Landes-CIOs über OZG, Chatbots und New Work

Digitalisierung des Public Sectors nimmt Fahrt auf

18.01.2021 von Karen Funk
Die Pandemie hat Behörden und Kommunen vor Herausforderungen gestellt: Sie mussten in diesem Jahr zeigen, inwieweit Verwaltung, Services für Bürger*innen und selbst politische Prozesse digitalisiert sind.
Stefan Krebs, Ministerialdirektor Land Baden-Württemberg: "Erfreulich für mich war zu sehen, welches enorme Engagement und welche Einsatzbereitschaft die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung und speziell im Bereich der IT gezeigt haben, um diese anspruchsvolle Situation erfolgreich zu meistern."
Foto: Land Baden-Württemberg

Das abgelaufene Jahr hat ein großes Innovationspotential bei der Digitalisierung gezeigt. Das stellt Ministerialdirektor Stefan Krebs, im Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg zuständig für die IT, mit Blick auf 2020 fest. Er resümiert: "Großartig, was alles möglich ist. Gewissermaßen hat sich das Prinzip bewahrheitet, wer muss, der kann." Mit seinem IT-Team hat er binnen kürzester Zeit 50.000 Beamte ins Home Office umgezogen und einen Universalprozess für Bürgerservices auf der E-Government-Plattform service-bw.de bereitgestellt. Agil und flott, versteht sich.

Erwartungshaltung der Bürger*innen steigt

So wie das Jahr 2020 aufgehört hat, so werde es im Jahr 2021 weitergehen, meint der Landes-CIO. Krebs geht davon aus, dass Digitalisierung als Thema in der Gesellschaft eine noch größere Bedeutung erhalten wird. "Die Bürgerinnen und Bürger werden höhere Ansprüche an die digitale Verwaltung stellen - und das ist berechtigt. Ebenso ist es die Forderung nach einem angemessenen Zugang zum Netz. Darauf sind wir eingestellt."

Bereits seit einiger Zeit werde daran gearbeitet, dass Anträge der Bürgerinnen und Bürger auf service-bw vollständig digital in die Fachsoftware bei den Behörden übertragen werden. "Dieses Ziel setzt uns für einige Verwaltungsleistungen auch die Europäische Kommission mit der Single Digital Gateway-Verordnung", erläutert er. Der Zugriff auf die bereits in den Registern der Behörden liegenden Daten sei dabei eine große Herausforderung für 2021 (Stichwort "Registermodernisierung"). Ziel ist es, Online-Anträge für die Bürgerinnen und Bürger noch einfacher zu machen.

Cybersicherheit, OZG und Cloud

Baden-Württemberg wird auch im Zuge des Onlinezugangsgesetzes (OZG), wonach bis Ende 2022 alle Verwaltungsleistungen online zur Verfügung stehen müssen, weiter in die digitale Ertüchtigung der Verwaltung investieren. Zudem soll die digitale Souveränität gestärkt werden. "Hier werden wir im Sinne einer verbesserten Cloud-Fähigkeit entsprechende Infrastrukturprojekte aufsetzen und auch unser Anwendungsportfolio diesbezüglich erweitern", so Krebs. Außerdem wird seiner Meinung nach Cybersicherheit 2021 eines der bestimmenden Themen sein: "Darauf gehen wir mit der Gründung einer Cybersicherheitsagentur ein."

New Work fordert uns heraus

Auch die Zusammenarbeit wird künftig anders aussehen, ist Krebs überzeugt. Corona habe gezeigt, dass andere Arbeitsmodelle funktionieren. Arbeitgeber sollten hier mittelfristig nicht hinter die jetzt geschaffenen Möglichkeiten zurückfallen, warnt er, sondern das immense Potenzial der Flexibilisierung ausschöpfen. Dazu müssten aber neue Konzepte erarbeitet werden: "Denn nur, weil Arbeit örtlich und zeitlich flexibel stattfinden kann, heißt das nicht, dass auch irgendein Prozess besser wird. Digitalität hat eine eigene Prozesslogik." Aber auch die Arbeitnehmer seien in der Pflicht: "Wer Flexibilität einfordert, muss sie auch selbst zeigen."

Krebs sieht vor allem eine große Chance: Gerade in Bereichen, wo Personal hart umkämpft ist, müssten besonders deutsche Unternehmen arbeitnehmerorientiert noch stärker flexible digitale Arbeitsformen als Rekrutierungsvorteil begreifen. Dabei gibt es seiner Meinung nach keine Schablone, die für alle geeignet ist. Es gehe um viel mehr, nämlich einen Kulturwandel.

Der CIO ist überzeugt, dass Unternehmen, die das begreifen, langfristig erfolgreicher sein werden. "Und wenn das baden-württembergische Innenministerium mit durchaus sensiblen Aufgaben seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern innerhalb kürzester Zeit das gesicherte Arbeiten nahezu komplett aus dem Home-Office heraus ermöglichen kann, dann können das andere auch."

