Digitalisierung und Outsourcing in der Beschaffung

Einkäufer stehen vor einem Rollenwechsel

22.08.2017 von Mike Rübsamen
Viele Einkaufsorganisationen stehen vor dem Dilemma, immer komplexere Anforderungen mit immer weniger Personal erfüllen zu müssen. Abhilfe können die Digitalisierung schaffen - Stichwort Einkauf 4.0, und die Auslagerung operativer Tätigkeiten.

Längst ist der Fachkräftemangel auch in der Beschaffung angekommen. Verschärft durch den demografischen Wandel, wird es für Unternehmen immer schwieriger, qualifizierte Einkäufer zu rekrutieren. Scheiden erfahrene Einkaufsmitarbeiter alters- oder fluktuationsbedingt aus, gelingt es den meisten nicht, den damit verbundenen Know-how-Verlust zu kompensieren.

Die Anforderungen an die strategische Beschaffung steigen.
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Gleichzeitig jedoch steigen die Anforderungen sowohl in der operativen als auch strategischen Beschaffung. Wachsende Volatilitäten, unkalkulierbare Märkte sowie politische und wirtschaftliche Krisen rund um den Erdball setzen die Einkäufer permanent unter Druck. Einst eine reine Bestellabteilung, müssen die Mitarbeiter in der Beschaffung immer mehr in die Rolle von Beziehungsmanagern schlüpfen, die sich verstärkt mit Lieferanten und anderen Abteilungen vernetzen. Dazu gehört, mit ausgewählten Lieferanten strategische Partnerschaften aufzubauen und zu pflegen, die wiederum auf einer fundierten Warengruppen-Strategie basieren. Denn nur wer die benötigten Güter nach Beschaffungseigenschaften, wie Versorgungsrisiken oder Einfluss auf den Geschäftserfolg, einteilt, kann die geeigneten Zulieferer identifizieren und damit die Qualität der Lieferungen steigern.

Ebenso müssen sich die Einkäufer vom überkommenen Silodenken im Unternehmen verabschieden und in interdisziplinären Teams mit anderen Fachbereichen, allen voran der Entwicklung und dem Vertrieb, zusammenarbeiten. Dazu bieten sich Design-Thinking-Ansätze an, die die Nutzerwünsche und -bedürfnisse ins Zentrum der Prozesse rücken.

Procure-to-Pay-Prozesse automatisieren

Um den zunehmenden Aufgaben mit schrumpfenden Teams gewachsen zu sein, bieten sich den Einkaufsabteilungen aktuell mehrere Möglichkeiten. So setzen immer mehr Unternehmen moderne Beschaffungslösungen ein, um die operativen Procure-to-Pay-Prozesse (P2P) zu automatisieren: von der Bedarfsentstehung über die Bestellung und den Wareneingang bis zum Erhalt und der Zahlung der Lieferantenrechnungen.

Den Anforderern stehen Self-Service-Funktionen zur Verfügung, um ihre Bedarfe über vorverhandelte Verträge direkt bei den Lieferanten zu beschaffen. Unternehmen, die Procurement-Plattformen nutzen, profitieren davon, dass sie ihre Beschaffungskosten und -zeiten senken sowie die Transparenz der Einkaufsprozesse steigern. Gleichzeitig werden die Einkäufer von Routineausgaben entlastet und können sich verstärkt auf strategische Fragen konzentrieren.

SAP-Einkauf ist speziell

Spezielle Anforderungen gibt es im SAP-basierten Einkauf. Seit SAP das Wartungsende für die klassischen Supplier Relationship Management (SRM)- und Supplier Lifecycle Management (SLC)-Lösungen im Jahr 2025 angekündigt hat, schauen sich viele Anwender nach Alternativen um. Nicht immer ist die Cloud das Mittel der Wahl. Sind in Freigabeprozessen zum Beispiel personenbezogene Daten im Spiel, ist es möglicherweise nicht ratsam, diese Prozesse außer Haus zu betreiben. In diesen Fällen empfehlen sich spezielle Add-ons, die in SAP ERP und die neue Business Suite S/4HANA integriert sind. Sie bieten den Vorteil, dass sie keine Investitionen in Schnittstellen zu externen Systemen und in zusätzliche Hardware erfordern. Da die vorhandenen Altsysteme für den Einkauf abgeschaltet werden können, rechnet sich die Anschaffung in kürzester Zeit.

