Die Komplexität der ERP-Architekturen haben sicher auch die Hersteller ein Stück weit mit verursacht", meint DSAG-Vorstand Marco Lenck. Er erwartet, dass die Softwareanbieter nicht nur an den weiteren technischen und funktionalen Ausbau, sondern auch an eine Vereinfachung denken.
"Die Erwartungen sind hoch, hängen aber auch vom Selbstverständnis des Anwenderunternehmens ab", sagt Karsten Sontow, Vorstand von Trovarit. Er beobachtet je nach Unternehmensgröße Unterschiede in der ERP-Wahrnehmung.
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Firmen, die sich als Bewirtschafter ihrer IT-Infrastruktur verstehen, kümmern sich aktiv um Fragen und Gestaltung der grundlegenden ERP-Architekturen. Das sind in aller Regel größere Konzerne.
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Andere Unternehmen erwarten von ihrem Softwarelieferanten, dass dieser den Anforderungen entsprechend eine flexible und anpassbare Lösung bereitstellt. Um technische Fragen will sich diese Gruppe nicht kümmern. Diese Haltung ist unter Mittelständlern weit verbreitet.
Moderne Architekturen sind selten
Die Anbieter bemühen sich, die Erwartungen ihrer Kunden zu erfüllen, was allerdings nicht immer leichtfällt. "Es ist schwer, Altlasten abzuschneiden", sagt Norbert Gronau vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Electronic Government an der Universität Potsdam. Anbieter wie Microsoft, Oracle und Infor müssen verschiedene Systeme mit entsprechend verschiedenen Architekturen pflegen. Primär geht es darum, zwischen diesen Systemen eine Art Middleware zu schaffen, um die Integrationsanforderungen erfüllen zu können. "Das können die Anbieter gut", stellt Gronau fest. "Aber bis auf SAPs Business ByDesign hat keiner dieser Anbieter ein komplett neu entwickeltes System, das eine Architektur auf neuestem Stand berücksichtigt."
Trotzdem tut sich bei den Herstellern eine Menge, sagt Frank Niemann, Principal Consultant bei Pierre Audoin Consultants (PAC). Microsoft entwickelt die ERP-Systeme "Dynamics NAV" und "AX" weiter. Zudem hat der Konzern sein CRM-System in die Cloud gebracht, Dynamics NAV soll folgen. Infor übernahm in den vergangenen Jahren eine Reihe von anderen Softwareanbietern - zuletzt Lawson - und bietet mit "ION" eine Plattform für seine Software. Im Gegensatz dazu hat Oracle mit "Fusion Applications" eine echte Neuentwicklung auf den Markt gebracht.
Das letztgenannte Beispiel ist jedoch auch ein Beleg dafür, dass in den Entwicklungsstrategien der Hersteller längst nicht alles so geradlinig verläuft, wie es ursprünglich geplant war. Vor Jahren waren die Oracle-Verantwortlichen nach zahlreichen Zukäufen angetreten, mit Fusion Applications eine komplett neue Anwendungslinie zu entwickeln. Doch die Stoßrichtung, die der Hersteller verfolgt, habe sich offenkundig verändert, berichtet Frank Schönthaler, der die Business Solutions Community bei der Deutschen Oracle Anwendergruppe (Doag) leitet. Ursprünglich dafür gedacht, eine komplette Suite im Markt zu platzieren, würden die Fusion Applications heute als zusätzliche Produktlinie vermarktet und nicht als Ersatz für die E-Business-Suite.
Um seine Systeme miteinander zu verbinden, bietet Oracle den Kunden verschiedene Integrationswerkzeuge rund um seine Fusion Middleware und die Application Integration Architecture (AIA). Das reicht von komplett vorgefertigten Integrationspaketen bis hin zu granularen Integrationsobjekten. Mit den zusätzlichen Funktionen und einer Integrationsplattform will sich Oracle zunehmend als Komplettlieferant für ins Spiel bringen.
