Arbeit 2.0

Crowdsourcing - der neue Weg zu Ideen

11.04.2011 von Lothar Lochmaier
Unternehmen zapfen mit Hilfe von Web-2.0-Plattformen das kreative Potenzial ihrer Mitarbeiter und Kunden an. Das Ziel: Nicht nur Kosten sparen, sondern durch permanentes Feedback die gesamte Wertschöpfungskette produktiver gestalten.
Foto: Fotolia.de/TheSupe87

Der Trend ist kaum zu übersehen: Immer mehr Unternehmen beziehen ihre Mitarbeiter und Kunden direkt in die Produktentwicklung und -gestaltung ein. Im Fachjargon lassen sich die virtuellen "Mitmachgemeinschaften" auch als kollektive Schwarmintelligenz (Crowdsourcing) bezeichnen.

Die mit Hilfe von Web-2.0-Techniken vernetzte Arbeitswelt treiben vor allem Jungingenieure wie Björn Vetterlein voran. Der 31-Jährige arbeitet bei Roche Diagnostics im Global System Support und trainiert dort den Kundenservice, etwa bei der Weiterentwicklung eines Blutanalyse-Geräts, in dessen richtigen Gebrauch er seine Kollegen einweist.

Selbst als konservativ und diskret geltende Branchen wie die Finanzindustrie greifen auf Crowdsourcing zurück. So startete die Deutsche Bank im Bereich Transaction Banking für Geschäftskunden vor einem halben Jahr die Initiative "Drive DB!" In dem dreimonatigen Pilotprojekt kamen erstmals Social-Media-Techniken auf einer speziell dafür eingerichteten Web-Plattform zum Einsatz.

Begleitet wurde die Plattform durch gezielte Workshops und einen kontinuierlichen Dialog im Tagesgeschäft rund um Produkt- und Servicethemen. "Wir betrachten Social Media als einen zusätzlichen und nützlichen Kommunikationskanal, den wir über den Zeitraum des Drive-DB-Projekts unseren Kunden rund um die Uhr zur Verfügung stellen konnten", erläutert Helena Forest, Projekt-Managerin Drive DB in der Deutschen Bank.

Gleich eine ganze Designer-Community rief der europäische Halbleiterdistributor Silica, der zuletzt über eine Milliarde Dollar Jahresumsatz erzielte und 15.000 Kunden zählte, ins Leben. Technische Foren und ein Videoportal vernetzen nicht nur die Ingenieure untereinander. Auch die Partner und Kunden können sich direkt mit den Applikationsspezialisten austauschen. "Unsere Kunden erwarten individuelle Ansprache, authentische Interaktion und Designsupport - auch über das Internet", betont Firmenchef Miguel Fernandez.

In der Community von Silica tauschen sich derzeit rund 100 Spezialisten in zahlreichen Foren aus. Dort dreht sich alles um technische Themen wie programmierbare Logik, Mikrocontroller und -prozessoren, Analog- und Power Management und RFID bis hin zu Lighting und Metering.

Foto: Glenn Jarett, RS Components GmbH,

Derartige Beispiele machen Schule. "Wir haben festgestellt, dass Entwickler immer mehr Zeit online verbringen und gleichzeitig die Informationsmenge immer unüberschaubarer wird", bestätigt Glenn Jarrett, Head of Electronics Marketing beim Spezialisten RS Components GmbH. Die Lösung: Statt sich umständlich durch Berge irrelevanter Informationen zu wühlen, klinken sich die Entwickler auch hier mit Hilfe einer Design-Community in den Wissensaustausch ein.

Die interaktive Plattform Design Spark PCB ist zwar erst seit einigen Monaten am Start. Sie verzeichnete jedoch rasanten Zulauf und wuchs rasch auf mehr als 12.000 Mitglieder an. "Es macht uns froh zu sehen, wie schnell die Plattform unter Technikern zu einer beliebten Website geworden ist", fasst Jarrett zusammen. Auch die Kunden reagierten positiv auf dieses Angebot.

