Wohin will ich?

Erst Lebensplan, dann Karriere

24.12.2013 von Hanna Wittstadt
Gute Vorsätze gehören zu Silvester wie die Böller, lösen sich aber oft in Luft auf. Wer ein erfülltes statt gefülltes Leben führen will, braucht Zeit und muss sich unangenehme Fragen stellen.

Sind Weihnachtsessen und Verwandtenbesuche vorbei, lassen viele Menschen das vergangene Jahr Revue passieren: Was habe ich erreicht, was nicht? Was hat mir Freude bereitet, was Stress? "Wenn kein Handy mehr klingelt und selbst Ablenkungen wie das Einkaufen wegfallen, fragen sie sich plötzlich: Wofür schufte ich tagaus, tagein? Bin ich mit meiner Rolle in der Familie zufrieden? Macht mich meine Beziehung glücklich? Wer sind meine Freunde?", sagt Georg Kraus, Inhaber der Unternehmensberatung Dr. Kraus und Partner in Bruchsal. " Das sind gefährliche Fragen. Unser inneres Gleichgewicht gerät schnell ins Wanken, wenn wir auf sie keine befriedigenden Antworten finden."

Hier lesen Sie...

  • warum viele gute Vorsätze schnell wieder vergessen werden;

  • warum die wirklich wichtigen Dinge im Leben selten dringend sind;

  • welche Lebensbereiche für die Work-Life-Balance wichtig sind.

Künstlicher Freizeitstress

Darum versuchen viele Menschen, solche Fragen erst gar nicht hochkommen zu lassen. Die Münchner Trainerin Ursula Widmann-Rapp beobachtet bei Bekannten und Geschäftspartnern immer wieder, wie diese ihre freie Zeit wie Arbeitszeit verplanen. Ein Termin jagt den anderen: Nach dem Kaffeetrinken bei den Eltern noch schnell mit Freunden ins Kino. Außerdem im Keller Ordnung schaffen und - das war schon lange geplant - das Computerspiel installieren. So bleibt auch in der Freizeit keine "freie Zeit".

"Auszeiten werden aber immer wichtiger", sagt Kraus. Denn überall wird mehr Eigenverantwortung gefordert: Wir sollen uns lebenslang weiterbilden. Wir sollen stärker auf unsere Gesundheit achten. Wir sollen uns um unsere Alterssicherung kümmern. "Wir werden ständig mit Herausforderungen konfrontiert, von denen wir oft noch nicht wissen, wie wir sie bewältigen sollen. Schließlich sind sie neu. Also brauchen wir Zeit, um neue Lösungswege zu entwerfen", so Kraus.

