IDC-Analyse

Die Telekom kennt den Wert von T-Systems nicht

25.03.2008
Die Marktforscher von IDC rüffeln die Deutsche Telekom: Der Carrier nutze die Möglichkeiten der IT-Tochter T-Systems nicht.

Nach einem Jahr Suche konnte T-Systems Anfang März mit dem US-amerikanischen Offshore-Spezialisten Cognizant endlich einen Partner präsentieren. Allein der Umstand, Kunden, Mitarbeiter und Partner über Monate im Ungewissen zu lassen, zeugt von wenig Professionalität. Nahezu erschreckt zeigten sich die Marktforscher von IDC, wie die Deutsche Telekom in den vergangenen Monaten und Jahren mit ihrer IT-Tochter umgesprungen ist. Angesichts der jüngsten Entwicklung haben die unabhängigen Experten auch wenig Hoffnung auf Besserung. Das Konzern-Management erkennt offenbar nicht den Wert von T-Systems für die künftige Entwicklung des gesamten Konzerns.

Warum war T-Systems so lange führungslos?

Mit Unverständnis quittieren die Marktforscher beispielsweise, dass das Telekom-Management T-Systems nahezu das ganze Jahr 2007 führungslos ließ. Der Ex-T-Systems-CEO Lothar Pauly hatte Mitte 2007 das Unternehmen verlassen. Er war vom Korruptionsskandal bei seinem vormaligen Arbeitgeber Siemens erfasst worden. Pauly hatte intern nie den Rückhalt, T-Systems neu auszurichten. Erst im Dezember folgte der jetzige CEO Reinhard Clemens. Die lange Phase ohne starke Führungskraft habe die Geschäftskunden verunsichert, moniert IDC. Und sie habe deutlich gezeigt, wie wenig das Telekom-Konzern-Management vom sich schnell wandelnden IT-Markt verstehe. Mit Hilfe des Partners Cognizant sollen nun die Fehler der Vergangenheit ausgebügelt werden. Das wird kein leichtes Unterfangen, vermutet IDC.

Ohnehin betrachtet das Analystenhaus die Kooperation skeptisch. "Wir sind keineswegs davon überzeugt, dass die Partnerschaft zwischen T-Systems und Cognizant dem Kerngeschäft der Deutsche Telekom zugute kommt. Eine wesentliche Herausforderung für Telcos besteht in der stetig wachsenden Rolle von IT und Software im TK-Geschäft. Carrier ohne ausgeprägtes IT-Know-how sind nicht wettbewerbsfähig." Die Kooperation erwecke jedoch nicht den Anschein einer durchdachten Strategie. Einsparungen stehen ganz oben auf der Wunschliste von T-Systems und Telekom. "Das Vorhaben ist grundsätzlich begrüßenswert, denn es wird helfen, finanzielle Probleme von T-Systems zu lösen", meint IDC-Analyst Dan Bieler. "Die Partnerschaft bringt aber der Deutschen Telekom nichts. Sie schafft keinen Rahmen, T-Systems enger im Kerngeschäft der Telekom zu verankern. Der Wert der Kooperation für den Konzern ist begrenzt." Das sei unverständlich, zumal der Carrier über sämtliche Anlagen für eine fundierte, nachhaltige und zukunftsfähige Geschäftsstrategie verfüge. T-Systems könne darin eine tragende Rolle spielen.

Überholte, auf Mobilfunk ausgerichtete Konzernstrategie

Die aktuellen Konzernziele sind laut IDC zu sehr auf den Mobilfunkmarkt ausgerichtet. Handynetz-Betreiber im Ausland zu übernehmen bringe zwar kurzzeitigen Erfolg, habe aber nichts mit einer langfristig erfolgreichen Strategie zu tun. Im traditionellen Mobilfunk sehen die IDC-Experten nur noch wenige "reife Früchte", die es sich zu pflücken lohnt. Das Wachstumspotenzial sei durch die Sättigung in vielen Märkten begrenzt und der Preisdruck auf Tarife und Roaming-Gebühren hoch.

Mit Hochachtung schauen die Analysten dagegen auf das Festnetz der Bonner: "Die Deutsche Telekom betreibt eine hochwertige Netzinfrastruktur und ein ausgeprägtes Next Generation Network." Die neuwertige Installation könne den Weg in eine IP-basierende Welt weisen, in der Applikationen, Services und Lösungen verschmelzen. Software werde dabei - neben einer modernen Vernetzung - eine Schlüsselrolle spielen. Um dieses Geschäft erfolgreich zu betreiben, benötigen Telcos mehr als nur Wissen darüber, wie man Unternehmen vernetzt. Sie müssen ICT-Provider sein (ICT = Information, Communication and Telecommunication) und sollten dazu eigene "ICT-Labore" betreiben, in denen sie das interne IT-Wissen bündeln. Derartig aufgestellte TK-Anbieter gibt es kaum. T-Systems - und damit auch die Deutsche Telekom - hätten sich in diesem Markt früh und klar positionieren können. Zumindest der Konzern hat das versäumt.

