Digital Customer Experience

Der lange Weg zur digitalen Kundenbeziehung

16.05.2017 von Alexander Freimark
Die Digital Customer Experience (DCX) gilt als wichtiger Meilenstein im Rahmen der digitalen Transformation von Unternehmen. Doch der Weg von der Vision bis zur Umsetzung ist lang und steinig. Schließlich müssen die Verantwortlichen viele innerbetriebliche Grenzen überwinden.

Seit einigen Jahren bestimmt die digitale Transformation nicht nur die IT-Berichterstattung, sondern auch die Agenda der meisten Organisationen. Inzwischen haben "42 Prozent der CEOs damit begonnen, die digitale Transformation in ihrem Unternehmen in die Wege zu leiten", meldete Gartner im April. Ein zentrales Element der Entwicklung ist die digitale Kundenbeziehung, neudeutsch Digital Customer Experience (DCX). Im Gegensatz zur traditionellen Welt mit ihren isolierten Kommunikationskanälen soll hierbei ein umfassendes Bild des Kunden entstehen, um diesen wiederum ganzheitlich in einem Unternehmen abzubilden und stärker zu binden.

Die Mehrzahl der von IDG Research befragten Unternehmen hat das Potenzial digitaler Kundenbeziehungen erkannt.
Foto: penguiin - shutterstock.com

Laut der Studie "Digital Customer Experience 2017" von IDG Research Services zeigt sich, dass die Mehrzahl der Unternehmen das Potenzial einer umfassenden Kundenbindung erkannt hat. Immerhin 52 Prozent der befragten Manager setzen die digitale Kundenbeziehung an die erste Stelle der Handlungsfelder im Rahmen der digitalen Transformation, bei großen Unternehmen sind es sogar 57 Prozent. "Dies ist fürs Erste ein positives Ergebnis", sagt Daniela Dilger, Head of Group Contact Centre Propositions bei Damovo. "Schließlich helfen die Umsetzungen der darunterliegenden Projekte auch, das Ziel einer umfassenden DCX zu erreichen." Auffällig ist nur: Die DCX-Bedeutung fällt im Top-Management am größten aus, während Manager aus Fachbereichen und IT zurückhaltender urteilen.

Für Dilger liegen die Gründe auf der Hand: "Ich denke, dass es in vielen Organisationen ein Kommunikationsproblem zwischen dem Top-Management sowie den Fachbereichen gibt und darüber hinaus das strategische Ziel der DCX oft noch nicht ausreichend definiert und vorgegeben ist".

Eine Zusammenfassung der Studienergebnisse "Digital Customer Experience" finden Sie hier.

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Auch für Dr. Catherine Crowden, Marketing-Manager bei der BSI Business Systems Integration AG, kommt diese Abweichung nicht überraschend: "Die DCX-Vision wird schon lange im Top-Management auf einem sehr hohen Niveau diskutiert." Allerdings würden neben der Vision kaum konkrete Lösungsvorschläge und Vorgehensweisen bei den Fachabteilungen ankommen. Crowden: "Die Fachabteilungen stehen da mit den gewaltigen Anforderungen zur Customer Journey, aber sie können die notwendigen Daten und Tools nicht verknüpfen." Daher verlasse man sich vielfach auf Anbieter und Berater, die aufräumen und umsetzen müssen - und die in dem Prozess auf Strukturen treffen, die nicht an Transparenz und Datenteilung interessiert seien, sondern ihren Einfluss bewahren wollten.

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Das Topmanagement muss Datensilos aufbrechen

Für Klaus Enzenhofer, Director Technology Strategy bei Dynatrace in Linz, schließt sich hier der Kreis zwischen der Vision und den Diskrepanzen in der Umsetzung: "Bei großen Unternehmen sind die Datensilos hierarchischer und stärker abgesichert als bei kleinen Firmen, und nur das Top-Management ist in der Lage, diese Strukturen aufzubrechen oder zu umgehen." Daher müsse die Führung die Marschrichtung vorgeben. In kleineren Unternehmen im B2B-Bereich hingegen seien häufig die Kunden persönlich bekannt oder der internationale Druck in Richtung digitale Kundenbeziehung noch nicht so hoch. Enzenhofer: "Zudem treiben viele Mittelständler die Digitalisierung voran, ohne sie so zu nennen." Beispielsweise bekomme ein Kunde der Firma Hybris-SAP mit dem Online-Shop automatisch die Customer Journey dazu, argumentiert der Manager: "Die Digitalisierung wird von den großen Softwarelieferanten einfach in die Firmen reingebracht."

