MindSphere - cloudbasiertes IoT-Betriebssystem

Digitalisierung - Siemens will bis 2020 zweistellig wachsen

13.12.2016 von Jürgen  Hill
MindSphere, das IoT-Betriebssystem; next47 als Start-up-Scout, die Digital Enterprise Suite für Industrie 4.0; Partnerschaften mit den wichtigsten IT-Playern - Siemens treibt das Thema Digitalisierung massiv voran.
Siemens CTO Roland Busch sieht drei Wchstumsfelder: Electrification, Automatisation, Digitalization.
Foto: Siemens

Jährlich zweistellige Wachstumsraten im digitalen Business will Siemens bis 2020 erzielen. Damit will der Konzern seine Position als digitales Unternehmen weiter stärken - sowohl intern als auch extern als Anbieter entsprechender Digitalisierungslösungen. So erzielte Siemens im Geschäftsjahr 2016 mit digitalen Services mehr als eine Milliarde Euro Umsatz und mit Softwarelösungen rund 3,3 Milliarden Euro. Gegenüber dem Vorjahr ist dies eine Steigerung um 12 Prozent.

Drei Zukunftsfelder

Electrification auf Weltrekord-Niveau: Im November 2016 stellte das elektrische Kunstflugzeug Extra 330LE einen Weltrekord im Steigflug auf.
Foto: Siemens

Dabei ist die Digitalisierung laut Siemens CTO Roland Busch eines der drei Wachstumsfelder des Konzerns: Electrification, Automatisation und Digitalization führen zur EAD-Strategie, um die sich gerade alles im Konzern dreht. Im Bereich Automatisation sieht sich der Konzern bereits als Nummer Eins und will es mit Digitalisierung auch bleiben. "Zumal wir das breiteste Know-how in unterschiedlichen vertikalen Märkten haben", betont CTO Busch die in seinen Augen gute Ausgangslage von Siemens. Zudem bleibe Siemens, so Busch weiter, auf das B2B-Segment fokussiert und werde sich nicht durch ein Engagement in Richtung B2C wieder verzetteln. Dass es dabei durchaus zu Überschneidungen kommen kann - etwa im Bereich Smart Home, Smart Grid - steht für Busch außer Frage.

Mit Digitalisierung mehr Output

Die Siemens Digital Factory in Amberg gilt als Beispiel für Produktautomatisierung. In Amberg verschmelzen virtuelle und reale Welt: Bereits heute kommunizieren dort Produkte mit Maschinen und sämtliche Prozesse sind IT-optimiert und -gesteuert.
Foto: Siemens

Mit Hilfe der Siemens Digitalisierungslösungen, so Busch weiter, könnten Unternehmen ihre Produkte bis zu 50 Prozent schneller auf den Markt bringen. Dabei wollen die Münchner die gesamte Prozesskette von Design, Entwicklung, Simulation, Logistik bis zur Produktion auf dem shop floor mit ihren Softwarelösungen adressieren. In der eigenenDigitalen Fabrik im mittelbayrischen Amberg konnte Siemens eigenen Angaben zufolge die Effizienz um 20 Prozent steigern. Insgesamt wurde dort seit 1990 der Output verneunfacht - bei gleichbleibender Anzahl der Beschäftigten.

Dabei hat der Konzern sein Digitalisierungsportfolio in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut: Schon 2007 übernahm der Konzern die PLM-(Product Lifecycle Management-)Software-Firma UGS. 2010 folgte mit LMS eine Software zur mechanischen Simulation. 2016 kam CD-adapco dazu, ein Spezialist für Simulationssoftware in der Strömungsmechanik. Nun hat Siemens angekündigt, Mentor Graphics zu übernehmen. Zudem besteht seit November 2016 eine strategische Allianz mit Bentley Systems. Mit Hilfe dieses Know-hows ist Siemens nach eigenem Bekunden als einziges Unternehmen in der Lage auf einer Plattform das mechanische, thermische, elektronische sowie Embedded- Software-Design anzubieten - die Konstruktion und Simulation elektronischer Bauteile inbegriffen. Die zugrundeliegende Plattform, auf derPLM,MES/MOMundTIAaufbauen, ist Teamcenter.