Hessen-CIO Patrick Burghardt stellt Behörden eine Plattform für digitale Bürgerprozesse zur Verfügung. Damit sicherte er sich Platz 3 beim Wettbewerb "CIO des Jahres" in der Kategorie Public Sector.
Foto: Staatskanzlei/ Salome Roessler

"Corona ist ein Katalysator für die digitale Transformation der Unternehmen und das Thema Home Office hat sich bewährt und wird auch künftig Teil der Arbeitswelt bleiben", bestätigt Patrick Burghardt, CIO und Digital-Staatssekretär des Landes Hessen. "Die Zeiten, in denen wir wie selbstverständlich zur Arbeit gefahren sind, werden nicht wiederkommen."

Als im März 2020 die Coronakrise auch Deutschland erreichte, war das Land Hessen vergleichsweise gut aufgestellt: Die Hessische Landesregierung hatte sich schon früh für Home-Office-Lösungen stark gemacht und über die Hessische Zentrale für Datenverarbeitung (HZD) gerade den Roll-Out des so genannten "HessenPC" (PC-Arbeitsplatz as a Service) mit rund 71.000 IT-Arbeitsplätzen abgeschlossen. Zudem konnten kurzfristig die Zugriffe auf HessenAccess von 10.700 auf rund 40.000 erhöht werden.

Zusammenarbeit mit Rheinland-Pfalz und dem Saarland

Burghardt hat es besonders gefreut, dass auch die Plattform "Civento" für digitale Bürgerprozesse gut angenommen wurde. Inzwischen nutzen nicht nur über 90 Prozent der hessischen Kommunen die Plattform, sondern darüber hinaus setzen auch das Saarland und Rheinland-Pfalz zur Umsetzung des OZG darauf. "Die Digitalisierung funktioniert am besten, wenn sie einheitlich erfolgt", sagt Burghardt. Er plädiert daher für eine bundesweite "Einer-für-alle"-Lösung (EfA). "Wenn andere Bundesländer anfangen, eigene Lösungen zu entwickeln, ist das meiner Ansicht nach ein Signal in die falsche Richtung."

2021 werde für OZG das entscheidende Jahr werden, prognostiziert Burghardt. Es gingen verstärkt OZG-Antragsverfahren live und die OZG-Konjunkturmittel zeigten Wirkung: "Immer mehr Leistungen der Verwaltung werden online zugänglich!" Auch werde sich die föderale Zusammenarbeit im Bereich der Verwaltungsdigitalisierung im Zuge des OZG noch weiter verstärken.

Wichtig ist die Nutzer-Zentrierung

2021 besteht das Hessische Digitalministerium zwei Jahre. Nach der Aufbauarbeit stehe jetzt im Fokus, wie Innovationen in der Verwaltung Einzug halten können. Burghardt nennt Beispiele wie automatisierte Bearbeitungen, Chat Bots oder Datenaustauschplattformen. Dafür braucht es seiner Meinung nach ein neues Arbeitsverständnis: "Das Nichtperfekte als Voraussetzung für innovative Entwicklungen, um die Schrittzahl der Modernisierung der Verwaltung zu erhöhen." Wichtig dabei sei die Nutzerzentrierung. "In Themen, die kaum nachgefragt werden, sollten wir weniger investieren als in Massenverfahren", findet der Landes-CIO.

Digitales Rathaus kommt nach Hause

Eine gut ausgebaute digitale Infrastruktur ist für Burghardt das Fundament dafür, dass die Zusammenarbeit auf Distanz funktioniert. Die Aufgabe liege darin, dafür zu sorgen, dass das digitale Rathaus zu den Bürgerinnen und Bürgern nach Hause kommt und Leistungen vom Sofa aus erledigt werden können. Und wie werden wir künftig arbeiten? "Das Work-Life-Blending wird zunehmen, da Arbeit und Privatleben nicht mehr länger räumlich getrennt sind", ist der Hessen-CIO überzeugt. Auch würden Wirtschaftsunternehmen ihre Innovationskraft mit flexiblen Arbeitsmodellen steigern, die den Mitarbeitern bewusst kreative Freiräume lassen.

Arbeitszeit und Freizeit neu definieren

Dass sich die Arbeitswelt gerade massiv ändert und sich neue Formen der Zusammenarbeit etablieren, findet auch Christian Pfromm. Der CDO und Leiter des Amtes für IT und Digitalisierung in der Hamburger Senatskanzlei sagt: "Für viele Beschäftigte eröffnet sich die Möglichkeit, ein anderes Verhältnis von Arbeitszeit und Freizeit zu definieren."

Christian Pfromm erarbeitet zusammen mit seinem Team eine umfassende bürgerorientierte Digital-Strategie für Hamburg. 2020 gehörte er beim "CIO des Jahres" in der Kategorie Public Sector zu den Top 5.
Foto: Freie und Hansestadt Hamburg

Er sieht hier die Arbeitgeber gefragt, neue Modelle auszuprobieren, dem vielfachen Wunsch nach mehr Homeoffice und flexiblem Arbeiten Rechnung zu tragen und für die Präsenzzeiten innovative Bürowelten mit neuen Funktionskonzepten zu entwickeln. Pfromm fordert: "Diese Dynamik sollte genutzt werden, indem die finanziellen Mittel, die jetzt zur Verfügung stehen, zielgerichtet eingesetzt werden, um die digitale Transformation zu beschleunigen." Dabei gelte es, Offenheit und Neugier zu fördern: "Denn Digitalisierung bringt Menschen zusammen, überwindet Distanzen, auf der ganzen Welt."