Zeitenwende bei SAP

Hasso Plattner tritt ab von der SAP-Bühne

15.05.2024 von Martin Bayer
Mit dem Abgang von Hasso Plattner endet die Gründer-Ära bei SAP. Der Abschied fällt schwer - SAP steht vor einem tiefgreifenden Umbau und muss viele Herausforderungen lösen.
SAP-Gründer Hasso Plattner kann zufrieden auf sein Lebenswerk zurückblicken - doch der Abschied fällt ihm schwer.
Foto: SAP

Eine SAP ohne Hasso Plattner ist schwer vorstellbar. Plattner war von Anfang an dabei und hat die Geschicke des größten europäischen Softwareherstellers über mehr als fünf Jahrzehnte hinweg maßgeblich geprägt - als Gründer, im Vorstand und zuletzt als Vorsitzender des Aufsichtsrats. Jetzt Mitte Mai 2024 ist Schluss. Plattner, der im Januar 2024 seinen 80. Geburtstag feierte, gibt seinen Posten an der Spitze des Aufsichtsrats auf und geht ab von der großen SAP-Bühne.

Auch wenn sein Abgang aktuell für viel Furore sorgt, geriet der Auftritt eher unspektakulär. Im April 1972 - Deutschland wurde in Brüssel Fußball-Europameister und im deutschen Fernsehen lief die erste Folge von Raumschiff Enterprise - gründeten fünf ehemalige IBM-Mitarbeiter In Weinheim, etwa fünf Kilometer nordöstlich von Mannheim, die Systemanalyse und Programmentwicklung GbR, die spätere SAP. Mit dabei war neben Claus Wellenreuther, Hans-Werner Hector, Klaus Tschira und Dietmar Hopp auch Hasso Plattner.

In den ersten Jahren verbringen die Gründer viel Zeit in den Rechenzentren ihrer Kunden, um die ersten Softwareprogramme zum Laufen zu bringen. Immer mit dabei im Gepäck, der Makrokasten mit den Lochkarten. "Der damalige Makrokasten fasste 2.000 Lochkarten", erinnert sich Plattner an die Anfangszeiten.

Gebt Plattner bloß nicht die Lochkarten!

Anlässlich der Gala zum 50. SAP-Geburtstag im Juli 2022 erzählte der SAP-Gründer von den Tücken der Lochkartentechnik. "Ich steige eines Tages bei einem Kunden aus meinem Auto aus, es regnet, ich versuche, den Lochkartenkasten vom Regen fernzuhalten, laufe durch eine Pfütze, stolpere, und die Lochkarten sind in der Pfütze. Wer jemals eine Lochkarte nass gemacht hat, weiß, was das bedeutet."

Den Rest des Abends und die Nacht hat Plattner eigenen Angaben zufolge am Locher verbracht. "Ich war ein guter Locher - und habe die Karten wieder neu gelocht", erzählte der Manager. "Wir hatten nur einen Kasten von diesen Makros. Ich durfte ihn dann nie wieder tragen. Und ich möchte an dieser Stelle noch einmal feststellen: Ich habe keinen Fehler gemacht bei der Wiederherstellung."

Selbst wenn, hätte es sicherlich nicht das frühe Ende für SAP bedeutet. Der Lochkartenunfall macht jedenfalls deutlich, mit welcher Energie die Gründer rund um Plattner ihre Idee verfolgten. Dem Quintett ging es mit ihrer Software um ein Echtzeitsystem - daher das Kürzel "R" für "Realtime", das sich in den ersten Produktnamen R/1, R/2 und später R/3 wiederfand.

Maßgebliches Designprinzip bei SAP war von Anfang an die Integration der einzelnen Bausteine. Anwender sollten alle Aufgaben in einem integrierten System erledigen können. In den ersten Jahren programmierten Plattner, Hopp und Co. Module für Finanzbuchhaltung, Einkauf, Bestandsführung, Auftragseingang, Materialplanung sowie Rechnungsstellung und -prüfung. Das Konzept eines integrierten Systems in Kombination mit immer leistungsfähigeren Rechnerarchitekturen von IBM und Siemens bedeutete in den 70er Jahren eine Revolution.

