Der weite Weg zum Kunden

31.08.2001 von Daniela Hoffmann
MÜNCHEN (CW-EXTRA) - One-to-One-Marketing im Internet ist ein hehres Ziel des E-CRM. Aber vielfach bereiten immer noch vergleichsweise einfache Funktionalitäten wie E-Mail-Management oder die Call-Center-Integration Probleme.

Susanne Keller (Name von der Redaktion geändert) hat mit dem Internet-Business abgeschlossen. Bei ihrem vorläufig letzten Anlauf wollte sie bei einem Computer-Discount per Web einen Laserdrucker ordern. Zunächst sah alles ganz viel versprechend aus: ausführliche Information und ein respektabler Rabatt für die Online-Bestellung. Doch beim Ausfüllen des elektronischen Formulars kam sie im Feld für den Produktnamen nicht weiter.

Dann ging sie auf das Angebot ein, einen virtuellen Assistenten anzuklicken. Das dauergrinsende Comic-Männchen "machte irgendwie einen hämischen Eindruck", habe ihr jedoch auch nicht weiterhelfen können. "Bitte tragen Sie hier Name und Nummer des gewünschten Produkts ein", lautete sein einziges Begehr.

Die Aktivierung eines Call-Back-Buttons brachte ebenfalls kein Resultat, offensichtlich war das Call Center überlastet. Nachdem Susanne Keller diverse Web-Seiten nach einer Kontaktnummer durchsucht hatte, gab sie nach einer knappen Stunde endlich entnervt ihre Bestellung am Telefon auf. Geliefert wurde ohne Online-Rabatt, wie sich später auf der Rechnung herausstellte.

Solche Probleme sind keine Seltenheit, wenn Unternehmen ihren Kunden die Segnungen von E-CRM bieten wollen. Der jüngere Bruder des traditionellen CRM soll mit Internet-basierter Technik wie Online-Chat, Shared Browsing, E-Mail-Kommunikation, personalisierten Websites und künstlichen Assistenten die Kundenbindung verbessern.

E-CRM, einerseits Teil der E-Business-Welt, andererseits auf die Verbindung mit klassischen CRM-Anwendungen angewiesen, ist für viele Unternehmen jedoch noch immer ein Buch mit sieben Siegeln. E-Services lassen sich zwar oft schnell implementieren, wenn das dazu passende Konzept fehlt, tragen die neuen Features aber oft eher zur Unzufriedenheit als zum Wohlwollen des Kunden bei.

Die Schwierigkeiten liegen zum einen in der Frage, wo die Verantwortung für die E-Services angesiedelt sein soll - im Marketing, im Vertrieb, im Service oder in einer eigenen Koordinationsstelle? Zum anderen bereitet die breitgefächerte Palette von Anbietern und Lösungen Probleme. Hinzu kommt, dass zunächst der Boden für die Internet-Angebote bereitet werden muss. Dazu gehören Personalisierungsanwendungen, die eine effektive Zusammenführung von Informationen über das Surfverhalten der Kunden auf der Website und Daten aus den Backoffice- und CRM-Systemen erfordern, also letztlich den Einsatz von Business-Intelligence- (BI-)Software.

Als Grundlage für die immer komplexer werdenden Websites gewinnen darüber hinaus Content-Management-Systeme zunehmend an Bedeutung. Auch hier gibt es eine kaum überschaubare Anbieterschar.

Sorgenkind E-Mail-Management

Mitten im Spannungsfeld der E-CRM-Prozesse steht das Contact Center (CC) als Anlaufstelle für die Kunden. Je mehr Aufgaben der Käufer im Internet selbst erledigen darf und soll, etwa die Produktkonfiguration, desto wichtiger ist im Problemfall der Kontakt zum CC-Mitarbeiter.

Im Finanzdienstleistungssektor, so fand der E-Business-Berater Plenum heraus, haben aber erst rund 23 Prozent der Anbieter die Verbindung zwischen Internet und CC realisiert.

"Es reden zwar alle darüber, wie wichtig E-CRM ist, abgeschlossene Projekte komplexer Multichannel-Communication-Center gibt es aber noch nicht", weiß Rainer Kolm, Vorstandsmitglied des Call Center Forum Deutschland e.V..

Ganz ähnlich sieht Markus Schwarz, Geschäftsführer des Call-Center-Dienstleisters Sellbytel GmbH, die Situation: "Es gibt im Grunde kein großes Industrieunternehmen, das die Thematik vollständig im Griff hat." Nicht nur im Unternehmen selbst stehe das CC zwischen den Stühlen der Abteilungen, auch die Hersteller kämen aus verschiedenen Ecken, etwa Siebel aus dem Vertrieb oder Remedy aus dem Service-Bereich.

