Überzeugt und aufmüpfig

Blog "Netzpolitik" sorgt für Wirbel um NSA-Untersuchungsausschuss

17.10.2014
Die Blogger von "Netzpolitik.org" sind überzeugt und aufmüpfig. Beim NSA-Untersuchungsausschuss spielt das kleine Blog eine große Rolle.

Geht es um den NSA-Untersuchungsausschuss, bleibt vieles geheim. Zeugen werden zum Teil hinter verschlossenen Türen befragt, Unterlagen sind oft als geheim eingestuft oder stark geschwärzt. Dennoch kamen brisante Informationen an die Öffentlichkeit, es ging um die Zusammenarbeit des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) mit der NSA. Daraufhin ermahnte das Kanzleramt die Abgeordneten im NSA-Ausschuss schriftlich. Sie sollten die Vertraulichkeit der Dokumente sichern, die der Ausschuss erhält. Besonders erwähnt wurden in dem Schreiben Medienberichte des "Spiegels", der "Süddeutschen Zeitung" und von "Netzpolitik.org".

Es ist eine interessante Reihe: "Spiegel" und "Süddeutsche" gelten als Bollwerke im deutschen Investigativ-Journalismus. "Netzpolitik" ist ein Blog, das mit zweieinhalb festen Autoren-Stellen in einer Berliner Dachgeschosswohnung erstellt wird.

Doch die Blogger von "Netzpolitik" sind mit Internetaktivisten und Experten bestens vernetzt. Es gebe ein riesiges Netzwerk aus Kontakten, sagt Gründer Markus Beckedahl. "Jeder unterschätzt uns, wenn man uns nur auf diese zweieinhalb Personen oder nur auf meine Person reduziert." Neben Beckedahl sind die hauptamtlichen Schreiber Andre Meister sowie Anna Biselli mit einer halben Stelle, dazu kommen eine Handvoll weiterer Autoren.

Beckedahl begann als einer der ersten, die politischen Debatten rund um das Internet öffentlich zu notieren. "Netzpolitik.org hat diese Themen zu einer Zeit aufgegriffen, als sie für andere Medien noch unter dem Radar waren", sagt Falk Steiner, der eng mit digitalen Themen vertraut ist und als Korrespondent im Hauptstadtstudio des Deutschlandfunk arbeitet.

Beckedahl sagt, er wolle "möglichst alles abdecken, was es da draußen rund um Netzpolitik gibt". Das Blog solle eine Brücke zwischen Nerds und Netznutzern schlagen. Datenschutz, Urheberrecht, Überwachung oder Netzsperren gehören zu den Themen.