Duett Plattner und Hopp - interne Konkurrenz belebt das Geschäft

Es war der Startpunkt einer bespiellosen Erfolgsgeschichte, die über die Jahrzehnte immer eng verknüpft blieb mit den Gründern, allen voran Dietmar Hopp und Hasso Plattner - und ihrem Ehrgeiz und ihrer internen Konkurrenz. Wer programmiert schneller - wer verkauft mehr? Plattner habe es "sehr gestunken", wenn Hopp mehr verkauft habe als er selbst, heißt es in Berichten aus dem SAP-Archiv. Beide hätten in den Bereichen, in denen sich ihre Fähigkeiten und Aufgaben überlappten, "intern erbittert darum gerungen", den anderen hinter sich zu lassen.

Geschadet hat SAP diese interne Rivalität jedenfalls nicht. Auch war die Zeit damals eine ganz andere. Werden IT-Startups heute von Investoren binnen weniger Jahre mit Milliarden Dollar und unter enormem Druck aufgeblasen, ging es bei SAP etwas gemächlicher zu. "Wir hatten Riesenglück und waren zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort", erinnerte sich Hopp 2015 in einem Interview mit der Nordwest-Zeitung (NWZ). "Wir hatten damals Zeit - unsere Startup-Phase dauerte etwa zehn bis 15 Jahre."

Nach dem Börsengang 1988 teilten sich Hopp und Plattner einvernehmlich die Macht bei SAP. Hopp übernahm bis 1998 den Posten des Vorstandsvorsitzenden und Plattner kümmerte sich als stellvertretender Vorstandsvorsitzender um Technik und Entwicklung sowie den für SAP so wichtigen Einstieg in den US-Markt. "Die Zeit zwischen 1988 und 1992 war wunderbar", erzählte Plattner später in einem Interview mit dem Oral-History-Projekt des Smithsonian Awards Program. "Ich verbrachte jeden Tag damit, Software zu entwickeln, das hat mir einen Riesenspaß gemacht. Es war eine tolle Zeit."

1998 übernahm Plattner von Hopp, der sich in den Aufsichtsrat zurückzog, den Staffelstab im Vorstandsvorsitz. Mit in die obersten Führungszirkel SAPs folgte ihm sein Zögling Henning Kagermann als Stellvertreter, der fünf Jahre später 2003 Plattner an der SAP-Spitze ablöste. Plattner selbst übernahm den Posten als Aufsichtsratsvorsitzender, den er bis zuletzt unangefochten behauptete.

Unruhige Zeiten nach der Jahrtausendwende - auch für SAP

Als vor gut 20 Jahren erstmals ein Nicht-Gründer an der SAP-Spitze stand, bedeutete dies eine Zeitenwende für SAP. Insgesamt wurde das Fahrwasser unruhiger. Dazu beigetragen haben sicher auch die zahlreichen Krisen der vergangenen zwei Jahrzehnte. Auf das Platzen der Dot.com-Blase folgten 2008 nach der Lehman-Pleite eine weltweite Wirtschaftskrise und direkt im Anschluss die Euro-Krise, die die Welt viele Jahre in Atem hielt. Als sich die Wogen geglättet zu haben schienen, schlug Corona zu und dann der russische Machthaber Wladimir Putin mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Auch bei SAP ging es immer mal wieder rund. Bei Personalentscheidungen, bei denen auch Plattner an der Spitze des Aufsichtsrats ein Wörtchen mitzureden hatte, hatte der Konzern nicht immer ein glückliches Händchen. Die Berufung von Leo Apotheker als Nachfolger von Kagermann 2009 geriet zum Desaster. Die Erhöhung der Wartungsgebühren, die Apotheker auf Biegen und Brechen durchzusetzen suchte, rief die Anwender auf die Barrikaden und ramponierte das Verhältnis zu den eigenen Kunden auf viele Jahre. Letzten Endes musste SAP seine Preispolitik revidieren und Apotheker war nach gerade einmal einem Jahr seinen Job als SAP-CEO wieder los. Die Nachfolger Bill McDermott und Jim Hageman Snabe brauchten lange, den Scherbenhaufen, den ihnen ihr Vorgänger hinterlassen hatte, wieder aufzukehren.

Auch als Ende 2019 überraschend der langjährige SAP-Chef Bill McDermott zurücktrat und zu ServiceNow ging, geriet der Wechsel in der Chefetage der Softwerker aus dem Badischen mehr als holprig. Die Doppelspitze aus dem deutschen Christian Klein und der US-Amerikanerin Jennifer Morgan funktionierte nur kurz. Nach wenigen Monaten war die erste Frau an der SAP-Spitze auch schon wieder Geschichte.