IoT-Plattform MindSphere

MindSphere als IoT-Plattform für andere Siemens-Produkte.
Foto: Siemens

Ein anderer Wachstumstreiber in Sachen Digitalisierung stellt für Busch die eigene Cloud-Plattform MindSphere dar, die er als "cloudbasiertes, offenes Betriebssystem für das Internet of Things (IoT)" propagiert. Als Platform as a Service (PaaS) konzipiert lassen sich Applikationen (Apps) sowie Digitale Services entwickeln, betreiben und vertreiben. MindSphere kann entweder in der Cloud gehostet werden oder on premise von der eigenen IT. Seine Feuertaufe als Plattform für Digital Services hat MindSphere bereits in Russland in Sachen predictive maintenance bestanden. Mit Hilfe der IoT-Plattform konnte die Verfügbarkeit der russischen Hochgeschwindigkeitszüge auf 99 Prozent gesteigert werden - und dies bei Umgebungstemperaturen von -40 Grad. Eine Zuverlässigkeit von der deutsche Bahnkunden nur träumen können.

Für den Anschluss von Maschinen, Anlagen und Systemen anMindSphereist MindConnect zuständig. Beispielsweise hat der Kunde die Möglichkeit mit MindConnect. Durch die Plug-and-Play-Lösung können Daten etwa aus einem Sensor sicher ausgelesen und verschlüsselt an MindSphere übertragen werden. Mit MindApps steht zudem ein Ecosystem zur Verfügung für das Siemens, Partner und OEMs Applikationen und Services entwickeln können. Zum Nachrüsten bestehender Anlageninstallationen offerieren die Münchner einen sogenannten Smart Motor Kit. Er enthält Sensoren, die an bestehenden Elektromotoren angebracht werden können, um so etwa Vibrationen, Drehzahl etc erfassen können. Mit Hilfe dieser Daten sei dann ebenfalls ein predictive maintenance realisierbar. Zwar ist man sich bei Siemens auch bewusst, dass die anfallenden Daten nicht mit den Informationen mithalten können, die in einem neu entwickelten IoT-Device anfallen. Auf der anderen Seite eröffne das Kit aber eine Option, Legacy-Systeme an die IoT- und MindSphere-Welt anzukoppeln.

IBM Watson trifft MindSphere

Per Smart Motor Kit können auch ältere Elektromotoren an MindSphere angekoppelt werden.
Foto: Siemens

Prominenter Partner ist beispielsweise IBM. Beide Unternehmen planen, den Datenanalyse-Service "IBM Watson Analytics" und weitere Analyse-Tools in MindSphere zu integrieren. Dabei sollen Geschäftskunden Zugang zu Visualisierungsfunktionen und Dashboards erhalten, während App-Entwickler und Datenanalysten über Schnittstellen Analytics-Technologien nutzen können. IBM plant zudem, Apps für MindSphere entwickeln - etwa im Bereich vorausschauende Instandhaltung. IBM und Siemens wollen dabei ihre jeweiligen Kompetenzen bündeln - im Bereich leistungsstarke Analysetechnologien ebenso wie bei der Automatisierung und Digitalisierung der Industrie. Weitere MindSphere-Partner sind etwa Atos, SAP, Microsoft sowie Accenture.

Die Digital Enterprise Suite

Mit der Digiatlisierung konnte Maserati die Entwicklungszeit um 30 Prozent senken (im Bild: Maserati GranTurismo MC Stradale).
Foto: Maserati Automotive

Als Antwort auf Industrie 4.0 versteht Siemens seineDigital Enterprise Suite. Sie soll ein Portfolio an softwarebasierten Systemen für die Fertigungs- und Prozessindustrie liefern und vier Kernaspekte adressieren:

Konzept des Digital Twins

Die time to market reduzierten die Italiener im Digital Enterprise von 30 auf 16 Monate.
Foto: Maserati Automotive

Hinter der Digital Enterprise Suite steckt die Idee des "Digital Twins" (digitaler Zwilling). Das Konzept dabei ist, die komplette Wertschöpfungskette vom Produktdesign über die Produktionsplanung, dem Produktionsengineering und die Produktion selbst bis hin zu den Services zu digitalisieren. Oder anders formuliert: jedes Produkt, jeder Sensor, jede Maschine aus der realen, physischen Welt soll in der virtuellen Welt ein digitales Abbild, seinen Digital Twin erhalten. Auf diese Weise, so die Vorstellung von Siemens, können Unternehmen ihre Produkte in der virtuellen, digitalen Welt simulieren, testen und optimieren und auch virtuell produzieren, ohne reale Ressourcen einzubinden. Mit den so gewonnenen Daten kann dann der reale Produktionsprozess aufgebaut werden.

