Automation-Furcht

Cloud-Architekten haben Angst zu automatisieren

Kommentar  von David Linthicum
Automatisierung ist nicht nur in Sachen Cloud-Architektur ein Segen. Dennoch zögern viele Cloud-Architekten, sie zu nutzen. Wovor haben sie Angst?
Cloud-Architekten sollten dringend ihre Automation-Ängste überwinden, appelliert unser Autor.
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Automatisierung ist nichts Neues - kommt aber erst seit relativ kurzer Zeit auch zum Einsatz, wenn es um Cloud Computing geht. Die Grundidee ist allerdings die gleiche: Aufgaben zu automatisieren, die bislang manuell übernommen wurden. In Zusammenhang mit der Cloud könnte sich das beispielsweise manifestieren in:

Ich betone schon seit einigen Jahren die Bedeutung der Automatisierung in Sachen Cloud Computing - spüre aber immer wieder eine zögerliche Haltung, wenn es darum geht, Cloud Deployments zu automatisieren. Es scheint sich um ein systemisches Problem zu handeln, das zu suboptimalen Cloud-Implementierungen führen kann. Außerdem verpassen Unternehmen die Chance, einen sichereren und transparenteren Cloud-Betrieb zu etablieren.

Ein selbstfahrendes Auto ist meiner Meinung nach an dieser Stelle die beste Analogie: Wenn man hinter dem Steuer sitzt, kann es speziell anfangs beängstigend sein, wenn sich das Fahrzeug selbst durch komplexe Situationen manövriert. Bei höheren Geschwindigkeiten mache ich mir immer noch Sorgen, kurzfristig an einem Telefonmasten zu enden.

Cloud-Automatisierungsangst: Verständlich und unangebracht

Fakt ist jedoch: Von einigen Ausnahmen abgesehen, werden automatisierte Tasks in der Regel zuverlässiger erfüllt als solche, die manuell von Menschen übernommen werden. Um beim Beispiel des autonomen Autos zu bleiben: Die Dinger sind mit Hunderten von Sensoren bestückt, die einen 360-Grad-Blick auf die Umgebung werfen und dabei alle relevanten Metriken (Geschwindigkeit, Motorstatus, Reifendruck, etc.) im Blick behalten. Das ist weit mehr, als Sie und ich je leisten könnten. Davon abgesehen liegt die Reaktionszeit der Künstlichen Intelligenz bei nahezu Null und es ist ausgeschlossen, dass sie übermüdet, betrunken oder aggressiv fährt.

(Nicht nur) In diesem Fall müssen wir einsehen, dass unsere menschlichen Fähigkeiten da nicht mithalten können. Wir haben zwar Fahrerfahrung und können unseren Kopf drehen. Im Gegensatz zu (korrekt konfigurierten) Automatisierungssystemen fehlt uns aber das perfekte Verständnis für aktuelle und historische Daten und die Folgen, die daraus erwachsen.

Dass ich wie eingangs bemerkt dennoch ab und zu befürchte, von der KI in den Tod gelenkt zu werden, liegt einfach daran, dass es menschlich ist, sich bei mangelnden Kontrollmöglichkeiten in kritischen Situationen unwohl zu fühlen. Dasselbe Prinzip greift, wenn es darum geht, Cloud-Implementierungen zu automatisieren: Diejenigen, die die Entscheidung treffen, Security, Operations oder FinOps zu automatisieren, fühlen sich unwohl damit, dass kritische Prozesse autonom ablaufen.

Das ist meines Erachtens verständlich: Letzten Endes ist die Automatisierung nichts anderes als ein Vertrauensvorschuss für automatisierte Systeme - in der Hoffnung, dass diese besser funktionieren werden als Menschen. Wenn bei der Konfiguration der Automatisierungssysteme Fehler unterlaufen, kann allerdings massiver Schaden entstehen. Die Alternative sollte allerdings keine sein: Wenn Cloud-Architekten auf Automatisierung verzichten, lassen sie sich die Möglichkeit entgehen, ihre Cloud-Systeme effizienter und kostengünstiger zu betreiben - von der Entlastung der Fachkräfte ganz zu schweigen.

Um es klar zu sagen: Wenn Sie nicht nach Möglichkeiten suchen, in Sachen Cloud aktiv zu automatisieren, haben Sie den Sinn und Zweck des Einsatzes Cloud-basierter Systeme nicht verstanden. Wir müssen danach streben, unsere Fähigkeiten zu erweitern - auch wenn sich das unnatürlich oder beängstigend anfühlt. (fm)

