Verantwortung war gestern

Die Jungen sind führungsmüde

08.06.2014 von Bettina Dobe
Karriere ja, Führung nein: Immer weniger Manager wollen Personalveranwortung, so eine Studie. Das verändert Unternehmen - zum Positiven.

Mitarbeitergespräche führen, Weiterentwicklungen besprechen und sich mit Zielerreichung und Planstellen herumschlagen? Bloß nicht. Die Jungen wollen nicht mehr führen, jedenfalls nicht mehr so wie frühere Generationen. Das ergab das "Manager-Barometer 2013" des Personalberaters Odgers Berendtson. Sehr ausgeprägte "Freude an Führungsaufgaben" empfanden nur 58,5 Prozent der 1193 teilnehmenden Führungskräfte. Auch wenn dies auf den ersten Blick nach einer hohen Prozentzahl klingt, sollte nicht vergessen werden, dass Führung die Hauptaufgabe von Managern ist.

Nach Altersgruppen aufgeschlüsselt ergibt sich ein differenzierteres Bild. Je älter die Führungskräfte, desto mehr Spaß macht es ihnen, Personal zu führen und zu entwickeln. "Vor allem junge Manager und weibliche Führungskräfte haben weniger Interesse daran, Führungsverantwortung zu übernehmen", heißt es in der Studie. Warum die jüngeren jedoch keine Lust mehr haben, Personalverantwortung zu übernehmen, darauf hat die Studie keine Antwort.

Wertewandel der Generation Y

Werner Schultheis, CIO der Zeitarbeitsfirma Randstad Deutschland, überrascht diese Zahl nicht. "Wir beobachten dieses Phänomen schon seit ein paar Jahren", erzählt er. "Es wird immer schwieriger, Mitarbeiter zu finden, die auch Führungsverantwortung übernehmen wollen." Gerade jüngere Mitarbeiter sträubten sich dagegen. Schultheis kann nur vermuten, warum sie sich von der Personalverantwortung abwenden. "Möglicherweise steckt da ein Wertewandel dahinter", sagt er.

Karriere, nein danke! Besonders junge Manager haben vielfach kaum Interesse an Führungsverantwortung.
Foto: olly - Fotolia.com

Im technischen Bereich habe dieser Prozess begonnen, erzählt der CIO. "Viele junge Manager finden die Fachfragen viel interessanter als Personalfragen", glaubt Schultheis. "Ich vermute, dass sie sich an den Start-Up-Kollegen orientieren." Jene könnten am Ende des Arbeitslebens von sich behaupten, drei Unternehmen gegründet und fünf Produkte auf den Markt geworfen zu haben. "Während man selbst sich dreißig Jahre um Mitarbeiter gekümmert hat", sagt Schultheis. Da erscheine das Praktische, die Herausforderungen der Technik und das "Machen", viel interessanter als das Zwischenmenschliche. Die Studie bestätigt die Ansicht des CIOs: Am meisten fühlen sich Führungskräfte motiviert, wenn sie ihre Stärken und Begabungen einsetzen können. Im Umkehrschluss: Wer nicht gern führt, der vernachlässigt sein Team. Das demotiviert und führt insgesamt zu schlechteren Ergebnissen.

Keine Führung = keine Karriere?

Die Abkehr von der Personalverantwortung wirft nicht nur dieses Problem auf: Auf das Gehalt und die inhaltliche Verantwortung, die ein Managerposten mit sich bringt, wollen die Jungen nicht verzichten. Wenn sich die Generation Y aber nicht für Personalfragen interessiert, kann sie keine Karriere machen. Oder? "Früher war das so. Wer sich nur für die Technik interessierte, blieb auf der Karriere-Leiter stehen", erzählt Schultheis. "Damals war Karriere mit Führung gleichzusetzen." Zumindest bei Randstad sei das nun nicht mehr so, meint er. Die eingleisige Förderung von Talenten ist mit den jungen Managern nicht zu machen.

Die Fachkarriere bietet die Lösung. Sie ermöglicht Aufstieg ohne Personalverantwortung - und sie ist die Zukunft, glaubt Schultheis. "Der Kampf um die Talente wird härter. Einen Spezialisten, so wie wir ihn gerade in der IT mit seinen Fähigkeiten brauchen, bekommt man auf dem Markt nur schwer", erläutert der CIO seine Position. "Diesen Mitarbeiter wollen wir halten - also müssen wir ihn auch befördern und mehr Gehalt zahlen. Auch dann, wenn er kein Personal führen möchte oder kann." Die Fachkarriere sei für sein Unternehmen dringend notwendig, um Experten zu halten. "Wir wollen nicht dauerhaft mit Consultants arbeiten", sagt Schultheis.

