Finanzspritzen für den Mittelstand

01.04.2003 von Alexander Freimark
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Mittelständische IT-Anbieter tun sich schwer, an Bankkredite zu kommen. Dabei gibt es eine große Zahl von Alternativen im Markt, mit denen sich die Liquidität verbessern lässt. Doch den „kulturellen Wandel“ einer Emanzipation von der Bank schaffen viele Unternehmer noch nicht.

Foto: Joachim Wendler

Um vom angespannten Verhältnis deutscher Mittelständler zu ihrer Hausbank zu erfahren, braucht Stephan Feige nicht erst die Zeitung aufzuschlagen. Der Geschäftsführer der Bintec Access Networks GmbH hat diesbezüglich seine eigenen Erfahrungen gemacht. Als das börsennotierte Unternehmen Bintec AG im Herbst 2000 eine Gewinnwarnung abgeben musste, zogen die Banken die einst „großzügigen“ Kontokorrentlinien schlagartig zurück: „Das war eine ziemlich unangenehme Situation, weil das Geld natürlich ein wichtiger Bestandteil der Liquiditätsplanung war“, erinnert sich der Geschäftsführer.

Zwei Jahre später musste Bintec Insolvenzantrag stellen, die Geschäfte laufen seit Februar 2003 in einer Auffanggesellschaft weiter. „Natürlich trifft die Banken keine direkte Schuld an der Insolvenz“, konzediert Feige. Dennoch sei die Kappung der Kredite einer der Faktoren, die zum Zusammenbruch der Nürnberger Company beigetragen hätten. Gegenwärtig beschränkt sich seine Beziehung zu den Banken notgedrungen auf das Nötigste; was die langfristige Absicherung des Unternehmens betrifft, denkt Feige über Finanzierungsalternativen nach: „Eine stille Beteiligung ist eine Möglichkeit, der Einstieg strategischer Investoren eine andere.“

Auch wenn die Initiative aus der Not geboren ist - die Firma Bintec bildet in Deutschland eine Ausnahme, denn nur wenige Mittelständler haben sich bislang aufgerafft, Alternativen zum klassischen Bankkredit zu suchen. In den USA oder Großbritannien stehen beispielsweise Leasing, Factoring und Beteiligungskapital seit Jahrzehnten auf der Tagesordnung. Hierzulande lamentieren hingegen Dienstleister und Industrie über die aktuelle „Kreditklemme“ und das angebliche Fehlverhalten der Banken. Trotz allem: Die Finanzierung des Mittelstands befindet sich im Umbruch, und dass die „alten Zeiten“ wiederkommen, ist ausgeschlossen.

Eigenkapital im Visier Bei deutschen kleinen und mittleren Unternehmen ist die Eigenkapitalausstattung traditionell niedrig, was vornehmlich mit der Steuerpolitik zusammenhängt. Demnach ist es nicht opportun, Gewinne auszuweisen, sondern diese über Abschreibungen oder Rückstellungen „wegzudrücken“. Zudem ist der Zins auf das eingesetzte Eigenkapital steuerpflichtig, während Zinsen auf Fremdkapital Betriebsausgaben sind. Auch ist Eigenkapital teuer, weil es nicht besichert ist. Folglich war es hierzulande üblich, vieles mit Fremdkapital zu finanzieren. In den USA und Großbritannien hingegen stellt sich die Situation anders dar, wesentlich häufiger wird Eigenkapital zur Finanzierung genutzt. Durch Basel II müssen sich deutsche Unternehmen jedoch dieser Relation annähern. Daher sind Unternehmer künftig auf Alternativen zur traditionellen Hausbank angewiesen, wenn sie ihre Bilanz stärken wollen.