Frank Naujoks, Director Research & Market Intelligence bei i2s, warnt Anwender jedoch davor, unbedingt alles aus einer Hand beziehen zu wollen. Es gebe keine Garantie, dass das funktioniere. Beispielsweise seien die Microsoft-Lösungen NAV, AX und das CRM-System technisch völlig unterschiedlich. Selbst Sprünge zwischen den Releases innerhalb einer Produktlinie seien teilweise aufwendig.
ERP-Monolithen aufbrechen?
Für die Anbieter werde es deshalb verstärkt darum gehen, alte monolithische Strukturen aufzubrechen, sagt Bernd Wetekam, ERP-Experte bei Accenture. Der Weg führt zu integrationsfähigen Komponenten. "Das ist das A und O sowohl aus einer funktionalen wie auch aus der Architektursicht." Es sei notwendig, die Dinge modularer zu gestalten.
Dieses Versprechen haben die Softwarehersteller bereits vor Jahren im Zusammenhang mit Service-orientierten Architekturen (SOA) gegeben. Die Vision war, einzelne Softwarebausteine beliebig mit Hilfe von standardisierten Schnittstellen verknüpfen zu können. Dazu sollten die in die Jahre gekommenen Softwaresuiten in einzelne Servicemodule zerlegt werden.
"Doch die Monolithen aufzubrechen ist schlichtweg nicht praktikabel", sagt Trovarit-Vorstand Sontow und verweist auf die Mächtigkeit der Softwarepakete. Kaum jemand vermöge zu überblicken, was beispielsweise SAP über die Jahre in seinem System angehäuft habe. "Wer soll das im Rahmen eines Re-Engineerings der Architektur aufbrechen?", fragt der Experte. "Die Konsequenzen sind gigantisch. Das ist nicht zu machen." Für die Anbieter werde es darum gehen, rund um ihre Suiten kleingranulare Softwaremodule anzubieten. Diese ähnelten schon eher einer SOA: "Die Monolithen schmelzen im Laufe der Zeit etwas ab, verschwinden aber nicht." Nicht umsonst habe SAP mit Business ByDesign neu angefangen. "Die Altsysteme sind ein gordischer Knoten, der sich kaum mehr lösen lässt", sagt Sontow.
PAC-Experte Niemann sieht in Sachen SOA Defizite: "Ein wirklich SOA-fähiges System aus einem bestehenden heraus zu entwickeln dauert und ist aufwendig." Daher hätten viele Hersteller beschlossen, ohne Altlasten zu beginnen und komplett neue Systeme zu entwickeln. Dabei bleibe SOA ein wichtiges Designkonzept, stellt Niemann klar: "SOA ist nicht tot." Nur der Fokus habe sich im Lauf der Jahre etwas gewandelt. Heute bilde SOA die Basis für viele moderne ERP-Produkte, zu denen auch SaaS-ERP-Lösungen zählten. Mit Hilfe von SOA ließen sich wichtige Anforderungen wie Flexibilität und Anpassbarkeit leichter erfüllen.
Den Entschluss, komplett neu anzufangen, haben zuletzt vor allem kleinere ERP-Anbieter gefasst, sagt Gronau. Hersteller wie Nissen und Velten, GUS oder Oxaion hätten neue Anwendungen entwickelt, die sie neben ihre Altanwendungen stellten. Außerdem hätten diese Anbieter die Chance, sich an die Plattformen und Architekturen der Großen anzuschließen, und zwar sowohl im klassischen Softwaregeschäft als auch im Cloud-Umfeld. Die Anbieter könnten auf dieser Grundlage Speziallösungen etwa für bestimmte Branchen anbieten, sagt Niemann. Nicht alle seien auf Dauer in der Lage, notwendige Infrastrukturkomponenten selbst zu entwickeln, zu pflegen und zu betreiben: "Wenn man zu klein ist, wird das schwierig."
Vom ERP- zum Plattformanbieter
Es wird auch künftig die kleineren ERP-Anbieter mit Speziallösungen für bestimmte Industrien und Prozesse geben, ist sich Kiumars Hamidian, Partner bei Bearingpoint, sicher. Gleichzeitig würden sich die Großen in Richtung eines Partner-Ökosystems öffnen: "Für sie wird es darum gehen, sich von einem ERP-Anbieter zu einem Plattformanbieter zu entwickeln."