem nationalen Durchschnitt.

Potsdam ergänzt die Metropole

Kaum zu übersehen ist, dass sich im Schatten der Hauptstadt auch das benachbarte Potsdam als feste Größe etabliert hat. Dort befindet sich schließlich nicht nur das Hasso-Plattner-Institut, sondern auch das Investment-Geschäft des SAP-Gründers.

Alexander Swoboda, Chief Financial Officer beim IT-Dienstleister Facton, ist begeisterter Potsdamer. Die Stadt biete viel Lebensqualität, außerdem sei man in 30 Minuten mit der S-Bahn im Zentrum von Berlin. Sein Unternehmen, dessen Sitz in Potsdam ist, entwickelt für namhafte Kunden aus der Industrie professionelle Softwarelösungen zur Kostenoptimierung.

Swoboda schätzt am kleineren Nachbarn der Hauptstadt die ruhigere Seite, "wie zum Beispiel eine Seenlandschaft, die man sonst nur aus dem Urlaub kennt". Aber auch bei der Ansiedlung neuer Unternehmen habe die Region gute Arbeit geleistet. So sei es gelungen, mit der Ansiedelung von Hasso Plattner Ventures und dem Hasso-Plattner-Institut einen massiven "Spill-over Effekt" auszulösen. Für gute Impulse sorgt auch die Universität Potsdam mit ihrem mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig und dem Hasso-Plattner-Institut für IT-Systems Engineering als An-Institut.

Impulse für die Potsdamer und Berliner Kreativszene ergeben sich auch durch die Medienstadt Babelsberg, die nach der Wende mit großem Aufwand errichtet wurde. Neben dem Studio Babelsberg befinden sich hier die Filmnachwuchs ausbildende Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" sowie Produktionsfirmen, Agenturen und kleinere Medienunternehmen für Film und Fernsehen.

Professionelle Gründerszene

Parallel zur gestiegenen Aufmerksamkeit der internationalen Investorenriege reifen auch die Strukturen weiter heran. "Berlin strebt eine Rolle als das neue Zentrum für Internet-basierende Geschäftsmodelle in Europa an, das in den nächsten fünf Jahren bis zu 100 neue Internet-Millionäre hervorbringen kann", behauptet Lukasz Gadowski, Gründer von Spreadshirt und Partner bei Team Europe Ventures.

Was für Außenstehende bisher reichlich unrealistisch klang, lässt sich mittlerweile durch neue Deals erhärten. So kooperiert der Berliner Kapitalgeber Team Europe Ventures seit kurzem mit den Hasso Plattner Ventures in Potsdam. Rund 20 Millionen Euro stehen für gemeinsame neue Online-Projekte bereit. Mit dem Spiele- und Hardwareanbieter Hitfox ist neben bekannten lokalen Größen wie Sponsor Pay das nächste illustre Unternehmen bereits auf dem Vormarsch.

So setzt sich allmählich auch in der konventionellen Ökonomie die Erkenntnis durch, dass es sich lohnen kann, in der Hauptstadt mehr als nur einen Urlaubskoffer präsent zu haben. "Berlin bietet die am schnellsten wachsende Internet-Startup-Szene Europas bei niedrigen Lebens- und Lohnkosten. Gleichzeitig zieht die Stadt zahlreiche junge High Potentials an, die unternehmerisch arbeiten wollen", bringt Janis Zech, Mitgründer und Chief Revenue Officer bei der Social-Advertising- Plattform Sponsor Pay, die Vorteile auf den Punkt.

Universitäten könnten mehr tun

Janis Zech, Sponsor Pay: "Berlin bietet die am schnellsten wachsende Internet-Gründerszene."
Foto: Sponsor Pay

Vieles spricht laut Zech dafür, dass Berlin sich in den nächsten Jahren zu einem maßgeblichen Cluster für den IT-Sektor nicht nur in Europa weiterentwickeln wird. Bis dahin aber gelte es noch einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen. "Deutsche Universitäten haben noch viel nachzuholen, vor allem in der Unterstützung von Spinoffs", gibt Ijad Madisch von Research Gate zu bedenken.

Impulse könnten hier möglicherweise von Googles neu gegründetem Institut für Internet und Gesellschaft ausgehen. Es handelt sich um eine vom Suchmaschinenkonzern unabhängig aufgestellte Einrichtung, die Forschung für alle zugänglich machen und dabei helfen soll, Startups anzuschieben. Natürlich hat diese Gründung Irritationen bei Kritikern hervorgerufen, die Google als Datenkrake sehen und grundsätzlich misstrauisch sind. Das ändert aber wohl nichts daran, dass das Institut der Startup-Szene weiter Auftrieb geben wird. Neben Google engagieren sich auch andere bekannte Kreativunternehmen aus der IT-Branche - zumindest vorübergehend - in der Hauptstadt. Sie wollen von der Aufbruchstimmung vor Ort profitieren.

Dabei gibt es inzwischen auch manche hochfliegende Pläne, die in der Szene eher kritisch beäugt werden, etwa das noch immer in der Betaphase befindliche Leuchtturmprojekt "Amen" des deutschen Twitter-Pioniers Florian Weber (http://amenhq.com).

Die Macher hatten es als völlig neuartiges Portal für starke Meinungstrends angekündigt. Internationale Kapitalgeber wie Index Ventures sollen hier eingestiegen sein. Vom Gerücht über ambitionierte Pläne bis hin zur erfolgreichen Etablierung verläuft indes bei dieser neuen Generation von Internet-Startups der Weg nicht immer geradlinig.

Das Interview mit Max Senges, Koordinator für externe Kooperationen bei Google zur Gründung des neuen Forschungszentrums lesen Sie hier