HP, SAP und, Microsoft investieren

Cloud-Märkte werden jetzt verteilt

25.01.2012 von Joachim Hackmann
Mit teuren Übernahmen von Startups setzen große IT-Hersteller wie Hewlett-Packard, SAP und Oracle viel Geld auf den Erfolg des Cloud-Modells. Zockerei oder Kalkül?
Foto: Andy Dean Photography/Shutterstock

Bereits Anfang 2011 sahen sich die Investment-Banker von UBS dazu veranlasst, die derzeit 40 teuersten Technologie-Firmen mit denen Anfang des Jahres 2000 während der Dotcom-Ära zu vergleichen. "Are We In A Cloud Computing Bubble?", lautet der besorgte Titel des Analyseberichts von UBS. Überaus hoch bewertete Firmen wie Salesforce, Netflix oder Akamai hatten den Argwohn der UBS-Experten geweckt. Inzwischen geben die Banker vorsichtige Entwarnung: Diese Firmen seien überwiegend besser aufgestellt als damalige Dotcom-Startups.

Das für Börsianer wichtige Kriterium des Kurs-Gewinn-Verhältnisses sei meistens akzeptabel. Beruhigend seien die hohen Investitionen in Rechenzentren, die Rückschlüsse auf reale Geschäfte zuließen. Die hohen Bewertungen der IT-Firmen seien überwiegend nachvollziehbar. Allerdings werde es den Technologiefirmen schwerfallen, den Börsenwert im kommenden Jahr in einer ähnlichen Größenordnung zu steigern, warnte die UBS in ihrem Report.

Das war Anfang 2011, bevor etablierte IT-Anbieter enorme Summen in den Erwerb attraktiver Startups pumpten. Bald darauf investierte Hewlett-Packard (HP) über zehn Milliarden Dollar in die Autonomy-Transaktion, Microsoft kaufte Skype für 8,5 Milliarden Dollar, SAP ließ sich Successfactors 3,4 Milliarden Dollar kosten, und Oracle gab für Rightnow knapp 1,5 Milliarden Dollar aus - um nur die teuersten Akquisitionen mit Cloud-Bezug im vergangenen Jahr zu nennen. Gerät der Markt nun endgültig aus den Fugen? Droht gar eine Cloud-Bubble?

Carsten Rossbach winkt ab. Die Bewertung vieler im vergangenen Jahr übernommener Cloud-Firmen sei hoch, aber nicht außergewöhnlich, betont der Marktkenner und Partner von Roland Berger Strategy Consultants. Übliche Akquisitionsprämien, die über den Firmenwert unmittelbar vor Veröffentlichung der Transaktionspläne hinausgehen, lägen im Technologiesektor im langjährigen Schnitt bei etwa 30 Prozent.

SAP hat für Successfactors einen Aufschlag von gut 50 Prozent gezahlt, IBM für Demandtec knapp 60 Prozent, und Oracle musste für Rightnow nur etwa 20 Prozent über Börsenwert entrichten. Das ist viel, aber nicht besorgniserregend, sagt Rossbach: "Die Bewertung junger, stark wachsender Firmen ist sehr schwierig. Die Käufer erwerben vor allem einen Business-Plan für die Zukunft und die Hoffnung auf umsatzseitige Synergien", beschreibt er die Herausforderung.

HP investiert in zwei Wachstumsmärkte

Das Cloud-Geschäft wächst auf Kosten des traditionellen Servicemarkts. (Quelle: PAC)

Wie sehr die Investitionen den Marktprognosen und Erwartungen in eine ertragreiche Zukunft folgen, lässt sich sehr gut an Hand von HPs Autonomy-Akquisition zeigen. Der IT-Konzern investierte 10,25 Milliarden Dollar in eine Firma mit einem Jahresumsatz von knapp einer Milliarde Dollar. Das größte britische Softwarehaus ist in dem stark wachsenden Geschäft mit Massendatenverarbeitung und -analyse gut positioniert. Zudem ist Autonomy, wie HP betont, auch eine Investition in das Cloud-Geschäft. Immerhin verkaufe die neue Tochter ihre Lösungen zum erheblichen Teil als SaaS-Angebot und betreibe die weltgrößte Private Cloud mit über 17 Petabyte gespeicherten Daten.

Karsten Leclerque, Principal Consultant bei PAC: "Erste Systemintegratoren und IT-Dienstleister arbeiten daran, eigenes IP aufzubauen, indem sie Anwendungen entwickeln."
Foto: PAC

Es gibt einen weiteren Aspekt, unter dem die Autonomy-Akquisition für HP wichtig ist. Dem Konzern ist es in den vergangenen Jahren unter anderem mit der milliardenschweren EDS-Akquisition gelungen, das Servicegeschäft aufzubauen. Im Markt mit standardisierten Cloud-Diensten verliert das klassische Servicegeschäft aber an Bedeutung. Verlässliche Einnahmen versprechen Applikationen, weil Software eine Investition in geistiges Eigentum (Intellectual Property = IP) darstellt und nicht dem heftigen Preiskampf unterliegt, wie er auf der Ebene der Infrastrukturen geführt wird.

