CW: Wenn man Stimmen und Stimmung im Markt Revue passieren lässt, scheint alles in die Cloud zu wandern. Der Begriff Managed Services indes wirkt antiquiert. Spiegelt das die Realität bei den Anwendern wider?
SINN: Es kommt darauf an, von welcher Realität Sie sprechen. Der Markt für Cloud Computing umfasst in Deutschland beileibe noch keine großen Teile des IT-Gesamtmarkts, der ein Volumen von 60 Millliarden Euro aufweist. Aber wir sehen, dass sich hier zum Teil völlig neue Anbieter positionieren - mit welcher Berechtigung auch immer. Und bei den IT-Verantwortlichen setzt sich offenbar die Erkenntnis durch, dass extern erbrachte und hoch standardisierte Services in immer mehr Anwendungsbereichen effizienter sind.
Der COMPUTERWOCHE-Expertenrat
Licht ins Dunkel der Fachbegriffe brachten:
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Dieter Sinn, Unternehmensberater und Vorstand der Sinn Consulting;
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Oliver Wibbe, Sales Director Enterprise Central Region bei der Symantec Hosted Services MessageLabs GmbH;
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Andreas Zilch, Vorstand, Experton Group;
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Uwe Becker, Head of Consulting Solutions Integration Germany beider Orange Business Services GmbH;
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Andreas Lill, Technology Integration Services bei der Fujitsu Technology Solutions GmbH und
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Michael Straub, Executive Business Development bei der TDS AG.
Es moderierten:
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COMPUTERWOCHE-Redakteur Joachim Hackmann sowie
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Gerhard Holzwart, Fachjournalist und Geschäftsführer der H & G Editors GmbH.
Cloud Computing bietet kein Customizing
CW: Cloud Computing hat doch mindestens zwei Facetten: Zum einen die technologische Seite mit den Stichworten Web-basierende Dienste und Virtualisierung, zum anderen der zunehmende Kostendruck, unter dem die Anwender stehen. Insofern dürfte es nicht nur darum gehen, dass die IT-Industrie einen neuen Hype kreiert hat. Sie musste auch neue Angebote entwickeln, um das "Produkt IT" für ihre Kunden preisgünstiger zu gestalten.
WIBBE: Lassen Sie uns das Thema Managed Services einmal näher beleuchten. Diese IT-Bezugsart ist heute - trotz Cloud Computing - noch genauso aktuell wie vor zehn oder zwölf Jahren. Desktop-Management und SAP-Hosting oder auch ein Managed-Security-Service sind dafür treffende Bespiele. Das Problem aus der Sicht vieler Anwender - jedenfalls in Deutschland - ist, dass viele dieser Dienste mittlerweile aus der Cloud bezogen werden können. Und damit beginnen die Diskussionen über Datenschutz und Datenhaltung, die einen immensen Beitrag zu Verunsicherung leisten. Wenn Sie aber heute Kunden dediziert nach Managed Services fragen, sagen Ihnen nahezu alle: Ja kenne ich, nutze ich!
ZILCH: Für die Abgrenzung von Managed Services gegen Cloud Computing ist noch eine andere Tatsache entscheidend. Der Kollege Sinn sprach eben von hoch standardisierten Services, die ein Unternehmen für große Nutzergruppen von extern bezieht. Das trifft explizit auf die Ist-Situation beim Cloud Computing zu: standardisiert und preisgünstig - aber ohne Customizing! Ein Managed Service hingegen lässt sich in einem relativ hohen Maß individuell auf den Kunden zuschneiden.
BECKER: Das sehe ich auch so. Wenn wir für Kunden einen Dienst neu aufsetzen, der für eine festgelegte Zeitspanne mit vereinbarten Service-Level-Agreements bezogen wird, dann reden wir von einem Managed Service. Kommt es darüber hinaus zur Übernahme von Mitarbeitern, Assets und Verträgen, so sprechen wir vom klassischen Outsourcing. Was mich an der derzeitigen Debatte über Cloud Computing stört, ist die zu starke Fokussierung auf die "Public Cloud". Alle reden über Google, obwohl aus Kundensicht oft Angebote aus der Private beziehungsweise Virtual Private Cloud viel interessanter sind.
