Experten diskutieren "AI-ready Enterprise"

Höchste Zeit für KI-Realismus

02.07.2024 von Florian  Stocker
Wenn Unternehmen “AI-ready” werden wollen, müssen sie an vielen Stellen ansetzen: Bei den Prozessen, den Daten und auf menschlicher Ebene. Und überall gilt: Ohne vernünftige Strategie geht es nicht.
Ohne eine solide Strategie ist jede KI-Initiative zum Scheitern verurteilt.
Foto: Brian A Jackson - shutterstock.com

Der Hype ist groß - die Angst, zurückzufallen auch. So könnte man die vergangenen knapp zwei Jahre zusammenfassen, die seit dem Release von OpenAIs ChatGPT, beziehungsweise dem Large Language Model (LLM) GPT-3.5 ins Land gezogen sind. Dass sich die "FOMO"-Phase im Vergleich zu anderen IT-Trends bei (Gen)AI deutlich hartnäckiger hält, kann durchaus als Indikator für das unbestreitbar höhere Potenzial gegenüber "normalen" Hypes gesehen werden. Doch nur das Potenzial zu sehen, reicht natürlich nicht. Unternehmen scheitern regelmäßig daran, künstliche Intelligenz in den produktiven Betrieb zu überführen und vor allem ihre langfristige Transformation darauf zu stützen.

Die Hinderungsgründe sind "alte Bekannte": Daten, Governance, Mensch. Das Bewusstsein über die Stellschrauben ist auch weitgehend vorhanden. Vielen Unternehmen fehlt aber die Vorstellung, wie sie diese Hürden überwinden.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'AI ready Enterprise 2024'

Wie also diese "AI-Readiness" hergestellt werden kann, ist die zentrale Frage, zu der Expertinnen und Experten auch klare Antworten haben, wie sich im Rahmen des Computerwoche-Roundtables zu "AI-ready Enterprise" zeigte. Jede Ebene und Disziplin - egal ob IT, Fachbereich oder Management - kann demnach dazu beitragen, ein institutionelles Framework zu schaffen, in dem aus einem Impuls eine langfristige Umsetzung werden kann.

Einfach mal machen lassen

Da wäre zum Beispiel die Mitarbeiterebene: Das vor allem in Startups und jungen Unternehmen kultivierte "Einfach mal machen" ist auch im Enterprise-Kontext ein unverzichtbarer Baustein, der auf personeller Ebene kultiviert werden sollte.

Wie? Indem man Mitarbeiter mit einem gewissen Grundinteresse gezielt ermutigt und fördert. "KI ist bereits in Unternehmen präsent, oft jedoch als Schatten-IT", stellt Angelo Feiertag vom Beratungshaus Kobaltblau fest. "Zum Beispiel, wenn ein Werkstudent mal eben einen 'Custom GPT' gebaut hat", erklärt er. Seiner Meinung nach sollten solche First Mover - die es in jedem Unternehmen gibt - möglichst schnell identifiziert und ihr Potenzial zielgerichtet genutzt werden.

Das verlangt nach einer offenen Kommunikationskultur und nach Vorgesetzten, die solche Potenziale auch erkennen können. Doch selbst dann verpuffen sie auch wieder, wenn die daraus generierten Use Cases nicht in eine AI-Governance eingebettet werden. Diese dient nicht nur dazu, die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen, sondern auch den strukturierten Roll-Out in andere Abteilungen zu ermöglichen.

Die Kunst liegt allerdings darin, die richtige Balance zu finden und Pilotprojekte zu fördern, ohne Aktionismus auszulösen. Diese Entwicklung beobachtet Thomas Götz von Eviden immer wieder. "Der enorme Druck, dem sich Unternehmen selbst durch 'FOMO' aussetzen, mündet gerade oft in Schnellschüssen. Einfach mal schnell einen RAG-Bot zu bauen, ist halt einfacher, als sich vernünftig hinzusetzen und eine richtige Strategie zu formulieren."