"Wir beobachten, dass die ersten Systemintegratoren und IT-Dienstleister daran arbeiten, eigenes IP aufzubauen, indem sie Anwendungen entwickeln, die sie dann in der selbst betriebenen oder fremden Cloud ihren Kunden zur Verfügung stellen", beschreibt Karsten Leclerque, Principal Consultant bei dem Marktforschungs- und Beratungshaus Pierre Audoin Consultants (PAC), die Entwicklung. HP wollte sich offenbar nicht auf Eigenentwicklungen verlassen und hat den Ausbau des Softwaregeschäfts mit einer große Akquisition beschleunigt.

Mit Successfactors kauft SAP einen breiten Kundenzugang

"Wann wollen die das wieder reinholen?", fragt Karin Henkel, Analystin bei Strategy Partners International, angesichts des hohen Übernahmepreises.
Foto: Strategy Partners

Eigentlich hat es SAP diesbezüglich besser. Umso mehr Erstaunen rief die teure Übernahme von Successfactors hervor. "Wann wollen die das wieder reinholen?", fragt Karin Henkel, Analystin bei Strategy Partners International. Die Successfactors-Lösung für das Human-Capital-Management, die SAP mit der neuen Tochter erwirbt, biete nicht viel mehr als eine Erweiterung des HR-Segments um Funktionen für das Talent-Management (etwa Leistungsbeurteilung, Recruiting, Zielvereinbarungen). Einen wichtigen Grund für die Übernahme lieferte Siemens.

Der Konzern ist einer der wichtigsten SAP-Kunden im ERP-Umfeld, hatte sich im Juni 2009 aber dennoch für Successfactors als Lieferanten für das HR-Segment entschieden. Für SAP war das ein Alarmsignal, denn Siemens war bislang nicht als besonders experimentierfreudig beim Einsatz neuer Software aufgefallen. Wenn ein solch konservativ ausgerichtetes Haus in einer zentralen Back-Office-Funktion ein SaaS-Angebot wählt, wird es für SAP höchste Zeit, das darbende Cloud-Geschäft endlich anzuschieben. "Die Entscheidung war für die SAP ein herber Schlag. Außerdem hat Siemens SAP damit zu verstehen gegeben, dass man künftig nicht mehr alle IT-Leistungen aus einer Hand, sondern Best of Breed einkaufen werde", kommentiert Henkel.

Gut für das US-Geschäft

Mit dem Übernahmepreis hat der Softwareanbieter hier seinen Nachholbedarf gestillt und obendrein über Siemens hinaus eine ansehnliche Zahl von Kunden gewonnen. Insgesamt 3500 Firmen mit rund 15 Millionen registrierten Nutzern greifen auf die gehostete HCM-Installation zu. Zum Vergleich: Salesforce kommt zwar auf 87.000 Kunden, hat jedoch nur rund zwei Millionen registrierte Nutzer. Für SAP ergeben sich zudem vielfältige Cross-Selling-Möglichkeiten, da sich die Kundenbasen nur teilweise überschneiden. Das könnte insbesondere dem US-Geschäft der Walldorfer zugutekommen, denn dort hat das übernommene Startup die meisten Kunden.

Was will Oracle mit Rightnow?

Foto: Firmenlogo

Eine Rolle bei der Übernahme dürfte auch der andauernde Konkurrenzkampf mit Oracle spielen. Der schärfste SAP-Widersacher hatte im November 2011 den CRM- und SaaS-Anbieter Rightnow für knapp 1,5 Milliarden Dollar geschluckt. Im Zuge der Transaktion spekulierten Marktbeobachter über weitere Akquisitionen des Datenbankanbieters. Auf der Einkaufsliste dürfte unter anderem auch Successfactors gestanden haben. Also hat SAP mit der Übernahme Fakten geschaffen und dem Wettbewerber einen Kandidaten weggeschnappt.

Oracle selbst ergänzt mit dem Rightnow-Kauf sein SaaS-basierendes CRM-Portfolio um Funktionen für die Kundenkommunikation. Künftig reihen sich die Produkte der neuen Tochter in das Cloud-Portfolio rund um "Oracle Fusion" und Siebels CRM-Lösungen ein. Ob die unterschiedlichen Funktionen auf einer Plattform zusammengeführt werden, ist offen. In der Vergangenheit war Oracle nicht immer interessiert, die übernommenen Firmen funktional zu integrieren. Stattdessen ließ man die neuen Töchter mit eigenem Vertriebsteam unter Oracle-Flagge segeln, ähnlich wie es früher Computer Associates (CA) getan hatte.

Rightnow hatte Anschluss verpasst

Rightnow hatte zuletzt aber nicht mit übermäßigem Wachstum geglänzt. "Obwohl ungefähr gleichzeitig gestartet, ist Salesforce heute etwa zehnmal größer als Rightnow", konstatieren die Analysten von Gartner. Während der SaaS-Pionier sich mit neuen Funktionen und Übernahmen auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet, erwarten die Gartner-Experten von Rightnow nur ein verhaltenes Innovationstempo: Das Management sei mit der Transaktion beschäftigt, und Oracle müsse zunächst Ordnung in die eigenen Entwicklungsprojekte bringen.