Maserati verkürzt time to market

Soweit die Theorie, praktische Erfahrungen mit der Digital Enterprise Suite konnte beispielsweise bereits der italienische Sportwagenbauer Maserati sammeln. Laut Horst Kayser, Chief Strategy Officer (CSO) bei Siemens, konnten die Italiener so die Entwicklungszeit um 30 Prozent reduzieren. Die time to market für neue Modelle konnte zudem, wie Kayser weiter berichtet, von 30 Monaten auf 16 Monate reduziert werden.

Kein 3D-Druck ohne Digitalisierung

Fast 20 Prozent weniger NOx aus der Gasturbine. Möglich macht es der 3D-Druck, der bisher unmögliche Bauteile liefert.
Foto: Siemens

Ein großes Einsatzfeld sieht Siemens für die Digital Enterprise Suite und das Konzept des Digital Twins ferner im Bereich Additive Manufacturing (AM) - wie der 3Druck im industriellen Umfeld bezeichnet wird. Ins 3D-Druckergeschäft will der Konzern nach eigenem Bekunden nicht einsteigen. Hier setzt man auf Partnerschaften und will lediglich die erforderliche Software liefern.

Auch wenn man bei Siemens ein großes Potenzial in der Technik sieht warnt man doch, "3D-Druck ohne Digitalisierung macht keinen Sinn." Denn ohne eine durchgängige Digitalisierung der kompletten Prozessketten würden der Aufwand für Dateikonvertierungen etc. die Vorteile von AM wieder auffressen. Ferner könnte so die Möglichkeit, Produkte zu drucken, die bislang mit herkömmlichen Maschinen und Produktionsverfahren nicht zu produzieren waren, nicht genutzt wurden. Eine Erfahrung von Siemens zeigt, dass "etwa 50 Prozent der Produktdesigns nicht druckbar sind und 30 Prozent ein komplettes Redesign benötigen". Und gerade dies soll sich mit der vollständigen Digitalisierung der Prozesse vermeiden lassen.

Auf der anderen Seite liegen die Vorteile auf der Hand: So konnte Siemens die Herstellung eines Bauteils von 15 Stunden (klassische Methode) auf 1,45 Stunden reduzieren, in dem eine AM-Sintering-Maschine verwendet wird. Ferner gelang es den Ingenieuren ein Bauteil einer Gasturbine so zu konstruieren, dass sie den NOx-Ausstoß um 15 bis 20 Prozent reduzierten. Allerdings lässt sich das Bauteil mit herkömmlichen Fertigungsmethoden nicht produzieren, sondern kann nur gedruckt werden. In der Luftfahrtindustrie werden bereits 30 Prozent der Bauteile gedruckt. Ziel ist es, diesen Anteil in zwei bis fünf Jahren auf 50 Prozent zu steigern.

next47 - Start-up-Scout für Siemens

Um bei diesem rasanten Wandel mithalten zu können, hat Siemens die Tochternext47gegründet, denn dem Konzern ist bewusst, dass er nicht alle Innovationen mit Hilfe seiner eigenen Mitarbeiter stemmen kann auch, wenn das Unternehmen allein 2016 4,7 Milliarden Euro und damit fast 6 Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung investiert hat. next47 agiert dabei als Risikokapitalgeber, Förderer und Berater für Gründer und Start-ups. Gleichzeitig soll es eine Brücke zwischen der Welt der Start-ups und dem Siemens-Ökosystem schlagen. Dazu hat Siemens die Tochter mit einem Fördervolumen von rund einer Milliarde Euro für die Dauer von fünf Jahren ausgestattet. next47 unterhält Büros an den globalen Innovations-Hotspots - unter anderem in München, Palo Alto, Berkeley, Boston, Tel Aviv, Peking und Schanghai.