KI ist kein Selbstzweck

Mit der Strategie - auch das ist weitgehend Konsens auf Expertenebene - steht und fällt der KI-Erfolg: "Wir müssen das Thema AI dringend mit dem nötigen Realismus zusammenbringen", sagt Thomas Götz. Das heißt in der Konsequenz: "Ohne Datenstrategie, ohne Governance und ohne Wissenskorpus im Unternehmen komme ich nicht zu einer erfolgreichen Integration."

Donald Fitzgerald von EasiRun sieht im gesunden Menschenverstand einen wichtigen Ratgeber bei der Bewertung von KI-Vorhaben: "Bei der Implementierung muss ich mir drei Fragen stellen: Was will ich eigentlich, wie will ich es erreichen, aber vor allem: Warum will ich dorthin? Wenn ich das nicht tue, drohe ich, AI als Selbstzweck einzuführen."

Virtueller Roundtable "AI ready Enterprise"
Christian Steinl, NICE
"Die DACH-Region ist im KI-Kontext definitiv aufgewacht. Das war auch höchste Zeit. Studien zeigen schon, dass wir hierzulande gegenüber dem internationalen Markt hinterherhinken. Jedes einzelne Erfolgsprojekt hilft, die Akzeptanz zu erhöhen."
Donald Fitzgerald, EasiRun
"Eine tragende Säule von AI-Readiness bildet die Legacy bzw. deren Modernisierung."
Kai Waehner, Confluent
"Eine KI-Plattform in der Cloud geht längst über die reine Datenanalyse hinaus und unterstützt auch kritische Systeme. Und der Nutzen ist schon heute ganz konkret – wir müssen also nicht mehr über Luftschiffe diskutieren, sondern können ganz konkrete Use Cases besprechen."
Felix Böhmer, iteratec
"Sehr viele Unternehmen stecken gerade mitten in der Orientierungsphase, während die Verfügbarkeit mächtiger GenAI-Modelle wie ChatGPT fortwährend einen gewissen Handlungsdruck erzeugt. Plötzlich kann jeder, quer durch alle Rollen, KI selbst “erfahren”. Diese Technologie macht was mit mir, reißt Gedankenbarrieren ein und verspricht – richtig eingesetzt – viele Aufgaben massiv zu beschleunigen. Das erzeugt im Endeffekt für viele Unternehmen „FOMO“: Viele fürchten gerade, einen Trend zu verpassen."
Angelo Feiertag, Kobaltblau
"Change-Management-Maßnahmen müssen die Einführung von KI unbedingt begleiten. Klare Kommunikation, Transparenz und insbesondere das Vermeiden von versteckten Agenden sind entscheidend. Diese Prinzipien minimieren die Angst vor dem 'Ersetzt-Werden' und fördern eine positive Einstellung zur Veränderung."
Thomas Götz, Eviden
"Wir müssen das Thema AI dringend mit dem nötigen Realismus zusammenbringen. Und das heißt: Ohne Datenstrategie, ohne Governance und ohne Wissenskorpus im Unternehmen komme ich nicht zu einer erfolgreichen Integration."
Liesel Klokkers, Salesforce
"Der Kundendienst ist ein klassisches Anwendungsbeispiel: Vor allem schnell wachsende Unternehmen werden oft von Serviceanfragen geflutet, die sie wegen des Fachkräftemangels nicht ohne weiteres abfedern können. KI hilft hier vor allem bei der Vorselektion und der Kanalisierung dieser Anfragen."

Komplexität reduzieren

Damit die konzeptionelle Basis zustandekommen kann, braucht es im Unternehmen aber auch ein geteiltes Vokabular und zumindest einen Konsens über Chancen und Risiken. Weil das Thema AI aber je nach Technologie unterschiedlich komplex ist, sind Überzeugungsarbeit und die richtige Kommunikation wichtig. Erfolgsbeispiele sollten aktiv in Form von Use Cases geteilt werden, um auch anderen Fachabteilungen eine Vorstellung von der Implementierbarkeit aber vor allem von der Zeit- und Kostenersparnis zu liefern, die sie mit einem LLM oder einer GenAI-Lösung erreichen können.

