Die Informationsflut kanalisieren

06.09.2001 von Bernd Seidel
MÜNCHEN (CW-EXTRA) - Mit spezialisierter Standardsoftware wollen Unternehmen verschiedenster Branchen ihre digitalen Ressourcen in den Griff bekommen.

Geinberg, Österreich, 15. 30 Uhr: Eine Gruppe von Seminargästen aus der Stahlindustrie trifft in der Hotellobby der Thermenanlage des Kurorts ein. Auf dem Info-Display in der Lobby wechselt die Anzeige von einer Videoanimation auf die Orts- und Richtungsangabe zum von der Gruppe gebuchten Seminarraum. Im Wellness-Bereich signalisiert zur gleichen Zeit das Display einen freien Massagetermin. Unterdessen zeigt ein weiterer Monitor im "Marktrestaurant" der Anlage einen Formel-1-Weltmeisterschaftslauf live aus Brasilien.

Dieses von der Linzer Netural Communication GmbH konzipierte Szenario wurde durch ein vom Fresenius-Konzern betriebenes Pilotprojekt zur Einbindung neuer Medien Realität. Die Therme Geinberg setzt seit September 2000 konsequent auf zeit- und ortsgesteuerte Inhalte. Um die Gäste zu informieren, zu unterhalten und in ihrer Orientierung zu unterstützen, installierte man über das Thermengelände verteilt acht in die Wände eingelassene 50-Zoll-Flachbildschirme mit jeweils einem TV- und einem PC-Eingang.

Das zugehörige Informationssystem basiert auf einem "Pipelet.com" genannten Add-on des Content-Management-Systems (CMS) "Imperia" und verwaltet einfache HTML-Seiten ebenso wie Streaming Video, Flash-Animationen, externe Webinformationen oder auch das aktuelle Fernsehprogramm.

Dabei ist das Broadcasting-System für die Gäste nur einer der drei Teilbereiche des Projekts "Therme Online", werden doch daneben sowohl Intranet- als auch Internet-Angebote über das Content-Management-System abgewickelt. Über den klassischen Informationsauftritt mitsamt Suchfunktionen hinaus stehen hierbei unterschiedlichste Inhalte bereit: von 3D-Rundgängen durch die Anlage auf Java-Basis über Real-Audio-Dateien mit Wassergeräuschen bis hin zu zugekauften Wetterinformationen, Online-Shop und Online-Grußkarten.

Eine Datenbankanwendung fungiert als Preisnavigator, der anhand von Aufenthaltsterminen, Zimmerpreisen, Rabatten und Angebotspaketen online Preisberechnungen durchführt. Per WAP lässt sich der aktuelle Belegungsstatus der Therme abfragen - eine Applikation, die auch ins Web eingebunden wird. Und Videokameras direkt am Innenbecken der Therme fangen das aktuelle Geschehen vor Ort ein.

Die technologischen Ambitionen der Österreicher sind damit jedoch noch nicht ausgereizt: Unter anderem steht das Teilprojekt "Hotelzimmer Online System" (HOS) bereits in den Startlöchern. Damit können die Gäste 24 Stunden im Zimmer online sein. Dieser Service soll dann auch Fernsehen und Videoangebote, Audio on demand, Internetzugang und E-Mail sowie Büroapplikationen umfassen.

Therme-Manager Harald Schopf über den augenblicklichen Projektstatus: "Von einem ursprünglich reinen Imageauftritt im WWW hat sich das Projekt zu einem wesentlichen Erlös- und Erfolgsfaktor gemausert." Deutlich mehr Zugriffe und Hotelbuchungen via Internet sowie der Erfolg des Online-Shops haben dazu geführt, dass ein Großteil der Lizenz- und Implementierungskosten bereits nach einem Monat refinanziert waren.

Strategische Plattform im E-Business

Die Vielfalt der Möglichkeiten spricht für sich: Content Management heißt das Zauberwort, das immer mehr Anwender in seinen Bann zieht. Aufgabe eines CMS ist das Veröffentlichen von Informationen in Web-Anwendungen. Die redaktionelle Erfassung des Contents, eine flexible Verknüpfung mit Layout und der Zugriff auf externe Inhalte gehören daher zu seinen wesentlichen Elementen.

Bei klassischen Knowledge-Management-Systemen steht hingegen im Vordergrund, Wissen verfügbar zu machen. Dazu gehören vor allem Funktionen zum Filtern, Verteilen, Verschlagworten und Speichern relevanter Informationen in Datenbanken.

"Allerdings verschwimmen diese Grenzen immer mehr, da auch Knowledge-Management-Systeme verstärkt Web-Technologie nutzen, und CMS-Software intelligente Suchfunktionen bieten muss", so Manuel Vormelchert, Unternehmenssprecher der Berliner Infopark AG. Generell gilt: Je wichtiger Inhalte für das eigene Geschäft sind, je größer und komplexer sie sind und je dringlicher sie stets auf dem neuesten Stand sein müssen, desto attraktiver erscheint der Einsatz von CM-Software. Begünstigt wird dieser Trend durch die wachsende Informationsflut im Internet und die zunehmende Bedeutung des E-Commerce.

