Enterprise Architecture Management

EAM gibt Orientierung in der digitalen Transformation

16.07.2019 von Christoph Witte
Enterprise Architecture Management (EAM) spielt in der digitalen Transformation eine entscheidende Rolle. Das zeigte sich auf der EAM-Konferenz des CBA Labs in Berlin, wo Enterprise-Architekten aus verschiedenen Branchen ihre Arbeit präsentierten.
  • Mithilfe von Enterprise Architecture Management will die KTR GmbH Unternehmen stets reaktionsfähig bleiben
  • Der Hamburger Hafen verfolgt das Ziel, die Logistik auf Schiene, Wasser und Straße zentral zu steuern
  • Bei Schaeffler steht die agile Orchestrierung von Fachbereichen und IT-Einheiten im Mittelpunkt
Johannes Helbig, Sprecher des CBA Lab,
Foto: CBA Lab

Wer Industrie-4.0-Projekte angehen oder Smart Cities entwickeln möchte, wird in erster Linie auf Daten und deren Analyse setzen, um Zusammenhänge deutlich zu machen. Architecture Frameworks wie TOGAF sind dabei immer noch wichtig, aber EAM reicht heute weit darüber hinaus. Die Rolle des Architektur-Managements verändert sich: Neben Risikovermeidung geht es vermehrt auch um die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen und ihrem Umgang mit Unsicherheiten. Nicht Governance steht im Vordergrund, sondern Begleitung, Transparenz, Empfehlung - und das nicht mehr nur im IT-Umfeld, sondern im gesamten digitalisierten Business.

"Große Organisationen begreifen die digitale Transformation als Managementaufgabe und stellen sich die Frage, wie sie sich im Großen und als Daueraufgabe gestalten lässt", sagte Johannes Helbig, Vorstandsvorsitzender des Cross Business Architecture (CBA Lab) e.V. Karsten Schweichhart, Data Economy Executive bei der Deutschen Telekom und Vorstand des CBA Lab, ergänzte: "Mit EAM werden Unternehmen erfolgreicher - auch mittelständische Firmen, wie wir auf dieser Veranstaltung deutlich sehen."

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KTR will "den Ball im Spiel halten"

Enterprise Architecture Management spielt seine Stärken immer dann aus, wenn es zu plötzlichen Veränderungen im Markt kommt - das zumindest beobachten Hendrik Gedicke und Olaf Korbanek. Beide arbeiten für die KTR Systems GmbH, einen Hersteller von Antriebstechnik, Bremssystemen und Kühlsystemen sowie Hydraulik-Komponenten für den Maschinen- und Anlagenbau - Gedicke als Chief Architect und Korbanek als CIO und Prokurist.

"Für uns ist EAM das Mittel für den Zweck, stets reaktionsbereit zu sein. Architekturmanagement hilft uns, den Ball im Spiel zu halten. Wir sind als Komponentenhersteller nicht in der Lage, das Spiel selbst zu bestimmen. Das tun die Großen wie Siemens", sagte Korbanek. "Wir müssen reaktionsbereit bleiben, weil das Umfeld sich sehr schnell ändert." Er unterstreicht das mit einer Analogie aus dem Sport: "Wie im Volleyball: Wir müssen immer auf Zehenspitzen stehen, um schnell die Richtung wechseln zu können."

Bei KTR spielt sich Digitalisierung vor allem in drei Bereichen ab: im Produkt, im Bereich innere Wertschöpfung und bei Veränderungen im Markt - Stichwort Plattformökonomie. Die Architekten von KTR beschäftigen sich vor allem mit den Marktveränderungen. "Wenn ein Partner plötzlich Leistung statt Produkt kaufen will, dann muss man schnell reagieren und beispielsweise auf Pay per Use umstellen können."

Seit rund drei Jahren ist EAM die "Spielfläche", auf der alle Aktivitäten bei KTR geplant werden. Dort sind alle Systeme, Projekte und beteiligten Prozesse dokumentiert - auch die SAP- und Microsoft-Plattformstrategien. "Damit haben wir den Überblick ­ auch darüber, was der Gegner macht. Und der ist inzwischen nicht mehr nur der direkte Wettbewerber, sondern auch der Anbieter von Dienstleistungen aus der Cloud. Wir haben das bessere Angebot, also keines, was man sich auf die Schnelle per Maus zusammenklicken kann. Das funktioniert nur, wenn Prozesse stabil laufen und Daten schnell zur Verfügung stehen - und dafür ist EAM eine Schlüsselkomponente", führte Gedicke aus.

