Der Wunsch kam auch von unten, nicht nur top down, heißt es bei Bosch. Mitarbeiter hätten nach neuen Arbeitsformen gefragt, die ihnen das Zusammenarbeiten erleichtern könnten. Technologien standen dabei zunächst nicht im Vordergrund, sondern die Bedingungen, unter denen die Beschäftigten in einer schnellen, globalen und vernetzten Welt kooperieren können.
"Wir sind davon überzeugt, dass mobile und anwenderfreundliche Computerarbeitsplätze die Zusammenarbeit unserer Mitarbeiter vereinfachen", sagt Bosch-CIO Elmar Pritsch. "Deswegen haben wir das Projekt 'Next Generation Workplace' begonnen".
Das Vorhaben mit dem stolzen Volumen von 800 Millionen Euro begann Bosch schon 2013. "Das Timing war optimal, weil bereits zwei Jahre später die Themen Vernetzung, Flexibilität und Geschwindigkeit in der Industrie eine starke Rolle eingenommen haben", sagt Pritsch, der 2013 zu Bosch kam und Anfang 2015 zum Konzern-CIO aufstieg.
Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut
Zunächst befragte Bosch 400 Mitarbeiter danach, wie sie sich den Arbeitsplatz der Zukunft vorstellten. Dafür sicherte sich der Konzern die Unterstützung des ebenfalls in Stuttgart ansässigen Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), das dabei half, die Umfrage zu konzeptionieren, auszuführen und auszuwerten.
Das Ergebnis der 400 Use Cases lag nun nicht darin, die nächste Version einer Software aufzuspielen. Vielmehr lauteten die zentralen Schlagworte: Mobilität, Flexibilität und Geschwindigkeit.
Kein Ärger mehr mit verschiedenen Versionen von Dokumenten
Heute sehen die Arbeitsplatzmodelle anders aus als vor zwei Jahren. Damals gab es beispielsweise immer mal wieder Ärger mit den Versionen von Dokumenten. Im Zweifel entscheiden sich Mitarbeiter eher für veraltete Versionen - ein Problem, das keinem Unternehmen fremd sein dürfte. Heute liegt in vielen Fällen nur noch eine zentrale Version auf dem Sharepoint-Server, wo sie automatisch synchronisiert und aktualisiert wird.
Nicht nur das bedeutet eine enorme Erleichterung, sagt Pritsch. "Mitarbeiter können parallel am selben Dokument arbeiten, ohne dass das gesamte Dokument gesperrt ist. Das ist ein enormer Effizienzvorteil." Auch lassen sich mittlerweile Videokonferenzen auf Knopfdruck starten. Egal, wo in der Welt sich Mitarbeiter gerade aufhalten, können sie sich zuschalten.
Microsoft liefert die Basis
Die technische Basis für den Arbeitsplatz der Zukunft lieferte Microsoft. Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut hatte Bosch zuvor den Anbietermarkt evaluiert und sich dann entschieden. Seitdem rollt Bosch Office 2013, Outlook, Skype für Business sowie OneNote und Sharepoint aus.
Das Office-Paket kommt jedoch nicht aus der Public Cloud, sondern läuft im Unternehmen. "Die Software betreiben wir in einer Private Cloud in unseren eigenen Rechenzentren, die in den Zeitzonen verteilt stehen. Bosch hat mit 360.000 Mitarbeitern die Größe, um die Lösungen selbst zu betreiben", begründet Pritsch die Entscheidung.
10 Use Cases definiert
Um den Mitarbeitern die Möglichkeiten des neuen IT-Arbeitsplatzes zu veranschaulichen, hat die IT zehn Anwendungsbeispiele, sogenannte Use Cases, definiert, mit denen die Mitarbeiter ihren Arbeitsalltag produktiver gestalten können. Darüber hinaus werden für bestimmte Funktionen und Rollen eigene Anwendungsbeispiele generiert.
Solch eine Rolle gibt es jetzt beispielsweise im Sekretariatsumfeld. Früher übermittelten in der Konzernzentrale Stuttgart-Schillerhöhe Büromitarbeiter von Vorständen, Bereichsvorständen und Abteilungsleitern ihre Dokumente und Akten per E-Mail oder sogar auf Papier an andere Kollegen.
Nachdem die Zusammenarbeit der Sekretariate mit ihren Leitungsfunktionen neu aufgestellt wurde, gibt es diese indirekte Kommunikation nicht mehr. Viel Papier drucken die Mitarbeiter auch nicht mehr aus, weil jetzt alle am Originaldokument gleichzeitig arbeiten können.
"Die Qualität ist höher, die Abläufe sind effizienter, und die Geschwindigkeit steigt", fasst Pritsch zusammen. Bevor der Rollout des Next Generation Workplace begann, startete die IT-Organisation Pilotprojekte.