Randstad-CIO Werner Schultheis: "Früher war Karriere mit Führung gleichzusetzen. Junge Manager wollen immer noch Karriere machen, sind aber eher an Fachfragen interessiert."
Foto: Randstad

Fachkarriere als Ausweg

Dass Fachkarriere das Zauberwort ist, ergab auch die Umfrage der Personalberater: Führungskräfte in Deutschland befürworten Fachkarrieren. Knapp 20 Prozent der Befragten gaben an, dass dies ein sehr geeigneter Weg sei, um der "Führungsmüdigkeit" etwas entgegenzustellen und 55 Prozent hielten dies zumindest für ein geeignetes Instrument. "Die Fachkarriere bietet Menschen die Chance, eine Karriere zu durchlaufen, ohne dass sie Personalverantwortung übernehmen müssen - das will ja nicht mehr jeder", sagt Schultheis.

"Mir macht es zum Beispiel sehr großen Spaß, Mitarbeitern auch Impulse zu geben", sagt der CIO. Auch, wenn dies zeitraubend sei. Vielleicht ist auch der Faktor Zeit eine mögliche Erklärung für die Führungsmüdigkeit: Immer stärker möchten sich Manager Zeit für ihr Privatleben und die Familie nehmen. "Eine ausgeglichene Work-Life-Balance ist deutschen Managern sehr wichtig", heißt es in der Umfrage - doch wer Personalverantwortung Ernst nimmt, verbringt viel Zeit mit den Mitarbeitern.

Neue Organisations-Strukturen

Um Fachkarrieren in Unternehmen zu ermöglichen, braucht es Kreativität und Mut. Wie eine Fachkarriere im Unternehmensalltag aussehen kann, beschreibt Schultheis: "Dafür müssen alte Strukturen aufgelöst werden." In seinem Unternehmen kämen häufig Projekt-Manager zum Einsatz. "Es ist auch möglich, Projekt-Manager ohne Linienkompetenz zu sein." Die Spezialisten würden wegen ihrer fachlichen Expertise dringend gebraucht: "Wir fahren so viele Projekte. Ohne sie würde es nicht laufen", erklärt er.

Ganz ohne Führungskompetenz läuft freilich kein Unternehmen rund: Die Personalentwicklung hat der jeweilige Linien-Manager inne, er führt auch die Mitarbeitergespräche. Der Projekt-Manager, erzählt Schultheis, habe thematisch und fachlich Verantwortung für seinen abgeschlossenen Bereich, in Personalbelangen aber nicht. "Das muss von beiden Seiten akzeptiert werden, da darf es keine Diskussionen geben." Um die verschiedenen Karriereschritte voneinander abzugrenzen, hätten sie neue Bezeichnungen eingeführt, erklärt Randstad-CIO Schultheis. "Wer weiter aufsteigt, wird zum Senior und dann zum Chief Project Manager."

Vorbildrolle

Ganz auf die Technik konzentrieren können sich Projektmanager allerdings auch nicht. "Sie müssen auch eine gute soziale Kompetenz aufweisen und sehr gut spüren können, wann die Teamkollegen wo abgeholt werden müssen", sagt Schultheis. Die emotionale Komponente dürfe auch in Fachkarrieren nicht vernachlässigt werden. "Unsere Projektmanager haben auch eine Vorbildfunktion. Das darf man nicht unterschätzen", warnt der CIO. Schließlich zeigten sie am lebenden Objekt die Karriere-Möglichkeiten, die ein Unternehmen bieten kann.

Aus diesem Konzept der Fachkarriere ergibt sich eine spannende Konstellation: "Die Hierarchien sind bei uns in den Teams interessant", sagt Schultheis. So komme es vor, dass ein Team-Manager einen Mitarbeiter führe, der eigentlich in der Hierarchie viel höher angesiedelt sei. So berichte beispielsweise ein Grad 9-Manager an einen Manager mit Grad 6. In alten Strukturen unmöglich - in Fachkarrieren Alltag. "Sonst müssten unsere Experten stets an den Direktor berichten, wenn wir die alten Linien noch einhielten", erklärt Schultheis.

Es knirscht

Der Übergang in eine ungewöhnlichere Struktur läuft nicht ohne Reibungsverluste. "Die Mitarbeiter müssen zunächst akzeptieren, dass Führungsverantwortung und Fachverantwortung zwei Paar Schuhe sind. Das muss sehr gut kommuniziert werden", erklärt Schultheis. Allzu rasch wurde der Strukturwandel daher auch bei Randstad nicht vollzogen.

