Mit Nordkorea verbinden die meisten Menschen Unterdrückung, Hunger und Militärstaat. Weitgehend unbekannt ist, dass sich Nordkorea seit geraumer Zeit intensiv um eine eigene IT-Industrie bemüht. Universitäten bilden seit einigen Jahren IT-Ingenieure und -Wissenschaftler aus. Lokale Unternehmen bemühen sich, ihre heimischen Arbeitskräfte mit dem international konkurrenzfähigen und gefragten Know-how auszustatten.
Mit wenigen Ausnahmen - allen voran Indien - beschäftigen Outsourcing-Provider in den meisten aufstrebenden Staaten und Entwicklungsländern kaum mehr 100 Mitarbeiter. Doch bei mehreren nordkoreanischen IT-Dienstleistern arbeiten jeweils über 1000 IT-Spezialisten, sagte Paul Tija, ein in Rotterdam ansässiger, auf Offshoring und Outsourcing spezialisierter Berater, vor rund einem Jahr in einem Gespräch mit IDG News Services. "Die Regierung kümmert sich verstärkt um den Aufbau einer IT-Industrie", beobachtete der Experte. Man erwarte sich positive Auswirkungen für den Arbeitsmarkt und die gesamte Volkswirtschaft.
Demnach konzentiert sich die Industrie auf Nischenthemen, etwa auf Animationstechnik, Dateneingabe und Software für mobile Anwendungen. Die Hinwendung zur IT begann in Nordkorea im Jahr 1990. Beschleunigt wurde die Modernisierung im Jahr 2000 durch eine Rede des nun verstorbenen Machthabers Kim Jong-il. Darin brandmarkte er Menschen, die keinen Computer bedienen können, als einen von drei Typen von "Idioten des 21. Jahrhunderts". Als die zwei anderen Typen nannte er Raucher und Musikverächter.
Es gibt erste Joint Ventures
Dennoch bleibt das Outsourcing nach Nordkorea schwierig. Problematisch ist die Sprachbarriere. Zudem gibt es sehr wenig Erfahrung im Umgang mit den heimischen Unternehmen. Doch das Land hat einen großen Vorteil: "Es gehört zu den weltweit preisgünstigsten Regionen. Es gibt wenige Firmen, die ein solches Know-how zu derartig günstigen Preisen bieten können", sagt Tija.
Der Outsourcing-Anbieter mit dem am besten ausgeprägten Profil ist vermutlich Nosotek. Das Unternehmen wurde erst 2007 gegründet und gehört zu den wenigen Firmen, die als Joint Venture mit westlichen Anbietern in der Hauptstadt Pjöngjang betrieben werden. "Ich habe erkannt, dass Nordkoreas IT-Industrie aufgrund des Fachwissens ihrer Softwareingenieure ein gutes Entwicklungspotenzial hat. Doch die schlechten Kommunikationsbedingungen haben es nahezu unmöglich gemacht, von außerhalb mit den lokalen Firmen produktiv zu arbeiten", sagte Volker Eloesser, President von Nosotek. "Also habe ich den nächsten logischen Schritt gemacht und vor Ort ein Unternehmen gegründet." Der deutsche Manager Eloesser hat viel Erfahrung mit der Entwicklung und Vermarktung von Computerspielen, unter anderem arbeitete er für Jamba und Elo Interactive .
Nosotek nutzt das Know-how ausländischer Projekt-Manager als Schnittstelle zwischen Kunden und lokalen Arbeitskräften. Damit möchte das Unternehmen eine reibungslose Kommunikation und einen nahtlosen Service bereitstellen. Auf der Website stellt Nosotek Zugriff auf die besten Programmierer von Pjöngjang in Aussicht. "Hier finden Sie Experten für alle wichtigen Programmiersprachen, für 3D-Softwareentwicklung, -Modelling und -Design sowie für verschiedene Server-Plattformen wie Linux, Windows und Mac", so Eloesser. Die meisten Aufträge von Nosotek haben die Entwicklung von Flash-basierenden und mobilen Spielen zum Ziel.
Bedenken wegen erheblicher Restriktionen
Damit konnte das Unternehmen erste Erfolge feiern. Beispielsweise habe man einen iPhone-Titel geschrieben, der den Sprung in die Top Ten des deutschen Apple Stores geschafft hat. Den Namen des Spiels nannte die Firma jedoch nicht. Vertrieben werden einige der Nosotek-Produkte (etwa "Bobby's Blocks") vom deutschen Spezialisten Exozet Games. "Sie haben mit ihren letzten Spielen einen großartigen Job gemacht", schilderte Marc Busse, Vertriebs-Manager bei Exozet Games in Berlin. "Die Kommunikation verlief reibungslos, so dass ich Nosotek zweifelsohne weiterempfehlen kann."
Nosotek-Chef Eloesser räumte jedoch ein, dass es verschiedene Hürden für die Zusammenarbeit mit nordkoreanischen Firmen gibt. "Der gewöhnliche Ingenieur hat keinen direkten Internet-Zugang, das verbietet die Regierung. Das ist sicher eine der größten Barrieren für das hiesige IT-Geschäft", sagte er. Entwicklungsarbeiten, die zwingend eine Internet-Verbindung benötigen, werden über China geroutet.
Doch die größten Schwierigkeiten bereitet der aufkeimenden Industrie die Politik, besonders die Sanktionen der USA gegen Nordkorea. "Ich kenne verschiedene amerikanische Unternehmen, die gerne IT-Outsourcing-Projekte mit Nordkorea starten möchten, die es aufgrund des Embargos aber nicht dürfen", berichtete der Auslagerungsexperte Tija. Die Europäische Union hat zwar keine derart scharfen Restriktionen beschlossen, doch das Stigma des Landes, geprägt vom herrschenden Regime, schreckt potenzielle Kunden ab. In Nordkorea ersticken willkürliche Verhaftungen, Folter, öffentliche Hinrichtungen und die Misshandlung von Gefangenen durch die Staatsapparate jede Opposition, freie Meinungsäußerung und Presse sowie religiöse Freiheit im Keim, heißt es etwa im Jahresbericht 2009 der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Mehrere hunderttausend Bürger sitzen in politischer Haft. Ein solch schlechter Ruf schreckt viele Firmen ab. "Wir arbeiten nicht mit der Regierung zusammen", betont Busse von Exozet Games, "Wir arbeiten mit großartigen Leuten, die nichts mit der Diktatur zu tun haben." (jha)
Siehe auch Öffnet sich Nordkorea dem weltweiten Web?