Ein Traum: Mit dem Notebook den ganzen Hafen steuern

Im Hamburger Haden ist ausgefeilte Logisitik nötig, damit es zu keinem Verkehrsinfarkt in der Hansestadt kommt.
Foto: Sebastian Saxe, Hamburg Port Authority

Agilität ist auch für Sebastian Saxe, CDO und Mitglied des Management Boards der Hamburg Port Authority (HPA), ein entscheidender Vorteil, den Architekturmanagement bietet. Sein Traum: Mit dem Notebook den ganzen Hamburger Hafen zu steuern. Eine Mammutaufgabe, denn "der Hafen ist eingebettet in die ganze Stadt - das ist ein einziges großes logistisches System". Architektur-Management ist hier zwingend erforderlich. "Die Architekturen, die wir entwickelt haben, lassen sich übereinanderlegen und verbinden."

Schon heute wird der Verkehr im Hafen auf Schiene, Wasser und Straße digital gesteuert. Die Architekturen und Erfahrungen aus dem Hafen seien wichtig für die gesamte Stadt und übertragbar auf das komplexe Verkehrssystem. Weitere Sensoren, Drohnen, KI und 5G sollen nun hinzukommen, um beispielsweise Kaimauern oder Brücken vorausschauend zu warten oder Lkw autonom auf die Straße zu bringen. "Für die Architekturbildung bedeutet das: laufend Geschwindigkeit aufzunehmen", sagte Saxe.

EAM erzeugt ein "Value Network"

Ein probates Mittel für die vorausschauende Planung und Pflege komplexer Systeme ist der Digitale Zwilling. "Wir müssen Silos aufbrechen", sagt Uwe Weber, Managing Partner der Detecon International GmbH und Botschafter des CBA Lab. "Alles hängt mit allem zusammen." EAM bedeutet für ihn deshalb auch "nicht Enterprise, sondern Ecosystem Architecture Management". Und in dessen Fokus rückt er den Digital Twin, der die Zusammenhänge verdeutlichen kann. "Ein Architekt muss Informationen in den Mittelpunkt rücken, deren Ursprung, Kontext, Semantik und Bedarf alle Stakeholder kennen. Damit entsteht ein Value-Netzwerk."

Sein Beispiel: Predictive Maintenance eines Krans im Hafen. "Die Prozesskette beginnt mit dem Bauplan des Krans und endet mit Tarifen der Versicherung". Dieses komplexe Konstrukt erfordere eine Informationsarchitektur mit unterschiedlichen Bausteinen, die nicht nur die Komponenten und Beziehungen zwischen den Komponenten beschreibe, sondern auch, wie die Architektur entsteht und weiterentwickelt werden kann.

Beim digitalen Gebäudemanagement werde es so mit unterschiedlichen Datenmodellen möglich, eine Vielzahl von Geometriedaten, Prozess- und Produktinfos sowie Materialdaten miteinander zu kombinieren und je nach Bedarf zur Verfügung zu stellen. Am Digitalen Zwilling lassen sich bestimmte Eigenschaften vorab virtuell zeigen und überprüfen, ohne sie erst aufwändig in der Realität aufbauen und testen zu müssen.

Schaeffler will zeigen statt nur drüber reden

"Show - don´t tell" ist eines der Innovationsprinzipien der IT von der Schaeffler AG. Jürgen Henn, Senior Vice President Strategic IT, präsentierte die IT-Strategie und zeigte auf, wie IT-Innovationen etwa mithilfe von künstlicher Intelligenz bei Schaeffler architektonisch verprobt werden. In einem offenen, partnerorientierten Ansatz schafft Schaeffler Demonstrationsobjekte, mit denen der Konzern auf verschiedenen Wegen präsentiert, um zu inspirieren.

