Darum scheitert GenAI an der Cloud-Migration

Kommentar  von David Linthicum
Vielleicht haben Sie es schon gehört: Generative AI löst sämtliche Cloud-Migrations-Probleme. Vielleicht macht es aber alles auch nur komplexer und teurer.
Mit KI auf Knopfdruck in die Cloud migrieren?
Foto: fengdr2020 | shutterstock.com

Das Management des (fiktiven) Unternehmens XY Inc. machte sich zuversichtlich ans Werk, seine umfangreichen Legacy-Systeme mit Hilfe von Generative AI Tools in die Cloud zu migrieren. Das lag auch an der Partnerschaft mit einem führenden KI-Anbieter, was Effizienz und geringere Kosten versprach. In der Praxis zeigte sich dann, dass die GenAI-Tools manuelle Eingriffe in nicht geringem Ausmaß erforderten, um die Komplexität und die Eigenheiten der XY-Systeme bewältigen zu können. Im Ergebnis musste der Zeitplan mehrmals überarbeitet werden - das Budget war dann bereits sechs Monate nach Migrationsbeginn erschöpft. So mauserte sich ein vermeintlich rationalisierter Prozess zu einem chaotischen Kostentreiber.

Diese Erfahrung von XY Inc. läuft der Behauptung der Berater von McKinsey zuwider, dass der Einsatz von generativer KI den Cloud-Migrationsaufwand um 30 bis 50 Prozent reduzieren könne, "insofern er richtig durchgeführt wird". Natürlich gibt es legitime Vorteile, die sich durch KI im Rahmen einer Cloud-Migration erschließen lassen - zum Beispiel, wenn es darum geht, Applikationen neu zu entwickeln oder einem Refactoring zu unterziehen. Ein Problem ist allerdings, wenn der Eindruck entsteht, Generative AI könne Probleme wie überkomprimierte Migrationszeitpläne oder gar den IT-Fachkräftemangel lösen. Denn das ist leider nicht mehr als Wunschdenken.

3 Gründe, die gegen GenAI für die Cloud-Migration sprechen

Auf den ersten Blick mag es sich durchaus anbieten, Large Language Models (LLMs) für die Cloud-Migration zu nutzen. Schließlich können die Sprachmodelle Systeminfrastrukturen verstehen und die notwendigen Skripte erstellen, um die Migration zu erleichtern. Zumindest in der Theorie. Die Annahme, GenAI könne vielfältige und hochkomplexe Enterprise-IT-Landschaften homogenisieren, führt jedoch ins Leere. Und zwar im Wesentlichen aus folgenden drei Gründen:

  1. Jedes Cloud-Migrationsprojekt ist einzigartig. Die jeweiligen Feinheiten erfordern spezifische Tools und Prozesse, die auf bestimmte Problembereiche zugeschnitten sind. Generative KI berücksichtigt nur selten den individuellen Charakter dieser Anforderungen. Das führt zu unausgegorenen Lösungen, die erhebliche manuelle Eingriffe erfordern.

  2. Viele Unternehmen arbeiten noch mit Altsystemen. Die Workflows sind dabei oft nuanciert - und undokumentiert. Um dieses Level an Komplexität richtig interpretieren zu können, benötigen LLMs möglicherweise Unterstützung - was zu Lücken im Migrationsprozess führen kann. Diese können wiederum zu kostspieligen und zeitintensiven Rewrite- und Debugging-Sessions führen, wodurch der eigentliche Einsatzzweck von KI ad absurdum geführt wird.

  3. Unternehmen in regulierten Branchen müssen strengen Compliance-Anforderungen genügen. Obwohl generative KI dabei unterstützen kann, potenzielle Compliance-Probleme zu identifizieren, erfordert eine abschließende Beurteilung respektive Validierung in der Regel einen Menschen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die KI-generierten Empfehlungen den gesetzlichen Standards entsprechen - allerdings kostet das auch und macht das Unterfangen komplexer.

Der Reiz generativer KI liegt in erster Linie in der Möglichkeit, zu automatisieren und die Dinge effizienter zu gestalten. Wären Cloud-Migrationen One-Size-fits-All-Szenarien, würde das also gut funktionieren. Leider steht jedoch jedes Unternehmen vor individuellen Herausforderungen, die je nach Tech-Stack, Geschäftsanforderungen und regulatorischem Umfeld variieren. Insofern ist es unrealistisch, von einem KI-Modell zu erwarten, sämtliche Migrationsaufgaben "in einem Aufwasch" erledigen zu können.

Wie viel Cloud-Migration mit KI wirklich kostet

Zu den nicht geringen Anfangsinvestitionen in KI-Tools kommen im Fall von Cloud-Migrationen noch versteckte Kosten - und zwar nicht zu knapp und mit Potenzierungspotenzial. Schließlich brauchen KI-Modelle nicht wenige Rechenressourcen. Dazu kommen API-Management- und Cybersecurity-Erfordernisse, um die LLMs auf dem aktuellen Stand zu halten und abzusichern. Und schließlich gibt es ja auch noch die laufenden Kosten, die für Modell-Retraining und -Refinement anfallen.

Generative AI ist ohne Frage eine vielversprechende Technologie. Geht es allerdings um Cloud-Migrationsprojekte, können übermäßige Erwartungen statt zu einer Simplifizierung zu höheren Kosten und mehr Komplexität führen. Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Cloud-Migration liegt in einem ausgewogenen Ansatz, der KI dort einsetzt, wo es sinnvoll ist - und sich gleichzeitig auf spezialisierte Tools und menschliches Knowhow verlässt, um die Herausforderungen der Cloud-Migration bewältigen zu können. (fm)

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Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Infoworld.