Oliver Knittel im Interview

"Es ist schwierig, kein Einzelkämpfer zu sein"

29.04.2008 von Hans Königes und Alexandra Mesmer
Starke Auslastung und wechselnde Einsatzorte erschweren die Zusammenarbeit unter Freiberuflern. Oliver Knittel, Freiberufler des Jahres und Chef von insure-IT Assekuranz Consulting in Bad Homburg, beurteilt die Chancen für Einzelkämpfer dennoch als gut.

CW: Wie schätzen Sie den Markt für Freiberufler ein?

KNITTEL: Ich schätze ihn nach wie vor als sehr gut ein. Die Auslastung bei den Freiberuflern in meinem Umfeld liegt derzeit bei 100 Prozent, viele haben auch über 2008 hinaus gute Chancen auf Verlängerung ihrer Aufträge.

CW: Welche Freiberufler besitzen derzeit gute Karten, welche schlechtere?

KNITTEL: Bei so einer Frage tendiert man dazu, die Profile hervorzuheben, die man selbst besitzt. Unabhängig von meiner Qualifikation haben derzeit SAP-Spezialisten, Experten für IT- und Geschäftsprozesse sowie Business-Analysten mit guten Branchenkenntnissen sehr gute Chancen. Neben SAP ist sicher SOA und alles rund um Internet-Anwendungen (Java, XML) ein wichtiges Thema, mit dem man punkten kann. Schwer tun sich derzeit vor allem jüngere Kollegen mit wenig Berufserfahrung oder Freiberufler mit Qualifikationen, die leicht in Billiglohnländer ausgelagert werden können.

CW: Was hat sich zu früher verändert?

Oliver Knittel, Insure-IT: Heute dauert es länger, bis ein Auftrag unter Dach und Fach ist.
Foto: Oliver Knittel

KNITTEL: Heute werden Freiberufler über "Google" gecheckt. Nach einer aktuellen Studie nutzen bereits 30 Prozent aller Personalverantwortlichen das Medium Internet, um mehr über den Bewerber zu erfahren. Ich denke, es wird einer der Trends der nächsten Jahre. Freiberufler können im Internet Pluspunkte sammeln und aktives Selbst-Marketing betreiben. Einen anderen Trend sehe ich darin, dass der Akquise-Aufwand und die Dauer der Entscheidungsprozesse gestiegen sind. So dauert es heute im Schnitt länger, bis ein neuer Auftrag unter Dach und Fach ist.

CW: Was wünschen sich die Auftraggeber stärker als in der Vergangenheit?

KNITTEL: Sie verlangen vermehrt Zusatzqualifikationen wie laufende Fortbildungen und Zertifizierungen oder Publikationen in Fachzeitschriften und Vorträge. Sehr wichtig sind ihnen auch die viel beschworene soziale Kompetenz und die Fähigkeit des Freiberuflers, sich auf jeden Kunden neu einstellen zu können.

CW: Immer mehr Projekte werden über Personalagenturen vergeben. Haben Freiberufler als Einzelkämpfer noch Chancen, lukrative Aufträge zu bekommen?

KNITTEL: Freiberufler sind sehr oft starke Individualisten, sind häufig stark ausgelastet und haben häufig wechselnde Einsatzorte. Unter solchen Voraussetzungen ist es schwierig, kein Einzelkämpfer zu sein. Die Chancen für Freiberufler sehe ich dennoch als gut an. Während Unternehmen ihrem abstrakten Gebilde erst ein Gesicht und eine Identität geben müssen, ist der Freiberufler das Gesicht seiner Einzelunternehmung und kann sich dadurch viel besser vermarkten. Lukrative Aufträge gibt es auf alle Fälle - ob man die aber überwiegend bei einer Agentur findet, glaube ich persönlich nicht.

CW: Wo sehen Sie die Vor- und Nachteile der Projektvermittlung über Agenturen?

KNITTEL: Der Vorteil von Agenturen liegt darin, dass sich der Freiberufler nicht um den Vertrieb kümmern muss und eine Chance erhält, an Aufträge zu kommen. Die Nachteile liegen in der Marge, die sich die Agentur einbehält, und den Kundenschutzklauseln, die in den Verträgen verhängt werden. Als Freiberufler wird man vom Endkunden abgeschirmt. Von daher ist ein direkter Auftrag ohne Agentur immer vorzuziehen, in der Praxis aber gerade bei größeren Unternehmen sehr schwierig. Laut einem großen Freiberufler-Portal vermitteln Agenturen etwa 70 Prozent aller Aufträge an IT-Freiberufler.

CW: Berater klagen, dass die Auftraggeber wahnsinnig Druck ausüben und dass sie sich schwer tun, höhere Stundensätze zu fakturieren. Wie sieht es mit der Entwicklung der Honorare aus?

KNITTEL: Die Stundensätze sind in den vergangenen Jahren wieder gestiegen. Meiner Ansicht nach wird dieser Druck insbesondere in einer Phase der Rezession ausgeübt. Dann sind die Freiberufler die ersten, die gehen müssen oder auf die Druck ausgeübt wird, um niedrigere Stundensätze zu zahlen. Unter der Voraussetzung, dass der Freiberufler eine marktgerechte Qualifikation mitbringt, sehe ich derzeit diesen Druck nicht. Diese Freiberufler finden schnell ein anderes Projekt, indem sie die geforderten Stundensätze erhalten.

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