Die größten Hürden: Datensilos und eine mangelnde Datenqualität stehen einer besseren digitalen Kundenbeziehung häufig im Weg.

Beim Umgang mit Kundendaten sehen sich die Studienteilnehmer größtenteils im grünen Bereich. So ist in 61 Prozent der Unternehmen eine zentrale Datenbank mit "allen Informationen zu den Kunden" vorhanden, und über die Hälfte der Organisationen beurteilt die Qualität ihrer Kundendaten als gut oder sehr gut. Jürgen Litz, Geschäftsführer des CRM-Anbieters cobra computer's brainware GmbH, bezeichnet diese Werte als "geradezu phänomenal", doch würden sie dem Vergleich mit der Realität kaum standhalten.

"Nach unseren eigenen Initiativen und Untersuchungen etwa zur Datenqualität im CRM sehen wir beim Vorbereitungsgrad für die DCX noch ein großes Verbesserungspotenzial", so Litz. Insbesondere das Thema Datenqualität werde stiefmütterlich behandelt, kontinuierliche Kontrollprozesse fänden nur in wenigen Unternehmen statt: "Dabei ist eine zentrale Datenhaltung wie die Datenqualität auch der Schlüssel zu jedem guten CRM-System sowie zu einem erfolgreichen DCX-Ansatz".

Auch in der DCX-Studie werden Datensilos und die abteilungsspezifische Datenhaltung als größte Barrieren für die umfassende Kundenbeziehung genannt. "Wenn es eine übergeordnete, kundenzentrische Digitalstrategie gibt, kommt man sowieso früher oder später dahin, dass Silos zur Erreichung der Ziele abgeschafft werden müssen", argumentiert Damovo-Expertin Dilger. Die Beseitigung dieser Hürden erinnert jedoch an den Gordischen Knoten, der sich nur im Handstreich lösen ließ. "Konsolidierung und Standardisierung", empfiehlt hier Dynatrace-Manager Enzenhofer. Dies gehe jedoch nur von oben nach unten - "dafür ist die einzelne Fachabteilung eigentlich schon zu schwach".

BSI-Managerin Crowden verfolgt einen anderen Ansatz.: "Wenn wir den Kunden in den Mittelpunkt stellen, muss es ein zentrales System geben, das die Daten einsammelt - so lassen wir die Silos stehen." Schließlich könne man nicht von einer Versicherung erwarten, dass sie ihre Legacy-Systeme für die Kundenbindung ablöst. "Die Mitarbeiter im Contact-Center benötigen nur den Gesamtüberblick, damit sie wissen, wie sie reagieren sollen."

Eine "Daten-Middleware", die sich verschiedener Schnittstellen bedient, strebt auch Damovo an, berichtet Dilger: "Wenn wir die Daten mittels einer Middleware zusammenführen, ist es ja kein Silo mehr." Speziell Projekte, bei denen Datentöpfe konsolidiert werden, sind oft sehr aufwändig und teuer. Wenn sich dann noch eine Abteilung querstellt, verlängert sich der Weg ins Ziel. Dilgers Argumente: "Die Schnittstellen werden immer besser und lassen sich viel einfacher nutzen als früher - im Gegensatz zu einer Konsolidierung, bei der man unter Umständen eine große IT-Baustelle öffnet."

CRM-Budgets legen zu

Immerhin sind die guten Absichten zu erkennen: Die IDG-Studie zeigt, dass mehr als 50 Prozent der Unternehmen ihr CRM-Budget vergrößern, elf Prozent sogar im zweistelligen Bereich. Und vier von fünf Organisationen bauen ihr CRM-System aus oder planen dies. Gute Nachrichten für die beiden CRM-Spezialisten BSI und cobra, auch wenn cobra-Geschäftsführer Litz den Anfang der DCX-Reise eher in der Organisation, ihrem Change-Management und einer intensiven Ausrichtung auf den Kunden sieht. "Wichtig ist auch der Aufbau einer logischen Nutzungskette vom Lead bis zum Auftrag." Als größten Fehler, den Unternehmen zum DCX-Start machen können, bezeichnet er eine falsche Zeit- und Budgetplanung, fehlende Expertise der Anwender aus den Fachabteilungen und die mangelnde Integrationsfähigkeit der CRM-Lösung, die den DCX-Start begleitet.

