Alternative zum Kauf?

ERP-Software aus der Steckdose

22.10.2004 von Uwe Küll
Mieten statt kaufen - mit dieser einfachen Formel locken immer mehr Softwarehersteller Unternehmenskunden an. Application Service Providing (ASP) und andere Mietmodelle sollen die Kapitalbindung durch IT verringern.

FÜNF JAHRE ist es her, dass die Idee des ASP in Schlagzeilen um die Welt ging. Nach Berechnungen der britischen Marktforscher von Durlacher Research Ltd. beispielsweise sollte die Nutzung von ERP-Software als Application Service auf fünf Jahre gerechnet um zehn bis 40 Prozent billiger sein als beim Kauf. Die große Erfolgswelle des ASP-Modells blieb dennoch bislang aus. Die ASP-Skeptiker sehen sich bestätigt: Die Idee des Application Service Providing beruhe auf der Vorstellung, eine Softwareinstanz bei einem Dienstleister zu installieren, der sich um den laufenden Betrieb kümmert und die Leistung der Software vielen Kunden zugänglich macht. Dazu sei eine standardisierte Software ohne individuelle Anpassungen nötig, da ansonsten die Pflege unterschiedlicher Versionen beim Dienstleister den Skalierungseffekt ausgleiche - und damit auch den Kostenvorteil, der das ganze Modell gerade für kleinere Firmen interessant machen sollte. Dieser

Standardisierungsgrad sei jedoch mit Business-Software kaum zu erreichen. Vor diesem Hintergrund erregte der CRMSpezialist Salesforce.com, dessen Software für das Kundenbeziehungs-Management ausschließlich zur Miete angeboten wird, Aufsehen mit deutlich gestiegenem Umsatz und Gewinn im zweiten Quartal des laufenden Geschäftsjahres. Daran hatten nach Angaben der deutschen Salesforce.com-Niederlassung auch deutsche Unternehmen einigen Anteil.

Ausgaben transparenter machen

ASP im reinen Sinne ist im ERP-Umfeld in Deutschland jedoch weiterhin die Ausnahme. Torsten Wichmann, Geschäftsführer Berlecon Research, sieht neben Salesforce.com allenfalls noch den Spezialisten für Beschaffungslösungen Onventis als „echten“ ASP-Anbieter. Berlecon hat 200 Unternehmen zum Thema IT-Unterstützung im Einkauf befragt - mehr als ein Viertel davon aus dem Mittelstand. Dabei zeigte sich, dass rund 86 Prozent eine interne Lösung nutzen, während nur rund ein Drittel via Internet auf externe Lösungen eines ASP-Anbieters zugreift. Allerdings planen unter den Mittelständlern 25 Prozent der Unternehmen, künftig Browser-basierte ASP- oder „On-Demand“-Lösungen einzusetzen. Gründe für die ASP-Nutzung sind für zwei Drittel der Befragten die größere Kostentransparenz und die Möglichkeit, den IT-Dienstleister „in die Pflicht zu nehmen“. Unternehmen bis 1000 Mitarbeiter schätzen außerdem die niedrigeren Einstiegskosten. Als größtes Hindernis wird möglicher Kontrollverlust genannt.

 Ralf Gärtner, Vorstand Marketing und Vertrieb des Münchner Herstellers Soft-M AG, sieht denn auch die Zukunft für Application-Service-Providing weniger rosig: „Aus unserer Sicht wird es ERP als Service, den man nach Bedarf auf Zeit bei einem bestimmten Anbieter in Anspruch nimmt, um bei einem besseren Angebot kurzfristig zu einem anderen zu wechseln, nicht geben. Dazu sind ERP-Systeme zu komplex, verursacht die Anpassung an die jeweiligen Anforderungen des Unternehmens zu viel Aufwand.“ Dennoch müssen Soft-M-Kunden ihre ERP-Lösung nicht unbedingt kaufen und selbst betreiben. Gleich drei verschiedene Outsourcing-Modelle stehen zur Auswahl. (Zur Unterscheidung von Application Services Providing, Hosting und Outsourcing siehe Glossar auf Seite 19).

Software als Dienstleistung hat bei der Datev Tradition. Ursprünglich als Genossenschaft der Steuerberater gegründet, bietet der EDV-Dienstleister längst nicht mehr nur reine Finanzbuchhaltungssoftware zur Nutzung an, sondern auch kaufmännische Anwendungen für Unternehmen wie Warenwirtschaft und Kunden-Management. Das Angebot unter dem Namen „Datevasp“ ermöglicht es dem Anwender, diese Programme individuell zu kombinieren. Dabei wird im Rechenzentrum in Nürnberg ein eigener Server für jedes Anwenderunternehmen gehostet. Neben den Datev-Anwendungen können Firmen hier auch ihre Microsoft-Office-Programme zu monatlichen Festpreisen betreiben und warten lassen.