Probleme gibt es zuhauf, angefangen beim Gehalt: "Es fängt an zu knirschen, wenn ein in der Personal-Hierarchie höher angesiedelter Manager sehr viel weniger verdient als derjenige, der an ihn berichtet", sagt Schultheis. Mittlerweile sei dieses Thema jedoch bei ihnen "durch", wie er sagt. "In meinem Bereich funktioniert es sehr gut", meint der CIO.

Gehalt
Wer verdient wieviel in der ITK-Branche?
Diese Frage beantwortet die Gewerkschaft IG Metall in ihrer großen Entgeltanalyse, in die 36.000 Gehaltsdaten aus über 160 Unternehmen eingeflossen sind. Die Basis der Daten ist eine 36-Stundenwoche. Bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden müssen die Werte um 14,3 Prozent erhöht werden.
In der Softwareentwicklung..
... stagnieren vor allem die Gehälter der Einsteiger seit zwei Jahren.
...verdient ein Softwareingenieur..
..der Stufe 1. Ein Systemanalytiker mit mehrjähriger Berufserfahrung kommt auf mit 54.000 Euro, Softwarearchitekten oder leitende Softwarespezialisten können mit einem Jahreseinkommen von 76.400 Euro rechnen.
...erhält ein Leiter der Softwareentwicklung.
Sein Gehalt erhöhte sich um 3 Prozent. Damit verdient er mehr als doppelt so viel wie der Entwickler, der einsteigt.
In der Hardwareentwicklung...
...haben vor allem die Gruppenleiter Gehaltseinbußen hinnehmen müssen.
...bekommt ein Einsteiger in der Hardwareentwicklung.
Vor zwei Jahren lag das Einstiegsgehalt in dem Bereich noch bei 41.500 Euro.
...verdient ein Hardwareentwickler.
Mit zunehmender Berufserfahrung kann er als Senior Entwickler 62.400 Euro im Jahr verdienen.
...erhält ein Gruppenleiter in der Hardwareentwicklung.
Damit musste er ein Minus von 6,8 Prozent zum Vorjahr hinnehmen.
...bekommt ein Leiter Hardwarentwicklung
Auch sein Gehalt ist im Vergleich zu anderen Führungskräften nur leicht um ein Prozent gestiegen.
Berater....
...gehören immer noch zu den gesuchtesten und gut bezahlten Berufsgruppen auf dem IT-Arbeitsmarkt.
...verdient ein Junior Berater
Die Einstiegsgehälter sind im Vergleich zum Vorjahr aber um 1,2 Prozent zurückgegangen.
...erhält ein Berater.
Das sind 12.000 Euro im Jahr mehr als ein Juniorberater bekommt.
...bekommt ein Senior Berater.
Auch der nächste Sprung zum Senior zahlt sich aus. Ein Senior Berater verdient 14.000 Euro mehr als ein Berater. Das braucht aber seine Zeit: Nur 4,6 Prozent der Senior Beater sind unter 35 Jahre.
...verdienen Chefberater,
...die Projekte fachlich leiten und verantworten, im Jahr. Sie gehören mit knapp 78.000 Euro zu den Spitzenverdienern der Branche. Allerdings sind nur 2,4 Prozent von ihnen jünger als 35 Jahre.
...erhält ein Leiter Beratung.
Sein variabler Anteil liegt bei 15.500 Euro im Jahr.
Auch Projektmanager....
...gehören zu den am besten bezahlten IT-Spezialisten.
...bekommt ein Projektmanager am Anfang.
Sein Gehalt hat sich nur um 0,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöht.
...erhält ein Projektmanager in der Stufe IV.
Im Vergleich zum Vorjahr gab es hier ein sattes Plus von 6 Prozent.
Im Rechenzentrum...
...erhöhten sich die Gehälter um durchschnittlich 1,9 Prozent.
...verdient ein Systemingenieur der Stufe I
In der Stufe II beträgt das Jahresgehalt bereits 71.100 Euro. Allerdings sind 45 % der Mitarbeiter älter als 50 Jahre.
...erhält ein Teamleiter Rechenzentrum
Sein Gehalt hat sich um 2,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöht.
...bekommt ein Leiter Rechenzentrum.
Im Gegensatz zu anderen Führungskräften haben RZ-Leiter nur einen geringen variablen Gehaltsbestandteil von 7000 Euro im Jahr.
Service und Support...
...gehören zu den Jobfamilien, die sich über überdurchschnittliche Gehaltssteigerungen von über 5 Prozent freuen durften.
...erhält ein Servicetechniker.
Das sind knapp 8000 Euro mehr als ein Juniortechniker verdient.
...verdient ein Supporttechniker,...
...der schwierige und komplexe Probleme löst, über Spezialkenntnisse oder einen Hochschulabschluss verfügt.
...bekommt ein Leiter Kundendienst.
Im Vergleich zum Vorjahr gab es hier ein Plus von 4,1 Prozent.
...erhält ein Service Manager,
...der Ansprechpartner für Probleme, Angebote und sonstige Anfragen des Kunden ist.
...verdient ein Senior Service Manager.
Im Vergleich zum Vorjahr gab es hier ein Plus von 3,9 Prozent.
60.882 Euro bekommt ein Trainer pro Jahr.
Das sind knapp 30.000 Euro im Jahr weniger als der Leiter des Bildungswesens.
Im Marketing...
...ist schon das Einstiegsgehalt mit 49.300 Euro höher als in der Entwicklung oder auch in der Beratung.
...bekommt ein Marketing Spezialist mit mehrjähriger Erfahrung.
Im Gegensatz zu vergleichbaren Positionen in anderen Bereichen ist hier der flexible Gehaltsbestandteil mit durchschnittlich 15.700 Euro schon hoch.
...erhält ein Senior Marketing Spezialist.
Der flexible Gehaltsbestandteil beträgt hier im Schnitt 17.300 Euro
...verdient ein Marketingleiter.
Damit liegt er gleichauf mit dem Leiter der Softwareentwicklung.
Im Vertrieb...
sind die flexiblen Bestandteile noch höher als im Marketing.
...bekommt ein Junior Vertriebsbeauftragter.
Der variable Anteil beträgt im Schnitt 10.000 Euro.
...erhält ein Senior Vertriebsbeauftragter.
Im Vergleich zum Vorjahr gab es hier ein Plus von 4 Prozent.
...verdient ein Vertriebsleiter.
Damit ist er die Führungskraft, die am besten verdient. Mit 37.000 Euro hat er auch den höchsten variablen Anteil.
Im Call-Center...
..nehmen sich die Verdienstchancen vor allem anfangs bescheiden aus.
...erhält ein Junior Kundenbetreuer.
Das sind 16.000 Euro weniger als ein Vertriebsbeauftragter.
...bekommt ein Senior Kundenbetreuer,...
...der Kundenanfragen nicht nur umfassend betreuen, sondern auch schwierige Gespräche übernehmen kann (Eskalationsbearbeitung).
...verdient ein Gruppenleiter im Call Center.
Sein variabler Anteil liegt bei durchschnittlich 11.000 Euro.
...erhält ein Call-Center-Leiter.
57 Prozent der Leiter sind über 50 Jahre alt.

