Der große Unterschied - Arbeiten beim Berater, Hersteller oder Anwender

15.10.2004 von Helga Ballauf
Der IT-Arbeitsmarkt verspürt wieder einen Aufwind. Software- und Beratungshäuser stellen Nachwuchskräfte ein, auch bei Anwenderfirmen gibt es Chancen. Doch macht es einen großen Unterschied, wofür sich ein Absolvent entscheidet.

Früher war die Rollenverteilung klar: Hersteller entwickeln Informationstechnik, und Anwender setzen sie ein, nachdem sie von Consultants beraten wurden. Nach dieser Formel wurden bestimmte Aufgaben an IT-Spezialisten vergeben. Wer gerne programmieren wollte, ging in der Regel zu SAP oder IBM, aber nicht zu einer Versicherung. Doch mittlerweile werfen auch IT-Anwenderunternehmen ein Auge auf fähige Entwickler, und im Gegenzug bilden Hersteller junge Berater aus.

Die Grenzen verschwimmen also. Das Marktforschungsunternehmen Gartner macht im europäischen IT-Markt eine starke Verschiebung aus: Da sich hier mit IT-Dienstleistungen sechs bis sieben Mal so viel Geld verdienen lässt wie mit Softwarelizenzen, versuchen Soft- und Hardwarehersteller, den IT-Service in ihr Geschäftsmodell zu integrieren.

Fotos: Joachim Wendler

Die zweite Tendenz: Große DV-Anwender - von Autobauern bis zu Versicherungen - übertragen die Pflege bestimmter IT-Projekte an Dienstleister, holen aber Anwendungsentwickler für Spezialaufgaben ins eigene Kernteam. IBM hört es nicht gern, immer noch mit einem Produzenten intelligenter Rechenmaschinen gleichgesetzt zu werden. Natürlich sucht der internationale Konzern nach wie vor auch junge Hardwareentwickler. Doch längst präsentiert sich das Unternehmen auch als IT-Dienstleister und bildet gemeinsam mit den Berufsakademien nicht nur Studenten der angewandten Informatik aus; auch die Studiengänge International Business Administration und Wirtschaftsinformatik spielen für Big Blue eine große Rolle. Ihre Absolventen zählen laut IBM-Homepage zu den "heiß begehrten Nachwuchskräften für Servicefunktionen".

Service ist auch für die Transtec AG in Tübingen ein wichtiges Schlagwort. Das mittelständische Unternehmen stellt Rechner- und Speicherlösungen sowie die dazu gehörigen Netzwerk- und Peripherieprodukte her, installiert und betreut sie. Daraus ergibt sich ein differenziertes Anforderungsprofil für IT-Einsteiger: Die Mitarbeiter von Andreas Koch im Bereich Verkauf/Dienstleistung sollen immer den Kunden im Blick haben - von der Beratung über den Verkauf und die Installation eines Systems bis zur Fehlersuche im Garantiefall. Bei den IT-Fachkräften im Bereich Engineering dagegen steht die Technik im Mittelpunkt: Sie müssen ein Produkt nach genauen Vorgaben entwickeln und die hohe Funktionstüchtigkeit garantieren.

Immer den Kunden im Blick

Zwar stellt Transtec für beide Aufgaben meist Physiker und Informatiker ein. Doch die Anforderungen unterscheiden sich deutlich, sagt Koch: "Die Dienstleister müssen sich auf den Umgang mit Menschen verstehen, denn Kundenbindung ist die entscheidende Vorgabe." Dagegen sollten sich Techniker immer wieder intensiv auf neue Hardware- und Softwareentwicklungen einlassen. Einen weiteren Unterschied gibt es in den Vergütungsmodellen: Während sich Beschäftigte im Engineering zusätzlich nur kleinere Bonuszahlungen verdienen können, ist bei den Sales-Mitarbeitern der ertragsabhängige Lohnanteil groß.