Ein relativ neuer Player am Markt ist die Dortmunder Logagency GmbH. Sie bietet vor allem Lösungen für die logistisch orientierten Prozesse im Unternehmen zur Miete. Unter www.logagency.de können Kunden Warenwirtschaft, Auftragsverwaltung, Lagerverwaltung und Online Shop sowie Funktionen für den elektronischen Rechnungsversand im Rahmen eines Logistik-Portals online nutzen. Dabei greifen sie auf GUS-OS ERP zu, ein in Java entwickeltes ERPSystem, das von jedem Browser-fähigen Client aus aufgerufen werden kann.

Hohe Einstiegskosten vermeiden

Heinz-Paul Bonn, Vorstandsvorsitzender der GUS-Group AG, sieht gute Chancen für das ASP-Modell „überall dort, wo standardisierte Geschäftsprozesse schnell durch online verfügbare Lösungen realisierbar sind. Dies gilt insbesondere in unternehmensübergreifende Geschäftsprozessen, wie zum Beispiel in der Logistik.“ Besonders attraktiv, so Bonn, sei das ASP-Modell für kleinere Kunden, die damit nicht nur hohe Einstiegskosten in eine ERP-Lösung vermeiden, sondern vor allem auch die Administrationskosten gering halten.

Diese Einschätzung bestätigt das Beispiel der Schweizer Firestar AG. Mit ihren 20 Mitarbeitern verkauft sie jährlich Sicherheitsbrennpaste in Dosen, Flaschen, Tuben und Eimern sowie Reinigungsmittel im Wert von zehn Millionen Schweizer Franken. Die ERP-Software Oxaion des Herstellers Command AG bezieht das Unternehmen im ASPModus von der Inel-Data AG. Über eine geschützte Internetverbindung greifen die 20 Anwender auf die Lösung im Rechenzentrum des Dienstleisters zu. Die Pflege der Hard- und Software, wie Wartung oder Release-Wechsel, übernimmt Inel-Data. Dadurch entfallen bei Firestar die Kosten für eigene IT-Fachkräfte. Bewusst wählte man einen kleineren Dienstleister. „Wir wollten keinesfalls eine beliebige Nummer in einem Großrechenzentrum sein“, so Geschäftsführer Beat Knabenhans.

Nach den Erfahrungen von Ulrich Hoffmann, Manager ASP im Geschäftsbereich Mittelstand von SAP, fragen gerade Unternehmen mit weniger als 50 Millionen Euro Jahresumsatz verstärkt nach Lösungen im ASP-Modell. Dieser Markt wachse sogar stärker als das Geschäft mit installierten Lösungen. Allerdings werden umfassende ERP-Lösungen selten im ASP nachgefragt. Hoffmann: „Diese Lösungen sind doch zu sehr auf die einzelnen Unternehmen zugeschnitten. Hier kommt bestenfalls Outsourcing in Frage.“ Als ASP-Lösung kommen in der Hauptsache Anwendungen für Personalwesen und Buchhaltung zum Einsatz.

Besonders beliebt ist das Modell der Software zur Miete offenbar bei den Kunden der rzw cimdata AG. Die Lösungen „ERP cd2000 und EFC if2000“ werden nach Herstellerangaben von 30 Prozent der Kunden auf Basis der so genannten Nutzungsüberlassung aller Komponenten eingesetzt, inklusive Software, Softwarepflege und -betreuung - auch der Hardware, wenn gewünscht. Das komplette ERP-Paket gibt es - je nach Umfang - ab 225 Euro pro Nutzer und Monat. Als sehr begrenzt erlebt man die Nachfrage nach Software als Service beim Konkurrenten IFS. Nur wenige deutsche Kunden des schwedischen Herstellers nutzen die Softwaremiete, die über Laufzeiten von 48 oder 60 Monaten angeboten wird und eine umfassende Wartung beinhaltet. Am interessantesten seien die Betreiber-Dienstleistungen für junge Unternehmen und Tochtergesellschaften von

Großunternehmen.

Speziell an kleinere Unternehmen richtet sich die Firma Mesonic mit „Mesonic Business Compact (MBC)“, einem ERP-Komplettpaket auf Basis monatlicher Miete. Die Lösung umfasst Finanz- und Anlagenbuchhaltung, Kostenrechnung, Auftragsbearbeitung/Warenwirtschaft, Produktion sowie ein Archivierungssystem und wird ausschließlich als Komplettpaket vertrieben. Die maximale monatliche Belastung beläuft sich auf 79 Euro je Benutzer. Darin ist der Wartungsvertrag für die regelmäßig erscheinenden Updates enthalten. Der Betrieb liegt jedoch in den Händen des Kunden. Für Firmen, die sich darum nicht kümmern wollen, gibt es die Lösung auch auf ASP-Basis unter dem Namen „EBS Application Providing“. Dabei läuft die Software auf einem Server bei einem ASP-Provider, auf den der Kunde von seiner Workstation aus zugreift. Neben den monatlichen Mietkosten für die Software wird der Datenzugriff berechnet.

ASP im Sinne der reinen Lehre, wonach der Dienstleister eine Server- Lizenz einer Software an mehrere Kunden vermietet, ist bei Microsoft Navision mit den bestehenden Lizenzmodellen nicht möglich.