Managed Services sind ein taktisches Mittel
STRAUB: Lassen Sie mich kurz die Historie strapazieren. Die klassischen Outsourcing-Anbieter haben nicht umsonst schon vor mehr als zehn Jahren den Begriff des selektiven Outsourcing geprägt. Ein aus Sicht der Kunden sehr sinnvoller Ansatz - nämlich Kernkompetenzen und Kernapplikationen im Hause zu behalten und gleichzeitig Applikationen oder Services, die nicht strategisch sind, von extern zu beziehen. Ein Managed Service ist so betrachtet nichts anderes. Man könnte diese Bezugsart auch als taktisches Outsourcing bezeichnen.
Ich kaufe mir als IT-Entscheider Applikationen, Services, Infrastruktur und gegebenenfalls Personalressourcen einschließlich der damit verbundenen Skills, behalte aber die strategische und operative Steuerung meiner IT in der Hand. Neu bei Managed Services ist allenfalls der Best-of-breed-Ansatz, also der Bezug unterschiedlicher Dienstleistungen von verschiedenen, jeweils spezialisierten Anbietern.
BECKER: In der Tat. Es ergibt in vielen Fällen keinen Sinn, ein E-Mail-System oder eine Collaboration-Plattform selbst zu betreiben. Insofern kann man, sicher etwas zugespitzt, formulieren, dass mit Managed Services das selektive Outsourcing ein stilles Comeback gefeiert hat.
LILL: Ich würde bei der ganzen Debatte auch die emotionale Komponente nicht außer Acht lassen. Der Begriff Outsourcing war und ist häufig negativ belastet. Der Bezug eines oder mehrerer Managed Services lässt sich intern viel besser darstellen, weil von Beginn an klar ist, dass das IT-Management die Gestaltunghoheit und Verantwortung behält.
Mangelnde Bereitschaft zur Standardisierung
CW: In den Diskussionen wird das Dilemma, vor dem IT-Verantwortliche bei der Entscheidung zwischen Standardisierung auf der einen und Individualisierung auf der anderen Seite stehen, noch nicht auf den Punkt gebracht. Auch ein Managed Service ist doch in einem hohen Maße standardisiert.
ZILCH: Prinzipiell ja. Aber es gibt unterschiedliche Spielarten. Möchte ich nur eine Applikation samt dem Betriebsrisiko und gegebenenfalls den betreffenden Mitarbeitern auslagern, bin ich wieder beim selektiven Outsourcing. Hier ist in aller Regel der Customizing-Aufwand hoch und die Kostenersparnis gering. Andererseits sollte man vielleicht in diesem Zusammenhang eine unbequeme Wahrheit aussprechen: Die Produktivität und Effizienz der internen IT-Shops mag einem Benchmark in den Jahren 2004 und 2005 noch standgehalten haben.
In den zurückliegenden fünf Jahren konnte die interne IT jedoch nicht mehr mit dem Reifegrad der Anbieter Schritt halten. Managed Services können die einschlägigen Provider heutzutage meistens deutlich effizienter anbieten. Die nächste Evolutionsstufe wäre dann Cloud Computing: noch mehr Standardisierung, noch geringere Produktions- und Bereitstellungskosten. Doch bei vielen Cloud-Ausschreibungen, die wir begleiten, läuft es am Ende doch wieder auf ein klassisches Hosting oder einen Managed Service hinaus. Die Anwender sind nicht in der Lage und zum Teil auch nicht willens, in dem Maß zu standardisieren, wie es der Bezug aus der Cloud erfordert.
BECKER: Ganz so kritisch sehe ich die Situation nicht. Nehmen Sie nur das Bespiel der internen Kostenverrechnung. Immer mehr Unternehmen sind dazu übergegangen, die IT-Kosten nicht mehr generell als Allgemeinkosten zu verbuchen, sondern jeden Service und jede Applikation dediziert der nachfragenden Fachabteilung zuzuordnen, also auch die Kosten dort zu allokieren. Das hat vielerorts den Wildwuchs an Applikationen beseitigt, zudem führt das zu einem bewussteren Umgang mit Managed Services und Dienstleistungen aus der Cloud.