cios entspannen
Mr. International
Patrick Naef, CIO bei Emirates Airlines, wurde 2011 gleich mehrfach preisgekrönt für seine Arbeit. Vermutlich der wichtigste Preis: der Gewinn des Global Exchange Awards beim 'CIO des Jahres'. Wo da noch Zeit zum Erholen bleibt?
Abtauchen
... heißt die Devise, im wahrsten Sinne des Wortes!
Gutes Selbst-Management ist alles
Matthias Moritz, CIO bei BayerHealthcare und Zweitplatzierter beim Wettbewerb 'CIO des Jahres 2011' kann von einer 40-Stunden-Woche mit geregelten Arbeitszeiten nur träumen. Dennoch...
Work-Life-Integration
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Osteuropäische Exotik
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Mach mal Urlaub!
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Der Banker
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Übersicht bewahren
... geht der studierte Musiker gerne Gleitschirmfliegen. "Es macht riesig Spaß, die Welt auf diese Weise von oben zu sehen.", meint Ludwig.
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Ralf Nyenhuis hat dieses Jahr als CIO der Firma Markenfilm eine komplizierte Migration mit verschiedensten Client-Versionen durchgezogen. Zur Erholung
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... tobt sich Nyenhuis als Sänger mit seiner Rockcoverband aus.
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Jan Falck-Ytter arbeitet als CIO für Bader Leather, einem Unternehmen, das Autositzbezüge aus Leder herstellt. Dabei kommt es auf äußerste Präsizion an,...
... und Freizeit
... die der IT-Chef auch bei seinem Hobby Fechten an den Tag legt.
Vom Sport in das Gesundheitswesen
Roeser Medical-CIO Ingo Roeser erweitert heutzutage seine IT-Strukturen genauso souverän, wie er früher im Fußball unterwegs war.
Auf Schalke
Da hat es Thomas immerhin bis fast in die Jugendnationalmannschaft geschafft. Er spielt auch heute noch und ist bekennender Schalke-Fan.
Zuhören, Teil I
Bodo Deutschmann ist CIO bei Eissmann Automotive, einem Zulieferer der Automobilindustrie. Ursprünglich nur als Interimsmanager engagiert, überzeugte Deutschmann durch Zuhören können und Ideenreichtum so sehr, daß ihn das Unternehmen nicht mehr gehen ließ.
Zuhören, Teil II
In seiner Freizeit ist Deutschmann begeisterter Konzert-Gänger. Wo er wohl das Zuhören interessanter findet?
Aufdrehen
Andreas Igler ist IT-Chef bei der Warner Music Group und hat dort ein neues Portal für das Service-Level-Management samt übergreifender neuer Standards eingeführt.
Abschalten
In seiner Freizeit ist Igler viel mit dem Rennrad unterwegs, eine gute Möglichkeit, einen klaren Kopf zu bewahren.
Klare Linie
Thorsten Pawelczyk ist IT-Chef bei SieMatic, einem Möbelhersteller, der vielen durch seine Edel-Küchen bekannt sein dürfte. Deren Herstellung unterstützt die IT-Abteilung durch eigens entwickelte Softwarelösungen.
Entspannung pur
Yoga ist für Pawelczyk ein bewährtes Mittel, wenn er so richtig abschalten will.
Teamplayer
Clemens Blauert arbeitet in der Sozialwirtschaft, er ist IT-Leiter beim Evangelischem Johannesstift. Dort sind eindeutig seine Teamplayer-Fähigkeiten gefragt, denn die Sozialbranche zeichnet sich nicht durch übermässige Technikaffinität aus.
Ein langer Atem
... und ein Händchen für's Team kommt Blauert auch in seiner Freizeit zugute: Er spielt Trompete im ältesten Laien-Blasorchester Berlins.
Verantwortung übernehmen
Deloitte-CIO Dietmar Schlößer hat in seinem Unternehmen ein neues Informationssicherheits-Management-System eingeführt, kein ganz einfacher Job in seiner Branche.
Kopf lüften
Schlößer geht in seiner Freizeit gerne rudern, eine großartige Möglichkeit , um draußen unterwegs zu sein und den Kopf zu lüften.

Die Qual der Entscheidung

"Immer häufiger stehen wir außerdem vor Situationen, in denen wir uns entscheiden müssen", ergänzt Eckart Morat, Trainer und Berater aus Weisenheim am Berg (Pfalz).

Wenn wir uns für eine Sache entscheiden, müssen wir uns gleichzeitig gegen vieles anderes entscheiden.
Foto: Fotolia, Robert Kneschke

Morat: "Wenn wir uns für eine Sache entscheiden, müssen wir uns gleichzeitig gegen vieles andere entscheiden." Alles zugleich sei nicht möglich. Wenn ein Partner heute in Berlin und morgen in New York arbeitet, während der andere in Peking an seiner Karriere bastelt, ist es schwer, gemeinsam eine stabile Liebesbeziehung und Familie aufzubauen. "Bevor wir uns entscheiden, müssen wir aber zunächst wissen, was uns wirklich wichtig ist", ergänzt Kraus. Sonst bestehe die Gefahr, dass wir zwar viele Vorsätze fassen, diese aber in der Alltagshektik wieder vergessen. Das liege dann daran, dass diese Vorsätze nicht in unserer Lebensvision verankert seien und wir sie angesichts erster Widerstände aufgäben.

