User-Konferenz lockt Gäste aus aller Welt

Celonis stellt Prozessmanagement in Realtime in Aussicht

09.04.2019 von Heinrich Vaske
Den Traum vom Realtime-Enterprise will das Münchner Startup Celonis seinen Kunden erfüllen. Rund 1000 Kunden erfuhren auf der ersten User-Konferenz des Process-Mining-Spezialisten, wie sie ihre Geschäftsprozesse End-to-End überwachen und steuern können.
  • Wer an Amazon, Netflix oder Uber heranreichen will, braucht eine Realtime-Steuerung der Geschäftsprozesse
  • Celonis begrüßt BMW-CIO Klaus Straub als Keynotespeaker
  • Gründer führen aus, wie Process Mining in der Intelligent Business Cloud funktionieren soll
Drei Männer und ihr Baby: Die Celonis-Gründer Bastian Nominacher, Martin Klenk und Alexander Rinke (v.l.n.r.) glauben an die Perspektiven von Process Mining.

Startups, deren Wert auf über eine Milliarde Dollar taxiert wird - sogenannte Einhörner (Unicorns) - gibt es in Deutschland nicht viele. Celonis, gegründet 2011 von Alexander Rinke, Martin Klenk und Bastian Nominacher, gehört zu diesem illustren Kreis, nachdem die US-Investoren Accel Partners und 83North im vergangenen Jahr ihr Engagement kräftig ausbauten. Die Kundenliste ist stattlich, sie enthält Namen wie Siemens, BMW, 3M, Airbus, Vodafone, Zalando, Uber, Merck, Shell, Telekom und andere.

Die Idee der Gründer ist schnell erklärt, aber nicht so einfach umgesetzt: Unternehmen sollen ihre Geschäftsprozesse Ende zu Ende und über verschiedene Softwaresysteme hinweg kontrollieren und monitoren können. Abweichungen vom Idealzustand gilt es schnellstmöglich zu erkennen und zu beseitigen. "Wir wollen Innovation-Leader sein", sagte Rinke vor den rund 1000 Besuchern der Konferenz "Celosphere". Er verwies auf inzwischen elf Patente oder Patenteinreichungen, die das Unternehmen verzeichne.

Die Informationsbasis: Ereignisprotokolle aus IT-Systemen

Das für die Prozessverbesserung benötigte Wissen wird aus den Ereignisprotokollen extrahiert, die Informationssysteme in Form von Log-Dateien bereitstellen. Process-Mining lässt sich damit nicht nur für übliche Geschäftsprozesse wie Purchase-to-Pay, Order-to-Cash oder Kundenservice nutzen, sondern für alle Abläufe in Fertigung, Vertrieb, Logistik, Buchhaltung, IT-Service-Management etc. Dabei kommen spezialisierte Algorithmen zum Einsatz, mit denen sich Trends, Muster und Details darüber ermitteln lassen, wie ein Prozess abläuft.

In seiner Eröffnungsrede sagte Rinke, wir lebten im "Zeitalter der Disruption", die Erwartungen von Kunden und Konsumenten seien dramatisch gestiegen. Reaktionszeiten wie sie Amazon, Google, Netflix oder Uber bieten könnten, seien auch für alteingesessene Firmen zum Maßstab geworden. Veränderungen und Innovationen müssten in immer kürzeren Zyklen umgesetzt werden können - eine Herausforderung, die mit über Jahre gewachsenen, "siloartigen Business-Architekturen" nur schwer zu bewältigen sei.

Vor allem Traditionsunternehmen leiden laut Rinke unter schlechten Prozessen. Das führe dazu, dass Mitarbeiter Aufgaben umständlich oder doppelt erledigten, mit Workarounds arbeiteten und manchmal sogar unnötig ihre Ellbogen einsetzen müssten, um ihre Arbeit getan zu bekommen. Umfragen zeigten, dass Produktivität und Performance vor diesem Hintergrund seit Jahren nur noch geringfügig vorankämen. Rinke rief die Vision eines "Superfluid Enterprise" aus.

Celonis gewinnt Deutschen Innovationspreis 2019

Neben Airbus (Kategorie: Großunternehmen) und Blickfeld (Startups) hat auch Celonis den Deutschen Innovationspreis 2019 gewonnen - in der Kategorie Mittelständische Unternehmen. Die Münchner wurden für ihre Grundlagentechnologie geehrt, die die Lücke zwischen traditioneller, modellbasierter Prozessanalyse und datenzentrischen Analysetechniken wie Data Mining schließe. Mit der Software ließen sich komplette Geschäftsprozesse visualisieren und Probleme in den Abläufen aufdecken. Die Jury des bereits zum zehnten Mal von WirtschaftsWoche, Accenture und EnBW verliehenen Preises würdigte, dass Celonis Werkzeuge mit "Breitenwirkung" entwickele.

