ERP-Ansätze zur Web-Integration

20.03.2003 von Frank Niemann
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Alle führenden ERP-Hersteller statten ihre während der Client-Server-Ära entstandenen Systeme mit XML- beziehungsweise Web-Services-Schnittstellen aus. Zudem verlangen die Anwender Web-Oberflächen statt sich proprietäre Desktops aufzwingen zu lassen. Ihre Kernsysteme ändern die Anbieter jedoch nicht, sondern verlagern die Innovation in Applikations- und Integrationsserver.

Oracle, SAP, Baan und Peoplesoft haben in den vergangenen Jahren den Wechsel ihrer Client-Server-Standardsoftware zu Internet-fähigen Lösungen vorgenommen. Vor allem Peoplesoft nimmt für sich in Anspruch, über eine reine Internet-Architektur zu verfügen. Dies stimmt insofern, als die gesamte Client-Kommunikation über einen Web-Server erfolgt. Mit Endgeräten wie PCs, PDAs oder Handys sowie mit den angebundenen Systemen von Drittherstellern kommuniziert die Peoplesoft-Software über HTTP. Der Benutzer benötigt somit lediglich einen Browser, der HTML und Javascript darstellen kann.

Foto: Joachim Wendler

Im Mittelpunkt der Transaction Server

Zwei Hauptbestandteile der „Peoplesoft Internet Architecture“ (PIA) sind der Datenbank- und der Transaktions-Server. Im ersteren sind Anwendungstabellen sowie Metadaten gespeichert. Die Geschäftslogik und somit alle Peoplesoft-Anwendungen sind in der herstellereigenen Sprache „Peoplecode“ verfasst. Über die „Peopletools“ nimmt der Anwender Anpassungen der Logik vor, erstellt Benutzerbildschirme und richtet Integrationsmodule ein.

Der „Transaction Server“ ist in Java und C++ geschrieben und greift als Transaktionssystem auf die Datenbank zu. Er enthält die „Peoplesoft Services“, die den Anwendungscode ausführen, HTML-Oberflächen dynamisch erzeugen sowie die Handhaben von Messages zwischen unterschiedlichen Applikationen übernehmen. Die Kommunikation mit dem Web-Server wickelt der integrierte Transaktionsmonitor „Tuxedo“ von Bea Systems ab, und zwar über das Verfahren Java Online Transaction (Jolt). Mit jedem Peoplesoft-Produkt (beispielsweise Customer-Relationship-Management, Human-Capital-Management oder Supplier-Relationship-Management) verfügen Anwender auch über die PIA.

Zur Integration Peoplesoft-eigener Anwendungen untereinander oder zur Anbindung fremder Softwareprodukte sieht der Hersteller zwei Verfahren vor: Enterprise Integration Points (EIPs) sowie „Components“. EIPs sind eine Menge von Datenfeldern, in denen Geschäftsprozesse, etwa zum Übermitteln eines Kaufauftrags aus einem CRM-System in eine Supply-Chain-Software, abgebildet sind. Der Hersteller hat rund 400 solcher Integrationspunkte definiert. Der „Application Designer“, ein Werkzeug innerhalb der Peopletools, gestattet es, weitere EIPs zu erstellen.

Über Components werden Funktionsbausteine von Peoplesoft-Produkten für Programmiersprachen wie Java, C/C++ sowie für COM und .NET über APIs zugänglich. So gibt es beispielsweise in der Web Services Description Language (WSDL) formulierte „Component Interfaces“. Auf diese Weise können Entwickler ein in „Visual Studio .NET“ entworfenes Programm über WSDL beispielsweise mit den Funktionen von Peoplesofts Human-Capital-Management-Produkt verbinden.

SAP integriert über Exchange Infrastructure: Alle Mysap-Applikationen laufen auf dem Web Application Server.

In Bezug auf Portale verfügt der Hersteller über ein eigenes Produkt, unterstützt aber auch die Lösungen von IBM, SAP und Bea. In Projekten, die Peoplesoft-Partner IBM akquiriert, kommt zum Beispiel bevorzugt dessen „Websphere Portal“ zum Zug. Insbesondere in Deutschland sieht sich Peoplesoft in vielen Projekten mit einer bereits vorhandenen SAP-Basis konfrontiert. Daher konzentriert der Anbieter seine Aktivitäten hierzulande auf CRM-, SRM- und SCM-Lösungen als Ergänzung zu R/3. Die zur Anbindung erforderliche Komponente „Integration Broker“ liefert der Anbieter neuerdings mit allen seinen Softwareprodukten aus.