Welchen Sinn hat mein Leben?

Eine Lebensvision brauchen wir laut Beraterin Widmann-Rapp auch, "weil das wirklich Wichtige in unserem Leben selten dringend ist. Aus diesem Grund schieben wir gerade die wichtigen Dinge oft vor uns her." Einige Beispiele. "Es ist nie dringend, joggen zu gehen. Es wäre aber gut für unsere Gesundheit. Es ist nie dringend, mit unseren Kindern zu spielen. Es wäre aber positiv für deren Entwicklung. Es ist nie dringend, mit dem Partner auszugehen oder ein Gespräch zu führen. Es wäre aber wichtig für die Beziehung. Und es ist auch nie dringend, sich zu fragen: Welchen Sinn hat mein Leben? Es wäre aber von Vorteil, um nicht in eine Sinnkrise zu geraten."

"Viele Menschen geben sich der Illusion hin: Wenn ich alles schneller erledige, habe ich für alles Zeit", beobachtet Kraus. Die Konsequenz ist meist nur, dass die Menschen "nicht mehr durchs Leben gehen, sondern rasen". Und irgendwann stellten sie resigniert fest: Nun führe ich zwar ein noch gefüllteres, aber kein erfülltes Leben. Weil dieses Lebensgefühl immer mehr Menschen plagt, nehmen die Lebensratgeber in Buchhandlungen ganze Regale ein.

Häufig beziehen sie sich auf das Work-Life-Balance-Modell des Beraters und Autors Lothar Seiwert, der sich auf das Thema Zeit-Management spezialisiert hat. Ihm zufolge stehen die vier Lebensbereiche

Wer ein erfülltes Leben führen möchte, muss laut Seiwert deshalb für die rechte Balance zwischen diesen Lebensbereichen sorgen. "Das schaffen wir aber nur, wenn wir eine Vision unseres künftigen Lebens haben", ist Berater Morat überzeugt. Eine solche Lebensvision lässt sich jedoch nicht schnell entwickeln. Hierfür müssen wir uns eine Auszeit von der Alltagshektik nehmen, etwa die Zeit zwischen den Jahren.

