Industrie 4.0

IT-Budgets bremsen Digitalisierung

14.06.2016 von Wiebke Stich
Wie steht es mit Industrie 4.0 in der Realität? Wie weit ist die Digitalisierung fortgeschritten und wer sind die Treiber in den Unternehmen? Eine Studie der H&D International Group gibt einen Überblick über den Stand der Digitalisierung in der Produktion.
Die industrielle Produktion und produktionsnahe Dienstleistungen in Deutschland erzielen mehr als die Hälfte der gesamten Wirtschaftsleistung.
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Industrie 4.0 gilt als eine der drängendsten Herausforderungen der deutschen Wirtschaft. Die Brisanz des Themas verdeutlicht auch die Bundesregierung in ihrer Digitalen Strategie 2025 (PDF): Die industrielle Produktion und produktionsnahe Dienstleistungen in Deutschland erzielen mehr als die Hälfte der gesamten Wirtschaftsleistung. Damit diese Unternehmen in Zukunft weiterhin wettbewerbsfähig bleiben, ist es wichtig, die digitale Transformation voranzutreiben und erfolgreich zu meistern.

Erstmals wurde die vierte industrielle Revolution zur Hannover Messe 2011 ausgerufen. Seitdem sind fünf Jahre vergangen - höchste Zeit, genauer zu untersuchen, was sich seitdem in deutschen Industrieunternehmen getan hat. In der Studie "Digitalisierung der Produktion" befragte die H&D International Group Entscheider aus dem produzierenden Gewerbe nach dem aktuellen Stand von Industrie 4.0. Dabei berücksichtigte sie die verschiedene Einschätzung der wichtigsten Player dieser Entwicklung: IT-Abteilung und die Fachbereiche des Kernwertschöpfungsprozesses Produktion, Forschung und Entwicklung sowie die technische Planung.

Industrie setzt auf Qualitätsverbesserung

In dem aktuellen Lagebild bewerten 85,7 Prozent der Teilnehmer die Digitalisierung als wichtiges Thema, wobei der Fachbereich Forschung und Entwicklung sowie die IT-Abteilung das Thema am stärksten befürworten. Dabei sehen die verschiedenen Fachbereiche in einer verbesserten Qualität ihrer Produkte den Hauptgrund, um Industrie 4.0 im Unternehmen voranzutreiben. Erst auf Platz zwei der Top-Gründe nennen sie die Wettbewerbsfähigkeit, gefolgt von dem Flexibilitätsgewinn durch digitalisierte Prozesse. Daneben verspricht sich vor allem die IT eine höhere Sicherheit gegen Angriffe von außen.

Ungenutzte Potenziale durch mangelnde Vernetzung

Aufgrund der fehlenden Vernetzung von Maschinen und IT-Systemen untereinander bleiben viele Potenziale für ein intelligentes Zusammenspiel und Synergien der Systeme in der Produktion ungenutzt.
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Die Digitalisierung selbst ist in den Unternehmen bereits in vollem Gange. Über zwei Drittel der Befragten gab einen Reifegrad von über 40 Prozent an. Ein Viertel betrachtet die umfassende Digitalisierung in der Produktion bereits zu 60 bis 80 Prozent umgesetzt. Knapp über fünf Prozent gaben an, diese bereits vollständig erreicht zu haben.

Hinter der Digitalisierung steht vor allem eine intelligente Vernetzung der verschiedenen Akteure, Maschinen, Anwendungen und Prozesse innerhalb der Produktion. Hier besteht in den Unternehmen noch Nachholbedarf: Knapp die Hälfte betrachtet die Zunahme der Vernetzung als schleppend und zu noch nicht mal 40 Prozent umgesetzt. Demnach sind zwar viele Prozesse digitalisiert, doch bleiben durch die fehlende Vernetzung von Maschinen und IT-Systemen untereinander viele Potenziale für ein intelligentes Zusammenspiel und Synergien der Systeme in der Produktion ungenutzt.

Alle Bereiche bewerten zudem den Standardisierungsgrad schlechter als die Digitalisierung, aber besser als den Stand der Vernetzung. Während die Produktion den Fortschritt bei allen drei Bereichen positiv bewertet, sieht die IT-Abteilung noch Luft nach oben.

Budgets sind größtes Hindernis

Was den Fortschritt betrifft ist die IT zwar kritischer, dennoch bewertet sie das Thema Digitalisierung generell positiver als die anderen Fachbereiche. Für eine erfolgreiche Digitalisierung sieht hingegen auch die IT einige zentrale Herausforderungen, die es noch zu bewältigen gilt. Dabei beziehen sich einige der drängendsten Hindernisse überwiegend auf organisatorische Aspekte. So bremsen eine fehlende strategische Planung, nicht gelebte Prozesse und eine geringe Flexibilität der Organisationsstrukturen die weiteren Schritte auf dem Weg zur Industrie 4.0 aus. Die bei weitem größte Hürde stellen nicht ausreichende Budgets dar.

