Foto: LVM
Für manche Branchen gelten in der IT besonders hohe Sicherheitsanforderungen. Dazu zählen vor allem die Versicherer. Hier werden extrem sensible Daten verarbeitet. Geraten diese Informationen in die falschen Hände, können hohe monetäre Schäden entstehen. So stellt zum Beispiel die eCrime-Studie 2010 von KMPG fest: "Die Schadenshöhen rangieren zwischen 100 000 Euro und Millionenbeträgen pro Einzelfall. Vor allem Datendiebstahl und das Ausspähen von geschäftskritischen Unternehmensinformationen verursachen Schäden von über einer Million Euro pro Vorfall." Noch schwerwiegender ist jedoch der damit einhergehende Vertrauensverlust bei den Kunden. Auch wenn man dem Konzept der "Return on Security Investment" (RoSI) skeptisch gegenüber steht: Die potentiellen Schäden rechtfertigen gezielte Investitionen in die IT-Sicherheit allemal.
Die Ausgangssituation
Diese Ansicht vertritt auch das Management der LVM in Münster. Die Versicherung verfolgt die Strategie, wo es sinnvoll ist, Open-Source-Lösungen einzusetzen. An den Standardarbeitsplätzen kommt schon seit Jahren Linux als Betriebssystem zum Einsatz. Aktuell setzt LVM das LTS-Release (Long Term Support) Ubuntu 10.04 von Canonical ein. Rund 10 000 Systeme betreibt die Versicherung damit. Die Benutzerverwaltung basiert auf dem offenen Standard LDAP. Hier nutzt die LVM den IBM Tivoli Directory Server.
Schon seit 2002 melden sich die Anwender an den Linux-Clients mit Hilfe einer Smart Card an. Dieses sichere Verfahren zur Benutzerauthentisierung sollte auf Wunsch der Sicherheitsbeauftragten, der internen Revision und nicht zuletzt des Vorstands auf die parallel betriebene Windows-Welt ausgeweitet werden.
Windows in vielen Sonderfällen
Daniel Timmerhindrick, im Bereich DV-Infrastruktur der LVM für die Sicherheit der Anwendungssysteme verantwortlich, erläutert: "Neben den Linux-Clients betreiben wir ungefähr 1000 Windows-Arbeitsplätze, aktuell noch mit Windows XP. " Unter anderem werde Windows häufig von Spezialisten genutzt.
In dieser Windows-Umgebung geschah die Authentisierung gegen ein Active Directory, die Benutzer meldeten sich bislang mit Benutzernamen und Passwort an ihren Rechnern an. Sicherheitstechnisch entsprachen diese Rechner damit nicht mehr dem Schutzbedürfnis der LVM.
Foto: LVM
Die bestehende Smart-Card-Lösung einfach auf die Windows-Welt zu übertragen wurde bereits in der ersten Projektplanung im Februar 2010 verworfen. "Eine Integration von nativen Windows-Smart-Cards wäre in unserer Infrastruktur recht aufwändig gewesen", führt Timmerhindrick aus: "Da Windows bei uns eben nur auf Arbeitsplätzen von Spezialisten eingesetzt wird, sind wir in dem Bereich nicht so breit aufgestellt wie im Linux-Umfeld."
Die LVM wollte die vorhandenen Prozesse möglichst unverändert lassen und auch die Windows-Systeme möglichst wenig anrühren. Die Smart Cards der Windows-Benutzer sollten nicht über das Active Directory, sondern über Linux mittels der bestehenden internen Public Key Infrastructure (PKI) ausgestellt werden. Zudem war gefordert, dass die bestehenden Smart Cards weiter eingesetzt werden könnten, denn sie dienen gleichzeitig als Zugangs- und Zahlkarte für alle Mitarbeiter.
Die Lösung fand die LVM beim Wiener Software-Haus Comtarsia IT-Services GmbH. Dessen Angebot versprach, den Bedarf der LVM mit geringem Anpassungsaufwand abzudecken.
Middleware statt Anpassung
Im Wesentlichen besteht die Lösung aus vier Komponenten:
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Ein Client nimmt die Anmeldung des Benutzers am Arbeitsplatz entgegen.
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Über eine Middleware kommuniziert der Logon-Client mit der Smart Card, die das Zertifikat enthält.
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Der Client errechnet ein Session-Passwort und übergibt es zusammen mit dem Zertifikat an einen Proxy-Server, der es anhand der im LDAP hinterlegten Daten verifiziert und über Certificate Mapping den Benutzernamen ermittelt.