Tatsächlich sieht Kolm schon bei so banal klingenden Themen wie E-Mail-Management noch erheblichen Handlungsbedarf. "Die Integration der E-Mail-Kommunikation in das Call Center ist heute in den wenigsten Fällen realisiert", sagt der Call-Center-Experte. Die Unternehmen wüssten meist nicht, wie viel elektronische Post sie bekommen, da sie sich auf diverse Personen und Abteilungen verteile.

Zudem sei unklar, welches Niveau die Anfragen haben - zwischen einer Kataloganforderung und einer detaillierten Produktfrage lägen bei der Bearbeitungszeit Welten. Weil die E-Mail-Korrespondenz "nebenbei mitgemacht" werde, könnten die Unternehmen auch die Kosten dieser Form der Kommunikation nicht beziffern.

Dass sich an den vielbeklagten Missständen bei der Bearbeitung elektronischer Post in den Unternehmen wenig geändert hat, zeigte erst kürzlich eine Studie des E-Services-Anbieters E-Gain unter 20 deutschen Finanzdienstleistern - in einer Branche, die immerhin beim E-CRM als Vorreiter gilt. Nur 58 Prozent der Kundenanfragen per elektronischer Post wurden demnach innerhalb von fünf Tagen beantwortet. Innerhalb eines Tages antworteten lediglich sechs Banken.

Die Hoffnung, dass die Zahl elektronisch eingehender Anfragen in Zukunft sinken könnte und sich das Problem somit selbst entschärft, scheint auch vergeblich. Laut den Marktforschern von Datamonitor soll sich der Anteil von Kundenanfragen, die per E-Mail eintreffen, bis zum Jahr 2003 auf 18 Prozent verdreifachen, während die Telefonate auf 74 Prozent zurückgehen.

Auch Rieke Bönisch, Unternehmenssprecherin des E-Marketing-Anbieters L-Lynch, geht davon aus, dass sich Betriebe von der traditionellen Bearbeitung der Inbound-Kommunikation lösen müssen. Durch den Web-Auftritt kämen automatisch mehr Mail-Anfragen auf die Mitarbeiter zu, und ohne entsprechende Werkzeuge leide die Servicequalität. Bisher verspürten allerdings nur wenige Branchen den Druck, in das E-Mail-Management zu investieren. Mit einem ab September verfügbaren neuen Release 2.0 der Software E-Mail-Call-Center wolle man dem zu erwartenden Bedarf begegnen.

Anwendungen für das E-Mail-Management sorgen unter anderem für die Verteilung der eingehenden Post anhand von Schlüsselbegriffen im Betreff, für den Workflow bei der Abarbeitung der Mails und erleichtern die Bearbeitung durch Textbausteine und Ähnliches. Zudem sollten sie Antwortzeiten überwachen und gegebenenfalls warnen. Laut Bönisch lohnt sich der Einsatz von E-Mail-Management-Software, sobald pro Tag mehr als hundert nicht-personalisierte Anfragen wie "info@firma.de" eingehen und sich die Anfragen häufig mit Hilfe von Vorlagen beantworten lassen.

E-Mail ist aber nicht das einzige Sorgenkind der Multichannel-Kommunikation. Probleme bereitet nach wie vor auch die Verarbeitung von Faxen und Briefen. Während sich für Faxe mittlerweile der Empfang über einen dedizierten Server und die Umwandlung in E-Mails durchsetzt, bleibt bei der Papier-Post nur das Einscannen und die Verarbeitung im Dokumenten-Managementsystem übrig, wenn der Call-Center-Agent sämtliche Kundenkontakte elektronisch erhalten soll.

Künstliche Helfer

Letztlich wirft die Integration der verschiedenen Kommunikationskanäle Fragen bei der Arbeitsorganisation auf. So muss geklärt sein, ob alle Agenten sowohl Telefonate als auch E-Mails bearbeiten sollen oder ob sich zum Beispiel bestimmte Mitarbeiter ausschließlich der elektronischen Post widmen - am Ende ist dies eine Frage der Qualifikation.

Einige E-CRM-Features wie Shared Browsing (ein CC-Mitarbeiter führt den Kunden auf dessen Monitor über die Website) und Online Chat erfreuen sich mittlerweile zunehmender Beliebtheit. Anders sieht es mit den so genannten Smart Bots und Avataren aus: Künstliche Wesen, die das Internet "menschlicher" machen und dem Kunden auf der Website behilflich sein sollen, treten bisher nur selten in Erscheinung.