Mittelfristig könne die Übernahme helfen, wenn der Konzern die Möglichkeiten der in der übernommenen Plattform enthaltenen Funktionen besser ausschöpfe. Das gilt etwa für das Social Monitoring und Ideen-Management sowie für die Rightnow-Community und virtuellen Agenten. Zudem könne der Deal dabei helfen, die CRM-Funktionen innerhalb von Oracles Fusion-Umgebung zügiger zu vertreiben, erwartet Gartner.

Salesforce verfolgt neue Strategie

Gut möglich ist aber auch, dass CEO Lawrence Ellison einfach nur der dauerhaften Sticheleien vom aufstrebenden SaaS-Konkurrenten Salesforce überdrüssig war und Rightnow übernommen hat, um auf ein eigenes anerkanntes Cloud-Modell verweisen zu können. Salesforce-Chef- und Gründer Marc Benioff ist ein ehemaliger Oracle-Manager, der keine Gelegenheit auslässt, die Anbieter von On-Premise-Software mit seinem Marketing-Logo "No Software" vorzuführen. Mit einer Akquisitionsstrategie, die allein im Jahr 2011 zu sechs Übernahmen geführt hat, versucht Benioff, Salesforce.com in der Riege der weltgrößten Softwareanbieter zu positionieren.

Frank Niemann, Director bei PAC: "Salesforce weitet die CRM-Funktionen in Richtung Social Media aus."
Foto: PAC

Wie er dabei vorgeht, beschreibt Frank Niemann, Director bei PAC Deutschland: "Zum einen weitet Salesforce die CRM-Funktionen in Richtung Social Media aus, zum anderen arbeitet das Unternehmen an einer Plattform in der Cloud, die unter anderem eine Datenbank und eine Ruby-Entwicklungsumgebung enthält und die nicht zwingend etwas mit CRM zu tun hat." Das Unternehmen positioniere sich nicht nur als Betreiber von CRM-Anwendungen, sondern zunehmend auch als Infrastrukturanbieter.

Letztendlich ist aber Salesforce nicht das Unternehmen, das im SaaS-Markt den Takt vorgibt. Die starke Konkurrenz insbesondere von Microsoft im CRM-Markt setzt Benioffs Company unter Druck, in andere Geschäftsfelder auszuweichen. Mit den vielen Übernahmen versucht das Unternehmen unter anderem, die Kombination aus SaaS und Social Media als Alleinstellungsmerkmal zu etablieren. Laut Niemann sind aber andere Unternehmen, auch kleinere wie Update Software, ähnlich weit: "Salesforce ist ein Unternehmen, das Neuerungen immer sehr intensiv bewirbt", relativiert Niemann potenziell falsche Eindrücke vom SaaS-CRM-Markt.

Wann platzt die Blase?

Der deutsche Mittelstand, bislang eher vorsichtig, was den Cloud-Einsatz betrifft, wird in den kommenden Monaten immer mehr IT on Demand beziehen. (Quelle: Techconsult)

Ein endgültiges Urteil darüber, ob der Cloud-Markt angesichts der vielen Übernahmen in den vergangenen Monaten überhitzt ist, mag kein Experte fällen. Roland-Berger-Partner Rossbach hält die Diskussion darüber auch für müßig. "Der Preis, den Firmen für Übernahmen zahlen, wird von zwei Faktoren bestimmt: der Verfügbarkeit interessanter Akquisitionskandidaten auf dem Markt und dem Handlungsdruck des übernehmenden Unternehmens". Im Cloud-Geschäft stelle sich auch nicht mehr die Frage nach dem "Ob", sondern nur noch nach dem "Wann".

Carsten Rossbach, Partner bei Roland Berger Strategy Consultants:"Auch in der Cloud zählt Kundenbindung. CIOs entscheiden sich nicht jedes halbe Jahr für eine neue Cloud-Applikation."
Foto: Roland Berger Strategy Consultants

Es sei zu beobachten, dass CIOs von den Anbietern innovative und kostengünstige Cloud-Angebote erwarteten: "Die wichtigste Bedingung für Erfolg in diesem Markt ist natürlich eine gute Software." Die installierte Kundenbasis und die Position im Markt gäben hierzu wertvolle Hinweise. "Auch in der Cloud zählt Kundenbindung. CIOs entscheiden sich nicht jedes halbe Jahr für eine neue Cloud-Applikation", sagt der Manager von Roland Berger.

Vor diesem Hintergund erscheint das Umwerben attraktiver Cloud-Unternehmen durch etablierte Softwaregrößen als sinnvolle Maßnahme zur Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft. Den Kunden kann es egal sein, ob sich eine Blase füllt, um irgendwann zu platzen. Am Ende werden Innovationen zurückbleiben, die den Markt verändern. Davon können die Anwender profitieren - so wie sie heute erfolgreich E-Business und E-Commerce als Überbleibsel der Dotcom-Ära nutzen.