DSAG-Umfrage: SAP-Anwender investieren mehr Geld
Budgets für IT-Investitionen
Um fast fünf Prozent sollen die IT-Budgets der SAP-Anwender in diesem Jahr wachsen.
Investitionen in neue Geschäftsmodelle
Ein gutes Drittel der befragten SAP-Anwender schätzt Investitionen in neue Geschäftsmodelle als wichtig beziehungsweise sehr wichtig ein.
Business Suite bleibt gesetzt
Vier von fünf SAP-Anwendern stecken weiter Geld in die Business Suite. Für ein Drittel ist diese klassische Lösung sogar der Hauptinvestitionsbereich.
S/4HANA-Umstieg ungewiss
Ein Drittel der Befragten DSAG-Mitglieder hat noch keine Entscheidung darüber gefällt, ob ihr Unternehmen auf die neue Anwendungsgeneration von SAP umsteigen soll.
SAP-Cloud bleibt Nebensache
Für die SAP-Anwender stellen die Cloud-Lösungen aus Walldorf meist nur flankierende und ergänzende Elemente dar. Die Investitionen hier bleiben überschaubar.

Diese Add-ons versetzen Kunden in die Lage, schnell und einfach auf ihre Bezugsquellen, wie Artikel-, Material- und Dienstleistungskataloge, zuzugreifen. Ergänzend dazu stehen dynamische Freitext-Formulare zur Verfügung, die die Anwender selbst erstellen. Ein weiteres Plus kann die Nutzung der SAP Fiori-Technologie sein, durch die die Einkaufsprozesse mobil und damit jederzeit und überall verfügbar sind.

Viel Aufwand für Katalogmanagement

Doch reicht die Anschaffung von Add-ons für viele SAP-basierte Einkaufsorganisationen nicht aus, um von operativer Routine entlastet zu werden. Da die Akzeptanz einer Beschaffungslösung mit der Qualität des Contents steht und fällt, müssen die Einkäufer viel Aufwand in die Bereitstellung, Wartung und Pflege der Kataloge stecken - und bleiben doch hinter ihren Möglichkeiten zurück. Obwohl es standardisierte Austauschformate gibt, die die Übernahme der Katalogdaten von den Lieferanten vereinfachen sollen, bleibt oft noch zu viel zu tun.

So mancher Zulieferer stellt Produktstammdaten zur Verfügung, die mit den eigenen Systemen nicht kompatibel sind und zeitintensiv bearbeitet werden müssen. Wer diesen Aufwand scheut, muss in Kauf nehmen, dass die Anforderer den Einkauf umgehen, weil sie im Beschaffungssystem nicht gleich finden, was sie suchen. Mit weitreichenden Folgen, denn dieses Maverick-Buying kann im Unternehmen enorme Kosten verursachen.

Outsourcing als Alternative

Alternativ bietet es sich an, das Katalogmanagement an einen spezialisierten Dienstleister auszulagern. Wie jede andere Form von Outsourcing bieten Content Services einem Kunden zahlreiche Vorteile: Er spart Zeit und Geld und kann die Qualität des Katalogmanagements steigern, da der Servicepartner auf diesen Bereich spezialisiert ist. Zudem lassen sich die benötigten Ressourcen flexibel dem Bedarf anpassen und die Risiken bei der Katalogverwaltung senken.

