Künstliche Intelligenz in der Autoindustrie

Die Mitarbeiter wollen, aber die Unternehmen zögern

21.11.2018 von Gabriel Seiberth
KI wird die Arbeitswelt verändern, doch viele Autohersteller investieren nicht in den Übergang. Die Mitarbeiter sind willig, der Tatendrang der Unternehmen hingegen schwach.
Die Arbeitnehmer in der Automobilindustrie sehen der Automatisierung gelassen entgegen. Vielmehr erwarten sie durch KI positive Auswirkungen auf ihren Job.
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Digitale Technologien verändern in den nächsten zehn Jahren nahezu jeden Aspekt der Unternehmensführung. Dieser Befund ist unter den Unternehmenslenkern weitgehend unstrittig. Wie der Wandel genau aussehen wird und was zu tun ist, ist dem gegenüber unklar. Eine Studie zur Entwicklung der Arbeitswelt in der Automobilindustrie wirft ein Schlaglicht auf den Wandel in einer deutschen Schlüsselindustrie. Dafür befragte Accenture Research 100 Führungskräfte und 1.600 Arbeiter von großen Automobilunternehmen in 11 Ländern.

Arbeiter sind aufgeschlossen

Die Ergebnisse der Studie räumen zunächst mit dem Horrorszenario auf, durch KI könnten massenhaft Arbeitsplätze entfallen. Weiterhin wurde deutlich, dass viele Arbeitnehmer sich den Folgen der Technologierevolution vollkommen bewusst sind, darin aber entgegen der gängigen Meinung eine positive Entwicklung sehen. Schließlich ist „Automation“ für die wenigsten Werker in der Industrie etwas Neues. Viele haben die Erfahrung gemacht, dass Roboter den eigenen Arbeitsalltag erleichtern.

Tatsächlich machen Roboter viele vom Menschen ausgeübte Tätigkeiten weniger roboterhaft, da Routineaufgaben entfallen. Entsprechend positiv fiel die Reaktion der Arbeitnehmer aus: Die 1.600 befragten Arbeiter zeigten sich aufgeschlossen gegenüber neuen Technologien. 63 Prozent gaben an, KI werde positive Auswirkungen auf ihre Arbeit haben und sie seien begierig, mehr über KI-basiertes Arbeiten zu lernen.

Dabei wurde übrigens auch deutlich, dass Führungskräfte und Mitarbeiter uneinig darüber sind, was die benötigten Fähigkeiten für die Zukunft sind. Viele Arbeitnehmer fühlen sich daher von den Unternehmen im Stich gelassen, wenn es um Weiterbildung oder die Neuausrichtung ihrer Jobprofile geht.

Jobmotor KI?

Wie KI-Potentiale sich am besten nutzen lassen, ist eine wichtige Frage, die ganz oben auf die Management-Agenda gehört: Das Analystenhaus Gartner rechnet damit, dass durch KI bis 2021 über alle Branchen hinweg zusätzliches Geschäft in Höhe von 2,9 Milliarden Dollar entsteht. Natürlich werden Arbeitsplätze durch Automatisierung wegfallen, im Gegenzug entstehen aber auch neue. So wird autonomes Fahren zu einem bestimmten Zeitpunkt Taxifahrer ersetzen, dafür entstehen an anderer Stelle aber auch völlig neue Job-Profile wie Data Scientist oder Data Steward. Selbst Taxifahrer können auf eine neue Beschäftigung als Teleoperator für Robotertaxis hoffen.

Laut Gartner wird KI schon im nächsten Jahrzehnt zu einem Jobmotor. Bis dahin wird es zwar – über alle Branchen hinweg – zu temporären Arbeitsplatzverlusten kommen, ab 2020 ist der Saldo aber deutlich positiv. 2025 sollen netto bereits zwei Millionen neue Jobs entstanden sein.

Für die Automobilindustrie nennt Gartner keine Zahlen, hier dürfte der Trend aber eher noch klarer ausfallen. Intelligente Algorithmen sind die Grundlage des neuen Kernprodukts – Stichwort autonomes Fahren – aber eben auch neuer Mobilitätskonzepte und datengetriebener Geschäftsmodelle. Hinter diesen neuen Geschäftsfeldern steckt ein Multimilliardenmarkt – 1,2 Billiarden Dollar werden es laut einer Studie von Accenture und dem BVDW im Jahr 2040 sein. Diese Entwicklung wird positive Auswirkungen auf Arbeitsplätze in der Industrie haben.

„AI Augmentation“ für mehr Effizienz

Mehr als die Hälfte der Führungskräfte (56 Prozent) zeigten sich in der Accenture-Befragung überzeugt, dass die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine notwendig ist, um die strategischen Unternehmensziele zu erreichen. Künstliche Intelligenz wird also nicht, wie Automatisierung bisher, primär als Effizienzsteigerung verstanden, sondern auch als strategische Ressource.

Tatsächlich dürfte die Verbindung von Technologie und menschlicher Arbeitsleistung – von Gartner „AI Augmentation“ genannt – ein zentraler Wertschöpfungsbereich der Zukunft werden. Auch eine frühere Accenture-Studie ergab, dass KI die Profitabilität in der Produktion bis 2035 um bis zu 39 Prozent erhöhen kann.

Unterlassungssünde Investitionsstau

Die Potentiale durch KI sind hoch – sowohl in Kosteneffizienz wie auch Umsatzsteigerung. Voraussetzung ist allerdings, dass Arbeitsanforderungen und Arbeitsstrategien neu definiert werden. Als problematisch erweist sich aber die fehlende Bereitschaft des Managements, in als notwendig erkannte Veränderungen konkret zu investieren. Nur 10 Prozent der Unternehmen haben bereits begonnen, ihre Organisationen neu auszurichten und Veränderungsprojekte für ihre Arbeitskräfte zu initiieren. Und obwohl die meisten Führungskräfte angaben, dass ihre Mitarbeiter neue Skills brauchen, sagten nur zwei Prozent, dass eine signifikante Steigerung der Investitionen in Reskilling-Programme geplant sei.

Die Aufzählung der Vorteile zeigt: Eigentlich kann sich kein Hersteller leisten, die eigene Vorbereitung auf die KI-Welt von morgen nicht zu forcieren. Das soll natürlich nicht heißen, dass die Betriebe einfach starten und beispielsweise mehr Mittel für Re-Organisationen oder Schulungen bereitstellen. Aber: eine gezieltere Beschäftigung mit dem Thema und das Vorbereiten von Szenarien und Plänen dürfte durchaus ratsam sein. Und: die Verständigung zwischen Management und Mitarbeitern bezüglich der eigenen Erwartungen und Wünsche rund um Künstliche Intelligenz scheint dringend geboten.