Als Beispiel dient etwa ein Prototyp des "Schaeffler eBoard", ein elektrisch-angetriebenes Skateboard. Es eignet sich ideal für solche Demonstrationen, passt es doch als urbanes Fahrzeug perfekt zur Konzernstrategie "Mobilität für Morgen". Es ist wesentlich geprägt von Software als Differenzierungsmöglichkeit und dabei einfach und jederzeit nutzbar.

In diesem Zusammenhang ist auch der Prototyp eines Chatbot entstanden - "eLISA", der "eLoquente, Intelligente Schaeffler Advisor". Er ermöglicht es Anwendern, in Alexa-Manier zu kommunizieren und auf natürliche Art und Weise mit IT-Systemen zu interagieren.

Ein mögliches Einsatzfeld könnte dabei der Schaeffler BioHybrid sein, eine neue Art von Fahrzeug, die Muskelkraft und Elektromotor zu einem innovativen und umweltfreundlichen Antrieb für die vernetzte Stadt vereint und Mobilität neu erlebbar macht. eLISA könnte dem Nutzer per Sprache Zugriff auf wichtige Status-Informationen geben oder das Buchen von Zusatzdiensten ermöglichen. "Wir erarbeiten sinnvolle Cases mit digitalen Fähigkeiten zur geschäftlichen Wertsteigerung und nicht nur theoretische Ideen. Damit wird die IT komplett anders wahrgenommen und es folgt eine neue Art der Diskussion," so Henn.

Innerhalb des Schaeffler-Konzerns können KI-basierte Lösungen wie eLISA die Art und Weise der Arbeit nachhaltig verändern. Algorithmen verknüpfen eine Vielzahl von Informationen aus verschiedenen Quellen und unterstützen den Anwender mit konkreten Handlungsempfehlungen. "Die Algorithmen werden immer intelligenter, weil sie lernen, wie der Mensch mit ihren Empfehlungen umgeht." Ergänzt durch neue intelligente Interaktionsmöglichkeiten, wird so die Nutzung von IT deutlich intuitiver werden.

Innovationen leisten so ihren Beitrag für eine bessere IT, die am Ende das gesamte Unternehmen weiterbringt. "Enterprise-Architektur-Management ist ein Leuchtturm für Veränderung und agile Orchestrierung aller Fachbereiche und IT-Einheiten", so das Fazit von Henn.

Bei Boehringer Ingelheim geht es um Speed

Dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Einführung neuer Produkte und Technologien durch die Unternehmensarchitektur von langer Hand geplant und eingeführt werden musste, betonte Clemens Utschig-Utschig von Boehringer Ingelheim. Für den IT-Manager hat Geschwindigkeit oberste Priorität.

Utschig-Utschig istunter anderem für das Digital Lab "BI X" verantwortlich, das vor zwei Jahren geschaffen wurde, um mithilfe von Open-Source-Technologien neue Konzepte und digitale Lösungen für die Geschäftsbereiche Human Pharma und Tiergesundheit auf Open-Source-Basis zu entwickeln. "Wir haben einen Development Stack, der es Entwicklern erlaubt, sich auf die Fachlichkeit ihrer digitalen Lösung zu konzentrieren. Sie müssen sich nicht bei jedem Minimum Viable Product (MVP) mit der Frage beschäftigen, wie sie die Umgebung aufsetzen oder wo sie Daten und Dokumentation ablegen, um alle Regularien zu erfüllen."

Wenn das MVP als Produkt oder Service erfolgreich auf den Markt gebracht sei, übergebe man das ganze Wissen - samt Code-Basis und Dokumentation an die IT und an die Business-Organisationen - "and go for lunch". Er bezeichnet dies als "On-klick-Migration der gesamten Infrastruktur". Das Ergebnis: hohe Geschwindigkeit und Compliance.

Schweichhart zog ein positives Fazit der EAM-Konferenz, die die CBA Labs zusammen mit Inside Business organisiert hatten. "Wir sind dem Motto unserer Veranstaltung gerecht geworden, Richtungsgeber für die digitale Transformation zu sein. Die Konferenz war hochkarätig besucht und hat Best Practices von Anwendern auf die Tagesordnung gesetzt, die derzeit alle Architekten beschäftigen. Das Feedback der Teilnehmer fiel denn auch entsprechend positiv aus. Wir werden die Konferenz auch im kommenden Jahr wieder ausrichten - am 17. März 2020 in Berlin."