Gartner erwartet den Digital Twin für Unternehmen

Wenn es für alles einen digitalen Zwilling gibt, warum dann nicht auch für Unternehmen? Diese Frage stellte Marc Kerremans, Research Director bei Gartner.

Assistiert wurde ihm von Gartners Research Director Marc Kerremans, der zunächst ausführte, dass die meisten Unternehmen (70 Prozent nach Angaben von deren Geschäftsführern), die Ziele von Business-Transformationsprojekten nicht erreichten. Das liege auch daran, dass sich auf dem C-Level immer noch zu wenige Topmanager mit Geschäftsprozessen beschäftigen wollten, während Innovationen, neue Produkte oder Differenzierung größte Aufmerksamkeit genössen.

Kerremans nahm die Idee des Superfluid Enterprise auf und entwarf die Idee eines "Digital Twin für Organisationen". Dieser müsse viele verschiedene Sichten auf die Unternehmensprozesse ermöglichen: Ein Finanzmanager blicke anders auf den Betrieb als ein Produktions- oder Marketingchef. Der Gartner-Mann schlug vor, ein mit Realtime-Daten verknüpftes "Operational Model" zu entwickeln und zu pflegen. Wie in einem Navigationssystem könne man dann nachvollziehen, wie sich Veränderungen am Produkt, im Channel oder bei den eingesetzten Ressourcen auswirken werden.

Großkunde BMW skizziert Erfahrungen mit Celonis

Weniger abgehoben schilderte BMW-CIO Klaus Straub, Deutschlands CIO der Dekade, seine konkreten Erfahrungen mit Process Mining. "Celonis hilft uns dabei, Mauern einzureißen. Wir arbeiten seit 2016 mit denen zusammen, waren einer der ersten Kunden. Und wir sind wohl auch der Kunde, der Use Cases und Piloten wirklich in der gesamten Organisation umsetzt." BMW habe Process Mining auch tief im Produktionsbereich implementiert, beispielsweise in den Lackierereien oder im Karosseriebau.

Klaus Straub, CIO von BMW, erzählte von seinen Erfahrungen mit Process Mining. Wie immer ist Software allein nicht die Lösung.

Straub sprach offen über die typischen Probleme eines großen Konzerns wie BMW. Die IT-Systeme seien über viele Jahre hinweg nach Organisations- und Abteilungsstrukturen implementiert worden, nicht Ende zu Ende entlang der Prozessketten. "In einigen Bereichen, zum Beispiel Procure to Cash, haben wir das inzwischen geändert, aber noch nicht überall." Es gebe in einigen Organisationbereichen auch heute noch Prozesse, die den Effektivitäts- und Effizienzzielen im Wege stünden. Mit Process Mining gelinge es aber nach und nach, Transparenz, Visualisierung und auch das Benchmarking zwischen den eigenen Werken und mit denen der Wettbewerber auf ein höheres Level zu heben.

"Heute haben wir schon rund 50 Einsatzbeispiele im Unternehmen, die Mehrheit ist implementiert und live." Die Herausforderung besteht laut Straub darin, lokal umgesetzte Use Cases über die gesamte Organisation auszurollen. "Wir haben zum Beispiel Celonis in unserer Lackiererei in Regensburg installiert, aber wir betreiben weltweit 26 Lackierwerke. Die Aufgabe ist erst dann erledigt, wenn Process Mining an allen Lokationen auf einem einheitlichen, hohen Level implementiert ist - und das ist das Hauptproblem." Wolle BMW hier in großen Schritten vorankommen, sei es wichtig, ein "Wissens-Netzwerk unter den Mitarbeitern in allen Lackierereien" zu schaffen. Ein ständiger Ideenaustausch hierzu sei elementar.

Tiefe Einblicke in Prozessdetails

BMW nutzt Celonis auch im Karosseriebau. Man könne es tatsächlich für jeden Prozess einsetzen, für den ein oder mehrere IT-Systeme implementiert seien, so Straub. "Es entsteht eine übergreifende Prozesstransparenz in Echtzeit." BMW sei eine durch Kennzahlen gesteuerte Organisation, Straub nannte ein Beispiel: "Bei uns gibt es klare Regeln, wie lange ein Auto in der Nachbearbeitung sein darf. Celonis hat uns gezeigt, dass nicht immer genau dokumentiert wurde, wann ein Auto diese Area wieder verlässt. Wir haben also gesehen, dass wir hier ein Problem haben."

Beim Autobauer befassen sich laut Straub rund 20 Mitarbeiter mit dem Process Mining. Vielfach werde die Software auch dezentral von bestimmten Business Units eingesetzt. "In einem großen Unternehmen Transparenz durchzusetzen, ist nicht immer einfach", sagte der CIO, es gebe immer auch divergierende Ideen und Interessen. Dennoch gehen die Münchner in großen Schritten voran und nutzen Process Mining sowohl in der Verwaltung als auch in der Produktion. "Wichtig ist es, Knowledge-Networks aufzubauen, um den Change hinzubekommen" mahnte Straub. Man wolle die gesamte Organisation in eine prozessorientierte, optimierte Ordnung bringen.