Offenes Betriebsklima nötig

Foto: Sebastian Schäfer, Capgemini

Der strategische Ansatz hinter dem Crowdsourcing kann in erster Linie auf die interne Wertschöpfungskette und die Mitarbeiter ausgerichtet sein. Andere Initiativen wiederum wenden sich direkt an den Anwender oder Endverbraucher. Gerade die aktive Beteiligung der Kunden am Erfolg oder Misserfolg eines Produkts sei kein idealistischer Selbstläufer, verdeutlicht Sebastian Schäfer, Berater für Business-Information-Management bei Capgemini: "Die Unternehmenskultur ist zweifellos ein zentrales Element für funktionierendes Crowdsourcing."

Wer mehr Offenheit und Beteiligung von seinen Mitarbeitern fordere, so der Experte weiter, müsse sich auch selbst öffnen und lernen, konstruktiv mit Kritik umzugehen. Auch wenn dieser Prozess am Anfang etwas schmerzhaft und unangenehm sei, werde er sich langfristig auszahlen, prophezeit Schäfer. Dies sei jedenfalls besser, als Probleme durch Totschweigen lösen zu wollen, betont der Experte.

"Unternehmen sind zögerlich mit Crowdsourcing, da sie einen Kontrollverlust befürchten", sekundiert Irmgard Glasmacher, Geschäftsführerin CRM beim Beratungshaus Accenture. Um Barrieren abzubauen, rät sie zu einem verstärkten Einsatz von sozialen Medien als Bindeglied zu einer direkteren, gleichwohl jedoch sorgfältig moderierten Kommunikationskultur mit den Kunden.

Im Klartext: "Es gibt kein einziges Beispiel, in dem Crowdsourcing vom Unternehmen ungefiltert übernommen wurde", sagt Glasmacher. Jedoch gehe es darum, den Kunden das Wissensreservoir des Unternehmens zugänglich zu machen, "nicht aus einer altruistischen Einstellung, sondern um selbst davon zu profitieren". Als ideales Wachstumsfeld hat die Expertin das Customer-Relationship-Management identifiziert.

Hierarchien verschwinden nicht

Wie nützlich Crowdsourcing gerade in diesem sensiblen Bereich sei, verdeutlicht Glasmacher am Beispiel der Pharmaindustrie und Gesundheitsbranche. "Inhaltlich neutrale Plattformen intensivieren jenseits von reinem Marketing den Dialog enorm, wenn etwa Ärzte und Patienten offen über neue Produkte diskutieren und die Entwickler daraus direkte oder indirekte Erkenntnisse für deren Gestaltung ableiten", argumentiert Glasmacher. Profitieren könne von diesem Austausch auch der technische Support - durch gezielten Informationsfluss vom und zum Kunden.

Wie man die bestehenden IT-Lösungen am effektivsten andockt, ohne dass dies eine technische "Insellösung" nach sich zieht, skizziert Berater Schäfer von Capgemini.

Demnach kommt es auf den Gleichklang zwischen technischer und organisatorischer Ebene an: "Ein Unternehmen, dem es gelungen ist, im Intranet nicht nur redaktionell bearbeitete Inhalte anzubieten, sondern es auch als Plattform zur unternehmensweiten Kommunikation zu nutzen, braucht keine separaten Tools zum Einleiten eines Innovationsprozesses."

Stattdessen sollten sich die Mitarbeiter offen über Herausforderungen und neue Ideen austauschen. Dabei sei Führung nach wie vor gefragt. "Die Hierarchien werden nicht verschwinden", beschwichtigt Schäfer.

Eine Unternehmenspolitik der vorsichtig geöffneten Grenzen erfordere es allerdings, den Mitarbeitern deutlich mehr Vertrauen entgegenzubringen und ein gewisses Maß an Kontrolle abzugeben. Dies beinhalte auch die finanzielle oder ideelle Anerkennung von Diskussionsbeiträgen, und zwar unabhängig von der Hierarchiestufe oder der eigentlichen Aufgabe des jeweiligen Autors.