Mit den vielfach zitierten neuen Eigenkapitalrichtlinien für Banken (Basel II) hat das nur am Rande zu tun - Basel II forciert zwar die Entwicklung, hat sie aber nicht zu verantworten. Zudem sei absehbar, dass sich die unmittelbaren Auswirkungen für den Großteil der kreditsuchenden Unternehmen in einem akzeptablen Rahmen bewegen, sagt Gregor Taistra, Projekt-Manager bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Dennoch komme auf die Firmen ein kultureller Wandel zu, dessen Folgen sich noch nicht abschätzen ließen: „Die Unternehmen müssen sich stellen.“

Vor allem müssen sich viele Mittelständler der Tatsache stellen, dass, gemessen an den Basel-II-Vorgaben, ihre Ausstattung mit Eigenkapital künftig nicht mehr ausreicht. Diese war in der Vergangenheit aus verschiedenen, vornehmlich steuerlichen Motiven, niedrig gehalten worden, was sich einst rechnete, nun aber rächt: Je schlechter die Bonität der Kreditnehmer ist, desto teurer wird künftig das Geld. Das Problem dabei ist, „dass sich der Bankkredit als Standard-Finanzierungsinstrument in den Köpfen vieler Unternehmer zu sehr festgesetzt hat“, berichtet Rating-Experte Martin Wambach von der Nürnberger Mittelstandsberatung Rödl & Partner.

Beispiel Leasing: Jeder kennt es, aber nur knapp jeder zweite Unternehmer nutzt es gegenwärtig. Meistens wird es bei Firmenwagen in Betracht gezogen, andere Investitionen hingegen werden auf die herkömmliche Art und Weise finanziert. „Dem Thema Leasing wird insgesamt zu wenig Bedeutung beigemessen“, moniert Wambach. Die Banken seien zwar ein Finanzierungspartner, aber nicht der einzige - und sind auch immer seltener daran interessiert, alleiniger Partner zu sein.

IT-Branche im Dornröschenschlaf

Neben der derzeitigen Konjunkturlage stellten vor allem Finanzierungsfragen den Mittelstand vor Herausforderungen, beschrieb unlängst auch das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) die Situation. Häufig werde die Finanzierung noch nicht mit der erforderlichen Intensität und Professionalität behandelt. „Gerade am Mittelstand sind die Finanzinnovationen der letzten zehn Jahre fast völlig vorbeigegangen“, konstatiert Wambach.

Dies gilt offenbar nicht nur für den Bäckermeister an der Ecke, sondern auch für kleine und mittlere DV-Lieferanten: „Insbesondere in der IT-Branche hält das Thema Finanzierung eine Art Dornröschenschlaf“, klagt der Rating-Experte. Wachgerüttelt werden die Manager meist in einer finanziellen Krise ihrer Firma oder, wie gegenwärtig, der gesamten Branche; allerdings sei es dann häufig zu spät und der Handlungsspielraum gering - Zwangslagen werden im Zweifel von anderen Marktteilnehmern ausgenutzt: „Die Emanzipation von der Bank braucht einen zeitlichen Vorlauf“, fordert Wambach die Unternehmer zum rechtzeitigen Handeln auf.

So kann sich etwa das Factoring dazu eignen, die Liquidität der Firma zu verbessern. Jedoch nicht einmal fünf Prozent der Unternehmen nutzen es bereits aus, hat eine aktuelle Forsa -Umfrage ergeben. Beim Factoring werden Forderungen gegenüber gewerblichen Kunden an einen Dienstleister abgetreten, der sich um die Abwicklung kümmert und in der Regel das Ausfallrisiko trägt. Je nach Aufwand zahlt sich die Finanzierungsalternative, die immer noch unter dem Hautgout der Halbwelt leidet, nicht nur für große Mittelständler, sondern auch für kleinere Firmen aus.

An den verfügbaren Mitteln und Optionen scheint es nicht zu liegen, dass das strategische Thema der Finanzierungsalternativen nur schleppend in Schwung kommt: „Größtes Problem ist, dass unser schönes Produkt zu wenig bekannt ist“, sagt Sonnfried Weber, Geschäftsführer der Bayerischen Beteiligungsgesellschaft (Bay-BG). Gerade die Beteiligungsgesellschaften tun sich schwer, Unternehmer für sich einzunehmen. Viele Mittelständler dächten bis heute, sie müssten bei Beteiligungen stets Anteile der Company abgeben: „Das ist aber nicht so“, erklärt Weber.

So bieten die so genannten Mezzanine-Finanzierungen, etwa die typisch stille Beteiligung, den Vorteil, dass der Fremd- mit dem Eigenkapitalcharakter verbunden wird. Hierbei stellt beispielsweise der Gesellschafter Kapital zur Verfügung und erhält im Gegenzug eine Verzinsung sowie gegebenenfalls ein gewinnabhängiges Entgelt, ohne sich weiter im Unternehmen zu betätigen.