"Mit Hilfe der virtuellen Figuren kann der Besuch der Internetsite für den Kunden interessanter und persönlicher gestaltet werden", meint jedoch Dr. Theodor Fink, Unternehmensberater bei der Management Partner GmbH. Als mögliche Einsatzgebiete sieht er Kontaktanbahnung, Information, Beratung oder Produktpräsentation.

Wie viele der Kommunikations-Aufgaben die Internet-Assistenten jedoch übernehmen könnten, hänge von der Qualität der Wissensdatenbanken ab, auf die sie zugreifen. Je begrenzter das Wissen des virtuellen Mitarbeiters, desto wichtiger ist laut Dr. Fink die Übergabe an den menschlichen Call-Center-Agenten, sobald der Kunde vom unergiebigen Gespräch über das Dialogfeld genervt reagiert. Als Voraussetzung dafür sollte der CC-Mitarbeiter auf seinem Display die vorhergehende Kommunikation einsehen können, damit der Kunde sein Anliegen nicht mehrfach schildern muss.

Multimedia-Anwendungen im Contact Center schließlich sind bisher bestenfalls eine futuristische Vision. Häufig verwechselt mit Multichannel, also der Integration sämtlicher Kommunikationskanäle im CC, soll Multimedia das menschliche Element im Austausch zwischen Kunde und Agent fördern. Während der Anrufer über das Internet telefoniert, so die Vision, kann er den Mitarbeiter der Firma wie beim Bildtelefon auf seinem Monitor sehen.

Technisch ist dies kein Problem: Der Call-Center-Agent lässt sich einfach von einer Webcam beobachten. In der Praxis lässt sich das Verfahren allerdings schlicht noch nicht umsetzen. Berater Fink: "Das Nadelöhr sind mangelnde Übertragungskapazitäten beim Anwender. Voice over IP eignet sich derzeit nur für Unternehmen, und ob sich Übertragungstechniken wie DSL durchsetzen und die für Video-Streaming notwendigen Geschwindigkeiten liefern, ist noch unklar."

Zwar setzen immer mehr Unternehmen auf die Konvergenz von Daten und Sprache in einem Netz, doch noch gehört die Internet-Telefonie nicht zum Alltag. Ähnliches gilt für Videos, die der CC-Mitarbeiter als Informationshilfe für den Kunden beispielsweise im Support aktivieren könnte. Eine Bastelanleitung für den Zusammenbau eines Gartengrills wäre zwar sicher hilfreich, aber ob der Kunde die Kosten für den Empfang der großen Datenmengen und der Hersteller den Aufwand der Videoproduktion tragen wollen, sei einmal dahingestellt.

Contact Center definieren sich neu

Eine Folge des anfänglichen E-CRM-Hypes wird nach Ansicht von Experten sein, dass sich die Rolle des Contact Centers im Unternehmen verändert. Die Konstellationen sind allerdings unterschiedlich: Große Anbieter wie HP oder Fujitsu Siemens betreiben getrennte Call Center für Marketing und Service innerhalb der entsprechenden Abteilungen. Beim Versandhändler Otto ist das CC dem Vertrieb unterstellt, in kleineren Betrieben erfüllen die Kundenkontakter oft mehrere Aufgaben.

Ob groß oder klein, eher selten gibt es Positionen wie einen "Head of Customer Care", bei dem die Fäden zusammenlaufen. Bisher galt das Contact Center als Anhängsel von Marketing, Vertrieb oder Service, heute steht eine Neubewertung und Eingliederung in der Verantwortungshierarchie des Unternehmens an. Gleiches gilt für die Verankerung des CC in der E-Business-Strategie und die zentrale Koordination von E-Services unter Einbeziehung der wichtigsten Kontaktmittel.

"Wenn ein Call-Back-Button auf der Website eingerichtet wird, muss sich das Personal im CC mit den entsprechenden Seiten auskennen. Sinnvoll wäre zudem, dass der Site-Verantwortliche das Feedback der Kunden über den Umgang mit dem Button über das Call Center auswerten kann", nennt Call-Center-Fachmann Kolm als Beispiel. Noch einen Schritt weiter geht Sellbytell-Berater Schwarz: "In Zukunft müssen Informationen von Kunden wie Kritik und Anregungen aus dem Call Center intensiver ausgewertet und schon im Bereich der Entwicklung von Angeboten genutzt werden". Susanne K. wird aber wohl noch ein paar Jahre warten müssen, bis Unternehmen die technischen Möglichkeiten des E-CRM zu ihrem Wohl einsetzen.