Plattner kann nur schwer loslassen

Eines muss man Plattner allerdings lassen: Bei Apotheker wie auch dem Duett Klein-Morgan handelte Plattner schnell und zog rasch die Reißleine, als sich offensichtliche Probleme abzeichneten. Für ihn selbst galt das jedoch nicht. Schon seit Jahren wird darüber spekuliert, wann sich die graue SAP-Eminenz endlich zurückzieht. Immer wieder flammte Kritik an seiner Person auf. Die internen Regeln schienen für den SAP-Gründer nicht zu gelten. Eigentlich sollte die Amtszeit des Aufsichtsratsvorsitzenden bei SAP auf 12 Jahre begrenzt sein - dann wäre eigentlich 2015 Schluss gewesen. Außerdem sollte die Person, die diesen Posten innehat, nicht älter als 75 Jahre sein.

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"Meine Position als Aufsichtsratsvorsitzender in die richtigen Hände zu geben ist für mich eine sehr wichtige und auch emotionale Aufgabe, an der ich schon seit einiger Zeit arbeite", sagte Plattner im Mai 2022 auf der SAP-Hauptversammlung. Trotz aller Kritik an dem schleppenden Nachfolgeprozess wurde der Grand Seigneur der deutschen Software-Szene erneut für zwei Jahre in seinem Amt bestätigt.

Schwierige Suche nach dem richtigen Plattner-Nachfolger

2023 kam dann immerhin Bewegung in die Causa Plattner und den Aufsichtsrat. Mit Punit Renjen, dem ehemaligen CEO von Deloitte glaubte man einen passenden Nachfolger gefunden zu haben. "Damit wird ein strukturierter Übergang an der Spitze des Aufsichtsrats eingeleitet, der die notwendige Kontinuität für das weitere Wachstum unseres Unternehmens sichert", kommentierte Plattner die Personalie.

Doch wie schwierig es offenbar war, den richtigen Kandidaten für die Nachfolge Plattners zu finden, zeigte eine überraschende Volte im Februar 2023. Drei Monate bevor eigentlich Renjen zum Aufsichtsratsvorsitzenden gekürt werden sollte, schmiss der Inder das Handtuch. Man habe im gegenseitigen Einvernehmen entschieden, getrennte Wege zu gehen, hieß es in einer Mitteilung SAPs. Als Grund für die plötzliche Trennung wurden unterschiedliche Vorstellungen über die Rolle als künftiger Aufsichtsratsvorsitzender genannt.

Die Fußstapfen, in die Pekka Ala-Pietilä als Nachfolger von Hasso Plattner an der Spitze des SAP-Aufsichtsrats tritt, sind groß.
Foto: Pekka Ala-Pietilä / SANOMA Kuva: Heidi Piiroinen

Als Renjen-Ersatz zauberte SAP Pekka Ala-Pietilä aus dem Hut. Mit dem ehemaligen Nokia-Chef glaubt SAP den richtigen Mann für den Aufsichtsratsvorsitz gefunden zu haben. Der Finne sei "hervorragend aufgestellt, um die weitere erfolgreiche Transformation der SAP zu unterstützen", hieß es.

"Mit Pekka Ala-Pietilä haben wir eine Führungspersönlichkeit gefunden, die nicht nur ein tiefgreifendes Verständnis unserer Branche und der Komplexität der europäischen SE-Governance mitbringt, sondern auch ein wichtiger Verbündeter in vielen entscheidenden Momenten der SAP war", kommentierte Plattner die Neubesetzung. "Mit der Wahl von Pekka Ala-Pietilä bin ich zuversichtlich, dass der Aufsichtsrat der SAP in den besten Händen ist. Seine Vision und seine bedächtige Vorgehensweise sind genau das, was die SAP braucht, um sicher und auch weiterhin erfolgreich in die Zukunft zu blicken."

SAP steht vor tiefgreifendem Wandel

Von einem gut durchgeplanten und strukturierten Übergang, wie man ihn in Walldorf gerne gesehen hätte, kann aber keine Rede sein kann. Dabei bräuchte der deutsche Softwarekonzern gerade jetzt im Aufsichtsrat einen Ruhepol. SAP durchlaufe den grundlegendsten strategischen Wandel seiner Geschichte, hieß es zuletzt immer wieder aus den Reihen des Managements.