Foto: Helena Forest, Deutsche Bank

Allerdings sollte jedes Unternehmen, das von Crowdsourcing profitieren möchte, diesen Schritt sorgfältig planen und präzise ausführen, bilanziert Projekt-Managerin Forest von der Deutschen Bank. Dadurch verringerten sich auch das Kostenrisiko und die Zahl der Fehlschläge, die einem die Community nur schwer verzeihe. "Letztendlich bestimmt der Kunde, ob und welchen Kommunikationsweg er nutzen möchte - das Unternehmen kann hier nur Wünsche äußern."

Was ist Crowdsourcing?

Den Begriff Crowdsourcing hat im Jahr 2006 das amerikanische Nachrichtenmagazin "Wired" ins Leben gerufen. Unternehmen lagern bestimmte Aufgaben an ein Heer von unbezahlten Freizeitarbeitern (kollektive Schwarmintelligenz) im Netz aus. Im professionellen Umfeld von Unternehmen hat sich parallel dazu ein etwas anderes Begriffsverständnis durchgesetzt. Gemeint ist hier die aktive Beteiligung von Mitarbeitern, Kunden und Partnern an der Wertschöpfungskette eines Unternehmens - vom Produktdesign über den -vertrieb bis hin zum -support.

Warum sollten Unternehmen darauf vertrauen?

Foto: Irmgard Glasmacher, Accenture

Nach Angaben von Accenture lassen sich durch Crowdsourcing die Ausgaben für Entwicklung und Forschung von neuen Produkten um bis zu 30 Prozent senken. Vorgemacht haben es Plattformen im Netz wie Innocentive. Global operierende Unternehmen wie Pfizer, Procter & Gamble, Toyota oder IBM haben ihre Innovationsprozesse nach eigener Darstellung radikal neu ausgerichtet und freuen sich über wesentlich gesteigerte Effizienz. Dies betrifft vor allem innovative und komplexe Prozesse, bei denen die Mitarbeit vieler Experten gefragt ist.

Denkbare Gestaltungselemente: Intern können Unternehmen beispielsweise die Mitarbeiter zu Ideenwettbewerben (Jams) einladen. Oder sie binden Kunden durch ihre Rückmeldung unmittelbar in die Produktentwicklung ein. Die klassische Variante ist der Betrieb eines Internet-Forums. Dort kann das Unternehmen erfahren, wo Kunden der Schuh drückt, um daraus wertvolle Hinweise auf Verbesserungspotenziale zu erhalten. Aus Sicht der Corporate Governance stellt dieser Schritt einen Beitrag zur nachhaltigen Unternehmensführung dar.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

Zunächst sollten die Planer ein Gespür für die eigene Unternehmenskultur entwickeln, um abzuschätzen, ob Crowdsourcing in der jeweiligen Firmenumgebung funktionieren kann. Auch wenn das der Fall ist, stellt sich der Nutzen nicht automatisch ein, indem man diese Form der Beteiligung über das Intranet anbietet. Der Prozess sollte durch ein durchdachtes Change-Management flankiert sein. Entscheidend ist dabei besonders am Anfang, ob sich Multiplikatoren beteiligen, deren Auftreten genügend Mitglieder der Zielgruppe bewegt, sich ebenfalls als Teil der Schwarmintelligenz hervorzutun.

Die Mitarbeiter sind mit ihrem ungeschönten Feedback mit von der Partie, wenn ihre Beiträge ein dankbares Publikum finden - auch in der Chefetage. Vorteil: Gute Team Player steigern ihre Sichtbarkeit im Unternehmen. Monetäre Vergütungen sind dabei im Einzelfall zwar hilfreich, stehen aber nicht im Vordergrund. Analog dazu sollten Kunden durch produktive Anreize in das System eingebunden sein. Quelle: Capgemini/Accenture