Die Lehren aus der NSA-Affäre
Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Es geht nicht mehr um das Ausspähen der Gegenwart, sondern um einen Einblick in die Zukunft. Das ist der Kern von Prism. Präsident Obama hat schon recht, wenn er sagt, die von Prism gesammelten Daten seien doch für sich genommen recht harmlos. Er verschweigt freilich, dass sich daraus statistische Vorhersagen gewinnen lassen, die viel tiefere, sensiblere Einblicke gewähren. Wenn uns nun der Staat verdächtigt, nicht für das was wir getan haben, sondern für das was wir – durch Big Data vorhersagt – in der Zukunft tun werden, dann drohen wir einen Grundwert zu verlieren, der weit über die informationelle Selbstbestimmung hinausgeht."
Prof. Dr. Gunter Dueck, Autor und ehemaliger CTO bei IBM
"Ich glaube, die NSA-Unsicherheitsproblematik ist so ungeheuer übergroß, dass wir uns dann lieber doch gar keine Gedanken darum machen wollen, so wie auch nicht um unser ewiges Leben. Das Problem ist übermächtig. Wir sind so klein. Wir haben Angst, uns damit zu befassen, weil genau das zu einer irrsinnig großen Angst führen müsste. Wir haben, um es mit meinem Wort zu sagen, Überangst."
Oliver Peters, Analyst, Experton Group AG
"Lange Zeit sah es so aus, als würden sich die CEOs der großen Diensteanbieter im Internet leise knurrend in ihr Schicksal fügen und den Kampf gegen die Maulkörbe der NSA nur vor Geheimgerichten ausfechten. [...] Insbesondere in Branchen, die große Mengen sensibler Daten von Kunden verwalten, wäre ein Bekanntwerden der Nutzung eines amerikanischen Dienstanbieters der Reputation abträglich. [...] Für die deutschen IT-Dienstleister ist dies eine Chance, mit dem Standort Deutschland sowie hohen Sicherheits- und Datenschutzstandards zu werben."
Dr. Wieland Alge, General Manager, Barracuda Networks
"Die Forderung nach einem deutschen Google oder der öffentlich finanzierten einheimischen Cloud hieße den Bock zum Gärtner zu machen. Denn die meisten Organisationen und Personen müssen sich vor der NSA kaum fürchten. Es sind die Behörden und datengierigen Institutionen in unserer allernächsten Umgebung, die mit unseren Daten mehr anfangen könnten. Die Wahrheit ist: es gibt nur eine Organisation, der wir ganz vertrauen können. Nur eine, deren Interesse es ist, Privatsphäre und Integrität unserer eigenen und der uns anvertrauten Daten zu schützen - nämlich die eigene Organisation. Es liegt an uns, geeignete Schritte zu ergreifen, um uns selber zu schützen. Das ist nicht kompliziert, aber es erfordert einen klaren Willen und Sorgfalt."
James Staten, Analyst, Forrester Research
"Wir denken, dass die US-Cloud-Provider durch die NSA-Enthüllungen bis 2016 rund 180 Milliarden Dollar weniger verdienen werden. [...] Es ist naiv und gefährlich, zu glauben, dass die NSA-Aktionen einzigartig sind. Fast jede entwickelte Nation auf dem Planeten betreibt einen ähnlichen Aufklärungsdienst [...] So gibt es beispielsweise in Deutschland die G 10-Kommission, die ohne richterliche Weisung Telekommunikationsdaten überwachen darf."
Benedikt Heintel, IT Security Consultant, Altran
"Der Skandal um die Spähprogramme hat die Akzeptanz der ausgelagerten Datenverarbeitung insbesondere in den USA aber auch in Deutschland gebremst und für mehr Skepsis gesorgt. Bislang gibt es noch keinen Hinweis darauf, dass bundesdeutsche Geheimdienste deutsche IT-Dienstleister ausspäht, jedoch kann ich nicht ausschließen, dass ausländische Geheimdienste deutsche Firmen anzapfen."
Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Die NSA profitiert von ihren Datenanalysen, für die sie nun am Pranger steht, deutlich weniger als andere US-Sicherheitsbehörden, über die zurzeit niemand redet. Das sind vor allem die Bundespolizei FBI und die Drogenfahnder von der DEA. [...] Es gibt in der NSA eine starke Fraktion, die erkennt, dass der Kurs der aggressiven Datenspionage mittelfristig die USA als informationstechnologische Macht schwächt. Insbesondere auch die NSA selbst."
Aladin Antic, CIO, KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplationen e.V.
"Eine der Lehren muss sein, dass es Datensicherheit nicht mal nebenbei gibt. Ein mehrstufiges Konzept und die Einrichtung zuständiger Stellen bzw. einer entsprechenden Organisation sind unabdingbar. [...] Generell werden im Bereich der schützenswerten Daten in Zukunft vermehrt andere Gesichtspunkte als heute eine Rolle spielen. Insbesondere die Zugriffssicherheit und risikoadjustierte Speicherkonzepte werden über den Erfolg von Anbietern von IT- Dienstleistern entscheiden. Dies gilt auch für die eingesetzte Software z.B. für die Verschlüsselung. Hier besteht für nationale Anbieter eine echte Chance."
ein nicht genannter IT-Verantwortliche einer großen deutschen Online-Versicherung
"Bei uns muss keiner mehr seine Cloud-Konzepte aus der Schublade holen, um sie dem Vorstand vorzulegen. Er kann sie direkt im Papierkorb entsorgen."

Den NSA-Untersuchungsausschuss verfolgt "Netzpolitik" besonders intensiv. In mühsamer Arbeit erstellt Autor Andre Meister Protokolle der stundenlangen Zeugenaussagen. Eine Live-Übertragung gibt es nicht, Aufnahmen sind verboten. Meisters Mitschriften bieten einen der wenigen Wege für Außenstehende, die Befragungen im Detail zu verfolgen. "Netzpolitik" veröffentlichte die vertraulichen Regeln, die der BND für Befragungen vor dem Ausschuss vorgibt.

Außerdem berichtete das Blog über die Sorge des BND, dass der Untersuchungsausschuss die Arbeit der BND-Abteilung zur Technischen Aufklärung besonders genau prüfen würde. Dazu veröffentlichte "Netzpolitik" einen Ausriss des entsprechenden internen BND-Protokolls. Es waren diese beiden Berichte des Blogs, die Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) in seinem Brief an die Ausschussmitglieder anprangerte.

Die Reaktion der Blogger: Sie veröffentlichten auch den Brief von Altmaier im Wortlaut. "Uns liegen nicht nur Dokumente vor. Wir veröffentlichen sie auch", verkündeten sie selbstbewusst. Man werde sich nicht einschüchtern lassen und weiter berichten. Gleichzeitig bat die Redaktion um Spenden. Diese Spenden finanzieren etwa zwei Drittel der Arbeit von "Netzpolitik", sagt Beckedahl. Denn obwohl das Blog etwa eine Million Leser pro Monat habe, klappte eine Finanzierung über Werbung bisher nicht. Die Agentur Newthinking, die "Netzpolitik" betreibt, verdient unter anderem Geld mit der Organisation von Veranstaltungen.

Die Blogger streiten oft mit Nachdruck und Fachwissen für ihre Überzeugungen. Auch im politischen Berlin wird die Seite verfolgt. Die Inhalte seinen "immer sehr relevant", sagt der FPD-Netzpolitiker Manuel Höferlin. Er wünscht sich allerdings mehr Ausgewogenheit bei dem Blog, dessen politische Ausrichtung er bei den Grünen verortet. "Das würde die Seite noch interessanter machen." Es sei einfach, Politik aus Netzsicht zu kritisieren, sagt er. Doch diese Kritik sei manchmal überzogen. (dpa/tc)