Plattners Einfluss auf die SAP-Strategie in den vergangenen Jahrzehnten war gewaltig - vor allem mit Blick auf die Produktstrategie. Der gebürtige Berliner war Anfang der 1990er Jahre die treibende Kraft hinter der R/3-Entwicklung. 2010 hatte sein Lieblingsprojekt, die In-Memory-Datenbank HANA (High Performance Analytical Appliance), die maßgeblich am Hasso-Plattner-Institut (HPI) entwickelt wurde, ihren großen Marktauftritt. Die Technik bildete die Basis für die neue ERP-Produktgeneration S/4HANA, die 2015 herauskam. Der ehemalige SAP-Vorstand Vishal Sikka bezeichnete HANA in einem Blogbeitrag einmal als "Hassos New Architecture".

SAP-CEO Christian Klein im großen CW-Interview

Doch nicht immer wurde Plattners Einfluss positiv bewertet. Er halte das SAP-Management zu sehr an der kurzen Leine und stehe grundlegenden Veränderungen im Weg, so die Kritik von Branchenbeobachtern.

SAP-Chef Christian Klein sieht sich in seinen Umbauplänen vom Aufsichtsrat und Plattner gestützt.
Foto: SAP SE

"Ich denke, da tun wir Hasso Plattner Unrecht", wies aber erst kürzlich SAP-Chef Christian Klein in einem Interview mit der COMPUTERWOCHE die Vorwürfe zurück. Plattner wie auch der gesamte Aufsichtsrat habe dem Management immer wieder den Rücken gestärkt. "Ohne diese Unterstützung hätten wir die Strategiewechsel vor drei Jahren nicht durchziehen können - vor allem mit dem Wissen um das Risiko eines um 30 Prozent absackenden Aktienkurses." Klein bekräftigte, dass die Veränderungen bei SAP weitergehen werden, auch was den Generationswechsel im Vorstand betreffe.

Junge Manager-Riege soll es richten

Richten soll es eine Riege junger Manager in Walldorf, die Plattner in die Spur gesetzt hat. Neben Klein sind das vor allem der Technikvorstand Jürgen Müller und Thomas Saueressig, der vor kurzem das neu aufgesetzte Ressort Customer Services & Delivery übernommen hatte. An Saueressig liegt es, die Kunden auf SAP-Linie zu bringen und zum Umstieg auf die neue Produktgeneration S/4HANA zu bewegen - möglichst zügig und am besten gleich in die Cloud.

Thomas Saueressig, verantwortlich für das Ressort Customer Services & Delivery, soll endlich mehr Schwung in die Cloud-Transformation bringen.
Foto: SAP

Doch die SAP-Klientel ist eine träge Masse. Sie in Schwung zu versetzen, ist alles andere als einfach. Gerade die Migration auf die neue Produktgeneration wollte nicht so recht in Gang kommen. Der Umstieg auf S/4HANA, das Anfang 2025 bereits seinen 10. Geburtstag feiert, bedeutet für viele Unternehmen ein langwieriges und teures Softwareprojekt. Vor allem das Customizing der bestehenden SAP-Systeme hängt den Betrieben wie ein Klotz am Softwarebein. Viele Verantwortliche in den Firmen scheuen den Schritt und schieben die Migration auf die lange Bank, zumal sie mit ihren bestehenden SAP-Installationen in aller Regel sehr zufrieden sind.

Für Plattner war das Zögern nicht nachvollziehbar. "Mich stimmt traurig, dass wir nach dem großen Verkaufserfolg, den in Rekordzeit abgeschlossenen Implementierungen und den zufriedenen Produktivkunden immer noch mit den gleichen Fragen und Bedenken konfrontiert werden", schrieb der SAP-Gründer Ende 2015 in einem Gastbeitrag für die COMPUTERWOCHE. Fast zehn Jahre später sind die Vorbehalte immer noch nicht ganz ausgeräumt. Vor allem die Frage nach dem Business-Value treibt die Anwenderunternehmen in Zeiten knapper IT-Budgets weiter um.

Gretchen-Frage: Wie setzt SAP seine Kunden in Bewegung?

