Freiburg/Schwarzwald

Freiburg/Schwarzwald: Eine Region lockt viele IT-Gründer

10.12.2001 von in Hiltrud
Wer mit dem Begriff Schwarzwald nur Kuckucksuhren und wandernde Rentner assoziiert, muss umdenken. Inzwischen hat die IT-Branche die Touristik in puncto Umsatz und Arbeitsplätzen überrundet. Einige der ehemaligen Startups rund um Freiburg haben sich längst einen Namen gemacht. GFT, United Planet, Brain, Interactive Objects Software, Living Systems oder Lexware sind nur einige von vielen.

Je mehr man sich dem Freiburger Münster auf den geplasterten Gässchen der Altstadt nähert, desto häufiger stößt man auf Touristengruppen. Das Sprachgewirr aus Englisch oder Italienisch lässt sich noch einordnen, doch bei den vermutlich aus Asien stammenden Gästen wird es schon schwieriger. Wer jetzt denkt, dass Freiburg samt dem idyllischen Schwarzwald hauptsächlich vom Fremdenverkehr lebt, liegt falsch.

Quelle: FWT, Freiburg Wirtsschaft und Touristik GmbH & Co. KG.

Denn nur rund fünf Prozent des Freiburger Bruttosozialprodukts fallen auf den Touristikbereich, dieselbe Größenordnung gilt auch für die Arbeitsplätze.

Freiburg mit seinen rund 200 000 Einwohnern hat in den vergangenen Jahren eine erfreuliche Entwicklung gemacht. So stieg hier die Anzahl der Arbeitsplätze zwischen 1987 und 2000 um zirka 15 Prozent, während sie in den traditionell starken Gebieten wie Pforzheim und Stuttgart um über zwölf beziehungsweise rund vier Prozent gefallen ist. Der Südwesten Deutschlands hatte als deindustrialisierte Zone nach den beiden Weltkriegen einen schweren Stand und galt bis in die siebziger Jahre hinein als das Armenhaus Baden-Württembergs. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet, und die Region profitiert davon, keine industriellen Altlasten zu haben. Stattdessen lebt sie von der Dienstleistungsbranche, aus der 80 Prozent der Umsätze stammen. Die Arbeitslosenquote der Wirtschaftsregion Freiburg liegt dabei unter sechs Prozent.

Mittlerweile hat sich auch die IT-Branche im Südwesten Deutschlands etabliert. In einer Standortanalyse, die das Medien Forum Freiburg vor drei Jahren vorlegte, ist von rund 16 000 Mitarbeitern in der Medien- und IT-Industrie die Rede, die 1996 einen Umsatz von 2,68 Milliarden Mark erwirtschafteten. Die Untersuchung bezog sich dabei auf den Raum Oberrhein. Bernd Dallmann schätzt, dass in Freiburg ungefähr acht Prozent der Arbeitsplätze im IT-Sektor angesiedelt sind - Tendenz steigend. Darauf ist der erste Geschäftsführer der Freiburg Wirtschaft und Touristik GmbH (FWT) und stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Medien Forum Freiburg besonders stolz.

Hilfe für Firmengründer

Die Region ist seit etlichen Jahren dabei, Firmen auf sich aufmerksam zu machen und sie bei der Ansiedlung zu unterstützen. Zwar darf die öffentliche Hand laut EU-Beihilferecht nicht direkt finanziell zuschießen, aber die FWT hilft beispielsweise interessierten Unternehmen bei Genehmigungsfragen und Behördengängen, schafft Kontakte zu Ämtern oder unterstützt bei der Standortsuche. Das Medien Forum, das vor fünf Jahren gegründet wurde, entstand aus der ausgegliederten Wirtschaftsförderung für den Medien- und IT-Bereich. Die von Unternehmen und der Stadt finanzierte Initiative, die inzwischen knapp 90 Mitglieder hat, versteht sich als Kommunikationsnetz von Firmen.

Quelle: FWT, Freiburg Wirtsschaft und Touristik GmbH & Co. KG.

Seit 15 Jahren gibt es in Freiburg ein Technologiezentrum, in dem zehn bis zwölf Jungunternehmen drei Jahre günstig Büroflächen mieten können, zudem existiert ein Biotechnologiepark. Das nächste Großprojekt, das zentral an der Neuen Messe liegen wird, richtet sich auch an die IT-Gründerszene: Auf einem unter Denkmalschutz stehenden stillgelegten Betriebswagenwerk der Deutschen Bahn soll im Norden Freiburgs der "E-Park" mit 10 000 Quadratmeter Bürofläche entstehen. Neben bereits etablierten Firmen sollen hier auch Startups eine Heimat finden. Die Initiatoren des Projekts haben sich dabei ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Es sollen nur Unternehmen zum Zuge kommen, die Chancengleichheit von Frauen und Männern bieten. Zurzeit ist die Stadt dabei, Investoren für das Konzept zu finden. Bis die Möbelwagen bestellt werden können, werden zwar sicher noch zwei Jahre vergehen, da der Lokschuppen noch von Grund auf renoviert werden muss. Einzugswillige Firmen jedoch gibt es schon.

