Hannover Messe Industrie 2018

KI erobert die Produktion

19.04.2018 von Manfred Bremmer und Jürgen  Hill
Im Zuge von IoT, Industrie 4.0 und Digitalisierung haben sich die großen Softwarekonzerne seit längerem einen festen Platz auf der Ausstellerliste der HMI erobert. In diesem Jahr ist ihr Know-how zudem noch in Sachen KI gefragt.
KI und ML gehören zu den Trendthemen der HMI 2018.
Foto: Hannover Messe

Nach IoT, Digitalisierung und Industrie 4.0 sorgt in diesem Jahr vor allem ein Schlagwort auf der HMI für Schlagzeilen: Die KI - oder neudeutsch AI. Eng verbunden damit ist natürlich das Thema Machine Learning/ Maschinelles Lernen (ML). Zum guten Ton gehört es mittlerweile auch, dass die Unternehmen einen Digital Twin im Portfolio haben, beziehungsweise ihn in ihre Prozessketten einbinden können. Sowohl IT-Unternehmen als auch OT-Player wie Siemens, Bosch oder Festo zeigen auf der Messe, wie KI und ML die Produktion verändern und den Arbeitsplatz der Zukunft mitgestalten. Wie wichtig das Zusammenwachsen von IT und Shopfloor ist, zeigt auch eine andere Zahl: Seit 2016 hat sich der Ausstellungsfläche der Digital Factory verdoppelt.

Aktuelle IDG-Studie zu KI und ML

Auf der Hannover Messe präsentieren COMPUTERWOCHE und CIO die aktuelle IDG-Studie zu KI und ML.
Foto: IDG Research

Der Frage, wie deutsche Anwenderunternehmen zum Thema KI und AI stehen, gehen COMPUTERWOCHE und CIO am Mittwoch, dem 25.4 um 13 Uhr im Rahmen des Forum tech transfer in Halle 2, Stand C02 nach. Die Publikationen präsentieren hier erstmals die aktuelle IDG-Studie zum Einsatz von KI-Technologien in deutschen Unternehmen. Im Rahmen der Studie wurde im Frühjahr 2018 345 Unternehmen befragt. Im Anschluss daran diskutieren im Rahmen einer Podiumsdiskussion Vertreter von SAP, Siemens, Lufthansa Industry Solutions, NTT Security und Reply über die Studienergebnisse.

Alte Hasen und Debutanten

Auch auf der diesjährigen Hannover Messe findet der Besucher wieder fast alle IT-Big-Shots. Egal, ob Microsoft, Telekom, IBM, SAP, Fujitsu, Software AG, Telekom, Amazon Web Services, Accenture, Gemalto, Check Point, Huawei oder Cisco - um nur einige Namen zu nennen. Der Netzwerker, der lange einem direkten CeBIT-Engagement die kalte Schulter zeigte, kommt auf die HMI mit einem eigenen Messestand. Und mit Google (Cloud), Trend Micro und Oracle feiern unter anderem drei prominente IT-Namen ihr Debut auf der HMI.

Angesichts der versammelten IT-Prominenz sieht die Messe dennoch keinen Kannibalisierungseffekt zur CeBIT. "Die HMI hat den Fokus auf die industrielle Produktion und präsentiert Lösungen für die Industrie, die CeBIT hat Event-Charakter", differenziert Arno Reich, Global Director Digital Factory, Deutsche Messe AG, zwischen den beiden Messen.

Die Big Shots der IT kommen

Ihre Lösungen präsentieren die IT-Unternehmen in der Regel nicht alleine, sondern mit Partnern. Microsoft bringt etwa 25 Kunden und Partner mit, um sich im Rahmen der Digital Factory Themen rund um die intelligente Fertigung zu widmen. Einer der Partner auf dem mehr als 1300 Quadratmeter großen Stand in der Halle 7 (Stand C40) ist dabei etwa ABB. Der Schweizer Konzern zeigt unter anderem, wie die - auf Microsoft Azure entwickelte - Ability Ellipse Plattform Organisationen mittels künstlicher Intelligenz dabei unterstützt, ihr Enterprise Asset Management zu verbessern. Dabei soll eine automatische Anomalie-Erkennung helfen, die Wartungskosten bei der installierten Basis zu reduzieren.