Dafür stattete sie beispielsweise eine ganze Etage mit 100 Nutzern so aus, dass flexibles und mobiles Arbeiten in der neuen Form möglich wurde. Nicht nur die technische Ausrüstung am Arbeitsplatz, auch die Gestaltung des Arbeitsumfeldes wurde angepasst. Das reichte von offen gestalteten Arbeitsumgebungen bis hin zum übergreifenden Projekt "Inspiring Working Conditions".
In dessen Rahmen beschäftigt sich Bosch mit Konzepten für die Arbeitswelt von morgen. Neben flexiblen Arbeitszeitmodellen und -formen wie etwa Home Office oder mobiles Arbeiten von unterwegs zählt auch der Arbeitsplatz selbst dazu. Dafür liefert das Projekt "Next Generation Workplace" die technische Grundlage.
Um das zu ermöglichen, arbeitete die IT eng mit der Personalabteilung und dem Betriebsrat zusammen, wie Pritsch berichtet. Ergebnis war eine Rahmenbetriebsvereinbarung, die flexibles Arbeiten weiter vereinfachen soll.
Zentrale Rolle für das Change Management
Der Arbeitsplatz der Zukunft sowie die Inspiring Working Conditions verfolgen jedoch noch ein weiteres gemeinsames Ziel: Bosch will damit junge Talente für sich gewinnen. Denn die fragen heute weniger nach dem Firmenwagen, ihre Kriterien lauten vielmehr: Mit welchen Methoden wird gearbeitet? Welche Freiräume habe ich? Kann ich mobil arbeiten? Und wie wird das alles unterstützt? Doch während neue Technologien und Arbeitsweisen für junge Talente und Absolventen verlockend sind, können sie bei altgedienten Mitarbeitern auf Vorbehalte stoßen. Deswegen kommt dem Change-Management eine zentrale Rolle zu.
"Im Projekt bildet Change eine eigene Säule neben Technologie und Rollout", betont Pritsch. So gibt es in den Fachabteilungen jeweils Experten und Multiplikatoren, die den Mitarbeitern nach der Einführung helfen. Aber auch schon davor erhalten die Mitarbeiter Informationen über den anstehenden Rollout und die künftigen Prozesse. Darüber hinaus kann sich jeder selbst noch weiter informieren und Projektbegleiter fragen.
Deswegen kommen zu den 500 Projektmitarbeitern in der Kernmannschaft noch einmal mehr als 500 unterstützende Mitarbeiter in den Fachabteilungen hinzu. "Insgesamt kommen wir auf über 1000 Mitarbeiter, um den globalen Rollout bestmöglich unterstützen zu können", erklärt Pritsch.
Hürden für zögerliche Mitarbeiter sinken
Selbst zögerliche Mitarbeiter ließen sich mit den neuen Technologien abholen. Für viele sei es beispielsweise attraktiv, als One-Note-Benutzer mit einem Stift handschriftlich Kommentare in Dokumente schreiben zu können. Durch die intuitive Bedienung und Nutzerfreundlichkeit der Technik seien die Hürden kleiner geworden, und die weltweite Zusammenarbeit habe sich deutlich verbessert, sagt Pritsch.
Damit der Funke noch besser überspringt, hat die IT auch einige Videos gedreht, in denen inspirierende Tipps und Tricks zu sehen sind. "Das wird sehr gut angenommen. Das ist eine andere Form, Wissen zu vermitteln", so Pritsch.
Generell sieht der CIO den Wechsel auf gutem Wege: "Ein Problem gäbe es nur, wenn eine neue Lösung nicht überzeugen würde - dann können Sorgen und Ängste entstehen. Oder man versäumt es, den einen oder anderen mit ins Boot zu holen."
Doch auch das Informieren und Schulen läuft anders ab als früher. Heute geschieht das über eine interne Plattform, wo Nutzer ihre Erfahrungen austauschen und Projektmitarbeiter ihnen zur Seite stehen. "Es ist nicht mehr so, dass man sich nach dem Rollout mit 30 Leuten in einem Raum versammelt, sie schult und am Ende ein Zertifikat vergibt", erläutert Pritsch.
Bosch | Lessons Learned |
1. Immer den Nutzer in den Mittelpunkt aller Überlegungen stellen. 2. Den richtigen Partner für das Projekt auswählen. 3. Nicht zu viele Arbeitsplatzrollen festlegen, sonst hat man wieder zu viel Komplexität eingebaut. 4. Wenn die IT ein Produkt ausliefert, das ihr aus den Händen gerissen wird, motiviert das ein Projektteam ganz besonders. 5. Probleme können nur entstehen, wenn eine neue Lösung nicht über- zeugt. Dann kommen Sorgen und Ängste auf. Oder man versäumt es, jeden Mitarbeiter gut genug abzuholen. |
Die IT habe über alle Kanäle mit den Anwendern kommuniziert, um sie zu begleiten und von den Vorteilen der neuen Lösung zu überzeugen. Der Dialog läuft auch im Social Business Network "Bosch Connect", wo Wikis, Foren und Blogs zur Verfügung stehen.