Die Trumpf-Gruppe mit Stammsitz im baden-württembergischen Ditzingen fertigt Werkzeugmaschinen, Laser- und Medizintechnik. Mit rund 5800 Beschäftigten weltweit gehört sie zu den mittelgroßen Maschinenbauern. "Trumpf ist groß und attraktiv genug, damit wir uns nicht von den Konzernen die guten Bewerber wegschnappen lassen müssen", sagt Matthias Munk, Leiter der CAD/ CAM-Entwicklung. Der Kontakt zu den Fachhochschulen in Esslingen und Stuttgart ist eng. Gefragt sind Absolventen technischer Fächer, die etwas von Maschinenbau und IT verstehen - mit neuem Schwerpunkt, berichtet Munk: "Bisher lag der Fokus eindeutig auf der Technik. Jetzt verschiebt er sich zugunsten der Softwarekenntnisse." Das umsetzbare Wissen der Berufseinsteiger in der Anwendungsentwicklung sei allerdings oft dürftig. So werde betriebsintern nachgebessert.

Ein Management-Startup-Programm hat Roche Diagnostics in Mannheim und im oberbayerischen Penzberg aufgelegt. Es richtet sich an junge Leute, die ein technisches Fach in kurzer Zeit studiert, parallel dazu diverse Praktika gemacht und Auslandserfahrung gesammelt haben. "Wir wollen dieses Programm auch für Informatiker ausbauen", berichtet Ulrike von Faber, Referentin für Personal-Marketing. Zwei Jahre lang bekommen die Kandidaten einen Mentor zur Seite gestellt, können in Seminarreihen ihr Fachwissen vertiefen und betriebswirtschaftliche Kenntnisse erwerben. Ziel ist, die Einsteiger früh auf Führungsaufgaben vorzubereiten.

Zudem bietet Roche IT-Profis auch den Direkteinstieg - in Entwicklung, Beratung und Support. Die Münchener Rückversicherungsgesellschaft beschäftigt allein in der IT-Abteilung 360 Mitarbeiter, berichtet Personal-Managerin Susanne Buchele. Informatiker, Mathematiker und Physiker kommen als Einsteiger in Frage. "Vor allem brauchen wir Leute, die fachübergreifend denken und IT-Themen so vermitteln, dass sie die Kollegen in den Fachabteilungen verstehen", sagt Buchele.

Das nötige Versicherungswissen lerne man vor Ort, doch ein gewisses Grundverständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge müsse jeder Techniker mitbringen. Auch nach dem Einstiegsprogramm bleibt die Weiterbildung ein wichtiges Thema. Im jährlichen Mitarbeitergespräch mit dem Vorgesetzten wird ermittelt, welches Wissen vorhanden ist, wo Lücken bestehen und wie sie zu füllen sind.

Bei dem Rückversicherer spielen Fachlaufbahnen eine wichtige Rolle. Ein internes Stellenbewertungssystem sorgt dafür, dass Top-Spezialisten auf der gleichen Stufe stehen wie Führungskräfte. Fachlicher Aufstieg in der IT - das kann mit Spezialthemen wie Security zu tun haben oder auch heißen, dass sich technisch Versierte mit Steuerungs- oder Strategiefragen beschäftigen. "Eine automatische Höhergruppierung ist damit nicht verbunden", sagt die Personalerin. "Wer aber mehr kann und mehr Verantwortung übernimmt, kann sicher sein, dass das Gehalt nach einer bestimmten Zeit überprüft wird."

Hochschulabsolventen aller Fächer steigen bei der Münchener Rück mit 43 000 Euro Jahresgehalt ein - einer Summe, die heute für Informatiker überdurchschnittlich ist. Anders als in den IT-Boomjahren, als das Tarifgehalt unter den branchenüblichen Sätzen lag.

Nicht nur auf Trends setzen

Die Beck et al. Gruppe in München entwickelt und implementiert Softwarelösungen und bietet fast rund um die Uhr Support an der Hotline. Es ist ein kleines Unternehmen; je 35 Mitarbeiter sind bei "projects" und bei "services" beschäftigt. Intensive Kontakte zu Hochschullehrern und der Reiz der Stadt helfen bei der Suche nach qualifizierten Berufseinsteigern. Die Anfangsgehälter liegen im Mittelfeld - um die 37000 Euro für Entwickler und 32000 Euro für Servicemitarbeiter.