Die Kapsch AG aus Wien wiederum präsentiert in der Microsoft Area End-to-End-Digitalisierungslösungen für Industriebetriebe, die von der Sensorik über Artificial Intelligence bis zu den notwendigen Applikationen reichen. Dabei wird den Produktionsgütern ein "digitaler Fingerprint" verliehen, um sie über den ganzen Verarbeitungsprozess hinweg identifizieren und nachverfolgen zu können.

Weitere Ausstellungspartner sind unter anderem die Deutsche Bahn, Bayer, Zeiss, e.GO, TÜV Nord, tapio, Bühler, Schneider Electric, Toyota Material Handling, Cosmo Consult, Iconics, Accenture und Rockwell Automation.

Microsoft selbst zeigt auf der Hannover Messe seine neuesten Technologien rund um künstliche Intelligenz, IoT, Interoperabilität mit OPC UA, Big Compute sowie natürlich das neu angekündigte Microsoft Azure Sphere. Nachdem das Unternehmen die IoT-Security-Lösung auf Basis von Mikrocontrollern und einer eigenen Linux-Distribution im Rahmen der RSA-Konferenz vorgestellt hatte, darf man in Hannover auf weitere Announcements im Industrial IoT-Umfeld gespannt sein.

Digital Twins in der Produktion

Ebenfalls in Halle 7, nämlich am Stand C16 ist IBM zu finden. Die Schwerpunkte des IBM-Messeauftritts liegen auf der Entwicklung von Digital Twins sowie dem Einsatz von Watson KI in Produktion und Wartung. So hat IBM etwa einen intelligenten Digital Twin entwickelt, der den Hafen von Rotterdam zum smartesten Hafen der Welt machen soll. Ein anderes Kundenprojekt ist die Digitalisierung der After-Sales-Prozesse bei Groz-Beckert, dem Weltmarktführer in der Produktion von Industrie-Nähmaschinennadeln. Darüber hinaus zeigt Kone, wie ihre hochmodernen Rolltreppen in der Elbphilharmonie rund um die Uhr digital überwacht werden.

Unter dem Motto "Shared Intelligence" steht der Messeauftritt von SAP (Halle 7, Stand A02). Anhand konkreter Beispiele zeigen die Walldorfer, wie sich Geschäftsbereiche digitalisieren lassen. Der Showcase "Digital Engineering - The Network of Digital Twins" zeigt am Beispiel der Konzeptstudie "Bottling on Demand" der Krones AG die Entwicklung eines digitalen Zwillings über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg.

Im Anwendungsbeispiel "Digital Manufacturing - Open Integrated Factory - Generation 2018" können Besucher live miterleben, wie ein Produkt mittels fahrerloser Assistenzsysteme, die selbst wissen, wann welcher Arbeitsschritt sinnvoll ist, entsteht - eine revolutionäre Technologie, die den Abschied vom Fließband einleitet.

Visionär wird es beim Projekt "Cargo Sous Terrain". Hier handelt es sich um die Logistikvision eines "Digital Supply Chain Management" Dahinter steckt die Idee eines automatisierten Gesamtlogistiksystems, das ab 2030 das Schweizer Straßen- und Schienennetz entlasten soll. Dabei werden Waren in unterirdischen Tunneln transportiert, zwischengelagert und ressourcensparend am Zielort verteilt - auf der Basis erneuerbarer Energien.

Wie diese Zukunft aussehen könnte, erleben die Standbesucher per Virtual-Reality- Brille. Ferner sind auf dem SAP-Stand Partner wie All for One Steeb, Atos, Axians, BOLDLY GO INDUSTRIES, CIDEON, die Deutschsprachige SAP Anwendergruppe e.V., DSC, EPLAN, Freudenberg IT, IGZ, ifm electronic, itelligence, MHP, .riess engineering, SALT Solutions, die Sycor Gruppe, SYSTEMA, Trebing + Himstedt sowie Triacos Consulting & Engineering zu finden.