WIBBE: Ich warne davor, dass Thema Managed Service oder Cloud Computing nur aus der Kostenperspektive zu betrachten. Ich gebe Ihnen dazu zwei Beispiele: Salesforce.com wurde in vielen Unternehmen - übrigens häufig von den Fachbereichen an der IT vorbei - eingeführt, weil dieser CRM-Service schnell implementierbar ist und man daraus keine Weltanschauungsfrage machen musste. Die Applikation läuft außerdem auf nahezu jedem Endgerät, also auch mobilen Devices. Zweites Beispiel ist das Managed Security. Hier bietet der Markt heutzutage Services und SLAs, die mit klassischen Inhouse-Lösungen intern kaum oder gar nicht geliefert werden können. Es geht also nicht nur um die Kosten, sondern auch um die Qualität der Services.
Für ASP war der Markt damals noch nicht reif
CW: Ähnliche Argumente hörte man auch schon vor rund zehn Jahren, als die IT-Industrie das Application Service Providing propagierte.
STRAUB: Damals war es nicht die IT-Industrie in Summe, die ASP vermarkten wollte, sondern ausschließlich eine Reihe kleinere Anbieter. Das war aber nur einer der Gründe für das Scheitern des ASP-Modells. Der Markt war einfach noch nicht reif für ASP - weder unter technologischen Aspekten, mit Blick auf Netzbandbreite und Virtualisierung, noch unter Anwendergesichtspunkten. Heutzutage ist einfach eine größere und gelernte Bereitschaft vorhanden, IT-Services auf der Basis von KPIs und SLAs einzukaufen.
SINN: Das ist richtig. Immer häufiger gibt es jetzt wieder die Management-Vorgabe Outsourcing - welcher Ausprägung auch immer! Die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen eineinhalb Jahre hat dies noch beschleunigt. Die Business-Verantwortlichen fragen die IT-Bereiche: Warum machen wir alles selbst, es gibt doch die IT aus der Cloud? Und die IT-Bereiche reagieren, indem sie interne Clouds implementieren. Doch das ist eigentlich Etikettenschwindel. Er wird von der von den IT-Anbietern unterstützt und gedeckt wird, indem diese ihre - sicherlich nützlichen - Tools aus den Bereichen Virtualisierung, Shared Services und IT-Management auf "Cloud "umtaufen.
Ich sehe aber auch noch ein andere Herausforderung für IT-Manager: Bisher wird das Thema auch stark aus den Fachabteilungen getrieben. - siehe CRM on demand oder auch dedizierte Services im Vermarktungs- und Marketing-Umfeld. Ähnliches gilt für Collaboration und Projekt-Management. Künftig wird es immer stärkere Impulse von einzelnen Internet-affinen Mitarbeitern geben, die ihre Smartphones oder iPads mit in das Unternehmen bringen und - vorbei an allen Regeln und Firewalls - Dienste aus dem Netz nutzen. Eigentlich müssten diese Services nun koordiniert beschafft und betrieben werden - mit all den Facetten der Themen Sicherheit, Compliance, Herrschaft über die Daten, Integration der Systeme etc. Das entspräche der klassischen Rolle der IT-Abteilungen!
Doch diese greifen Cloud, Software as a Service und zum Teil auch Managed Services häufig nur zögernd auf. Sich auf diesen Weg zu begeben heißt ja zum Beispiel: Aufräumen mit dem Server-Wildwuchs und genau prüfen, wie viele Content-Management-Systeme oder Collaboration-Werkzeuge man wirklich benötigt und selbst betreiben muss. Zudem muss man sich von alten Strukturen lösen. Wer in die Cloud geht oder Managed Services zukaufen möchte, benötigt in seinem Team weniger technische Skills, dafür aber Mitarbeiter mit Projekt-Management- und Verhandlungskompetenz.