Allerdings bieten Dienstleister wie die Freiburger Cosinus GmbH ihren Navision-Kunden ASP für den Bereich des E-Business an: Der Service beinhaltet nach Auskunft von Cosinus-Geschäftsführer Konstantin Petratos „die komplette Infrastruktur für Webshops oder B-to-B-Online-Kataloge auf Basis von Microsofts Biztalk- und Commerce-Server“. 1000 Euro im Monat kostet der Service bei einer Vertragslaufzeit von drei Jahren. Demgegenüber würde der Kauf einer entsprechenden Lösung laut Petratos mit 20 000 Euro zu Buche schlagen - plus Wartung und Support. Im ASP-Angebot hingegen sind diese Leistungen enthalten. Derzeit wird der Dienst von 20 Kunden genutzt.

Auch der IT-Dienstleister Steinhilberschwehr bietet seinen Kunden die Möglichkeit, ERP-Funktionalität zu monatlichen Mietpreisen zu nutzen. Der Kunde kann die Software dabei entweder auf der eigenen internen IT-Infrastruktur einsetzen oder im Rechenzentrum des Dienstleisters betreiben lassen. In beiden Fällen handelt es sich bei genauerem Hinsehen jedoch lediglich um ein anderes Finanzierungsmodell für den Kunden.

Flexibel bleiben

Karl-Heinz Eberle, Vorstandsvorsitzender der Steinhilberschwehr AG: „Der Kunde muss die eingekauften Lizenzen nicht in seiner Bilanz aktivieren und jährlich abschreiben, sondern kann sie zu monatlichen Festpreisen mieten, wobei die monatlichen Raten dann kostenwirksam in die Bilanz einfließen.“ Wichtig sei für den Kunden, „dass er nicht von vornherein eine Laufzeit von vier oder noch mehr Jahren vereinbaren muss, sondern im Bedarfsfall kurze Kündigungsfristen nutzen kann“.

Glossar Outsourcing

Unter IT-Outsourcing versteht man die Auslagerung des Betriebes von Teilen der IT-Landschaft eines Unternehmens an einen externen Dienstleister. In der Regel handelt es sich dabei um einen mehrjährigen Vertrag, in dem Lieferumfang und -konditionen eindeutig festgeschrieben sind und der auf einem Festpreisabkommen, gegebenenfalls ergänzt durch variable Anteile, basiert. Ein solcher Outsourcing-Vertrag kann auf vielfältige Weise gestaltet sein und die unterschiedlichsten IT-Layer umfassen: Zunächst unterscheidet Pierre Audoin Consultants (PAC) zwischen Komplett-Outsourcing und selektivem Outsourcing. Komplett-Outsourcing umfasst die gesamte IT-Landschaft, vom Rechenzentrum bis zum Softwareentwickler. Unter selektivem Outsourcing versteht man die Auslagerung einzelner Teile der IT-Landschaft. Dieses selektive Outsourcing lässt sich wiederum einteilen in anwendungsbezogenes Outsourcing und infrastrukturnahe Dienstleistungen.

Das Segment des anwendungsbezogenen Outsourcing, zu dem die ERP-Services gehören, stellt sich sehr heterogen dar: Klassiker sind die Segmente Application Outsourcing und Application Hosting. Die Grenze zwischen beiden Konzepten ist fließend: Das Application Outsourcing zeichnet sich im Sprachgebrauch etwa durch einen höheren Anteil an Anwendungs- Management aus, das Application Hosting durch eine starke Konzentration des Anbieters auf die Performance der zugrunde liegenden Infrastruktur und in geringerem Maße auf die Betreuung der Anwendung selbst. Application Outsourcing bedeutet also Application Hosting plus Application Management.

Beim (Stand-alone-)Application-Management übernimmt der Dienstleister die längerfristige Verantwortung für die Wartung und Weiterentwicklung einer Applikation, nicht jedoch der zugrunde liegenden Infrastruktur.

Geht die Übernahme des Geschäftsprozesses über eine rein administrative Tätigkeit hinaus, das heißt übernimmt der Anbieter maßgeblich die Verantwortung für einen Geschäftsprozess (oder Teile davon), sprechen Experten von Geschäftsprozess- Outsourcing oder Business Process Outsourcing (BPO). BPO umfasst also in der Regel den Betrieb der zugrunde liegenden Infrastruktur, das Application Management sowie die Abwicklung des Geschäftsprozesses selbst.

Als Processing bezeichnet PAC eine weitere Form des applikationsbezogenen Outsourcing. Hierbei handelt es sich um Dienstleistungen, die den üblichen Kriterien eines Outsourcing, wie etwa Übernahme von Mitarbeitern und/oder Infrastruktur, langfristige Verträge oder Übernahme von Verantwortung durch den Dienstleister, nur eingeschränkt entsprechen. Hierunter fallen Services wie Web Hosting oder Application Service Providing (ASP). Beim ASP-Modell betreibt der Anbieter eine hochgradig standardisierte Applikation und stellt diese mehreren Kunden über ein IP-Netzwerk zur Verfügung (1:n-Modell).

Karsten Leclerque, Berater beim Marktforschungsund Beratungsunternehmen Pierre Audoin Consultants (PAC), das auf den Markt für Software und IT-Dienstleistungen spezialisiert ist.