Neue Märkte gibt es im ICT-Geschäft

Die meisten Telcos, inklusive Deutsche Telekom, unterhalten für die beschriebenen Herausforderungen keine adäquaten Betriebsstrukturen. Das auf drei Säulen (Mobilfunk, Festnetz, Geschäftskunden) ruhende Geschäft der Telekom ist überholt und entspricht nicht den Bedürfnissen der Kunden. Weit beunruhigender ist, dass der Konzern keine guten Ideen für die Zukunft hat und wenige Innovationen den Weg ins Portfolio finden. Die meisten Services, Produkte und Tarife, die in Bonn im vergangenen Jahr kreiert wurden, können Kunden in gleicher oder ähnlicher Form auch beim Wettbewerber bekommen.

Und die Situation wird unangenehmer. Neue Konkurrenten setzen der Telekom zu. Die Herausforderer kommen aus allen Branchen und Richtungen. Es sind System-Integratoren, Softwareanbieter, Dienstleister für Geschäftskunden, Online- und Marketing-Firmen, Betreiber von Web-2.0-Services und Gerätehersteller. Applikationen im Unified-Communications-Umfeld gewinnen auch in der professionellen Kommunikation an Gewicht und die Deutsche Telekom hat sich bislang in keinem der neuen Felder als Wegbereiter hervorgetan.

Doch IDC wäre kein Marktforschungshaus, wenn es nicht auch einige Ratschläge zur Hand hätte. Die Analysten raten der Telekom zu folgender internen Organisation:

Unter diesem Blickwinkel sollte T-Systems eine wichtige Rolle in einem Konzern spielen, der insgesamt eine Verjüngungskur braucht. Die IT-Tochter kann zwar nicht die Lücken im Applikations- und Softwaregeschäft schließen, sie bietet dem Konzern aber - verglichen mit Telcos in anderen Ländern - ein Standbein im professionellen Servicemarkt.

Was kann Cognizant leisten?

Verwundert haben sich die Analysten die Augen gerieben, als Cognizant und T-Systems Anfang März der Öffentlichkeit eine Partnerschaft auf Augenhöhe vorstellten. T-Systems ist deutlich größer als Cognizant, rechnet IDC vor: Führte man beide Unternehmen zusammen, würde die Telekom-Tochter 89 Prozent vom kombinierten Umsatz und 104 Prozent vom Operating Free Cash Flow stellen. Obwohl T-Systems keine Alternative habe und sicher besser mit als ohne Offshore-Partner fahre, scheint es den Analysten so, als ob Cognizant in den Verhandlungen das bessere Los gezogen habe. Als bedenklich erachtet IDC zudem, dass der Partnerschaft Kontrollmechanismen etwa in den finanziellen Zielen und im angestrebten Synergiepotenzial fehlen. Es steht zu hoffen, dass die Deutsche Telekom intern mehr Details vereinbart hat.

Gemessen am Zahlenwerk ist T-Systems Senior Partner. Dennoch betreibt das Unternehmen mit Cognizant eine Partnerschaft auf Augehöhe.
Foto: Deutsche Telekom, Cognizant, IDC

Immerhin hat der Konzern ein Bekenntnis zu T-Systems abgelegt und betont, dass die Partnerschaft mit Cognizant die strategische Bedeutung von T-Systems im Unternehmen unterstreicht. Einen Fahrplan, wie die Deutsche Telekom die Möglichkeiten von T-Systems in die Konzernstrategie einfließen lassen möchte, gibt es bislang nicht.

Die Kooperationsform bietet weder eine schnelle noch eine allumfassende Lösung der vergangenen Probleme, sie wird das Unternehmen dennoch deutlich verändern. Mit Cognizant an der Seite wird T-Systems in einem Jahr völlig anders aufgestellt sein als heute. Zur Gefahr wird der Wandlungsprozess laut IDC, wenn das Management lediglich Sparziele verfolgt und aus der Partnerschaft keine Strategie entwickelt. Das gilt nicht nur für T-Systems, sondern auch für die Deutsche Telekom. Sparen schafft keine nachhaltige Position im ICT-Markt. Dazu sind integrierte Services nötig.

Last, but not least warnt IDC vor Unstimmigkeiten in der Partnerschaft. Immerhin stoßen zwei Firmen mit unterschiedlichen Unternehmenskulturen aufeinander. Wie diese miteinander harmonieren wird sich in den ersten Projekten zeigen. Spätestens dann wird die Frage zu klären sein: "Wer ist der Boss?" (jha)