Sourcing-Markt Deutschland: Was Anbieter und Berater dazu sagen
Branimir Brodnik, Geschäftsführender Gesellschafter bei der microfin Unternehmensberatung GmbH
Künftig werden Regularien, Datenschutz- und Compliance-Anforderungen die Auswahl von Cloud-Services und des damit einhergehenden Shoring-Modells viel stärker beeinflussen als technische und kommerzielle Aspekte. Nicht alles, was technisch geht, ist auch zulässig.
Khaled Chaar, Managing Director Business Strategy bei Pironet
Beim Outsourcing steigt die Nachfrage nach Multi-Cloud-Strukturen, die das Beste aus Private und Public Cloud miteinander verbinden.
Michael Eberhardt, Vice President and General Manager North and Central Europe bei DXC Technology
Branchen-Know-how reicht heute als Differenzierungsmerkmal nicht mehr aus. Die neuen Kernkompetenzen sind Methoden und Prozesse für Innovation, Inkubation, Restrukturierung und Change Management.
Christian Gfüllner, Director Partner Team Unit Enterprise and Partner Group (EPG) Microsoft Deutschland GmbH
Immer mehr Unternehmen wollen große Teile ihrer Datacenter-Infrastrukturen in die Cloud migrieren, um damit auf der einen Seite eine höhere Flexibilisierung zu erreichen und auf der anderen signifikante Kosteneinsparungspotentiale zu heben.
Thomas Karg, Geschäftsführer des Münchener Benchmarking- und Beratungsunternehmens Maturity
Gerade das komplexe Zusammenspiel mit mehreren Best-of-Breed-Lieferanten macht es erforderlich, dass Unternehmen ihr Sourcing professionalisieren, um alle vertraglichen Leistungen abstimmen, beauftragen und kontrollieren zu können.
Patrick Potters, CEO bei Capgemini Cloud Infrastructure Services Central Europe
Unternehmen sind heute in der Lage, mehrere Sourcing-Partner zu koordinieren und damit ihre individuellen Bedürfnisse optimal abzudecken. Für die Anbieter bedeutet dies unter anderem kürzere Vertragslaufzeiten, geringere Auftragsvolumina und einen erhöhten Preis- und Wettbewerbsdruck.
Jakob Rehäuser von der Ardour Consulting Group
Mittelständische Unternehmen fremdeln noch beim Thema Public Cloud Services. Doch mit der zunehmenden Verbreitung von Cloud-Service-Angeboten, die in Deutschland gehostet und/oder von deutschen Unternehmen betrieben werden, legen die Unternehmen ihre Zurückhaltung ab und bringen immer mehr Anwendungen in die Cloud.
Ulfert Rotermund, Geschäftsführer Allgeier Experts Services
Die Vielfalt der Projekte erhöht die Anforderungen an externe Dienstleister zur Deckung der unterschiedlichen Bedarfe und stellt gerade IT- und Personaldienstleister vor immer größere Herausforderungen.
Jörg Thamm, Head of IT-Strategy and Target Operating Model bei der Managementberatung Horváth & Partners
Der Sourcing-Markt ist erwachsen geworden. Dies bedeutet, dass die Sourcing-Möglichkeiten heute deutlich differenzierter, kleinteiliger und einfacher zu integrieren sind.

Der Dienstleister übernimmt dafür sämtliche Content Services, darunter die komplette Kommunikation mit den Zulieferern. Das heißt konkret: Hat ein Kunde die gewünschten Lieferanten und Sortimente definiert, stimmt der Dienstleister die benötigten Datenformate mit den Lieferanten ab und spielt sie ins eigene Content Management-System ein. Dort wird ein kundenindividueller Katalog mit den aggregierten Artikelinformationen mehrerer Anbieter aufgebaut. Die primäre Einrichtung solcher Multilieferantenkataloge ist mit hohem Aufwand verbunden, da im ersten Schritt alle Stammdaten zwischen Kunde und Lieferant synchronisiert werden müssen. Einmal implementiert, bieten Multilieferantenkataloge den Anforderern jedoch den Vorteil, dass sie über eine einheitliche Benutzeroberfläche mehrere Angebote durchsuchen und vergleichen und das beste Preis-Leistungsverhältnis erzielen können. Unternehmen sparen dadurch bei jedem Einkaufsvorgang Zeit und Geld.

Big Data beflügelt Bedarfsplanung

Doch profitieren nicht nur die operativen Einkaufsprozesse von der Digitalisierung, sondern auch das strategische Lieferantenmanagement. Hier sind vor allem Big-Data-Analysen zu nennen, die der Beschaffung entscheidende Vorteile bei der Bedarfsplanung sichern, Stichwort: Predictive Requisitioning. Dazu wertet ein Unternehmen Daten aus den unterschiedlichsten externen Quellen aus, um die künftige Nachfrage nach seinen Produkten abzuleiten und geeignete Aktivitäten mit den Lieferanten anzustoßen: vom präventiven Bestellen oder Blocken der benötigten Bestände bis zum Abschluss entsprechender Rahmenverträge.

Studie Analytics Readiness













Ein Beispiel sind Bedarfsprognosen, die auf der Analyse von Posts in den sozialen Medien basieren. Kristallisiert sich dabei ein Nachfragetrend nach den eigenen Produkten heraus, kann die Einkaufsorganisation rechtzeitig die Weichen stellen.

Künstliche Intelligenz bestellt automatisch

Nach Prof. Florian C. Kleemann von der DHBW Stuttgart wird es für einen effizienten Wertschöpfungsprozess künftig entscheidend sein, wie gut Bedarfe antizipiert werden können. Große Bedeutung werden autonome Bestellabwicklungssysteme mit künstlicher Intelligenz erlangen, die - gespeist durch eine Fülle an Echtzeit-Daten - in der Lage sind, eigenständig Bestellentscheidungen zu treffen und dabei stetig dazuzulernen.