Doch das Wartungsende für die ältere Produktgeneration rückt näher. 2027 ist Schluss und der Betrieb alter SAP-Instanzen wird teurer. Es geht nicht nur um die Migration auf S/4HANA, sondern auch darum, die Kunden auf Cloud-Kurs zu trimmen. Anwender sollen nicht wieder in die alten Muster verfallen und ihr SAP-System quasi einfrieren. Erste S/4HANA-Installationen der frühen Umsteiger drohen bereits wieder aus der Wartung zu laufen, weil die Kunden ihre Systeme mehr oder weniger eingefroren und es versäumt haben, Updates einzuspielen.

Dazu kommt, dass SAP den Druck auf seine Kunden erhöht. Mitte 2023 kündigte Klein an, Innovationen beispielsweise rund um KI nur noch für Cloud-Kunden anzubieten, und auch nur für solche mit einem RISE oder GROW with SAP Vertrag. Mit diesen Vertragsmodellen gibt SAP eine standardisierte Methode vor, wie Kunden in die neue SAP-Welt umzusteigen haben, und übernimmt den Basisbetrieb des Systems. Damit will man in Walldorf sicherstellen, dass die SAP-Umgebungen rund um einen Clean Core bereit sind für kontinuierliche Innovation und zusätzliche Services.

Die neue Direktive des SAP-Managements kam bei den Kunden gar nicht gut an. Gerade die Kunden, die früh auf S/4HANA, aber auf die On-Premises-Variante, eingeschwungen waren, fühlten sich von SAP im Stich gelassen. Der Softwarehersteller lasse seine Anwender im Stich, lautete die harsche Kritik seitens der Anwendervereinigung DSAG. SAP indes macht keinen Hehl daraus, an seinem Weg festhalten zu wollen. Der führe zielstrebig in eine modulare Cloud-Welt, macht Klein unmissverständlich klar.

SAP darf den KI-Anschluss nicht verpassen

Für SAP geht es auch darum, nicht wieder den Anschluss zu verpassen. Für das aufziehende KI-Zeitalter braucht es auf Kundenseite aufgeräumte, moderne SAP-Infrastrukturen, die sich flexibel mit neuen Funktionen erweitern lassen. Die Basis für solche Landschaften bildet heute die Cloud. Doch da sind viele SAP-Anwender mit ihren Systemen noch nicht.

SAP hatte den Cloud-Trend verschlafen. Während die Gründer im vergangenen Jahrtausend die großen Wendepunkte - im speziellen vom Großrechner- ins Client-Server-Zeitalter - souverän gemeistert hatten, wurde der Konzern von der Dynamik der Cloud überrascht - auch Plattner. Das Unternehmen startete spät mit eigenen Entwicklungen. Immer wieder drangen Gerüchte über gewaltige Softwareprojekte an die Öffentlichkeit. Herausgekommen ist wenig, Milliarden Euro wurden offenbar versenkt. Später versuchte SAP-Chef McDermott mit Übernahmen den Rückstand aufzuholen - Concur und SuccessFactors sind nur einige Namen.

Einen solchen Missgriff will sich SAP beim so wichtigen Thema KI kein zweites Mal erlauben. SAP kooperiert mit allen Anbietern von Large Language Models (LLMs) und hat mit Joule einen eigenen KI-Bot herausgebracht. Doch um wirklichen Nutzen aus den neuen KI-Techniken ziehen zu können, müssen die Kunden auf S/4HANA umsteigen und in die Cloud umziehen.

Neben der Transformation auf Seiten der Kunden muss sich auch SAP selbst verändern. Anfang 2024 kündigte der SAP-Chef ein umfassendes Restrukturierungsprogramm an, um den Konzern noch stärker in Richtung Cloud- und KI-Kurs zu trimmen. Von dem Wandel der operativen Strukturen sind 8.000 Stellen betroffen. Damit nimmt der bereits 2020 eingeläutete Umbau der SAP weiter Fahrt auf.

Plattner stärkt seinem Management demonstrativ den Rücken. Nach den schwierigen Entscheidungen im Jahr 2020, ganz auf das Cloudgeschäft zu setzen, erfordere die Entwicklung von KI-Anwendungsszenarien eine weitere Verlagerung von Ressourcen und eine Umstrukturierung, schreibt Plattner in seinem letzten Brief an die Hauptversammlung 2024. "Schwierige Entscheidungen fallen nicht leicht", so der SAP-Gründer. "Aber die SAP muss sich weiterentwickeln und die notwendigen Veränderungen vornehmen, um den langfristigen Erfolg des Unternehmens für alle seine Stakeholder zu gewährleisten. Der Vorstand hat diese Entscheidungen in Rücksprache mit dem Aufsichtsrat getroffen und wir stehen vollkommen hinter dieser Strategie."