Startups werden erwachsen

Überwiegend von mittelständischen Unternehmen geprägt, sucht man die ganz großen Namen der IT-Branche im Freiburger Raum vergeblich. Dennoch gibt es einige IT-Firmen, die auch international von sich Reden machen. Zu ihnen gehört beispielsweise das IT-Beratungsunternehmen GFT Technologies, das in dem Städtchen St. Georgen angesiedelt ist. Das 1987 gegründete Unternehmen hat im Geschäftsjahr 2000 rund 169 Millionen Mark eingenommen. Dass dabei ein Jahresüberschuss von mehr als drei Millionen Mark erzielt wurde, ist beachtlich, wenn man sich die tiefroten Zahlen fast aller Wettbewerber vor Augen hält. Nach dem Zusammenschluss von GFT und der Deutsche-Bank-Tochter Emagine im Sommer 2001 ist der Personalstamm auf rund 1500 Mitarbeiter angewachsen. So hat sich aus der kleinen Softwareschmiede ein international tätiger Konzern entwickelt, der an 22 Standorten vertreten ist.

Die Krise der New und inzwischen auch der Old Economy ist an dem Internet-Dienstleister nicht spurlos vorübergegangen, aber er hat sich unter anderem durch die Beteiligungen der Deutschen Bank und der Deutschen Post gut halten können. Auf der Website der GFT gibt es demzufolge auch noch zahlreiche Jobofferten, in denen auch diejenigen fündig werden könnten, die es nicht unbedingt in den Schwarzwald zieht.

Einen anderen ehemaligen Highflyer hat es in letzter Zeit härter erwischt. So macht die in Hüfingen gelegene Bäurer AG harte Zeiten durch. Das 1980 von Heinz Bäurer gegründete Unternehmen hatte sich bis Ende der neunziger Jahre zu einem respektablen ERP-Anbieter entwickelt. Der Börsengang im Dezember 1999 brachte 50 Millionen Mark in die Unternehmenskasse. Danach folgte ein Firmenaufkauf nach dem anderen, wobei sich der ehemals solide wirtschaftende Gründer offenbar übernahm und laut Experten nicht immer sehr wählerisch war. Inzwischen stellt Bäurer die internationalen Aktivitäten auf Partnerbetrieb um, nicht profitable Randbereiche sollen verkauft werden, um sich wieder auf die alten Stärken im ERP-Bereich konzentrieren zu können.

Im Rahmen der angespannten Finanzlage entschloss sich die Bäurer AG zudem, Mitarbeiter zu entlassen. Arbeiteten dort Ende 2000 noch knapp 1000 Angestellte, waren es Ende Oktober 2001 nur noch rund 690. Eine bereits eingeleitete Restrukturierung soll das Unternehmen bis zum kommenden Jahr wieder auf Kurs bringen.

Rund 30 Kilometer von Freiburg entfernt ist die Hauptniederlassung von Brain International AG, einem ERP-Anbieter, der mit einem Jahresumsatz von rund 230 Millionen Mark (Geschäftsjahr 2000) zu den großen Softwarehäusern Deutschlands gehört. Das finanziell ins Trudeln geratene Unternehmen hatte vergangenes Jahr in der Baader Wertpapierhandelsbank AG den gesuchten Großinvestor gefunden. Im Jahr 2000 hatte Brain International durch Entlassungen und schlechte Zahlen für Schlagzeilen gesorgt. Wie viele andere hat das Unternehmen, das im März 1999 an den Neuen Markt ging, unter heftig schwankenden Aktiennotierungen zu leiden. Inzwischen scheint sich die finanzielle Lage ein wenig entspannt zu haben, der Softwareanbieter schreibt aber nach wie vor rote Zahlen.

Quelle: FWT, Freiburg Wirtsschaft und Touristik GmbH & Co. KG.

In der Region um Freiburg gibt es neben den genannten noch eine Vielzahl von IT-Unternehmen, etablierte Firmen wie den Anbieter von Dokumenten-Managament-Software Kühn & Frey aus Freiburg oder den Chiphersteller Micronas bis hin zu Newcomern wie Virtual Identity oder United Planet. Letzterer wurde 1998 von Axel Wessendorf ins Leben gerufen. Er hat bereits Erfahrungen als Gründer, da er schon den Grundstein für den Anbieter von kaufmännischer und Finanzsoftware Lexware gelegt hatte. United Planet wendet sich mit seiner Intranet-Lösung vor allem an kleine und mittlere Betriebe.

Die Stadt Freiburg wird geprägt durch die Universität, die mit 6000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber ist. 65 Studienfächer mit einer Vielzahl von Abschlussmöglichkeiten stehen in 15 Hochschul-Fakultäten zur Auswahl. Zudem existieren fünf Forschungsinstitute der Fraunhofer-Gesellschaft und zwei der Max-Planck-Gesellschaft, die zum Teil aus Lehrstühlen der Universität hervorgegangen sind. Seit sechs Jahren gibt es an der bisher eher medizinisch- geisteswissenschaftlich orientierten Albert-Ludwig-Universität die 15. Fakultät für Angewandte Wissenschaften mit den Studienzweigen "Informatik" und "Mikrosystemtechnik".