Peoplesoft ruft R/3

Wie sich Peoplesoft- und SAP-Produkte integrieren lassen, kann am Beispiel der Software „Supplier Relationship Management“ von Peoplesoft und R/3 verdeutlicht werden. Über SAPs „Business Connector“ versendet und empfängt das R/3-System XML-Daten via HTTP. Ein Konnektor, der auf dem Web-Server in Peoplesoft integriert ist, übersetzt die SAP-Geschäftsdaten mittels Extensible Stylesheet Language Transformation (XSLT) in ein für die Peoplesoft-Umgebung verständliches Format. Der Transaktions-Server leitet die Daten an die entsprechenden Enterprise Integration Points der SRM-Software weiter.

Auch Peoplesofts Hauptkonkurrent SAP hat unlängst mit „Netweaver“ (vormals Mysap Technology) eine Infrastruktur vorgestellt, die mit der „Mysap Business Suite“ (vormals Mysap.com) sowie den einzelnen Mysap-Lösungen (zum Beispiel CRM, SCM und PLM) ausgeliefert wird. Netweaver beinhaltet das „Enterprise Portal“, Business-Intelligence- und Knowledge-Management-Funktionen, die Integrationskomponente „Exchange Infrastructure“ sowie den „Web Application Server“ (WAS).

Alle SAP-Applikationen, etwa das aktuelle ERP-Release „R/3 Enterprise“ sowie die Mysap-Anwendungen, laufen auf dem Web Application Server. Er enthält Ablaufumgebungen sowohl für Abap-Code als auch für J2EE-kompatible Programme. Trotz dieser Doppelfunktion favorisiert SAP für die Entwicklung nach wie vor Abap, da sich die Haussprache des Herstellers nach heutigem Stand der Technik für laufzeitkritische Funktionen besser eignet als Java. Zwar wurden Teile von SAP-Produkten wie bei Mysap CRM in Java entwickelt, doch dabei handelt es sich in erster Linie um Bereiche der Benutzerinteraktion.

Bei Oracle alles aus einer Hand: E-Business Suite 11i nur mit 9i-Application-Server und 9i-Datenbank.

Anders als bei Peoplesoft lassen sich SAP-Anwendungen noch nicht ohne weiteres per Browser bedienen. So benötigen R/3-Anwender den „Internet Transaction Server“ (ITS), mit dem sich Benutzeroberflächen („Dynpros“) in HTML umwandeln lassen. Eine Alternative bietet das Entwicklungswerkzeug „Web Dynpro“, mit dem sich Masken speziell für den Web-Browser gestalten lassen. SAP arbeitet daran, alle Dynpro-Masken für den Browser-Zugriff vorzubereiten.

Web-Dynpro oder Enterprise Portal?

Zudem stellt SAP ein Tool zur Verfügung, mit dem sich die von Anwendern selbst erstellten Dynpro-Screens auf Web-Dynpro migrieren lassen. Es muss heute noch separat erworben werden, der kommende „Web Application Server 6.30“ wird das Programm jedoch serienmäßig enthalten. Viel lieber sähe es SAP natürlich, wenn der Web-Zugriff auf Applikationen via Enterprise Portal erfolgen würde. Darüber hinaus dient das Portalprodukt als Grundlage für die „Xapps“, einer neuen Produktsparte des Herstellers, die unterschiedliche Applikationen integrieren sollen.

In Sachen Integration hat sich auch SAP weiterentwickelt. Gab es bisher nur den „Business Connector“, ein auf der Technik des Enterprise-Application-Integration-(EAI-)Spezialisten Webmethods basierendes Tool zur Anbindung von R/3 über XML, so liefern die Walldorfer nun mit der Exchange Infrastructure (XI) selbst eine Integrationsplattform aus. XI besteht aus dem eigentlichen Integrations-Server und einem Repository, das Schnittstellen-Beschreibungen enthält. Im Lieferumfang sind beispielsweise die herstellerspezifischen BAPIs, RFCs und Idocs enthalten.

Adapter zu Fremdprodukten sind verfügbar. Die Exchange Infrastructure gestattet es Anwendern, beliebige Systeme über Web-Services-Schnittstellen anzusprechen. Man soll sich laut Hersteller über die technische Ausprägung der jeweiligen Software keine Gedanken mehr machen müssen. Dies gilt für SAP-eigene, aber auch für Fremdapplikationen, die sonst über optionale Adapter angebunden werden müssten.