DSAG: Respekt und Anerkennung für Plattners Lebenswerk

In den letzten Jahren hat sich Plattner ein Stück weit von seiner SAP-Basis und den Kunden in Deutschland entfremdet. Der Manager verbrachte viel Zeit in den USA und ließ sich nur noch selten in Deutschland blicken. Nichtsdestotrotz würdigen die Anwender den Manager für sein Lebenswerk. "Hasso Plattner hat in den letzten 50 Jahren ein bemerkenswertes Lebenswerk geschaffen, indem er gemeinsam mit vier Mitstreitern das größte europäische und eines der weltweit führenden Software-Unternehmen gegründet hat", hieß es auf Seiten der DSAG. "Dafür gebührt ihm der tief empfundene Respekt und die Anerkennung aller 3.800 Kundenunternehmen, die wir als DSAG in Deutschland, Österreich und der Schweiz vertreten."

Die Anwendervertreter charakterisieren Plattner als einen überzeugten Streiter für die Sache, der es verstanden habe, "hier und da auch seine große Emotionalität einzubringen, aber immer auf einer von Respekt bestimmten Ebene". Als DSAG habe man Hasso Plattner immer als Visionär und als treibende Kraft wahrgenommen, die technologische Innovationen entwickelt und vorantreibt. Auch in seinen Jahren im Aufsichtsrat habe sein Wort Gewicht gehabt und der eine oder andere Impuls sei sicher noch von ihm ausgegangen.

Die DSAG bedankt sich bei Plattner "für sein unermüdliches Wirken, das SAP zu dem gemacht hat, was es heute ist - ein Software-Unternehmen von Weltrang. Wir wünschen Hasso Plattner für die kommende Lebensphase alles Gute".

Stillsitzen ist nicht

Ruhe geben wird Plattner aber auch als Post-Aufsichtsrat sicher nicht. Mögen die Zeiten der Rock'n-Roll-Auftritte mit E-Gitarre auf einer Sapphire oder der Segelduelle mit Lawrence Ellison, dem Gründer des SAP-Erzrivalen Oracle, auch vorbei sein. Der Großaktionär wird sich weiter einmischen, wenn es um Belange seiner SAP geht. "Als Investor mit einer unveränderten Beteiligung werde ich mich weiterhin für die SAP und seine Mission einsetzen", hatte er bereits im vergangenen Jahr unmissverständlich klar gemacht. Es sei jedoch an der Zeit, "mich aus einer aktiven Rolle in dem Unternehmen, das mir so sehr am Herzen liegt, zurückzuziehen".

Auch als Mäzen und Wohltäter wird Plattner weiterwirken. 1998 gründet und finanziert der Manager das Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik in Potsdam und wird so zu einem der bedeutendsten privaten Wissenschaftsförderer in Deutschland. Am HPI ist Plattner auch als Forscher und Lehrender aktiv, der die Studierenden mehr als 20 Jahre lang unterrichtet. Im Frühjahr 2023 hielt er seine letzte Vorlesung.

Plattner engagiert sich auch im Bildungs- und Kultursektor. Zu diesem Zweck gründete er 2015 die Hasso Plattner Foundation. In seinem Engagement für wohltätige Zwecke förderte er der Gesundheitsversorgung und gesundheitliche Aufklärung in Südafrika. Auch die Stadt Potsdam hat Plattner viel zu verdanken. Er half bei der Renovierung mehrerer Gebäude im Zentrum und finanzierte den Wiederaufbau des Palais Barberini am Alten Markt. Seit der Eröffnung 2017 hat sich das Haus mit internationalen Ausstellungen und Plattners eigener bedeutender Sammlung impressionistischer Malerei als eines der meistbesuchten Museen Deutschlands einen Namen gemacht.

Auf die Frage nach seinem gesellschaftlichen Engagement antwortet Plattner: "Was wäre denn, wenn ich je gefragt würde, warum ich nichts getan habe? Ich möchte nicht sagen: Es war mir zu riskant oder zu schwierig. Das sind keine guten Antworten."