Dem gegenüber steht wiederum die Aussage von 54 Prozent der Befragten, dass sich die IT-Budgets in der Produktion erhöht haben. Darüber hinaus erwarten 60 Prozent in den nächsten Jahren einen kontinuierlichen Anstieg der bereitgestellten Finanzmittel. Unterm Strich steht insgesamt mehr Geld für die Digitalisierung der Produktion zur Verfügung. Gleichzeitig reicht es trotzdem nicht aus, um die notwendigen Maßnahmen umzusetzen.

Das bedeutet für Unternehmen einerseits langfristig steigende Ausgaben und Investitionen durch die Digitalisierung. Anderseits sind sie aus Kostengründen gefordert, eine genaue Kosten-Nutzen-Betrachtung der Maßnahmen durchzuführen. Es gilt genau zu evaluieren, welche Lösungen zu Industrie 4.0 wirklich sinnvoll sind und ob sie das Unternehmen voranbringen. Klar ist allerdings, dass Investitionen nötig sind, um beispielsweise ältere Produktionsstrukturen an die Anforderungen aktueller IT-Systeme anzupassen.

IT-Abteilung verantwortet Digitalisierung

Die IT-Abteilung verfügt immer noch über einen Großteil des IT-Budgets.
Foto: H&D Consulting

Die Verantwortung für das IT-Budget schreibt ein Großteil der Entscheider den IT-Abteilungen zu. Mit dieser Führungsrolle hat diese kein Problem. Mit 87,5 Prozent betrachtet sie sich selbst als Hauptverantwortlichen. Diese Ansicht stützen die meisten Fachbereiche. Allein die Produktion gibt eine fast gleichberechtige Verantwortung zwischen ihr und der IT an. Lediglich mit 3,4 Prozentpunkte sieht sie die IT ein wenig mehr in der Pflicht als sich selbst. Von der IT bewerten im Gegenzug nur zehn Prozent die Produktion als verantwortlich. Hier ist es wichtig, zwischen den beiden Parteien zu vermitteln. Übergeordnetes Ziel ist ein reibungsloser, digitalisierter Produktionsprozess. Um das zu erreichen, gilt es beide als Partner auf Augenhöhe zu gewinnen.

Bei einzelnen Aspekten des Digitalisierungsprozesses benennen die meisten Beteiligten die IT-Abteilung mit Abstand als Hauptverantwortlichen. Das betrifft die Bereiche: Definition des Zielbildes, Prüfung der technologischen Machbarkeit, Projektleitung sowie die eigentliche Umsetzung. Lediglich bei der strategischen Planung und der Einordung in den gesamten Unternehmenskontext verschiebt sich die Verantwortung hin zur Geschäftsführung und dem oberen Management.

Andere Akteure wie Beratungsunternehmen und auch die Produktion spielen hierbei eher eine untergeordnete Rolle. Am ehesten gehen die Entscheider mit 22 Prozent davon aus, dass die Produktion in der Projektleitung Verantwortung übernimmt. Demgegenüber stehen hingegen 48,9 Prozent für die Projektleitung durch die IT-Abteilung. Unterstützung von externen Partnern wie IT-Dienstleistern ist besonders in der Umsetzung gefragt.

Für IT-relevante Prozesse in der Produktion setzen die Entscheider umfangreiches Know-how beider Disziplinen voraus. Sie verlangen IT-Know-how im Allgemeinen und speziell in der Produktion. Darüber hinaus zählt Wissen über Produktionsprozesse- und -zyklen sowie Spezialwissen zu bestimmten Produktionsbereichen. Gerade zu letzteren Aspekten verfügt die Produktion von Haus aus über mehr Know-how. Ebenso verhält es sich mit der IT zu IT-relevanten Aspekten. Hier zeigt sich die Notwendigkeit der Kooperation für eine strategische Zusammenarbeit und einen Wissenstransfer zwischen IT und Produktion.

Fazit: Investitionen und Wissenstransfer sind notwendig

Industrie 4.0 ist in den produzierenden Unternehmen heute kein hohles Marketing-Wort mehr. Die meisten befinden sich bereits mitten in der Umsetzung der digitalen Transformation, wobei nur die wenigsten sie als bereits abgeschlossen betrachten. Um das Ziel einer umfassenden Vernetzung durch digitalisierte Prozesse zu erreichen, sind IT-Budgets das größte Hemmnis für den Fortschritt.

Obwohl Unternehmen mehr Geld für IT in der Produktion bereitstellen, reicht dieses nicht aus, um alle wichtigen Maßnahmen direkt anzugehen. Vielen bleibt so nur eine schrittweise Digitalisierung mit Einzelmaßnahmen. Treiber und Verantwortliche der Digitalisierung sind vor allem die IT-Abteilungen. Gleichzeitig ist ein Austausch zwischen IT und Produktion notwendig, um relevante Kompetenzen und Know-how zu spezifischen Produktionsaspekten für eine erfolgreiche Planung nutzen. Eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Bereichen führt im Idealfall dazu, die organisatorischen Schwierigkeiten der Digitalisierung in der Produktion zu reduzieren und eine ganzheitliche Strategie umzusetzen.