"Vorbehalte können wir nur abbauen, wenn wir die Komplexität reduzieren und in Cases kommunizieren. So bringen wir Schritt für Schritt mehr KI in die Unternehmen", betont Kai Waehner vom Data-Streaming-Spezialisten Confluent. Das helfe auch dabei, überhaupt dafür zu sensibilisieren, was KI ist und was nicht. "Auch wenn wir in Deutschland sehr schnell das Label 'KI' vergeben: Intelligent sind die Systeme meistens noch lange nicht." Dafür fehlt aus seiner Sicht nämlich vor allem eines: Die Datenbasis und vor allem die Datenströme - man denke nur an Supportfälle im Tourismus, wo jede Information bei einem Notfall möglichst aktuell sein muss. Echtzeit-Verfügbarkeit ist in solchen Szenarien eine Grundvoraussetzung.

Die meisten Unternehmen sind für Waehner deswegen noch lange nicht "AI-ready". "Das trifft vielleicht für einige Jüngere zu, die in der Cloud aufgewachsen sind. Bei Konzernen ist es aber durchaus schwierig. Die Challenges sind auch vielfältig: Informationen müssen orchestriert, harmonisiert, verbunden, in Korrelation gesetzt werden - idealerweise in einer Daten-Streaming-Plattform, um kontinuierlich Daten in Echtzeit bereitzustellen und zu analysieren. Das valide und von Ende zu Ende zum Laufen zu bringen, ist schon eine Mammutaufgabe."

Studie "AI ready Enterprise 2024": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema AI ready Enterprise führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Verantwortlichen durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, hilft Ihnen Julia Depaoli (julia.depaoli@foundryco.com, Telefon: +49 15290033824) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

AI demokratisiert die IT

Die Lautstärke in der Debatte suggeriert, dass künstliche Intelligenz an sich etwas Neues ist, was natürlich nicht stimmt. Die Grundvorstellung von selbstlernenden Algorithmen ist schon viel länger etabliert - was bisher "fehlte", war die Infrastruktur oder schlicht die Rechenleistung, um das volle Potenzial zu heben.

Mit KI-Chatbots wie ChatGPT, Gemini oder Claude, beziehungsweise Bildgenerierungs-Tools wie Dall-E oder Midjourney änderte sich die Zugänglichkeit: Anstelle des Programmierens rückt das Prompting und jeder auch nicht-code-affine Mitarbeiter kann sich in Sekunden einen Account anlegen und selbst sein vorher diffuses Bild von KI konkretisieren. Und zwar mit allen positiven und negativen Begleiterscheinungen. Denn genau wie jeder das Potenzial von LLMs "spürt", weckt die Unmittelbarkeit auch Ängste vor Strukturwandel und Jobverlust.

"Menschliche Sprache ist zur Schnittstelle geworden, das ist das eigentlich Disruptive an LLMs", beschreibt Felix Böhmer von Iteratec die "Demokratisierung" von KI: "Ich kann mittels natürlicher Sprache plötzlich mit Maschinen sprechen, aber noch wichtiger: Diese können auf dem gleichen Weg auf meine Daten zugreifen. Mehr Mitarbeiter partizipieren dadurch am Data Management und Flaschenhälse werden abgebaut." Eine ganz neue Herausforderung für digitale Wertschöpfung wird es seiner Meinung nach sein, die Qualität AI-generierter Antworten sicherzustellen. Dafür sei viel mehr Zusammenarbeit zwischen Technikern und Fachexperten gefragt - und neue Rollen müssten etabliert werden.

Erfolgreiche KI-Nutzung lebt also auch von der Partizipation möglichst vieler Abteilungen. Diese Partizipation führt dann am Ende auch zur produktiven Diskussion und im Idealfall zu Veränderungen, wie Liesel Klokkers von Salesforce zusammenfasst: "Nein, das Thema geht definitiv nicht mehr weg, im Gegensatz zu anderen Trends. Das haben auch alle Unternehmen mittlerweile verstanden. Wir sind schon jetzt in einer Phase, in der Mitarbeiter ganz konkrete Probleme adressieren, die mit KI gelöst werden sollen."

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'AI ready Enterprise 2024'