Wie SAP und Peoplesoft stützt sich auch der zum britischen Technologiekonzern Invensys gehörende niederländische Anbieter Baan nach wie vor auf eine proprietäre Programmiersprache. Die gesamte Geschäftslogik der Baan-Produkte ist in „Application Objects“ zusammengefasst, die den in „Baan 4GL“ formulierten Programmcode enthalten. Baan 4GL läuft in einer virtuellen Maschine („Bshell“). Wie die Java Virtual Machine wird auch die Bshell an das jeweilige Betriebssystem - Unix oder Windows - angepasst.

Peoplesoft setzt auf Bea-Tuxedo: Peoplesoft-Services führen Anwendungs-Codes aus, erzeugen HTML-Oberflächen und regeln Messages.

Den Kern aller Baan-Produkte bildet „iBaan ERP“. Die klassische Three-Tier-Architektur dieses Systems setzt sich aus „Database“ für den Zugriff auf unterschiedliche relationale Datenbanken, „Application“ mit der Bshell sowie dem „Display“ zusammen. Letzteres beinhaltet den Zugriff auf Applikationen über den Windows-Client („Worktop“).

Der im vergangenen Jahr vorgestellten Integrationskomponente „Openworld“ fällt eine zentrale Rolle in Baans Internet-Strategie zu. So realisiert der Hersteller über diese Java-basierende, Message-orientierte Middleware beispielsweise die Anbindung von Web-Clients („Webtops“). Dabei koppelt Openworld das Backend mit der Servlet-Engine eines Web-Servers. Das Browser-Interface verwendet neben HTML einige Java-Applets, die sich der Benutzer vor der Sitzung laden muss.

Darüber hinaus verbindet Openworld das ERP-System mit anderen Produkten aus dem Baan-Portfolio. Beispielsweise verknüpft die Middleware vertriebsrelevante Elemente von iBaan ERP mit dem Customer-Relationship-Management-Programm „Salesplus“. Die Kombination aus Teilen der ERP-Umgebung und CRM-Produkten vermarkten die Niederländer als „iBaan for CRM“. Auf ähnliche Weise verfährt der Anbieter mit „iBaan for SCM“ und „iBaan for PLM“.

Der Zugriff auf Funktionen der Baan-Software mit Openworld erfolgt über Business Object Interfaces (BOIs). Dies erlaubt es Anwendern, beispielsweise über ein Java-Programm einen neuen Fertigungsauftrag in iBaan ERP anzulegen. Baan liefert eine Reihe optionaler Integrationskomponenten aus, etwa zur Kopplung von Drittapplikationen wie SAP R/3 oder das Einbinden von XML-Daten und Java-Programmen. Die nächste Version, Openworld 3.0, soll auch Web-Services-Standards unterstützen. Wann dieses Produkt auf den Markt kommt, vermag Baan allerdings noch nicht zu sagen.

Ungelöste Probleme: Anwender von Unternehmenssoftware wollen nicht nur ihre interne Systemlandschaft integrieren, sondern zunehmend auch eine Verbindung zu den IT-Umgebungen ihrer Geschäftspartner, Kunden und Lieferanten herstellen. Zwar versprechen die ERP-Spezialisten eine einfache Kopplung von Applikationen über Firmengrenzen hinweg, doch für Experten wie Helmuth Gümbel, Managing Partner beim Beratungshaus Strategy Partners International aus Scuol in der Schweiz, sind viele damit einhergehenden Probleme von den Softwarefirmen noch nicht gelöst worden.

So fragt sich der ERP-Kenner beispielsweise, ob die mit den Integrationsprodukten angepriesenen Schnittstellen auch dann noch einwandfrei funktionieren, wenn eines der angebundenen Systeme auf ein neues Release gebracht wurde. Ungelöst ist seiner Meinung nach auch, wie die Firmen in miteinander vernetzten Business-Systemen für ein einheitliches System-Management sorgen, Performance-Prognosen aufstellen und Failover-Mechanismen einführen können. Zudem mangelt es laut Gümbel an Validierungsfunktionen und Plausibilitätskontrollen bei der Übertragung von Geschäftsinformationen zwischen den Softwaresystemen. XML-Daten lassen sich auf ihre strukturelle Korrektheit hin überprüfen, doch können sie trotzdem falsche Angaben enthalten.

