Young Leaders

Chef ohne Fachwissen?

Kommentar  von Johannes  Thönnessen
Wenn jemand Talent zum Führen hat, dann soll er schnell Führungsaufgaben übernehmen. Ist so ein Chef eine gute Idee?

Sollte man Führungstalenten den Umweg über eine Bewährung in Fachfunktionen ersparen? Das ist ein Vorschlag des Präsidenten einer "Leadership Academy": Führung wird als Profession begriffen. Die Argumentation: Es hat sich nicht bewährt, Experten zu Führungskräften zu machen. Bereits in jungen Jahren soll entdeckt werden, wer die Neigung zur Führung verspürt und das notwendige Talent dazu hat. Wobei Neigung wichtiger ist als Eignung, denn sie kann durch Weiterbildung oder andere Qualifizierungsmaßnahmen verbessert werden.

Chef ohne Fach-Knowhow - eine gute Idee?
Foto: Brian A Jackson - shutterstock.com

Es wird vor allem geprüft, ob jemand "den inneren Wunsch zur Übernahme von Führung" verspürt und nicht lediglich aus Geld- oder Statusgründen eine Führungslaufbahn anstrebt. Kann er dies glaubhaft machen, schaut man sich seine Kompetenzen an. Diese klingen heutzutage so:

Das ist ein klarer Anforderungskatalog, die entsprechende Ausbildung erhalten die "Young Leaders" im Rahmen des Masterstudiengangs International Managament Studies an der Europa-Universität Flensburg. Es spricht nichts dagegen, dass solche Kompetenzen schon an der Universität vermittelt werden. Aber sollen die so ausgebildeten Menschen Projekte leiten, ohne zuvor die notwendige Fachkenntnis erworben, beziehungsweise fachliche Erfahrungen gesammelt zu haben?

Young Leaders: Neigung vs. Eignung

Mal auf die Spitze getrieben: Da leitet ein Young Leader ein kleines Bau- oder Forschungsprojekt mit Experten oder ein (kleines) Team von Pharma-Vertretern, ohne je selbst im Außendienst gearbeitet zu haben? Oder er leitet ein Organisationsentwicklungsprojekt an einer Leadership Academy, ohne je selbst als Dozent gearbeitet zu haben? Vermutlich ist all das nicht ganz so ernst gemeint. Aber leider gibt es Branchen, in denen tatsächlich Menschen ohne entsprechende fachliche Erfahrung auf andere "losgelassen werden". Ich denke da vor allem an Lehrer, die bereits in jungen Jahren noch jüngere Menschen unterrichten. Ich habe noch nie verstanden, warum die Anwärter nicht erst einmal einer fachlichen Tätigkeit nachkommen müssen. Auch die Einstellung, dass Neigung wichtiger sei als Eignung, halte ich für seltsam. Würden Sie jemandem empfehlen, der eine große Neigung zur Musik verspürt, aber nicht sonderlich musikalisch ist, ein Musikstudium zu beginnen?

Klar, ich kenne diese moderne Variante von "Folge deinen Leidenschaften, dann schaffst du alles!" Dennoch sehe ich es genau anders herum: Wem es an Skills mangelt, der wird kaum erfolgreich sein. Eine Neigung kann sich durchaus mit dem Erfolg entwickeln. Ich habe Leute getroffen, die bestimmte Aufgaben nicht übernehmen wollten, aber nach den ersten positiven Erfahrungen Gefallen daran gefunden haben. Bleibt die Frage mit der Führung als Profession: Ist tatsächlich anzunehmen, dass eines Tages auf einem Abschlusszertifikat nicht "Ingenieur", "Psychologe" oder "Jurist", sondern "Young Leader" steht?

Weitere Informationen rund um das Thema Management und Führung - inklusive eines Newsletters - stellt Personalprofi Johannes Thönnessen Interessenten auf seiner Webseite zur Verfügung. (mp/fm)