Ohne dingliche Sicherheiten

Der wesentliche Unterschied zum Bankdarlehen ist zudem, dass keine dinglichen Sicherheiten verlangt werden. Dies sei laut Weber gerade in der IT-Branche interessant, wo die Aktiva normalerweise am Abend nach Hause gingen: „Das haben die Banker gar nicht gerne.“ Von einem Nachfrageboom angesichts der IT-Branchenkrise war 2002 aber auch bei der Bay-BG nicht viel zu spüren: „Die Nachfrage entspricht in keinem Fall der Bedeutung, die wir dem Eigenkapital zumessen“, wundert sich Weber über die Zurückhaltung der Firmen.

Im Gegensatz zur typisch stillen Beteiligung ist die atypisch stille Beteiligung unternehmerisch geprägt. Hier hält der Gesellschafter eben nicht still, sondern will bei der strategischen Ausrichtung der Firma mitreden. „Das bedeutet aber nicht, dass er auf das operative Geschäft Einfluss nimmt“, erklärt Wambach. Dennoch befürchten noch viele Unternehmer, dass sie mit einem Gesellschafter das Heft aus der Hand geben müssen. Allein die Tatsache, dass sie einem Partner Rechenschaft über ihre Entscheidungen abzulegen haben, scheint viele Manager in ihrem Selbstverständnis zu treffen.

Doch nicht nur der Kapitalzufluss von außen lässt sich verbessern, auch interne Arbeiten können helfen: Parallel zum Abschluss nach HGB (Handelsgesetzbuch) steht es Unternehmen frei, auch nach dem Regelwerk der International Accounting Standards (IAS) zu bilanzieren. Experten gehen sowieso davon aus, dass sich der IAS-Abschluss mittelfristig auch für kleinere Firmen durchsetzen wird. Hier werden die Eigenkapitalquoten tendenziell höher angegeben als laut HGB, erklärt Rating-Experte Wambach.

IAS oder HGB?

Außerdem orientiert sich das Handelsgesetzbuch am Gläubigerschutzprinzip, während gemäß IAS aufgestellte Bilanzen eine „fair presentation“ für Investoren darstellen sollen. „Das Thema IAS sollten sich kapitalsuchende Unternehmen unbedingt auf die Fahnen schreiben“, rät Wambach, auch wenn es sich anfänglich in hohen Investitionen und einem Mehraufwand etwa bei der Buchführung niederschlagen kann.

Generell gilt gerade für Mittelständler in der IT-Branche, dass sie sich um einen professionelleren Auftritt bemühen müssen. Dies betrifft nicht nur den Bereich der Finanzen, sondern auch das Marketing oder die Kommunikation. Investoren seien Finanzfachleute und keine Techniker, warnt Wambach vor einer schlecht gemachten Firmendarstellung. „Ich muss mein Unternehmen einem Investor attraktiv präsentieren.“

Dass dieser Investor auch einen Gegenwert für sein Kapital erwartet, leuchtet ein - nur scheinbar vielen Unternehmern nicht. Eine Verzinsung von 20 Prozent gilt schon als unsittlich, zumal das Geld bei der Bank traditionell immer nur acht Prozent gekostet hat. Nicht beachtet wird dabei, dass sich der Kapitalgeber zu einem Zeitpunkt an einem Unternehmen beteiligt, an dem die Bank bereits abgewunken hat. Zudem ist das investierte Geld nicht in dem Umfang abgesichert wie ein Bankkredit.

Die Suche nach Alternativen zur klassischen Finanzierung erfordert keine Entscheidung zwischen zwei Extremen - die gesunde Mischung ist entscheidend. Auch Bintec-Chef Feige weiß, dass der klassische Bankkredit weiter ein wichtiges Finanzierungsinstrument bleiben wird: „Auf beiden Seiten wurden Fehler gemacht, nun tragen beide Seiten die Konsequenzen.“ Nach dem Hype der letzten Jahre seien nun immerhin wieder vernünftige Gespräche auf einer realistischen Basis möglich. Sollten diese nicht fruchten, hat Rating-Experte Wambach immer noch eine Alternative in petto, die traditionelle „Triple-F-Finanzierung“: „Family, Fools and Friends.“