Aber auch Schultheis stieß am Anfang auf Widerstände. "In einigen Fällen fühlten sich die Mitarbeiter angegriffen, wenn sie aus der Personalverantwortung herausgenommen wurden", erzählt er. "Aber ich habe sehr oft den Satz gehört: "Gut, dass du mich da rausgeholt hast." Meine Mitarbeiter waren oft erleichtert", sagt er. Mit anderen habe er lange Diskussionen geführt. Letztlich hätten die Kollegen den neuen Karriereweg akzeptiert und seien oft aufgeblüht, meint Schultheis. "Einige merken gar nicht, wie sehr sie mit der Personalführung belastet sind." Erst mit einer Fachkarriere können einige Mitarbeiter ihr volles Potenzial ausschöpfen. Ein einfacher Weg bis hin zu parallelen Karrieren im Unternehmen ist es dennoch nicht.

Nieder mit dem Prinzip Peter

Die Fachkarriere bietet zudem die Möglichkeit, endgültig vom "Peter-Prinzip" Abschied zu nehmen, laut dem jeder Mitarbeiter so lange aufsteigt, bis er seine Stufe der Unfähigkeit erreicht hat. Weiter befördert wird er nicht - gefeuert aber ebenso wenig. So ist es auch mit der Führungsverantwortung. "Wer am längsten da war oder einfach gute Arbeit leistete, wurde befördert und bekam automatisch Mitarbeiter", erzählt Schultheis von früheren Zuständen. "Da wurde nicht gefragt, ob er Personal führen kann oder es gern macht." Da es keine Alternative zu dieser Beförderung gab, hinterfragte der Mitarbeiter auch selbst seine Befähigung zum Manager nicht. "Aus diesem Dilemma kommt man einfach schwer wieder raus", sagt Schultheis.

Welche Karriere ein Mitarbeiter einschlagen will, müsse jeder selbst wissen. Eines aber möchte Schultheis betonen: "Die Fachkarriere ist keine Parkfunktion. Wer nicht talentiert ist, wird weder eine Linien- noch eine Fachkarriere einschlagen." Schultheis ist sich sicher: Auf die Fachkarriere kann kein Unternehmen heutzutage verzichten.