So realisierte beispielsweise der Industriegashersteller Messer Griesheim die Website "Spezialgase" als CMS-basierte E-Commerce-Lösung mit "NPS" von der Infopark AG. Der im Mai 1999 implementierte Online-Auftritt dient als Informationskatalog mit Suchmöglichkeiten über Gase, Behälter, Armaturen, Versorgungs- und Nachreinigungssysteme sowie Technik. Ein Gemischkonfigurator ermöglicht das individuelle Zusammenstellen von Gasgemischen. Ausgewählte Produkte lassen sich im Warenkorb sammeln und als Anfrage oder Bestellung versenden.

Das Content-Management-System ist bei Messer Griesheim darüber hinaus auch für das Intranet im Einsatz, um die Möglichkeit zu schaffen, von den 2000 in Deutschland vernetzten PCs des Unternehmens aus einheitlich zu publizieren und zu kommunizieren. Zentrale Instanzen für die Erstellung und Pflege des Contents sind die einzelnen Fachabteilungen, die insgesamt über 100 aktive Redakteure beschäftigen und monatlich 350 000 Intranet-Seitenzugriffe registrieren.

Mit dem rasant wachsenden Umfang der Inhalte stellten sich allerdings auch Probleme ein. Dr. Bernd Schuster, Leiter Informationssysteme im Geschäftsbereich Industriegase Deutschland bei Messer Griesheim: "Trotz Volltextsuche und Indizierung ist es bisweilen schwer, die gewünschte Information auch zu finden." Das anstehende Update auf die NPS-Version 5 und eine damit verbundene neuen Kategorisierung soll Abhilfe schaffen.

Durch so genanntes "Channeling" werden dann Querschnittssichten auf einzelne Geschäftsprozesse möglich sein, statt wie bisher allein die organisatorische Sicht auf einzelne Abteilungen. Außerdem ist eine neue Navigation in Planung: Häufig nachgefragte, aktuelle Infos und Top-Meldungen lassen sich demnächst in einer eigenen Infothek abfragen.

Wie die Therme Geinberg und Messer Griesheim erwarten die meisten Unternehmen vom Content-Management-System mehr als nur eine bloße Verwaltungsanwendung: Vielfach geht es um einen Einsatz als strategische Plattform innerhalb der gesamten E-Business-Architektur. Doch wer E-Business betreiben will, muss nicht unbedingt ein Content-Management-System kaufen. Jürgen Kühner, Direktor Content Management der Skytec AG, weist auf die oft unterschätzten Einführungskosten hin, die bei größeren Projekten leicht die Millionengrenze überschreiten können.

Für mittelständische Unternehmen kann der Weg über ein Application-Service-Provider- (ASP-) Modell daher vorteilhafter sein. Entscheidet sich ein Unternehmen für ein CM-System, sei dessen Einführung sehr schwierig und bedürfe einer sorgfältigen Planung. Kühners Erfahrung: "Für viele Firmen bedeutet das eine 90-Grad-Wendung im Umgang mit Informationen." Dennoch weiß auch er: Die Nachfrage steigt, die derzeitige Auftragslage ist "exzellent".

Das Geschäft mit Content-Management-Systemen ist lukrativ. Einer Studie des britischen Forschungsinstituts Ovum zufolge werden allein die Lizenzumsätze für Content-Management-Software weltweit von 475 Millionen Dollar im Jahr 1999 auf viereinhalb Milliarden Dollar im Jahr 2003 anwachsen. Zwischen 50 und 100 zumeist kleinere und mittlere Hersteller teilen sich zurzeit den Markt. Der Anwender muss sich dabei nicht nur im Dschungel der diversen Anbieter zurechtfinden - hinzu kommt die Verwirrung durch die zahlreichen Fachtermini, welche die Marketingabteilungen der Unternehmen ins Spiel bringen.

"Unterschiede lassen sich für den Anwender nur schwer ausmachen, daher wird viel über Referenzen gekauft", meint Sebastian Böttger, Gründer und CEO der Imperia Software Solutions. Seine Wahrnehmung: Interessenten wollen vor dem Kauf mit bestehenden Anwendern des Systems sprechen, um sich selbst ein Bild zu machen. Allerdings lassen sich unmittelbare Vergleiche wegen der großen Unterschiede unter den vielen Individual-Lösungen auf den ersten Blick kaum anstellen, ein universelles CMS-Tool gibt es schlichtweg nicht.