Am Geld soll es nicht liegen: Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen will das CRM-Budget aufstocken.

Dynatrace-Manager Enzenhofer empfiehlt Unternehmen, zwei bestehende Kanäle auszuwählen und deren Datensilos aufzubrechen. "Und schauen sie außerhalb des deutschsprachigen Raums, was ihre Konkurrenz in punkto DCX leistet - dann wissen sie auch, was sie Ihren Kunden bieten müssen." Schließlich seien die Erwartungen der Verbraucher hoch, und der Standard der Kundenansprache wird Enzenhofer zufolge nicht in der DACH-Region definiert. Sein pragmatischer Ansatz: "Wenn ich weiß, was ich machen muss, kann ich mit dem Kopieren anfangen, Silos aufbrechen, konsolidieren und am konkreten Vorgehen für den Rest des Unternehmens lernen."

Was der einzelne Kunde tatsächlich will, ist jedoch nicht immer klar ersichtlich und beileibe keine reine Generationenfrage, berichtet BSI-Managerin Crowden: "Es gibt auch viele junge Menschen, die ihr Versicherungsgeschäft noch mit Papier abwickeln wollen." In jedem Fall rät sie im ersten Schritt, den Kunden tatsächlich verstehen zu wollen - ob mit Design Thinking oder Interviews, müsse jeder selbst entscheiden. "Schließlich sucht der Kunde nicht eine digitale Antwort, sondern einen Weg, um mit dem Unternehmen zu kommunizieren." Angesichts der Vielfalt der Touchpoints - Apps, Portale, Chat, Telefon, Website, Fax, E-Mail, Post oder Filiale - müsse eine Organisation die eigene Vorgehensweise regelmäßig hinterfragen, um nicht ins Leere zu laufen. "Die Gleichzeitigkeit und die Bandbreite der Kanäle sind herausfordernd; ein Unternehmen muss sich entscheiden, welche Medien wie gut bedient werden." Weniger ist manchmal mehr.

Damovo-Expertin Dilger bestätigt diese Aussage. Ihrer Ansicht nach kommt es darüber hinaus nicht darauf an, so viele Kanäle wie möglich zu öffnen, sondern die reibungslose Integration zu gewährleisten: "Denn der Kunde ist genervt, wenn er anruft und der Agent am Telefon nicht weiß, dass er schon eine E-Mail geschrieben hat." Zudem empfiehlt sie, im Sinne einer übergeordneten Digitalstrategie stets die Fachbereiche einzubinden: "Die können am besten sagen, was sie für ihre tägliche Arbeit brauchen."

Dilger zufolge müssten außerdem Stakeholder vieler Ebenen im Unternehmen ins Boot geholt werden, damit die digitale Kundenbeziehung nicht im Top-Management hängen bleibt. Das berühre auch die persönlichen Ziele vieler Mitarbeiter und die KPIs. "Diese Einbeziehung von Mitarbeitern und Organisationen ist absolut notwendig, denn die Erwartungen der Endkunden haben sich ebenfalls stark verändert," bilanziert Dilger. Um es mit einem geflügelten Wort der Branche zusammenzufassen: "Bei der ganzen Digitalisierung ist der Mensch das größte Hemmnis, aber auch die größte Chance."

Studie Digital Customer Experience 2017

Die Studie zur Digital Customer Experience (DCX) basiert auf einer Online-Befragung. Im Zeitraum vom 21. Dezember 2016 bis 25. Januar 2017 wurden dazu insgesamt 326 qualifizierte Interviews abgeschlossen. Grundgesamtheit sind oberste (IT-)Verantwortliche von Unternehmen in der DACH-Region, also strategische (IT-)Entscheider aus dem C-Level und den Fachbereichen sowie Entscheider und Spezialisten aus der IT-Organisation. Partner der DCX-Studie waren die Unternehmen BSI Business Systems Integration AG, Cobra - computer's brainware GmbH, Damovo Deutschland GmbH & Co. KG und die Dynatrace GmbH.

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