Holger Wolff, Geschäftsführer von Beck et al. Projects, achtet bereits bei Bewerbern darauf, ob aus ihnen gute Berater werden könnten, die aktiv zuhören und einem Kunden das Gefühl geben, verstanden worden zu sein. Binnen zwei Jahren muss ein Hochschulabsolvent den Weg "von der Programmierung über die Projektarchitektur zum Consulting" nehmen, sagt Wolff. Er bevorzugt junge Ingenieure und Wirtschaftsinformatiker, "die sich nicht zu früh auf vermeintliche Trends stürzen, sondern eine gute Basis haben, um sich immer wieder auf Neues einzustellen". Und das betrifft vor allem das Interesse an den Geschäftsprozessen des jeweiligen Kunden, die es durch passende betriebliche Software zu unterstützen gilt.

Die Kommunikation mit den Kunden ist auch für die Servicemitarbeiter von Beck et al um den zweiten Geschäftsführer Siegfried Lautenbacher entscheidend. Dessen Team betreut in neun Sprachen den Kundenstamm fast rund um die Uhr. Neben Informatikern stellt Lautenbacher im Support gerne Kultur- und Geisteswissenschaftler ein, die technisch versiert sind. Stabile Teamstrukturen, ein multikulturelles Umfeld und ein garantiertes Budget für die Weiterbildung stärken das Durchhaltevermögen an der Hotline und halten die Fluktuation gering, sagt er: "Wir dürfen die Leute nicht verbrennen."

Mit breit angelegten Einführungsprogrammen versuchen dagegen große Beratungshäuser, junge IT-Spezialisten an sich zu binden. Die Unternehmensberatung McKinsey hat ein eigenes IT-Kompetenzzentrum gegründet. Das "Business Technology Office" führt Hochschulabsolventen, Doktoranden und IT-Profis in die Beratung an der Schnittstelle von Betriebswirtschaft und Technik ein.

Der IT-Dienstleister Accenture bildet junge Entwickler und Berater aus. So etwa im "SAP-Jump-Start"-Programm, das im Oktober 2004 beginnt und im Laufe eines Jahres rund 150 Hochschulabsolventen zu Beratern qualifizieren soll. Zunächst müssen sie unter Anleitung Kundenlösungen entwickeln, erläutert Marina Klein, Leiterin der Personalbeschaffung: "Es ist als Berater wichtig, über ein gewisses Verständnis der technischen Grundlagen zu verfügen."

Consulter verdienen bei Accenture zunächst um die 40000 Euro. Sie arbeiten fast ausschließlich im deutschsprachigen Raum. "Von daher ist die anfallende Reisezeit begrenzt. Aber es gilt der Grundsatz: ´Travel time is private time´", sagt Klein und fügt hinzu: "Beratung ist kein 9-to-5-job. Mobilität und Engagement sind Grundvoraussetzungen für jeden, der in die Beratung einsteigen will."

Anwendungsentwickler nehmen bei Accenture einen anderen Weg: Sie starten mit rund 32000 Euro ins Berufsleben. Eine Fachkarriere winkt denjenigen, die immer anspruchsvollere Lösungen für Firmen oder Branchen entwickeln. Die Qual der Wahl Berater, Hersteller oder Anwender? Auch wenn einzelne Aufgaben nicht mehr so strikt an die geschäftliche Ausrichtung des Arbeitgebers gebunden sind, lassen sich doch im Hinblick auf Verdienst- und Karrierechancen Tendenzen ausmachen: Wer Kunden berät und Systeme konzipiert, verdient eher mehr als reine Entwickler. Schlechter sind die IT-Dienstleister im Support dran. Wer hoch hinaus will, darf sich nicht zu lange mit IT beschäftigten, sondern muss früh erste Führungsaufgaben übernehmen. Die Chance auf eine wohldotierte Fachlaufbahn ist bei einem Anwenderunternehmen am größten. Aber: Ausnahmen bestätigen die Regel.