Geschäftsmodelle

Halbherziger Kurs Richtung Digitale Transformation

30.01.2019 von Rainer Zierhofer
Unternehmen fokussieren sich bei der Digitalisierung auf kurzfristige Effizienzvorteile. Eigentliches Ziel ist die kontinuierliche Unternehmenstransformation.

Unternehmensentscheider aus der Region DACH sind sich durchaus darüber im Klaren, dass die Digitalisierung nicht abgeschlossen ist, sondern gerade erst richtig angefangen hat. In der Studie „Digital Value“von Horváth & Partners äußern die befragten Manager auf C-Level-Ebene hohe Erwartungen, was die Vorteile des fortschreitenden digitalen Wandels angeht. An erster Stelle der Wunschliste stehen dabei Umsatzsteigerungen: 60 Prozent der Studienteilnehmer erhoffen sich ein relevantes Plus im Jahresabschluss.

Viele Unternehmen übersehen, dass die Digital Transformation kein Ziel ist, sondern ein andauernder Prozess.
Foto: Robert Kneschke - shutterstock.com

Ein sportliches, aber realistisches Ziel, wenn man bedenkt, welche neuen Möglichkeiten sich durch digitale Trends ergeben. Nicht nur in Bezug auf Produkte und Services, sondern zum Beispiel auch durch die Kooperation mit anderen Unternehmen und Branchen in neuen, digitalgetriebenen Geschäftsfeldern. In diese Richtung denken jedoch erstaunlich wenig Unternehmenslenker. Nur drei von zehn Befragten glauben daran, im Zuge der weiteren digitalen Transformation ihre Geschäftsfelder ausweiten zu können, zum Beispiel durch neue Produkte und Erlösmodelle.

Unternehmen wollen im Zuge der Digitalisierung vor allem mehr Umsatz durch höhere Produktivität erzielen und Margen durch geringere Kosten steigern. Auf eine Ausweitung der Geschäftsfelder setzt dagegen nicht einmal jeder dritte Entscheider.
Foto: Horváth & Partners Studie Digital Value

Die Digitale Transformation hat noch nicht begonnen

Nun könnte man denken, die Digitalisierung sei inzwischen ein so alter Hut, dass Produktportfolio und Geschäftsmodelle längst digital transformiert wurden. Schließlich beherrscht das Trendthema Digitalisierung nun schon seit Jahren Wirtschaft und Medien. Doch die Studie wiederlegt diese These klar: Sechs von zehn Unternehmen geben an, dass sich ihr Geschäftsmodell durch die Digitalisierung bisher nicht nennenswert verändert hat. Lediglich 37 Prozent der Firmen haben das Produktportfolio bereits angepasst, nur jeweils 43 Prozent haben neue Kundensegmente oder ein neues Erlösmodell etabliert. Die Zielmärkte haben sich nur bei 42 Prozent relevant verändert.

Auch das World Economic Forum (WEF) stellt in der hiesigen Wirtschaft einen Mangel an digitalem Veränderungswillen fest. Demnach erreicht Deutschland in Bezug auf die Bereitschaft von Unternehmen zur digitalen Transformation mit 74 Indexpunkten im internationalen Vergleich lediglich den zehnten Platz. Dies ist umso fahrlässiger vor dem Hintergrund, dass die Innovationsfähigkeit des „Erfinderlandes“ Deutschland mit Platz eins im internationalen Ranking bewertet wird.

Es scheint so, als ob hiesige Manager das eigene Innovationspotenzial unterschätzen und die Messlatte irrtümlich oder auch bewusst zu hoch hängen, um sich vor der Verantwortung für Innovation zu drücken. Nach dem Motto „Neue Geschäftsmodelle? Das ist etwas für die Zuckerbergs, Bezosse und Musks dieser Welt. Wir haben für sowas nicht genug Geld und kreative Köpfe, und außerdem funktioniert unsere Branche ganz anders“.

Bisher haben sich bei der Mehrheit der Unternehmen Erlösquellen, Produktportfolio und Zielgruppe kaum verändert.
Foto: Horváth & Partners Studie Digital Value

Kurzfristige Effizienz vor langfristig wertvoller Innovation

Zurück zu den Zukunftserwartungen. Da drängt sich die Frage auf: Wie sollen die erhofften Umsatzsteigerungen realisiert werden, wenn nicht durch die Weiterentwicklung von Produkten und Geschäftsmodellen? Die Antwort der meisten Manager ist: durch höhere Produktivität. Wenn meine Mitarbeiter beispielsweise durch automatisierte Prozesse ein höheres Auftragsvolumen bewältigen, müsste sich das in höheren Umsätzen niederschlagen. Dass dies jedoch nur dann der Fall ist, wenn es ausreichend Potenzial für mehr Aufträge, Bestellungen oder ähnliches gibt, wird dabei häufig erst einmal ausgeblendet.

