KI in der Praxis

Best Practice für den erfolgreichen KI-Einsatz

06.08.2019 von Holger Hornik
Künstliche Intelligenz ist mehr als Marketing. Doch wie schafft sie es vom Hype zum produktiven Einsatz? Hier lesen Sie ein Beispiel, wie der KI-Einsatz in der Praxis aussehen kann.

Jeden Tag erscheinen neue Anwendungsfälle von Künstlicher Intelligenz – im Kundenservice, in der Medizintechnik und in nahezu jeder anderen Branche. KI scheint endlich greifbar, machbar und bereit zum Einsatz. Doch ist ein noch so smarter Use Case auch ein guter Business Case? Schafft der KI-Einsatz wirklich Mehrwert für Unternehmen? Im Folgenden stelle ich dar, wie sich in kurzer Zeit und mit überschaubarem Einsatz eine Antwort auf diese Fragen finden lässt.

Auch beim Thema Künstliche Intelligenz gilt: Klein anfangen, früh Erfolge erzielen und dann wachsen.
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Pragmatisches Vorgehen gewinnt

Der erste Schritt zum Business Case besteht in iterativem Vorgehen zwischen Unternehmensführung und Fachbereichen. Alle beteiligten Entscheider müssen über einen homogenen Kenntnisstand verfügen, etwa darüber, wie kognitive Systeme grundsätzlich funktionieren, was sie leisten können und was nicht, und wie diese Systeme im Kontext der Digitalisierung zu bewerten sind. Die Parteien im Unternehmen sprechen miteinander, finden gemeinsam Optimierungspotenziale.

Um potenzielle Einsatzmöglichkeiten zu finden, sollten sich Entscheider zunächst fragen, in welchen Unternehmensbereichen KI sinnvoll einzusetzen ist – wo also Automatisierung und Mustererkennung Vorteile versprechen – und wo man KI einsetzen will, insofern der Einsatz mit den Zielen und der Strategie eines Unternehmens einhergeht.

Sodann sind die möglichen Auswirkungen zu prüfen: „Sollten wir KI einsetzen?“ Wenn etwa ein Unternehmen sich die persönliche Kundenbetreuung vor Ort oder Nahbarkeit auf die Fahnen geschrieben hat, sollte es den Einsatz von KI im direkten Kundenkontakt kritisch hinterfragen. Zuletzt geht es in dieser ersten Phase darum, einen Bewertungsrahmen festzulegen: Welche Fehlertoleranz sollte für diesen KI-Einsatz gelten? Welche Kosten sind veranschlagt und wo liegt der Break-Even?

Betriebsrat und Datenschutzbeauftragte früh einbinden

Neben Fachbereichen, IT und Unternehmensführung ist es bereits in dieser frühen Phase ratsam, Betriebsrat und Datenschutzbeauftragte zu involvieren. So lassen sich spätere Überraschungen bei der Einführung des Projekts bestmöglich vermeiden. Insbesondere in Bezug auf die Datenschutzgrundverordnung müssen von Anfang an Rahmenbedingungen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten berücksichtigt werden, sofern diese für die Einsatzszenarien relevant sind.

Ein starker Indikator für die Auswahl eines Use Case stellt das vorhandene Daten-Fundament dar. Stehen ausreichend Informationen in entsprechender Güte zur Verfügung oder müssen Diese noch ermittelt werden. Ebenso sollte der auszuwählende Use Case einen echten Mehrwert für ein Unternehmen bieten und „machbar“ sein. Durch ein agiles Projektvorgehen wird frühzeitig die Machbarkeit geprüft und im gegebenen Fall ein „Fail Fast“ sichergestellt.

Praxis-Beispiel: Individueller News-Brief

Die Portfoliomanager eines großen deutschen Rückversicherers sollen stets über die Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft informiert sein, um Chancen und Risiken zu erkennen. Dazu suchten bisher Menschen täglich im Internet nach News und stellten sie von Hand zusammen, um sie als News-Mail den Portfoliomanagern zuzuschicken. Dies war nicht nur zeitintensiv, sondern auch oft so allgemein, dass die Manager selten die News lasen.

In einem Design-Thinking-Workshop entwickelte der Rückversicherer dann ein neues Einsatzszenario für KI. Die Teilnehmer untersuchten den bisherigen Prozess und entdeckten, dass die nötigen Nachrichten von Reuters und der DPA auch per News-Feed angeboten werden. Diese Feeds können Webcrawler automatisch verarbeiten – ein menschliches Eingreifen ist nicht mehr nötig. So entwickelten wir gemeinsam mit dem Rückversicherer eine „künstliche Intelligenz“ in Form eines Annotators, der die News durchsucht und ordnet, etwa nach Orten, nach Relevanz für eine bestimmte Business Unit des Rückversicherers, nach Zuordnung zu einem Portfolio. Ein E-Mail-Client verschickt dann die zusammengestellten News individuell und zielgruppengerecht. Der Aufwand war überschaubar, die Zeit- und Kostenersparnis dagegen enorm.

Fachbereiche stärken

In einem KI-Projekt treten neue Akteure auf den Plan. KI-Anwendungen basieren auf dem trainierten Wissen der Mitarbeiter, daher sind Fachabteilungen besonders wichtig beim Einsatz von KI-Lösungen. In einem Chatbot-Projekt etwa dient die IT-Abteilung zur Bereitstellung von Daten und auch zur Integration in die Systemlandschaft. Doch es sind die Fachbereiche, die Struktur und den Fluss der Dialoge eines Chatbots definieren, während ein Datenkurator die Dialogerstellung entwickelt, pflegt und verantwortet. Der Testmanager organisiert das Training, den End-User-Test und gegebenenfalls das Crowd Testing.

Mit diesem Setup wird der ausgewählte Use Case als autarker Prototyp umgesetzt und rasch Erfahrung im Umgang mit KI gesammelt. Die zu verwendende Technologie ist zweitrangig und zumeist kein Alleinstellungsmerkmal mehr, da eine Vielzahl an Softwareprodukten (Open Source und Distribution) mit einer großen Auswahl an Möglichkeiten zur Verfügung stehen.

Fazit: So wird KI zum Business Case

KI ist verlockend. Doch als erfolgreicher Business Case kann sie nur gelten, wenn sie mehr Geld erwirtschaftet, als sie kostet – und dazu müssen mehrere Faktoren zusammenkommen: Der Einsatzbereich sollte klein, übersichtlich und die Rahmenbedingungen gut definiert sein, die Stakeholder im Unternehmen sollten sich einig sein, was erreicht werden soll und das KI-Projekt sollte klein beginnen, früh Erfolge erzielen und dann wachsen. Mit einem unrealistischen, aber fantasievollen Projekt ist niemandem geholfen – es existieren ausreichend überschaubare Einsatzszenarien, die sich wirklich lohnen können. KI ist also kein Traum mehr, wenn Unternehmen wach handeln.