Seit dem Launch im September 2013 nutzen 185.000 Mitarbeiter die Plattform in derzeit rund 26.000 Communities. Von diesen Anwendern wiederum arbeiten an einem typischen Arbeitstag bis zu 65.000 mit Bosch Connect. So kommt es täglich zu mehreren Millionen aktiven Aufrufen.
Aufbruch ins vernetzte Arbeiten
Pritsch selbst bedient sich der Social Plattform ebenfalls regelmäßig zu Kommunikationszwecken. "Das muss ich schon aus Eigeninteresse machen, weil die Standorte global verteilt sind", sagt der CIO. Die Bosch-Gruppe umfasst gut 440 Tochter- und Regionalgesellschaften in rund 60 Ländern. "Und wir lernen viel dabei, wie wir diese neue Transparenz nutzen können", ergänzt er. "Alle spüren, dass wir in eine neue Form des vernetzten Arbeitens aufbrechen."
Der Arbeitsplatz der Zukunft helfe den Mitarbeitern, diesen Aufbruch mitzugestalten. So sollen bis Ende dieses Jahres konzernweit 100.000 Arbeitsplätze ausgerollt sein, allein in diesem Oktober werden 90 Standorte parallel ausgestattet. Bis zum Projektabschluss Ende 2016 sollen schließlich 240.000 Arbeitsplätze ausgerollt sein. Ende 2016 soll dann auch der Kassensturz erfolgen.
800 Millionen Projektkosten über fünf Jahre
Die 800 Millionen Euro Projektkosten verteilen sich über fünf Jahre und fließen vor allem in Lizenzen, den Rollout, die Begleitung der Einführung mit Trainings und Schulungen sowie den Betriebsaufwand. Allein die deutlich höhere Geschwindigkeit beim Verteilen von Informationen und das gemeinsame Arbeiten an gleichen Unterlagen erzeugen laut Pritsch enorme Vorteile.
"Bei zurzeit rund 240.000 Arbeitsplätzen gehen die Ersparnisse schnell in Millionenbeträge", meint der IT-Chef. "Wir sind fest davon überzeugt, dass der RoI vorliegt. Nach den Investitionsberechnungen machen wir ein höchst rentables Projekt."
Mobiles Services für Mitarbeiter werden zunehmen
Letztlich wird das Vorhaben aber über 2016 hinaus weitergehen. Zwar weiß auch CIO Pritsch heute nicht, wie man 2025 arbeiten wird. Allerdings dürfte der Arbeitsort seltener das stationäre Büro und häufiger der aktuelle Aufenthaltsort des jeweiligen Mitarbeiters sein. Auch werde es statt fester Teams immer mehr Arbeitsgruppen geben, die sich nach Bedarf organisieren.
Deshalb geht Pritsch davon aus, dass Bosch sein mobiles Angebot stark ausweiten wird, so dass viele Dinge über mobile Endgeräte erledigt werden können. In dem Fall müssten allerdings auch die Sicherheitskonzepte angepasst werden. "Wir werden darüber nachdenken, einen sicheren mobilen Zugang zum Corporate Network aufzubauen", erläutert Pritsch.
"Das Standbein Internet öffnen wir nicht"
Stand heute managt den technischen Arbeitsplatz bei Bosch die interne IT, es gibt keine offenen Geräte, auf die jemand seine Software installieren kann. Auch haben Mitarbeiter mit einem privaten Gerät keinen Zugriff auf das Bosch-Netz. Entweder arbeiten sie mit vom Unternehmen gestellten Geräten oder über Containerlösungen für Mobile Devices. "Das Standbein Internet öffnen wir nicht. Es gibt nur kontrollierte Übergänge innerhalb des Bosch-Netzes", betont Pritsch.
Lösungen für das vernetzte Leben
Strategisches Ziel von Bosch sind Lösungen für das vernetzte Leben. Lösungen gibt es bei Bosch zum Beispiel für Städte, Industrie, Mobilität und Gebäude. "Wir vernetzen aber nicht nur die Produkte, sondern auch die Mitarbeiter. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die neuen Softwarelösungen", erläutert Pritsch.
Um diese zu entwickeln, müssten Mitarbeiter anders arbeiten: Gemeinsam an einem Produkt und nicht mehr in Silos und Hierarchien. "Dafür haben wir alle Leute an Bord, und mit dem Arbeitsplatz der Zukunft bekommen wir sie auch zusammen."