IT-Firmen kommen mit Partnern

Cisco präsentiert sich auf der HMI mit einem eigenen Stand.
Foto: Cisco

Cisco präsentiert auf der Hannover Messe seinen ganzheitlichen IoT-Ansatz. In Halle 6, Stand G30 erleben die Besucher auf einer IoT-Journey anhand von zahlreichen Partner-Integrationen die notwendigen Eckpunkte einer vernetzen Industrie - vom Time Sensitive Networking-Einsatz (TSN) über grundlegende Security-Komponenten bis hin zum zielgerichteten Daten-Management. Ein Partner auf dem Cisco-Stand ist beispielsweise Rockwell Automation. Gemeinsam wollen die beiden Hersteller Unternehmen im Bereich einer sicher vernetzten Produktion unterstützen, um technologische Lücken der Ausrüstung sowie in der Unternehmenskultur zu schließen.

Einen etwas anderen Ansatz fährt die Software AG auf der diesjährigen HMI. Während die anderen großen IT-Konzerne jeweils versuchen, Partner aus dem industriellen Bereich auf ihren Stand zu ziehen, geht die Software AG den umgekehrten Weg und ist bei Partner zu Gast. So ist die Software AG mehrfach vertreten und zeigt, wie sich mit der Technologie für das Internet der Dinge entscheidende Industrieszenarien digitalisieren lassen.

Einen Einblick hierzu gibt das Unternehmen auf den Partnerständen von Siemens, EdgeX Foundry, Huawei und der Deutschen Telekom. Highlights bilden vier Show Cases, die das Digitalisieren anschaulich vermitteln. Sie zeigen etwa das Zusammenspiel der Prozessmodellierungslösung ARIS mit der IoT-Plattform MindSphere von Siemens, Echtzeitanalysen im industriellen Umfeld und im Edge-System eines Windparks sowie den Einsatz von Culumocity IoT für die "Cloud der Dinge" von T-Systems.

Auch für Fujitsu ist die HMI quasi ein Pflichttermin - immerhin unterhält der japanische Konzern seit Juni 2017 in München ein eigenes Kompetenzzentrum Industrie 4.0 und treibt im Augsburger Werk eigene Industrie-4.0-Projekte voran. In Halle 7, Stand E16 präsentiert Fujitsu konkrete Anwendungsbeispiele und Live-Demos rund um die Themen Smart Manufacturing, Smart City und Edge-Computing.

Zu sehen sind unter anderem Projekte des neuen Kompetenzzentrums aus den Bereichen Robotik, Zustandskontrollen mit Hilfe intelligenter Algorithmen und KI-basierte Qualitätskontrolle. Außerdem wird in einer Live-Demo das Fujitsu Intelligent Dashboard vorgestellt, das KI für Echtzeit-Visualisierungen in der Produktion nutzt.

OT-Branche drängt in Software-Business

Doch die digitale Zukunft ist in Hannover nicht allein ein Thema der klassischen IT-Player. Gerade viele Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau engagieren sich ebenfalls stark in Sachen IoT und KI/ML und werden dabei gleichzeitig auch zum Softwarelieferanten für ihre Kunden.

Bosch Rexroth will in Halle 17, Stand A40 etwa zeigen, wie die Fabrik der Zukunft so flexibel wird, dass die Fertigung jederzeit und mit geringem Aufwand auf neue Aufgaben umgestellt werden kann. Dazu hat Bosch etwa eine vollautomatisierte Fertigungslinie als Multitechnologieexponat aufgebaut.

Eine dreimal schnellere Geschwindigkeit als bei herkömmlichen CNC-Maschinen verspricht Bosch im Showcase "Factory of the Future". Mit einer Werkzeugmaschine von Weisser und einem intelligenten Maschinenbett von Rampf demonstriert Bosch Rexroth per Fernzugriff, wie sich verschiedene Anwendungsfälle der Factory of the Future - vorausschauende Wartung, Prozessoptimierung und Nachverfolgbarkeit - mit verteilter Intelligenz vom Maschinenbett bis zur Steuerung, Prozesskontrolle mit Hilfe von Sensorik und offenen Protokollen elegant miteinander verbinden lassen.

Ebenso darf natürlich auch bei Bosch Rexroth in diesem Jahr der Digitale Zwilling als virtuelles Abbild eines Produktes nicht fehlen. Bosch Rexroth zeigt zusammen mit dem Softwareanbieter Dassault Systèmes und dem Maschinenhersteller Gnutti Transfer, welche Möglichkeiten sich durch den digitalen Zwilling für Engineering-Prozesse im Maschinenbau und der Fertigungsplanung ergeben.

