Podcast Alternde Belegschaft

"Die Idee der Rente ist eine Fehlentwicklung"

20.08.2024 von Computerwoche Redaktion
In vielen Unternehmen ist der Umgang mit älterem Personal ein Tabuthema. Leistungsfähigkeit, Bezahlung und Aufgabenspektrum werden nicht offen diskutiert.
Georg Kraus plädiert dafür, mithilfe von Anpassungen Ältere länger im Unternehmen zu halten.
Foto: Georg Kraus

Georg Kraus, Inhaber und CEO von Kraus & Partner sowie Professor an der Clausthal University of Technology, gibt sich keinen Illusionen hin: "Mit dem Alter steigt statistisch die Anzahl der Krankheitstage - Lernfähigkeit und Belastbarkeit lassen nach. Viele wollen das aber nicht wahrhaben", sagt der 59-jährige Managementberater. Er kenne kaum ein Unternehmen, das trotz angespannter Arbeitsmarktlage Programme entwickele, um ältere Beschäftigte zu halten.

Kraus ist Gast im Podcast TechTalk Smart Leadership, in dem es diesmal um den Umgang der Unternehmen mit älteren Beschäftigten geht. "Es ist ein grundlegendes Problem, dass die Löhne mit der Betriebszugehörigkeit und dem Alter immer weiter steigen, die Leistungsfähigkeit aber meistens nicht." Laut Kraus sind Menschen in ihren 40ern, vielleicht Anfang ihrer 50er auf dem Höhepunkt dessen, was sie leisten können. "Dann sinkt ihre Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit, aber die Gehälter steigen weiter", so der Berater. Man nähere sich dem "Break-Even-Punkt", an dem Bezahlung und Leistung nicht mehr zueinanderpassten.

Die Älteren, die das meist wüssten, argumentierten dann oft mit ihrer langjährigen Erfahrung, doch Kraus sieht das angesichts der immer kürzeren Halbwertszeit von Wissen eher nüchtern: "Das mag noch eine Rolle spielen, die wird aber immer unbedeutender. In vielen Branchen ist das Wissen, das man sich vor 20 Jahren angeeignet hat, mittlerweile wertlos."

Kraus plädiert dafür, die Diskussion über alternde Belegschaften neu zu führen. Könnten Vergütung, Aufgabenspektrum und Arbeitszeit flexibler angepasst werden, ließen sich Menschen besser einsetzen und länger im Unternehmen halten. Natürlich kennt der Berater die vielen Rentner, die nach dem Ausscheiden große Pläne hegen und beispielsweise mit dem Wohnwagen Europa bereisen wollen. Doch das sei keine gute Idee.

"Die Rente ist gefährlicher als das Arbeitsleben"

"Ich glaube die Rente ist viel gefährlicher als das Arbeitsleben", sagt der Berater. Intellektuell nicht mehr gefordert zu werden, führe zu einem geistigen Verfall. Im Arbeitsleben würden die Menschen jenseits ihrer Komfortzonen herausgefordert und müssten sich den verschiedenen sozialen Gruppen in einem immer neuen "Aushandlungsprozess" stellen, wie Kraus sagt. Falle diese Herausforderung weg, steige das Risiko, sich zurückzuziehen, schnell zu altern und "verkauzter" zu werden.

Im Podcast kommt Kraus zu dem Schluss, dass der "Mensch für den Ruhestand nicht geschaffen ist". Die Gesellschaft müsse deshalb offener diskutieren und beispielsweise die Vergütungsmodelle für ältere Belegschaften überdenken. "Die Idee der Rente ist eine Fehlentwicklung", so der Professor, dessen Credo lautet: "Arbeite bis zum letzten Herzschlag!" Dazu brauche es Flexibilität, da Ältere oft nicht mehr 40 Stunden, sondern nur noch zehn Stunden in der Woche arbeiten könnten. Außerdem müsse über die Aufgaben selbst gesprochen werden.

"Lasst uns den Renteneintritt als den Zeitpunkt definieren, an dem wir über die Intensität der Arbeit, den geleisteten Wertbeitrag und die Vergütung nochmal offen reden", so Kraus. Es brauche einen neuen Kontrakt zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf der Basis eines ehrlichen Dialogs. Das müsse allerdings gesellschaftlich gewünscht sein. "Momentan flüchten die Menschen eher in ihrer letzten Lebensphase, anstatt sich ihr zu stellen." (mb)