Meilenstein für Celonis: die Intelligent Business Cloud

Celonis-Mitgründer Rinke nutzte die User-Konferenz, um die Ende vergangenen Jahres vorgestellte "Intelligent Business Cloud" (IBC) zu präsentieren. In den Unternehmen hätten sich Best-of-Breed-Softwarelandschaften durchgesetzt. Produkte von SAP, Salesforce, ServiceNow und Oracle kämen für verschiedene Aufgaben zum Einsatz. "Aber jetzt nähern wir uns einer durchdigitalisierten Welt, wo zum Beispiel Sensoren die Produktion verbessern. Software-Roboter setzen sich durch, sie sind nicht Teile der Kernsysteme, aber sie reden mit ihnen. APIs, über die wir Systeme erweitern können, gewinnen an Gewicht, und immer mehr Microservice entstehen", so der Celonis-Mann.

Sein wichtigstes Anliegen auf der User-Konferenz ist die neue "Intelligent Business Cloud", das jüngste Angebot von Celonis: Alexander Rinke, Mitgründer.

Seine nicht ganz uneigennützige Quintessenz: "Wir brauchen einen Layer, der oben drüber liegt und Ende zu Ende analysiert, was in den Prozessen vor sich geht. Dieser Layer muss uns Prozesskontrolle in Realtime garantieren. Das wollen wir anbieten. Wir nennen das Enterprise Performance Acceleration."

Die größte Hürde beim Process Mining bestehe darin, an die Daten zu gelangen und diese ins System hineinzubekommen. Hier habe Celonis mit der IBC einen großen Schritt getan, indem man die Funktion "Event Connection" geschaffen habe. Sie stelle alle die Konnektoren in der Cloud zur Verfügung, die Celonis im Laufe der Jahre gemeinsam mit den Kunden entwickelt hat. Hinzu kommt ein Appstore, der eine wachsende Zahl an Apps zur Verfügung stellt, um Prozessdetails zu verbessern, Analysefunktionen zu integrieren oder anderweitige Hilfemittel bereitzustellen.

Großkunde Uber analysiert eine Milliarde Datensätze

"Wir haben bereits nach einem halben Jahr Tausende User von über 250 verschiedenen Kunden auf der IBC live. Allein Uber analysiert dort über eine Milliarde Datensätze. Wir haben außerdem seit der Eröffnung bereits über 4000 neue Features deployed", so Rinke. Als Cloud-Infrastrukturanbieter hätten die Kunden die Wahl zwischen Amazon Web Services und Microsoft Azure. Community-Unterstützung und Hilfe-Services seien in die Cloud integriert.

Rinke sprach zum Schluss noch ein heikles Thema an: "Unsere Kunden fragen sich, wie sie von den "Insights zur Action" kommen. Mit der Process-Mining-Software ließen sich eine Menge operativer Friktionen in einer Organisation erkennen, aber letztendlich gehe es ja darum, die Organisation zu verbessern. Zu diesem Zweck setzt das Startup auf seine im Betastadium befindlichen "Performance-Accelerator"-Produkte, die auf dem sogenannten Open Application Framework aufsetzen. Sie umfassen die Funktionen Action Engine, Workflows und Machine Learning Workbench.

Insights sind gut, Handlungsempfehlungen sind besser

Erst 2011 gegründet, blickten die Celonis-Gründer doch bereits zurück: Martin Klenk, Alexander Rinke und Bastian Nominacher (v.l.n.r.)

Die Action Engine ist eine Art Empfehlungsfunktion, die Signale an Menschen oder Automatisierungswerkzeuge aussendet, wie Aufgaben in einem Prozess einfacher oder besser gelöst werden können. Dazu müssen Unternehmen sogenannte Skills hinterlegen, die auf Geschäftsregeln oder Machine-Learning-Algorithmen beruhen. Mit der Worklow-Engine können Business-Analysten ohne codieren zu müssen Prozessschritte anordnen und Abläufe siloübergreifend verknüpfen. Im Lieferumfang für die Automatisierung übergreifender Workflows gibt es Templates für Kernsysteme wie SAP, Oracle, Salesforce, ServiceNow, Jira, etc. Diese Funktion ist in der Action Engine integriert.

Das Open Application Framework schließlich stellt eine Entwicklungsumgebung bereit, die es erlaubt Anwendungen zur Verbesserung von Prozessen nach Best-Practice-Vorlagen zu entwickeln. Celonis kündigte auf der Celosphere außerdem die Übernahme von Banyas an, um das besonders herausfordernde Realtime Process Mining in SAP-Umgebungen bewältigen zu können. Kunden sollen damit ihre SAP-Prozesse in Echzeit überwachen und schnelle Maßnahmen einleiten können, um nachgelagerte Probleme zu vermeiden oder Chancen zu nutzen.