Eine bessere Geschäftsbilanz wollen 53 Prozent der Manager außerdem durch Kostenreduktion erzielen. So bleibt mehr Gewinn beziehungsweise mehr Kapital für Investitionen. Mit der weiteren Digitalisierung werden also vor allem Effizienzziele verbunden. Daneben erhofft sich jeder Zweite zumindest noch Möglichkeiten, den Service zu optimieren und sich dadurch positiv vom Wettbewerb abzugrenzen (49 Prozent) oder digitale Vertriebswege auszubauen (43 Prozent). Diese Ziele greifen jedoch zu kurz. Es geht vielmehr darum, die ständige Veränderung und Weiterentwicklung der Digitalisierung über das gesamte Unternehmen hinweg als “the new normal“ zu etablieren.

Transformation in der Unternehmenskultur verankern

Der Begriff „Digitalisierung“ verleitet zur irrigen Annahme, es gehe um einen Prozess mit Anfang und Ende. Doch unser Leben wird immer stärker digitalisiert, neue Technologien entstehen in immer mehr Bereichen und Formen. Entsprechend müssen auch Unternehmen einen kontinuierlichen digitalen Wandel etablieren. Die Weiterentwicklung von Produkten und Geschäftsmodellen ist jedoch keine einmalige Aktion, sondern Daueraufgabe.

Digitale Innovationen sind kein Zufall, sondern das Ergebnis systematischer Transformation. Es geht nicht darum, wie bei einem Flickenteppich hier eine Lösung zur automatischen Bearbeitung von Standardprozessen zu etablieren und dort den Kundenservice durch Chatbots zu optimieren. Es geht um eine laufende Weiterentwicklung digitaler Anwendungen zum Zweck der Weiterentwicklung des gesamten Geschäftsmodells.

Das Marktforschungs- und Analyseunternehmen Forrester formuliert esso: „Digitale Transformation bedeutet permanente Business-Transformation. Und nur wer die Fähigkeit zum permanenten Wandel als Ziel vorgibt, kann langfristig erfolgreich sein. Unternehmen wie Adidas geben hier den Weg vor: In deren Zukunftsstrategie ist von Digitalisierung gar nicht mehr die Rede. Es geht schlicht um das Neue und Wandelbare.“

Für diesen konstanten Wandel bedarf es neuer Unternehmensstrukturen. Sie müssen agiler, flexibler, vernetzter werden, um einen permanenten Wandel nicht nur zu ermöglichen, sondern aktiv zu fördern. IT-Abteilung müssen adaptiv werden, CIOs müssen zu strategischen Sparringspartnern der Geschäftsleitung werden und dürfen sich nicht als Umsetzungsverantwortliche verstehen. Moderne Unternehmen mit digitalen Geschäftsfeldern benötigen außerdem andere Steuerungssysteme. Kundendaten oder Markenbekanntheit können sich langfristig als wertvoller erweisen als früh in die Gewinnzone zu kommen.

Die größte Herausforderung für hiesige Unternehmen wird aber der „Mindset Change“ der Arbeitskultur sein. Für die digitale Transformation gibt es keine vordefinierten Ziele. Führungskräfte sowie jeder einzelne Mitarbeiter müssen lernen, dass Aufgaben nicht mehr lauten: „Tu dies, damit jenes eintritt“, sondern: „Arbeite daran, die Wertschöpfung unseres Unternehmens permanent zu verbessern.“ Und auch wenn nicht absehbar ist, ob eine Idee dies am Ende auch einlöst, ist Zeit in Überlegungen und Austausch gut investiert – vorausgesetzt, es wird daraus gelernt und der Entwicklungsprozess bleibt nicht stehen.

Diese Unwägbarkeiten machen Unternehmensentscheidern das Leben zugegebenermaßen nicht leicht. Doch es führt kein Weg daran vorbei, Flexibilität und Veränderungsbereitschaft als maßgebliche Erfolgsfaktoren zu begreifen und sie für 2019 ganz oben auf die Agenda zu setzen.

Mehr zum Thema Digitalisierung:

So bringen Sie Tempo in Ihre Digitale Transformation

So machen Sie Anwendungen fit für die Digitalisierung

2019: Die Entmystifizierung der digitalen Transformation