Virtueller Round Table "Intelligent Automation"
Markoss Martina, ABBYY
„Oftmals wurde durch Automatisierung ein zu erwirtschaftender Wert versprochen. Weil die Umsetzung nicht konsequent erfolgte, wurde das Ergebnis aber nicht erreicht. Darunter hat die Automatisierung ein wenig gelitten. Man muss durch Process Discovery die richtigen Use-Cases finden, durch Fachkräfte und die Einbindung unterschiedlicher Fachbereiche die Lösung aufbauen und implementieren und dann durch eine starke Ausnutzung der Vorteile sicherstellen, dass die vereinbarten Ziele auch realisiert werden. Das wäre ein kritischer Erfolgsfaktor für eine intelligente Automatisierung.“
Gerd Plewka, Blue Prism
„Es geht nicht nur darum, mit Automatisierung bestehende Prozesse zu optimieren. Firmen müssen mittelfristig einen Baukasten von Werkzeugen haben, mit dem sie neue Prozesse umsetzen können. Sei es mit intelligenter Automatisierung (gerne als „as-a-Service“) oder auch, dass Teile der Prozesse outgesourced werden. In dem Moment, wo neue Prozesse angedacht werden oder Prozesse neu gestaltet werden, sollte Automatisierung ein Baustein sein, der selbstverständlich bei der Neugestaltung hilft. Diese Sichtweise muss weiter nach oben getragen werden.“
Dr. Marie-Luise Menzel, Lufthansa Industry Solutions
„Im Change-Management wird Automatisierung gerne so dargestellt, als müsse man nur einmal auf den Berg klettern und dann hat man es geschafft. Das ist leider nicht so: Automatisierung ist ein Marathonlauf, ein kontinuierliches Thema, welches jedes Unternehmen bis in die ferne Zukunft begleiten wird. Häufig werden in Unternehmen momentan auch sehr komplexe Prozesse mit einem großen Anteil von mündlich vereinbarten Regeln gelebt. Für eine Automatisierung muss man dann aber stark in eine etablierte Struktur eingreifen: standardisieren und formalisieren. Wenn einzelne kleine Automatisierungs-Piloten schon loslaufen, um informale Prozesse für sich zu schärfen und sich auf Standards einigen, dann ist das ein ziemlich guter Input, um auf der großen Unternehmensebene eine Automatisierungsstrategie erfolgreicher zu machen.“
Dr. Gregor Scheithauer, metafinanz
„Wir beobachten, dass Standardprozesse zum großen Teil bereits automatisiert sind. Für den nächsten Automatisierungssprung müssen wir zwei Herausforderungen angehen: Prozessautomatisierungen müssen resilienter werden. Die Maschinen sollen auch auf ungenaue, unerwartete oder unvollständige Eingaben reagieren, um Unterbrechungen zu vermeiden. Zweitens: Unternehmen sollten ihre Prozesse grundsätzlich neu und anders denken. Ganz im Sinne einer schöpferischen Zerstörung. Intelligente Automatisierung heißt, Prozesse aus der Perspektive der Kund:innen zu denken und auf völlig neue Möglichkeiten zu setzen.“
Frank Steinhoff, Microsoft
„Technologie ist Mittel zum Zweck, um Unternehmen standhafter zu machen und die Menschen besser arbeiten zu lassen. Neben Produktivität und Effizienz hat das auch mit der Fähigkeit der Menschen zu tun, also Ausbildung und Training. Oft wird vergessen, Menschen bei Veränderungen zu begleiten. Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig, sich mit Menschen, Kulturen und Organisationen intensiv zu beschäftigen, bevor man neue technologische Ansätze nutzt.“
Chris Karagiannis, NICE
„Sobald ein neues System kommt, ist die Automatisierung mit RPA obsolet und muss, im besten Fall, grundlegend angepasst werden. Von daher ist RPA als Werkzeug eigentlich das letzte Mittel, das man einsetzen sollte. Vor allem wenn man die Möglichkeit hat, ein bestehendes System für die eigenen Zwecke zu optimieren, und damit die Automation in erster Linie als Assistenz für den Mitarbeiter, über alle Prozesse einsetzen zu können. Das ist für mich der Königsweg. Von daher sollte die Zuständigkeit für die Automation auch beim CDO liegen. Er hat den Überblick darüber, was in den nächsten Jahren passieren wird, und weiß, für welche Lücken tatsächlich, eine Automation vor allem aber welche Art der Automation sinnvoll wäre.“
Cosima von Kries, Nintex
„Viele machen Automatisierung, damit automatisiert ist. Das ist aber nicht die Lösung, denn Mitarbeitende machen ein und denselben Prozess ja nicht gleich. Für mich liegt die Intelligenz einer Intelligent Automation bereits in der Ermittlung von automatisierbaren Prozessen. Eine KI kann sehr gut erkennen, nach welchem Schema Prozesse ablaufen, bis zu welchem Grad sie sich automatisieren lassen und welche Zeitersparnis eine Automatisierung bringen würde. Da aber auch DSGVO, Security, Compliance und Dokumentation eine Rolle spielen, reden wir bei Intelligent Automation nie von heut auf morgen.“
Christian Heinrichs, UiPath
„Gerade in Deutschland müssen wir aufpassen, dass wir Digitalisierung und Automatisierung nicht mit Dokumentation und Compliance-Diskussionen ersticken. Beides sind wichtige Komponenten, aber viele Unternehmen und der öffentliche Sektor tendieren dazu, zu lange zu diskutieren, statt konkrete Abläufe zu optimieren und zu automatisieren. Digitalisierungsziele bringen den größten Nutzen, wenn sie von der Führungsebene gesetzt und auch gemessen werden. Sonst automatisieren IT-affine Mitarbeiter in Fachbereichen Arbeitsschritte ohne Berücksichtigung von Compliance und Sicherheit und ohne Skalierungseffekte. Es gilt eine gesunde Balance zwischen den Zielen, Anforderungen und der Umsetzung von Digitalisierungen zu finden, die sich mit Hilfe einer unternehmensweiten Business Automation Plattform erreichen lässt.“

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Infoworld.