„Wie fängt eine Firma fehlerhafte Datensätze eines Partnerunternehmens ab, wenn darin beispielsweise der Standort von Daimler-Chrysler mit Düsseldorf angegeben wird, obwohl der Konzern bekanntlich in Stuttgart beheimatet ist?“

Baans Portalpartner von SAP übernommen

Unklar ist auch die Portalstrategie des Herstellers: Die Firma hatte einen Kooperationsvertrag mit dem amerikanischen Portalspezialisten „Toptier“ geschlossen, der jedoch kurze Zeit später von SAP gekauft wurde. Über das weitere Vorgehen verhandelt Baan derzeit noch mit den Walldorfern. Prinzipiell, so versichert der Anbieter, lassen sich Baan-Produkte auch in die Portalsysteme von Bea und IBM einbinden. Außerdem arbeiten die Niederländer derzeit an einem neuen ERP-Release (Codename „Gemini“), das vermutlich Anfang nächsten Jahres auf den Markt kommen wird.

Im Unterschied zu SAP, Baan und Peoplesoft, die verschiedene Datenbanksysteme unterstützen, schreibt Oracle für den Betrieb seiner „E-Business Suite 11i“ die hauseigene Technik vor. So läuft die Business-Software nur auf dem „9i Application Server“ und der 9i-Datenbank. Auch Oracle setzt mit „PL/SQL“ auf eine eigene Sprache, um Geschäftslogik zu implementieren. Für die Präsentation der Daten nutzt der Hersteller Java. Anpassungen der Software nimmt der Anwender über das Tool „Oracle Forms“ vor.

Beim Browser-Zugriff auf die Applikationen unterscheidet Oracle zwischen dem „Self-Service-Interface“ (reines HTML und Javascript) sowie dem „Professional-Interface“, das zusätzlich Java-Applets verwendet. Die zweigleisige Client-Strategie begründet der Hersteller in den Unzulänglichkeiten von HTML und HTTP in puncto Session-Kontrolle. Das reine HTML-Interface sei nicht geeignet, wenn beispielsweise in der Finanzbuchhaltung viele Transaktionen ausgelöst werden, weshalb für diese Zwecke die Java-Version zum Zuge kommt. Wie Baan hat auch Oracle bestimmte Funktionen, die zuvor in der proprietären Client-Software implementiert waren, in Form von Java-Applets ausgekoppelt. Bei Peoplesoft beispielsweise ist man im Gegensatz dazu der Meinung, trotz Java-freier Web-Oberflächen leistungsfähige Browser-Frontends vorhalten zu können.

Oracles E-Business Suite besteht aus etwa 200 Applikationsmodulen. Den Anwendungskomponenten liegt ein einheitliches Datenbankschema zugrunde. So verwenden sowohl die Debitorenverwaltung als auch das CRM-System das Datenbankobjekt „Kunde“. Die Module enthalten anpassbare Standardmasken.

XML-Gateway und EAI-Adapter

Den Bedarf an Integration fremder Systeme deckt Oracle über ein XML-Gateway ab. Damit lassen sich Softwareprodukte mit XML-Schnittstelle anbinden, etwa R/3-Module mit dem Business Connector. Soll die SAP-Umgebung tiefergehend integriert werden, bietet Oracle dafür Adapter über das optionale EAI-Produkt „Interconnect“ an. Diese Software wird in ihrer nächsten Version auch Web-Services-Konnektoren liefern. Darüber hinaus stellt die Ablaufumgebung 9i Application Server einen Soap-Server bereit. Er macht PL/SQL- beziehungsweise Java-APIs über Web-Services-Interfaces zugänglich.

Fester Bestandteil der Suite ist der Portal-Server des Herstellers. Vordefinierte „Portlets“ ermöglichen den Zugriff auf Programmfunktionen, wobei deren Art und Umfang von der Rolle des jeweiligen Benutzers abhängt. Prinzipiell ließen sich die Oracle-Portlets auch in Portalsystemen von Bea oder IBM betreiben, doch fehlende Portlet-Standards erfordern für solche Konstellationen entsprechenden Mehraufwand. An einer Lösung diesbezüglich arbeitet das XML-Gremium Oasis („Web Services for Remote Portlets“). Mit ihr soll es möglich sein, beispielsweise ein Portlet von Oracle in das Portalprodukt von Bea einzubinden.