Chinesischer TK-Ausrüster auf dem Vormarsch

Huawei - ein Riese erwacht

28.10.2010 von Manfred Bremmer
In nur einem Jahrzehnt hat sich der chinesische Netzausrüster vom Nachahmer zum Technologievorreiter entwickelt.

Wer einen Besuch bei Huawei Technologies unternimmt, lernt schnell, in anderen Größenordnungen zu denken: Die Hauptniederlassung des Telco-Lieferanten in Shenzhen macht einen eigenen Stadtteil der südchinesischen Millionenstadt aus. Nach dem Überqueren der Campus-Grenze sind mit dem Auto noch gute zehn Minuten durch Forschungs- und Produktionseinrichtungen zu fahren, bis man das Hauptgebäude erreicht.

Foto: Huawei

Mindestens ebenso beachtlich wie die schiere Größe des chinesischen Hightech-Konzerns, der nicht nur in Shenzhen, sondern auch in anderen Provinzen und Ländern Forschungs- und Produktionszentren unterhält, ist dessen fast epidemisches Wachstum. 1988 mit Hilfe eines Staatskredits über rund 8,5 Millionen Dollar von einem Offizier der chinesischen Befreiungsarmee als Distributor von importierten Telefonanlagen gegründet, eignete sich die Company schnell Kenntnisse über deren Bau an und weitete dann das Produktportfolio und damit auch die Umsätze konsequent aus. 1999 verbuchte Huawei bereits Einnahmen von rund 970 Millionen Dollar, drei Jahre später erreichte der Umsatz 2,7 Milliarden Dollar. Diese Entwicklung ist umso beachtlicher, wenn man sich erinnert, dass sich nach dem Platzen der Dotcom-Blase 2000/2001 die gesamte TK-Industrie auf Schrumpfkurs begeben hatte.

Raketenartiger Aufstieg

Doch nicht nur ob des raketenartigen Aufstiegs klingelten bei der angeschlagenen Konkurrenz die Alarmglocken, sondern auch wegen der vermeintlichen Mittel, mit denen das Wachstum erzielt wurde: Etliche Male wurde der chinesische Riese beschuldigt, Produkte von Wettbewerbern nachgebaut zu haben. Zumindest in einem Fall räumte Huawei 2003 dann auch ein, 1999 versehentlich Teile von Ciscos Router-Software in den eigenen Produkten verwendet zu haben, und nahm im Anschluss die betroffenen Router vom Markt.

Foto: Huawei

Angesichts der wachsenden Bedeutung des internationalen Geschäfts ist das Unternehmen aber inzwischen davon abgekommen, Produkte anderer Anbieter plump zu imitieren. Stattdessen zielen die Chinesen darauf ab, sich über Partnerschaften und Übernahmen zusätzliches Know-how anzueignen sowie Portfoliolücken zu schließen. Zusätzlich haben sie in jüngster Vergangenheit ihre Forschungsaktivitäten aufgebaut: Mittlerweile arbeiten 43.000 Mitarbeiter oder 46 Prozent der Huawei-Belegschaft in Forschung und Entwicklung. Gleichzeitig werden zehn Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung investiert - 2009 hatte das Unternehmen immerhin knapp zwei Milliarden Dollar dafür bereitgestellt, 27 Prozent mehr als im Vorjahr.

Patente statt Plagiate

Die Früchte dieser Maßnahmen können sich sehen lassen: Nach eigenen Angaben stellte Huawei allein 2009 rund 1860 neue Patentanträge. Insgesamt nehmen die Chinesen mit über 42.500 Einreichungen Platz zwei der Patentliste der United Nations World Intellectual Property Organization (Wipo) ein.

Das hochmoderne Logistik-Center kommt fast ohne Mitarbeiter aus.
Foto: Huawei

Angesichts dieser Zahlen verwundert es wenig, dass sich das Unternehmen in wichtigen Bereichen allmählich vom Mitläufer zum Vorreiter entwickelt hat und in zahlreichen Standards-Gremien vertreten ist. Ein Markt, in dem Huawei technisch wie auch wirtschaftlich eine Führungsposition erreicht hat, ist das Wireless-Segment. 2009 stellte der TK-Ausrüster hier als erster Anbieter vor Konkurrenten wie Nokia Siemens Networks (NSN) oder Motorola eine SingleRAN-Lösung (Radio Access Network) vor, die auf kleinstem Raum den parallelen Betrieb von GSM-, UMTS-, LTE- und anderen Netzen ermöglicht. Huawei unterstützt damit Carrier bei der Migration von traditionellen zu All-IP- und 4G-Netzen und dies, da parallel genutztes Equipment wegfällt, auf eine besonders kostengünstige und energieeffiziente Weise.

Für das US-amerikanische Wirtschaftsmagazin "Fast Company" war die Innovationsstärke, besonders im Hinblick auf die Kundenanforderungen, neben dem starken Wachstum ein Hauptgrund, Huawei im Frühjahr auf Platz fünf seiner Liste der innovativsten Unternehmen 2010 weltweit zu setzen - hinter Facebook, Amazon, Apple und Google.

Das Exhibition Center in Shenzhen
Foto: Huawei

Während der TK-Riese sein Image als Plagiator inzwischen weitgehend abgeschüttelt hat, sind seine politischen Probleme unübersehbar. Besonders in den USA sind die engen Bindungen an die chinesische Regierung von Nachteil. Aus Gründen der nationalen Sicherheit wurde Huawei 2008 unter anderem die Übernahme von 3Com verwehrt, im weiteren Verlauf sahen sich die Chinesen dann auch zum Ausstieg aus dem Joint Venture H3C gezwungen, das mit 3Com gegründet worden war. Auch der im Herbst 2008 geplante Kauf von Nortels Metro-Ethernet-Sparte platzte - und könnte damit letztendlich die Insolvenz des kanadischen Netzausrüsters im Frühjahr 2009 mitverursacht haben.

Doch die Befürchtung der US-Regierung, dass das chinesische Regime über Huawei-Geräte weltweit Netze ausspionieren könnte, verhindert nicht nur Zukäufe. Aktuell droht auch ein drei Milliarden Dollar schwerer Auftrag von Sprint Nextel über 4G-Equipment zu platzen. Eine Lösung ist hier nicht in Sicht: Anders als bei den Plagiatsvorwürfen haben die Chinesen gegen das Misstrauen der westlichen Welt noch kein Patentrezept gefunden.