Zukunft "Content Syndication"

Als klassische Klientel von Content-Management-Systemen gilt die Medienbranche. Das von der Skytec AG betreute Pilotprojekt "sueddeutsche.de" ist eines der zahlreichen Beispiele, in denen sich ein Verlag für den Einsatz eines professionellen Content-Management-Systems entschieden hat, nachdem er anfangs auf eine selbstgestrickte Lösung gesetzt hatte: Noch erstellen die 20 Online-Redakteure der Süddeutschen Zeitung die meisten der mehreren tausend Web-Seiten manuell in HTML. Zwei Redaktionssysteme sind im Einsatz - ein einheitliches Redaktions-Interface für die verschiedenen Ressorts war bislang nur eine Wunschvorstellung. Das soll sich in absehbarer Zeit ändern.

Nach mehrmonatiger Bewertung der Anbieter am Markt wird jetzt die Imperia-Lösung an die Erfordernisse der Süddeutschen angepasst und integriert. Inklusive Testphase und Migration vorhandenen Contents rechnet die Technikabteilung mit einer Einführungsdauer von einem halben Jahr.

Auch wenn der Verlag das Projekt von Anfang an als komplex und entsprechend diffizil eingeschätzt hat, überwiegt für Heike Ahlbrink, technische Leiterin der sueddeutsche.de, ein ganzes Bündel von Vorteilen: "Anstatt sich mit HTML zu plagen, können die Redakteure Texte komfortabel eingeben und einfach mit Tabellen, Bildern, Listen oder Zitaten ergänzen." Daneben garantiere die strukturierte Speicherung des produzierten Contents in einer Datenbank die Layout-Unabhängige Archivierung wie auch die mögliche Weiterverwertung des Contents.

Eine immer größere Rolle gerade in der Verlagsbranche spielt hierbei das Thema "Content Syndication", also die medienübergreifende kommerzielle Verbreitung von Inhalten. "Systeme von Infopark oder Vignette arbeiten bereits heute mit dem Protokoll ICE (Information and Content Exchange), mit dem versucht wird, eine Standardisierung für Content Syndication zu finden", so Oliver Zschau, Fachautor und Begründer der Website Contentmanager.de. Doch auch jenseits von ICE gebe es Ansätze: Einige Systeme bieten eigene Schnittstellen zu Content Providern, beispielsweise Core Media zu dpa.

Auch für Gesundheitscout24, einen der ersten Anwender des CM-Systems "Spectra" von Allaire im deutschsprachigen Raum, gehört die Option auf Syndication zu den wichtigsten Herausforderungen. Der Kölner Dienstleister bietet nicht nur ein eigenes Medical-Service-Center an, sondern auch den kompletten Support beim Betrieb von Internet-Portalen im Gesundheitsbereich. Zwei medizinische Redaktionen betreuen die eigenen wie auch diverse Kundenportale - und können dank XML-Schnittstelle aktuelle Nachrichten in beliebig viele Portale gleichzeitig einstellen.

Günter Schmidt, Projektleiter Technologie bei Gesundheitscout24 ist überzeugt: "Für die Mitarbeiter ist es ein genauso selbstverständliches Tool geworden wie Textverarbeitung und Tabellenkalkulation." Gesundheitscout24 wünschte sich vor allem ein offenes, objektorientiertes System, das den spezifischen internen Workflow für die Portale der betreuten Kunden realisiert. Zudem ist auch das spätere Einbinden einer XML-Datenbank möglich - die Schnittstellen dafür sind bereits vorhanden.

Überhaupt ist XML eine der Trumpfkarten, die den Wunsch nach intelligentem Content Wirklichkeit werden lassen sollen. Einige Anwender setzen bereits heute auf reine XML-Websites, wie etwa die amerikanische Schwesterpublikation der Computerwoche "PC World", die mit der Software von Vignette arbeitet.

XML ist populäres Datenformat und Metasprache zur Definition von Dokumenttypen zugleich. Durch die flexible und universelle Einsetzbarkeit für alle Plattformen, Medien und Ausgabeformate sowie die gegebene Möglichkeit, den Inhalt gezielt zu durchsuchen, erscheint das "Web-Esperanto" als ideale Technik für die Datenhaltung zukünftiger Content-Management-Systeme.

CMS-Experte Zschau prognostiziert, dass neben XML auch Funktionen wie automatische Katalogisierung, Personalisierung und Syndication eine wichtige Rolle für das Content Management der Zukunft spielen werden. Seiner Einschätzung zufolge befindet sich der milliardenschwere Markt für Content-Management-Systeme allerdings noch in der Entwicklungsphase - eine Konsolidierung erwartet er erst im Jahr 2002: "Enterprise-CMS als Framework für Unternehmenslösungen werden sich dann mit Webpublishing-orientierten CMS für stark redaktionelle Websites den Markt teilen."

Da die Systeme zunehmend darauf ausgerichtet sind, Content unterschiedlichster Quellen zu verwalten, ist "ein Verschmelzen mit dem klassischen Dokumenten-Management mehr als vorstellbar", resümiert Zschau. Eine weitere Herausforderung sieht er in der wachsenden Zahl der Ausgabemedien. So werde der verwaltete Content beispielsweise nicht nur über Printmedien und PC-Desktops, sondern auch auf dem Weg über mobile Endgeräte verteilt.