Auch über künftige Entwicklungen macht man sich an der Universität Gedanken, so beispielsweise im "Institut für Informatik und Gesellschaft", das sich mit den sozialen Auswirkungen der neuen IT-Techniken beschäftigt. Inzwischen sind an der 15. Fakultät rund 650 Studenten für den Studiengang Diplom-Informatik eingeschrieben, davon mehr als 200 Erstsemester. In den vergangenen Jahren stieg das Interesse an der IT-Ausbildung sehr stark, so dass das Institut im Gegensatz zu den Anfangsjahren derzeit keine freien Studienplätze mehr hat. Seit vergangenem Sommersemester bietet die 15. Fakultät außerdem die Ausbildung zum "Master of Computer Science" an, die vier Semester dauert und vom akademischen Auslandsdienst (DAAD) unterstützt wird. 50 Prozent der Studienplätze werden an ausländische Studenten vergeben.

Karrieresprungbrett FH

In der Schwarzwälder Provinz hat sich die Fachhochschule Furtwangen einen Namen als Talentschmiede für Informatiker gemacht. Sie hat beim COMPUTERWOCHE-Ranking 2001 am besten abgeschnitten. Die 1850 als Uhrmacherschule gegründete Fachhochschule bietet neben Klassikern wie allgemeine Informatik, Maschinenbau und Feinwerktechnik auch moderne Studiengänge wie Online-Medien, Business Consulting, oder International Business Consulting. Die FH, die in Furtwangen und Villingen-Schwenningen vertreten ist, zählt rund 2800 Studenten, davon über 1200 in den verschiedenen Informatiker-Studiengängen. 30 Prozent der Studenten kommen von außerhalb des 70-Kilometer-Umkreises, zwölf Prozent aus dem Ausland.

Quelle: FWT, Freiburg Wirtsschaft und Touristik GmbH & Co. KG.

Im vergangenen Jahr verließen rund 130 Diplom-Informatiker die Ausbildungsstätte und wurden von der Industrie mit Kusshand aufgenommen. Oft konnten die Absolventen unter zehn Angeboten auswählen, weiß Werner Ruoss, Prorektor der Fachhochschule. Zu den Boomzeiten der IT-Branche mussten die Absolventen nur den Finger heben und hatten bereits lukrative Angebote, so Ruoss. Oft seien die Firmen so unter Druck gewesen, Projekte voranzutreiben, dass sie auch Einsteiger nahmen und an schwierige Aufgaben setzten - für beide Seiten keine befriedigende Situation. Inzwischen habe sich die Lage wieder normalisiert, die Nachfrage nach Informatikern sei aber nach wie vor groß. So erfreut sich die Kontaktbörse, die die FH zwei Mal pro Jahr an beiden Standorten abhält und bei der sich Firmen als potenzielle Arbeitgeber präsentieren, nach wie vor großer Beliebtheit.

Nach den Erfahrungen von Ruoss brauchen sich Studenten, die mit Erfolg abgeschlossen haben, keine Jobsorgen zu machen. Er ist froh, dass die Anwerbungsversuche der Industrie wieder in geordneten Bahnen verläuft: "Die Blütezeit hat die Studenten teilweise leichtsinnig gemacht. Sie haben nämlich gedacht, dass sie sich nicht mehr anstrengen müssen, um einen guten Job zu bekommen."

Die Vorzüge der Region

Rund 70 Prozent der Absolventen bleiben in der Region, einige wie beispielsweise Ulrich Dietz von GFT Technologies sorgen als Firmengründer für einen IT-Aufschwung im Schwarzwald. Der FH-Prorektor Ruoss, der selbst zwölf Jahre in München gelebt und in einem Industrieunternehmen gearbeitet hat, bevor es ihn in den Schwarzwald zog, kann die Entscheidung gut nachvollziehen. Die wirtschaftliche Lage sei gut und stabil, es gebe einen gesunden Mittelstand, zudem biete die Gegend sowohl für sportlich als auch für kulturell Interessierte überraschend viele Angebote. FWT-Geschäftsführer Dallmann sieht in den verglichen mit München oder Stuttgart niedrigeren Lebenshaltungskosten ein weiteres Argument für die Region. Für die dort gebotene Lebensqualität seien viele bereit, auf etwas Gehalt zu verzichten. Ist der Freiburger Raum samt Schwarzwald nun das Nonplusultra für alle IT-Fachkräfte? "Unsere Region ist auf dem besten Weg, sich auch als Medienstandort einen Namen zu machen." Er vergleicht die Situation mit der Bundesliga. "Wir zählen zwar nicht zu den Aspiranten auf den Meisterschaftstitel, aber wir sind sicher eine gute Talentschmiede."