Der Fokus des 3.500 Quadratmeter großen Siemens-Messestands in Halle 9 liegt auf der branchenspezifischen Umsetzung der Digital-Enterprise-Lösungen über den gesamten Lebenszyklus.
Foto: Siemens AG

Richtig krachen lässt es Siemens wieder auf der HMI. Der Fokus des 3.500 Quadratmeter großen Messestands in Halle 9 liegt dabei auf der branchenspezifischen Umsetzung der Digital-Enterprise-Lösungen über den gesamten Lebenszyklus. Beispiele aus den Branchen Aerospace, Automotive, Food & Beverage, Electronics und Maschinenbau sowie Chemie, Fiber und Öl & Gas veranschaulichen, wie Unternehmen mit individuellen Digitalisierungslösungen ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern können - durch höhere Flexibilität, Effizienz, Qualität und kürzere Markteinführungszeiten. Zum Stand gehört auch die 700 Quadratmeter große MindSphere-Lounge. Dort präsentiert Siemens die die aktuelle Version 3, konkrete Use Cases und Referenzen aus dem eigenen Haus sowie von Partnern und OEMs. Dort ist auch die weltweite Nutzerorganisation MindSphere World zu finden.

Von der Natur lernen

Festo zeigt seine Vision des Arbeitsplatzes der Zukunft.
Foto: Festo

Ganz im Zeichen des Messe Leitthemas "Integrated Industries - Connect and Collaborate" steht der Messeauftritt der schwäbischen Festo AG (Hauptstand Halle 15, Stand D11). Neben anderen Bionik-Projekten präsentiert Festo den selbstlernenden Arbeitsplatz BionicWorkplace für die Mensch-Roboter-Kollaboration. Er verbindet, so heißt es in dem Familienunternehmen, die Vorteile des pneumatischen Leichtbauroboters BionicCobot mit IT-Systemen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz. Der flexible Arbeitsplatz ist mit zahlreichen Assistenzsystemen und Peripheriegeräten ausgestattet, die miteinander vernetzt sind und untereinander kommunizieren.

Neben künstlicher Intelligenz machen Machine-Learning-Methoden den BionicWorkplace zu einem lernenden und antizipativen System, das sich kontinuierlich selbst optimiert. Der Mensch kann direkt mit dem BionicCobot interagieren und ihn über Bewegung, Berührung oder über die Sprache steuern. Auch eine Fernmanipulation des Systems ist möglich. Diese Mensch-Roboter-Kollaboration ermöglicht laut Festo die Fertigung von individuellen Produkten bis zur Losgröße 1.

Von der Natur lernen: Der teilautonome Festo-Flughund BionicFlyingFox.
Foto: Festo

Was Bionik kombiniert mit KI/ML-Mechanismen zu leisten mag, demonstriert Festo mit dem teilautonom fliegenden BionicFlyingFox. Die Grundprinzipien hierfür haben die Forscher aus der Natur von Flughunden abgeleitet. Das ultraleichte Flugobjekt beherrscht trotz seiner Spannweite von 2,28 Meter enge Flugradien. Möglich macht das seine ausgetüftelte Kinematik nach dem Scherenprinzip. Die Handschwinge klappt sich beim Aufschwung ein und breitet sich zum kraftvollen Abschwung wieder aus. Damit sich der BionicFlyingFox in einem definierten Luftraum teilautonom bewegen kann, kommuniziert er mit einem so genannten Motion-Tracking-System. Die Installation erfasst permanent seine Position. Gleichzeitig plant das System die Flugbahnen und liefert die dazu nötigen Steuerbefehle. Start und Landung führt der Mensch aus.

Gerade die letzten Beispiel zeigen, wie klassische OT-Unternehmen, deren Domäne bislang der traditionelle Shopfloor war, im Zuge von KI und Machine Learning immer mehr in den Bereich der IT-Player vordringen. Eine feste Grenzlinie gibt es bislang nicht, was gerade heuer einen Besuch der Hannover Messe Industrie besonders interessant macht. Vielleicht ergibt ja ein Messerundgang, dass der Partner des nächsten IT-Projekts gar kein klassischer IT-Lieferant mehr ist, sondern der OT-Lieferant mit Software-Know-how und dem wichtigen vertikalen Branchenwissen.