w-L-Balance
Robert Laube, Director und Service Line Lead Business Intelligence für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, drei Kinder:
"Ich habe E-Mails von meinem Mobiltelefon verbannt. Auch nehme ich mir, wann immer möglich, die Zeit, morgens mit meinen Kindern zu frühstücken und sie in die Schule und den Kindergarten zu bringen."
Yasmine Limberger, Group Manager Personalmarketing für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, ein Kind:
"Ich will vor allem das Gefühl haben, dass es meiner Tochter gut geht, ich aber auch als Teilzeitführungskraft einen guten Job mache. Außerdem benötige ich auch ein wenig Luft für persönliche Dinge. Das bedarf einer exakten Terminplanung. Man darf Dinge nicht liegenlassen, sondern muss seine Prioritäten zeitnah abarbeiten und immer alles im Blick behalten."
Petra Kaltenbach-Martin, Service Line Lead Dynamics CRM für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, ein Kind:
"Es ist schwierig, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Bisher klappt es aber mit viel Organisation. Beispielweise nutze ich die Schlafzeiten meines Kindes, um Dinge abzuarbeiten. Zudem muss man viel Energie und Motivation für Kind und Beruf mitbringen. Dennoch ist es schön, beide Welten zu verbinden."
Hans-Peter Lichtin, Country Director Avanade Schweiz, zwei Kinder:
"Die gemeinsame Zeit mit meiner Familie versuche ich so bewusst wie möglich zu nutzen. Es gibt Tage, da kann ich durchaus mit meiner Familie frühstücken und auch zu Abend essen. Das Wochenende verbringe ich mit meiner Familie."
Dominik Steiner, Business Development Executive Avanade Schweiz, Zwillinge:
"Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig, dass man lernt, sich persönlich abzugrenzen und sich Freiräume schafft oder auch spontane Freiräume mal für sich nutzt. Ich versuche von Zeit zu Zeit früh nach Hause zu gehen und so den Abend mit der Familie zu genießen und arbeite dann liegen gebliebene Arbeit am Abend nach - etwa wenn meine Kinder im Bett sind. Oder ich frühstücke mit den Kindern und bringe sie dann in die Tagesstätte. An einem solchen Tag beginne ich dann eben eine Stunde später zu arbeiten."
Eva Steiger-Duerig, HR & Recruiting Consultant bei Avanade, zwei Kinder:
"Wir haben die Kinderbetreuung sehr gut organisiert. Zudem habe ich das Glück, dass die Stadt Zürich ein gutes Kinderbetreuungsangebot hat und mein Mann sich auch an der Kinderbetreuung mitbeteiligt. Dennoch ist das Betreuungsangebot in Zürich auch mit sehr hohen Kosten verbunden."
Carmen Egelhaaf, Senior Marketing Specialist Avanade, ein Kind:
"Abends schreibe ich mir eine Checkliste, was privat am nächsten Tag alles organisiert und erledigt werden will: Lebensmittel einkaufen, aufräumen, Hemden und Blusen zur Reinigung bringen, Geburtstagskarte an Tante Irmgard schreiben, Geschenk für das Patenkind besorgen etc., damit ich nach der Arbeit gleich durchstarten kann. Unsere Putzfrau trägt viel dazu bei, dass ich von einigen Haushaltsaufgaben entlastet bin und möglichst viel Zeit mit meinem Sohn verbringen kann. Und ein Netzwerk von Freunden (da keine Oma in der Nähe) hilft aus, wenn mein Sohn krank ist oder Kindergartenferien zu überbrücken sind."
Andrea Cebulsky, Director Legal Europe Avanade, zwei Kinder:
"Sicherlich ist auch das Reisen manchmal eine Herausforderung - ich bin fast immer mindestens ein- bis zweimal die Woche unterwegs. Ein-Tages-Reisen sind noch zu managen. Problematischer wird es, wenn man für ein paar Tage weg muss, dann muss auch mal die Oma mithelfen. Da ist es dann wichtig, dass man frühzeitig planen kann, insbesondere weil mein Mann die Woche auch unterwegs ist. Der Terminkalenderabgleich mit vier Familienmitgliedern ist manchmal eine Herausforderung für sich."

Ziele mit Partner absprechen

"Setzen Sie sich also, nachdem Sie den Weihnachtsbraten verdaut haben, einmal in Ruhe hin", rät Morat. "Und fragen Sie sich bezogen auf alle vier Lebensbereiche: Was ist mir wirklich wichtig? Worin zeigt sich für mich ein erfülltes Leben? Was sollte ich 2012 tun, damit ich auf Dauer ein glückliches und erfülltes Leben führe?"

Berater Kraus empfiehlt, die Antworten und die Schritte, die sich daraus ergeben, aufzuschreiben und sich mit dem Partner über die Lebensziele auszutauschen. Denn auch er hat Ziele. Zudem ist man vielfach auf seine Unterstützung angewiesen, um die eigenen Ziele zu erreichen. "Nur so können Sie sich auf die Kompromisse verständigen, die nötig sind, damit beide Partner die Dinge erreichen, die ihnen wirklich wichtig sind", mahnt Kraus. "Sonst stehen Sie irgendwann zwar auf der Karriereleiter ganz oben, aber Sie haben auf dem Weg dorthin etwas noch Wichtigeres verloren - nämlich ihren Lebenspartner." Beziehen Sie deshalb in das Formulieren Ihrer Lebensvision und Ihrer Ziele für 2012 alle Personen ein, die Ihnen wichtig sind. Hierdurch steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass Sie Ihre Vorsätze umsetzen. Denn sie sind in einer gemeinsamen Vision verankert.