Der neue Dueck

Erst ein Wissensklima schafft Traumjobs

15.06.2010 von Ima Buxton
Unsere Wirtschafts- und Arbeitswelt wird sich in den nächsten Jahren radikal verändern. Nicht der Dienstleistungssektor, sonder ein neuer Wissenssektor wird die erforderlichen neuen Jobs bringen - aber nur, wenn das Land seine Chance ergreift, und die Voraussetzungen dafür schafft, sagt IBM-Cheftechnologie Gunter Dueck in seinem neuen Buch "Aufbrechen".
Gunter Dueck: Aufbrechen. Warum wir eine Exzellenzgesellschaft werden müssen. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 2010, 19,95 €
Foto: Eichborn Verlag

Was für ein Deutschland, das uns Gunter Dueck da vor Augen führt: Kaum haben wir uns an das Lächeln gewöhnt, das die Dienstleistungsgesellschaft ihren Akteuren ins Gesicht geschrieben hat, da gerät die zum Sinnbild gewordene Geste der Freundlichkeit auch schon wieder zur Fratze. Denn der lange als Zukunftsmarkt beschworene tertiäre Sektor ist Dueck zufolge längst dem Untergang geweiht - das haben wir (Deutsche) zwar noch nicht verstanden, wenngleich aber in Form zunehmend verlustig gehender Arbeitsplätze längst schmerzlich bemerkt.

Schuld ist einmal mehr das Internet: Es stellt einen Teil der Dienstleistungen als vollautomatische Prozesse zur Verfügung. Die verbleibenden Arbeiten erledigen dann Menschen in Form von körperlicher Arbeit. Taxifahrer etwa werden nach diesem Schema bald von Navigationssystemen zentral verteilt und geleitet, so dass bald nur noch die Hälfte der Taxis benötigt wird - der Fahrgast muss kaum noch warten. Überall - vom Hausmeister-Service über Banken bis zu Krankenhäusern - entstehen Dienstleistungsfabriken, die mit immer wenigen Arbeitskräften schnell, billig und effizient Services zur Verfügung stellen.

Hoffnung auf neue Jobs

Doch es gibt auch Hoffnung auf neue Jobs: Neben den drei vor sich hin dümpelnden Wirtschaftssektoren (Agrar, Industrie, Dienstleistung) bricht sich ein vierter Teilbereich Bahn. Unzählige Spezialunternehmen finden ihren Platz in der Entwicklung ganz bestimmter High-Tech-Produkte: Solartechnologie, Nanotechnologie, Oberflächenphysik - das sind die Boomtowns der künftigen Wirtschaftslandschaft. Sie bringen die Traumberufe einer neuen Wissensgesellschaft hervor, für die es heute noch viel zu wenige Arbeitskräfte gibt. Hochqualifiziertes Personal, das einem förderlichen Wissensklima oder einer - in den Worten Duecks - breit angelegten Exzellenzgesellschaft erwächst.

Gunter Dueck ist mit "Aufbrechen" ein großer Wurf gelungen. Der Cheftechnologe des IT-Riesen IBM umreißt mit bemerkenswerter Konsequenz die Grundlinien einer neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, deren tragende Säule der entstehende quartäre Wissenssektor ist. Um diesen voll zur Entfaltung zu bringen, bedarf es nicht nur einer radikalen Bildungsinitiative (Abitur für alle), sondern auch eines Masterplans für Deutschland, der die "Zukunftsstrukturen der Technologien, der Wirtschaft und der Kultur festlegt und dem wir mit unbeirrbarem Blick folgen." Die Eckpunkte dafür - Internetausbau, E-Bildung, digitale Identität, E-Rechnungen - liegen, folgt man Dueck, geradezu auf der Hand - allein es fehlt am Willen der Deutschen. Die Entscheidungsträger hängen alten Besitzständen nach und pflegen ihr klassisches Klientel. Damit soll, so Dueck, endlich Schluss sein.

Veränderung aus der Mitte der Gesellschaft

Man möchte dem einstigen Mathematikprofessor beipflichten, dass der Impuls zur Veränderung aus der Mitte der Gesellschaft kommen muss. Dennoch steht zu befürchten, dass auch Duecks starkes Konzept und mitreißende Suggestivkraft diesem alten deutschen Missstand - leider - kein Ende bereiten werden. Ähnliches hat schon Roman Herzog mit seiner berühmten Ruck-Rede erfahren. Auch der einstige Bundespräsident, dem die Kraft des Wortes quasi per Amt verliehen ist, konnte 1997 mit seiner vielbeachteten Berlin-Rede das Land nicht von alten Zöpfen befreien und zum Aufbruch in eine von Innovationen geprägte Zukunft bewegen. Was nach der Lektüre bleibt, ist der Wunsch nach einem weiteren großen Wurf, einem, der die Infrastrukturen des Wandels vorzeichnet, gehbare Wege eines nachhaltigen, zukunftsorientierten und innovationsfreundlichen Wandels identifziert. Oder müssen die Deutschen auf die nächste Revolution warten?