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Im letzten Schritt setzt ein Agent das temporäre Passwort in Beziehung zu dem Benutzer im Active Directory. Der Client schließt die Anmeldung an der Windows-Domain ab. Es sind keine Anpassungen am Active Directory notwendig.
Die orhandenen Smart Cards der Linux-Welt basieren auf Starcos (Smart Card Chip Operating System). Ein Umstieg auf JCOP (Java Card Open Platform) sollte in der Lösung berücksichtigt werden. Daneben war es der Versicherung wichtig, dass die Lösung sowohl mit Windows XP als auch mit Windows 7 reibungslos arbeitet, da der Umstieg bereits beschlossen ist.
Erfolgreiche Testinstallation
Für die Pilotphase wählten die Verantwortlichen einzelne Benutzer aus allen Fachbereichen aus. So konnte sichergestellt werden, dass die Rückmeldungen repräsentativ für das gesamte Unternehmen waren. Als Kartenleser kamen dieselben Geräte zum Einsatz, die sich bereits in der Linux-Umgebung bewährt hatten. Die notwendigen Windows-Treiber konnten frühzeitig ausgerollt werden.
Während der Pilotphase zeigte sich, dass an einigen Stellen noch funktionale Erweiterungen notwendig waren. So sieht der Prozess der LVM zum Beispiel vor, dass die Benutzer eine Erinnerung erhalten, wenn ihr Zertifikat bald abläuft. Nachdem alle notwendigen Anpassungen vorgenommen waren, begann die Roll-Out-Phase.
Know-how von allen Seiten
Blieb die Frage, wie die Kartenleser an die Windows-User verteilt werden sollten. Turnschuh-Administration im klassischen Sinn wollte die LVM-IT vermeiden. Hierbei kam dem Projektteam zu Gute, dass die IT der LVM in drei Abteilungen gegliedert ist: Während Server, Netze und dergleichen vom Bereich "DV-Infrastruktur" verantwortet werden, kümmert sich die "DV-Organisation" um die Anwendungsentwicklung im Haus; der RZ-Betrieb steht unter der Obhut von "DV-Service". Für die Verteilung der Kartenleser warfen alle IT-Bereiche ihr Know-how aus vergangenen Roll-outs in die Waagschale und erarbeiteten ein Verfahren, das es ermöglichte, den Zeitplan zu halten.
Austausch am Infostand
Im Foyer wurde ein Infostand aufgebaut, an dem die Mitarbeiter sich den Kartenleser abholen konnten. Dazu erhielten die Nutzer einen Flyer, in dem Installation und Handhabung genau erklärt wurden.
Eine weitere Herausforderung war sehr profaner Natur, wie Timmerhindrick erläutert: "Der Smart-Card-Chip der Windows-User auf den Mitarbeiterausweisen war zuvor nie im Einsatz. Zugangs- und Bezahlfunktionen sind mit RFID auf den Karten integriert. Wir wussten also nicht, ob eine Karte schon einmal in der Vergangenheit personalisiert worden war und ob in diesem Fall der betreffende Mitarbeiter seine PIN noch im Kopf hatte."
Anstatt allen Mitarbeitern einen Besuch am Schreibtisch abzustatten, nutzte die IT-Abteilung auch hierfür Infostände. Dort wurden die Smart Cards überprüft und bei Bedarf ausgetauscht. "Die Austauschquote war niedriger als zunächst befürchtet, vielleicht zehn bis 15 Prozent der Karten mussten erneuert werden", so Timmerhindrick.
Bereits acht Monate nach der ersten Planung konnte die neue Authentisierungslösung für die Windows-Clients in den produktiven Betrieb übernommen werden. Der Return on Investment spielt dabei aus Sicht der LVM keine Rolle. "Bei Security-Projekten ist dieser immer sehr schwer zu beziffern", so Timmerhindrick. "Da Windows oft von unseren Führungskräften genutzt wird, war die zusätzliche Sicherheit einfach notwendig." (qua)
Projektsteckbrief
Branche: Versicherung;
Projektart: Benutzerauthentisierung;
Eingesetzte Produkte: Comtarsia SignOn Proxy, SignOn Agent, Logon Client und Smart Card Middleware;
Systemumgebung: Linux, Windows, LDAP, Active Directory;
Herausforderung: Authentisierung über Smart Card von Linux- auf Windows-Umgebung mit geringen Eingriffen in die Microsoft-Infrastruktur;
Stand des Projekts: Produktiv, Projektdauer zirka zehn Monate;
Involvierte Anbieter: Comtarsia IT Services GmbH;
Ansprechpartner: Daniel Timmerhindrick, LVM Versicherung.